FG Köln, Urteil vom 10.05.2007 - 10 K 6165/02
Fundstelle
openJur 2011, 47230
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 29.8.2002 und der Einspruchsentscheidung vom 22.10.2002 verpflichtet, dem Kläger Kindergeld in der gesetzlichen Höhe für das Kind

M für die Zeit von Januar 1998 bis einschließlich September 1999,

G für die Zeit von Januar 1998 bis einschließlich Oktober 2003,

N für die Zeit von Januar 1998 bis einschließlich September 2004 und

S für die Zeit von Januar 1998 bis einschließlich Dezember 2004 zu gewähren.

Für die Zeiträume danach bis einschließlich Dezember 2004 wird die Beklagte verpflichtet, über den Kindergeldanspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gericht neu zu entscheiden.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kindergeld für seine Kinder M (geb. 4.9.1981), G (15.10.1985), N (10.9.1986) und S (19.1.1990) zusteht. Die Kinder lebten unstreitig zumindest bis Dezember 2004 im Haushalt des Klägers.

Der Kläger ist ... und vor 1991 aus Albanien nach Deutschland geflüchtet. Er war jugoslawischer Staatsbürger. Seit Beginn seines Aufenthalts in Deutschland ist er nicht erwerbsfähig und erwerbstätig gewesen. Er verfügte bis Ende 2004 nur über eine Aufenthaltsbefugnis. Ab dem 19.4.2005 verfügte er über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz. Seit dem 9.11.2006 verfügt er über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Der Kläger beantragte am 8.4.2002 Kindergeld für die vorgenannten Kinder. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Verfügung vom 29.8.2002 ab. Dabei handelte es sich um die erstmalige Ablehnung eines Kindergeldantrags. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 22.10.2002 zurück.

Mit der Klage beantragt der Kläger,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 29. August 2002 und der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2002 zu verpflichten,

1. das Kindergeld für seine vier Kinder jeweils für die Zeit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu gewähren,

2. im Übrigen über den Kindergeldanspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung. Da der Kläger keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, seien auch die Voraussetzungen der rückwirkend anzuwendenden Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts ergebe sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die Ausweisung des Klägers auf unbestimmte Zeit nicht möglich sei.

Gründe

Die Klage ist insgesamt zulässig und begründet. Dem Kläger steht das beantragte Kindergeld zu, weil seine Ausweisung auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und er sich seit über einem Jahr berechtigt in der BRD aufhält.

I. Die Klage ist nicht nur hinsichtlich des Kindergelds für die Monate bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung zulässig, sondern auch hinsichtlich der darauf folgenden Monate. Obwohl die Einspruchsentscheidung, mit der die Ablehnung des Kindergeldanspruchs bestätigt wurde, im Oktober 2002 bekanntgegeben worden ist, hält das Gericht entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG im Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04 (EFG 2006, 751) eine Klage, mit der die Verurteilung der beklagten Behörde zu Gewährung von Kindergeld begehrt werden soll, auch für die Monate nach Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung für zulässig.

a) Das Niedersächsische FG hält in seinem Urteil vom 23. Januar 2006 eine Klage gegen einen die Festsetzung von Kindergeld ablehnenden Bescheid für insoweit unzulässig, als sich der Klageantrag auch auf die Monate nach der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids erstreckt. Dabei geht es unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 VIII R 12/03 (BFH/NV 2004, 786) von der These aus, dass der Regelungsgehalt eines Bescheides, durch den ein Kindergeldantrag abgelehnt wird, lediglich den Zeitraum bis einschließlich des Monats der Bekanntgabe erfasse. In diesem BFH-Urteil heißt es zwar einerseits ausdrücklich, dass ein Bescheid, durch den ein ohne ausdrückliche zeitliche Beschränkung gestellter Kindergeldantrag abgelehnt wird, den Anspruch auf Kindergeld nur für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum regelt und keine Regelungswirkung für künftige, bei Bescheiderlass noch nicht entstandene Kindergeldansprüche entfaltet. In der Entscheidung des VIII. Senat war allerdings - anders als im vorliegenden Fall - nicht das Kindergeld für künftige Monate streitig, die auf den Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folgten. Streitig war vielmehr, ob sich die Regelungswirkung eines im Dezember 2000 erlassenen Bescheides auch auf die vergangenen Monate vor Bescheiderlass erstreckte. Diese Frage beantwortete der BFH in seinem Subsumtionsschluss letztlich damit, dass sich die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids auch auf die Monate vor Dezember 2000 erstrecke.

b) Die These der fehlenden Regelungswirkung für künftige, bei Bescheiderlass noch nicht entstandene Kindergeldansprüche gilt seit dem zwischenzeitlichen Wechsel der Zuständigkeit für das Kindergeld zum III. Senat des BFH jedenfalls nicht mehr uneingeschränkt. Das Urteil des VIII. Senat vom 28. Januar 2004 erging im Anschluss an die Rechtsprechung des VI. Senat zur Regelungswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte, die ihre Grundlage in der allenfalls begrenzten Eignung der Vorschriften der AO 1977 zur Regelung der verfahrensrechtlichen Problematik von Dauerverwaltungsakten hatte. Diese Entscheidungen waren ergebnisorientiert und von dem Ziel getragen, die Regelungswirkung bestandskräftiger Ablehnungsbescheide soweit wie möglich einzuschränken, um später - etwa nach besserer Rechtserkenntnis - rückwirkend für die Vergangenheit noch so viel Kindergeld wie möglich gewähren zu können. Der III. Senat hat sich in seinem Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04 (BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184) dagegen erstmals mit der Frage auseinander gesetzt, ob das für Dauerverwaltungsakte nur begrenzt taugliche abgabenrechtliche Instrumentarium es erlaubt, dass der Kindergeldberechtigte mit seiner Klage - neben der Aufhebung des ablehnenden Bescheides - für künftige Monate auch die Verpflichtung der Familienkasse erreichen kann, Kindergeld auf unbestimmte Zeit zu zahlen. Er hat dabei den Standpunkt vertreten, dass es sich bei einer Klage gegen einen das Kindergeld ablehnenden Bescheid nicht um eine Anfechtungsklage in Form der Änderungsklage, sondern um eine Verpflichtungsklage handelt, mit der die Aufhebung der Ablehnungsentscheidung und eine Verpflichtung der Familienkasse erreicht werden kann, über den Kindergeldantrag des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (Bescheidungsurteil). Der III. Senat begründet seine Auffassung ausdrücklich mit der Erwägung, dass bei der Ablehnung von Kindergeld zu berücksichtigen sei, dass die Kindergeldfestsetzung als Dauerverwaltungsakt im Regelfall keinen bestimmten Zeitraum umfasse. Zu einer Änderung oder Aufhebung der Festsetzung komme es erst dann, wenn sich die für den Kindergeldanspruch maßgeblichen Verhältnisse änderten (§ 70 Abs. 2 EStG); bis dahin würde das Kindergeld aufgrund der Festsetzung monatlich gezahlt.

c) Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass weitgehende Übereinstimmung zwischen den unterschiedlichen Ansätzen des VIII. Senat und des III. Senat, die einmal die Wirkung eines Ablehnungsbescheids für die Vergangenheit und einmal für künftige Monate zum Gegenstand hatten, in der Weise hergestellt werden kann, dass der Regelungsinhalt von Ablehnungsbescheiden differenziert beurteilt wird, je nachdem, ob die Ablehnung bestandskräftig geworden ist oder im Klageverfahren angefochten wird. Wird die Ablehnung nicht angefochten, bleibt es bei dem Grundsatz, dass ein Ablehnungsbescheid lediglich den Kindergeldanspruch für die bis zur Bekanntgabe abgelaufenen Monate regelt und deshalb keine Wirkung für die Kindergeldansprüche künftiger Monate entfaltet. Wird die Regelung hingegen im Klageverfahren angefochten, ist im anschließenden Urteil eine Verpflichtung des Familienkasse auch für künftige Monate möglich. Die Legitimation, Ablehnungsbescheiden einen unterschiedlichen Regelungsinhalt beizumessen, je nachdem ob sie bestandskräftig oder im Klageverfahren angefochten werden, ergibt sich daraus, dass für nicht bestandskräftig gewordene Verwaltungsakte im Klageverfahren andere Änderungsvorschriften gelten als bei bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakten, für die etwa § 172 AO 1977 nicht gilt.

Für diese Betrachtungsweise sprechen nicht zuletzt Praktikabilitätsgesichtspunkte. Die Lösung des erkennenden Senats vermeidet Ungereimtheiten, die sich auf der Grundlage der Ausführungen des VI. Senat und des VIII. Senat ergeben können, wenn eine Kindergeld-Ablehnung erfolgreich angefochten wird, sich das Klageverfahren aber - aus welchen Gründen auch immer - über mehrere Jahre erstreckt. Denn in einem solchen Fall würde der Kindergeldberechtigte durch eine obsiegende Entscheidung das Kindergeld lediglich bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (letzte Verwaltungsentscheidung) erlangen können. Die Kindergeldgewährung für die folgenden Monate würde davon abhängen, dass rechtzeitig - vor Ablauf der Festsetzungsfrist - ein erneuter Kindergeldantrag gestellt wird. Mit der Notwendigkeit, für die auf den Monat der Bekanntgabe der Ablehnungsentscheidung folgenden Monate einen erneuten Kindergeldantrag zu stellen, wird ein Anspruchsinhaber aber angesichts des anhängigen Klageverfahrens kaum rechnen. Er könnte deshalb bei langjährigen Klageverfahren einen Teil seiner Ansprüche durch den Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist für Monate verlieren, die auf den Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folgen. Diese Ungereimtheit wird vermieden, wenn man die Regelungswirkung einer Kindergeldablehnung, die im Klageverfahren angefochten wird, auch auf die Monate nach ihrer Bekanntgabe erstreckt und mit dem III. Senat eine Bescheidung auch für diese Monate für zulässig erachtet.

II. Die Klage ist auch begründet. Die Kindergeldberechtigung des Klägers ergibt sich aus § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996, der vor dem Hintergrund des BVerfG-Beschlusses vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.

1. Entgegen den Ausführungen des BFH in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (auf der Homepage des BFH erschienen am 9. Mai 2007) lehnt der erkennende Senat die Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom 13. Dezember 2006 auf den Streitfall ab, weil er deren Erstreckung auf Altfälle durch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungsrechtlich unzulässig hält.

a) Gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (AuslAnsprG - BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) an die Systematik der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (AufenthG - BGBl I 2004, 1950) angepasst worden ist, hängt die Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG) davon ab, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).

b) Die Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten, erfasst aber darüber hinaus alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld - wie auch im Streitfall - noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG). Wegen der Anknüpfung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach den AufenthG einerseits und wegen der rückwirkenden Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 verwirklichte Sachverhalte (Altfälle) andererseits, in denen sich die Aufenthaltstitel noch nach dem AuslG richteten, müsste nach dieser Regelung für Altfälle jeweils geklärt werden, inwieweit die Aufenthaltsrechte nach dem AuslG 1990 den in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstiteln entsprechen (BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, zur Veröffentlichung bestimmt, Homepage des BFH vom 9. Mai 2007 für einen geduldeten Aufenthalt in der BRD seit 1992 betreffend Kindergeld für die Monate von Juli 1997 bis Juli 1999). Ein Aufenthalt aufgrund einer Duldung berechtigte danach nicht zum Bezug von Kindergeld; bei einer bloßen Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen hinge die Kindergeldberechtigung in aller Regel davon ab, ob sich der Ausländer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten hat und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig war bzw. laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen hat.

c) Danach müsste die Kindergeldberechtigung im Streitfall versagt und die Klage abgewiesen werden. Der erkennende Senat wendet die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom 13. Dezember 2006 jedoch nicht auf den Streitfall an.

aa) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entschieden, dass § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353), durch den Ausländer von Kindergeld ausgeschlossen wurden, die lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis waren, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Ausländer ihren ausländerrechtlichen Status nicht beeinflussen könnten, befand das BVerfG, dass eine an der Art des Aufenthaltstitels ausgerichtete Differenzierung zwischen ausländischen Eltern nicht durch Gründe von hinreichendem Gewicht gerechtfertigt sei. Denn der Gesetzgeber dürfe bei der Bestimmung der Art und Weise des Familienleistungsausgleichs nicht allein aus fiskalischen Erwägungen eine Gruppe von Personen, gegenüber denen der Staat aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich zu einem Ausgleich verpflichtet sei, von einer bestimmten Leistung ausschließen, die anderen gewährt werde. Bei Ausländern, die legal in Deutschland lebten, sei unabhängig von der Art des Aufenthaltstitels zu berücksichtigen, dass sie - wie auch Deutsche - in gleicher Weise durch die persönlichen und finanziellen Aufwendungen bei der Kindererziehung belastet seien. Soweit es Ziel der gesetzlichen Neuregelung gewesen sei, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, die sich auf Dauer in Deutschland aufhalten, sei die Regelung ungeeignet, dieses Ziel zu erreichen, weil einerseits diejenigen, die über eine Aufenthaltsbefugnis verfügten, sich nicht typischerweise nur kurzfristig in Deutschland aufhielten, andererseits eine Aufenthaltserlaubnis auch befristet bei kurzfristigem Aufenthalt erteilt werde. Ebenso hat der EuGHMR mit Urteil vom 25. Oktober 2005 in der Sache 59140/00 (DStR 2006, 1404, BFH/NV 2006, Beilage 3, 357) entschieden, dass der Ausschluss von im Inland lebenden Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung vom deutschen Kindergeld gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt.

bb) Das BVerfG hat dem Gesetzgeber in seinem o. a. Beschluss vom 6. Juli 2004 eine Frist bis zum 1. Januar 2006 gesetzt, die verfassungswidrige Norm durch eine Neuregelung zu ersetzen. Andernfalls sollte auf alle noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren das bis zum 31. Dezember 1993 geltende Recht anzuwenden sein, d.h., das BKGG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I 1990, 1354). Nach dieser Regelung haben Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in der BRD aufhalten, einen Kindergeldanspruch, wenn sie nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr.

cc) Vor diesem Hintergrund teilt der erkennende Senat nicht die Auffassung des III. Senats des BFH, der sowohl die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG als auch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG über die rückwirkende Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 verwirklichte Sachverhalte (Altfälle) für verfassungsrechtlich unbedenklich hält (BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, a.a.O.).

aaa) Die Anordnung einer derartigen Rückwirkung auch auf Altfälle ist weder verfassungsgemäß noch entspricht sie dem Grundsatz der gegenseitigen Achtung von Verfassungsorganen. Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber in seinem Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) einen klaren, bis zum 1. Januar 2006 befristeten Regelungsauftrag erteilt und die Nichterfüllung dieses Auftrags mit der Anordnung der Anwendbarkeit des bis zum 31. Dezember 1993 gültigen Rechts sanktioniert. Daraus ergibt sich, dass sämtliche offenen Altfälle ab Januar 2006 entscheidungsreif waren, da der Gesetzgeber den verfassungsgerichtlichen Regelungsauftrag ignoriert hat. In einer Vielzahl der offenen Fälle hätte deshalb das Kindergeld auf der Grundlage des bis 1993 gültigen Rechts gewährt werden müssen, wenn die Gerichte dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot entsprochen hätten. Der erkennende Senat hat - wie viele andere Finanzgerichte und der BFH - von einer Entscheidung der Fälle nur deshalb abgesehen, weil die beklagte Behörde immer wieder um ein Zuwarten mit der Entscheidung im Hinblick auf die zu erwartende Neuregelung gebeten hatte. Wenn der Gesetzgeber es in einer solchen Situation in der Hand hätte, durch eine rückwirkende Anwendungsregelung eines verspätet erlassenen Gesetzes den klaren Sanktionsausspruch des Verfassungsgerichts zu umgehen, hätte dies zur Konsequenz, dass Kindergeld in allen Fällen hätte gewährt werden müssen, in denen die Gerichte sogleich unter Beachtung des Beschleunigungsgebotes entschieden hätten, während es in allen anderen Fällen, in denen die Gerichte im Vertrauen auf die zu erwartende Neuregelung gewartet hätten, nicht zu gewähren wäre. Eine derart unterschiedliche Behandlung gleicher Tatbestände hält der erkennende Senat für verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar.

bbb) Darüber hinaus hält der erkennende Senat auch die Neuregelung selbst für nicht verfassungsgemäß. Insoweit wird Bezug genommen auf die zur Veröffentlichung bestimmten Vorlagebeschlüsse betreffend das Kindergeld für die Monate ab Januar 2005 in den Sachen 10 K 1689/07 und 10 K 1690/07 vom heutigen Tage.

ccc) Die rückwirkende Anwendung der Neuregelung ist auch nicht aufgrund der Verwerfungskompetenz des BVerfG gemäß Art. 100 GG geboten. Ein unterinstanzliches Gericht kann einer für verfassungswidrig gehaltenen Norm in eigener Zuständigkeit die Anwendung versagen, wenn das BVerfG bereits eine Entscheidung zu einer vergleichbaren Rechtsvorschrift getroffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/04, BStBl II 2005, 26; Niedersächsisches FG, Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751). Dies muss auch gelten, wenn der Gesetzgeber eine verfassungsgerichtliche Regelungsfrist dadurch umgeht, dass er den Anwendungsbereich einer Neuregelung auf bereits abgeschlossene Sachverhalte vorverlagert.

2. Aus diesem Grund richtet sich die Kindergeldberechtigung des Klägers im Streitfall für die Monate bis einschließlich Dezember 2004 nach § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996. Nach dieser Vorschrift hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld davon ab, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG 1990) oder Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG 1990) war. Eine Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29 AuslG 1990), Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG 1990) oder eine Duldung (§§ 55, 56 AuslG 1990) reichte nicht aus. Entgegen ihrem Wortlaut ist die Vorschrift allerdings einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung für nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten (Anschluss an das Urteil des Niedersächsischen FG vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751).

a) Die Erwägungen, aus denen das BVerfG § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG i. d. F. des 1. SKWPG vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353), durch den wegen der Anknüpfung an den Aufenthaltstitel Ausländer vom Kindergeld ausgeschlossen wurden, die lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis waren, für verfassungswidrig erklärt hat (Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114; s.o. 1. c aa), treffen wegen der Identität der Tatbestandsmerkmale in gleicher Weise auf § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG i. d. F. des JStG 1996 zu (ebenso die Gesetzesbegründung der Neuregelung vom 13. Dezember 2006, BT-Drucks. 16/1368, S. 8; ferner BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03, a.a.O.). Deshalb ist es unerheblich, dass die Regelung aufgrund der Systemänderung durch das JStG 1996 nunmehr in § 62 EStG eingebettet wurde. § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996 verstößt ebenso gegen Art. 3 Abs. 1 GG wie § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung vom 21. Dezember 1993. Aus diesem Grund ist § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996 entsprechend dem Entscheidungsausspruch des BVerfG entgegen seinem Wohnort einschränkend dahin auszulegen, dass ausländischen Eltern, die sich ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten, Kindergeld zu gewähren ist, wenn sie nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können, dies allerdings frühestens für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr (so bereits Niedersächsisches FG, Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04, EFG 2006, 751).

b) Wie bereits das Niedersächsische FG a.a.O. ist auch der erkennende Senat der Auffassung, keine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG darüber einzuholen zu müssen, ob die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Denn wenn das BVerfG bereits eine Entscheidung zu einer vergleichbaren Rechtsvorschrift getroffen hat (im Streitfall zu § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG), kann das unterinstanzliche Gericht diese Entscheidung in eigener Entscheidungszuständigkeit auf die andere Rechtsnorm übertragen (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/04, BStBl II 2005, 26).

3. Danach war das Kindergeld im Streitfall wie beantragt zu gewähren, weil der Kläger, der sich zumindest seit 1991 bis auf den heutigen Tag ununterbrochen in der BRD aufhält, unstreitig jedenfalls faktisch auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden konnte und sein Aufenthalt im Jahr 1998 bereits über mehrere Jahre andauerte. Für Monate vor dem 1.1.1998 ist der Kindergeldanspruch verjährt.

4. Im Streitfall war die Verpflichtung der beklagten Behörde auszusprechen, das Kindergeld jeweils bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu gewähren.

a) Zwar hat der BFH im Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04 (BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184) den Standpunkt vertreten, dass mit einer Klage gegen einen das Kindergeld ablehnenden Bescheid neben der Aufhebung der Ablehnungsentscheidung grundsätzlich lediglich eine Verpflichtung der Familienkasse zur erneuten Bescheidung des Kindergeldantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erreicht werden kann (Bescheidungsurteil). Eine Verpflichtung zur Festsetzung von Kindergeld sei nur möglich, wenn nach der für den Streitfall maßgeblichen Sach- und Rechtslage der Anspruch auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakts bestehe. Die Behörde habe aber die Sach- und Rechtslage in den Monaten nach ihrer letzten Entscheidung naturgemäß noch nicht prüfen können. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktion auszuüben und von der Verwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte aufzugreifen und durch eigene Ermittlungen zu klären, damit dem Kläger keine außergerichtliche Instanz genommen werde.

b) Diese Sorge teilt der erkennende Senat jedoch zumindest in den Fällen nicht, in denen die Kinder minderjährig sind, ihr Wohnsitz im Haushalt der Eltern und damit im Inland unstreitig ist und auch sonst keine Zweifel an der Kindergeldberechtigung bestehen. Denn unter diesen Voraussetzungen ist der Kindergeldanspruch - wie auch im Streitfall - ohne weiteres zu bejahen, sodass die Sache spruchreif ist und die Verpflichtung zur Festsetzung des begehrten Kindergelds ausgesprochen werden kann.

c) Für die Zeit ab Vollendung des 18. Lebensjahres konnte hingegen antragsgemäß nur die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Kindergeldantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ausgesprochen werden.

d) Etwas anderes gilt allerdings nach der völligen Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des AuslAnsprG vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) für die zunächst vom Klageantrag mitumfassten Monate ab Januar 2005. Da das Gesetz in seiner Neufassung zum einen dem BVerfG noch nicht zur Prüfung vorgelegen hat und es sich zum anderen wegen des ab Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz hinsichtlich dieser Monate auch nicht um einen Altfall handelt, für den die verfassungsrechtlichen Bedenken des Senats betreffend die Anwendungsregelung eingreifen, sieht sich der erkennende Senat an einer Gewährung von Kindergeld ohne vorherige Einholung einer Entscheidung des BVerfG gehindert. Er hat deshalb das Verfahren auf Gewährung von Kindergeld für die Monate ab Januar 2005 abgetrennt und bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem mit Beschluss vom 9.5.2007 vorgelegten Verfahren 10 K 1690/07 ausgesetzt.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Die Revision wird sowohl wegen grundsätzlicher Bedeutung als auch wegen Abweichung von dem BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (a.a.O.) zugelassen.

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