SG Detmold, Urteil vom 29.03.2006 - S 14 KR 45/05
Fundstelle
openJur 2011, 46802
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.08.04 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.05 verurteilt, die Kosten für die Versorgung der Klägerin mit den Spezialölen GTO/GTE -sog. Lorenzos Öl- ab August 2004 zu übernehmen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung der Klägerin mit den Spezialölen Glyceroltrioleat -GTE- und Glyceroltrierucat -GTE- (sog. Lorenzo s Öl) streitig.

Die 1964 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin beklagte seit 1998 zunehmende Gangunsicherheit mit deutlicher Verschlechterung seit Mitte 2002. Im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im Klinikum M wurde nach serologischen Untersuchungen die Diagnose einer X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie (X-ALD) gestellt. Es handelt sich dabei um eine genetisch bedingte Fettsäurestoffwechselstörung, die bedingt, dass wegen Fehlens eines Transportproteins besonders langkettige Fettsäuren sich im Körper anreichern und zu schwerwiegenden endokrinologischen und neurologischen Schädigungen sowohl der peripheren Nerven als auch des Rückenmarks, zum Teil auch des Gehirns führen. Ihrer Erkrankung wegen stand die Klägerin u.a. vom 10. bis zum 15.08.2003 in Behandlung des Chefarztes der Neurologischen Klinik des Sächsischen Krankenhauses I L, im Rahmen derer die Klägerin mit spezifischen kurzkettigen, ungesättigten Fettsäuren (GTO und GTE im Verhältnis 4:1 sog. Lorenzo s Öl) zur Normalisierung der langkettigen Fettsäurewerte versorgt wurde.

Dieser beantragte im August 2003 die Übernahme der Therapiekosten für die Behandlung mit den Spezialölen und führte aus, die Verabreichung der Spezialöle verhindere neben einer Basisdiät die Ansammlung der krankmachenden langkettigen Fettsäuren; zwar seien die Erkenntnisse über die X-ALD noch jung, die in der Therapie erwachsener Patienten gewonnenen Erkenntnisse sprächen jedoch deutlich für den Nutzen der Therapieform, als eine Stabilisierung der klinischen Symptomatik und im Einzelfall Besserungen erreicht

bzw. bei noch symptomlosen Trägern das Auftreten der Erkrankung verzögert oder verhindert werden könne; die Kosten beliefen sich monatlich, abhängig vom Körpergewicht auf 600,- bis 1.000,- Euro.

Nachdem hierzu der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe (sozialmedizinische Gutachten nach Aktenlage von Dr. T vom 01.04. und 28.07.2004) die Auffassung vertreten hatte, bei den Spezialölen handele es sich um diätetische Lebensmittel, nämlich Ölgemische, welche im Rahmen eines diätetischen Gesamtplanes Nahrungsfette als Nahrungsgrundbaustein im Rahmen einer vollbilanzierten Diät ersetzen und soweit als solche von der Leistungspflicht ausgeschlossen seien, da auch die geltenden Arzneimittelrichtlinien derartige Ölgemische in seinen Regelungen über eine ausnahmsweise Versorgung nicht erwähnten, lehnte die Beklagte am 03.08.2004 eine Kostenübernahme ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 23.08.2004 Widerspruch, mit welchem sie geltend machte, zur Behandlung ihrer Erkrankung ständen außer der Versorgung mit den Spezialölen keine Alternativen zur Verfügung; die Therapie sei auch in ihrem Falle erfolgreich, da sich die krankhaft erhöhten Fettsäuren normalisiert hätten. Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich bei dem Ölgemisch auch nicht um diätetische Lebensmittel, sondern Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes, da es nicht im Rahmen eines diätetischen Gesamtplanes Nahrungsbestandteile ersetzen solle, sondern durch die spezielle Zusammensetzung langkettige Fettsäuren abbauen bzw. das Entstehen langkettiger Fettsäuren verhindern solle. Dementsprechend habe auch das Sozialgericht Marburg in einem Urteil vom 18.11.2003 eine Übernahme der Kosten für die Behandlung mit dem Ölgemisch konstatiert. Widerspruchsunterstützend legte sie im Übrigen ein befürwortendes Schreiben von Herrn L vom Sächsischen Krankenhaus I vom 23.09.2004 nebst beigefügtem Vortrag über Diagnostik und Therapie der X-ALD im Erwachsenenalter vor; dabei wies Herr L darauf hin, dass aufgrund der Seltenheit der Erkrankung klinisch kontrollierte Studien zum Wirksamkeitsnachweis einer spezifischen Therapie unmöglich seien, aus therapeutischer Sicht jedoch signifikante Korrelationen zwischen der Normalisierung überlangkettiger Fettsäuren und Therapie mit den Spezialölen festzustellen seien, so dass die Behandlung mit diesen, welche weltweit in spezialisierten Zentren durchgeführt werde, unumstritten seien; dabei hielt er eine Versorgung der Klägerin in analoger Anwendung der Ausnahmeregelungen nach den Arz-

neimittelrichtlinien für möglich. Nachdem hierzu Dr. X, MDK Westfalen-Lippe, in einem sozialmedizinischen Gutachten nach Aktenlage (vom 12.10.2004) ausgeführt hatte, ohne Zweifel handele es sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine schwere, für welche Behandlungsalternativen nicht zur Verfügung ständen, jedoch sei, da das Ölgemisch wesentlicher Bestandteil täglicher Ernährung im Rahmen eines Diätplanes darstelle, ein diätetisches Präparat, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2005 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 21.04.2005 erhobene Klage, mit welcher die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Sie vertritt die Auffassung, entsprechend den Rechtsausführungen des Sozialgerichts Marburg handele es sich bei dem Ölgemisch um ein Arzneimittel; unabhängig davon sei, sollte das Ölgemisch als Lebensmittel zu qualifizieren sein, eine Leistungspflicht der Beklagten gegeben, da für diesen Fall die Arzneimittelrichtlinien eine planwidrige Regelungslücke aufwiesen, welche verfassungskonform auszufüllen sei. Dementsprechend habe auch das Sozialgericht Aurich in einem weiteren Urteil vom 08.02.2005 eine Leistungspflicht der Krankenkassen ausgesprochen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2005 zu verurteilen, die Kosten für die Versorgung mit den Spezialölen GTO/GTE – sog. Lorenzo s Öl – ab August 2004 zu übernehmen.

Die Beklagte, welche zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 29.03.2006, zu welchem Sie unter dem Hinweis, dass auch im Falle ihrer Abwesenheit entschieden werden könne, ausblieb hat in ihren vorbereitenden Schriftsätzen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für das nachgesuchte Ölgemisch nicht gegeben und verweist dabei auf Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 19.01.2005 (Az.: L 9 KR 98/02) und des Thüringer Landessozialgerichts vom

27.09.2004 (Az.: L 6 KR 883/02); handele es sich bei den Ölen um Arzneimittel, sei eine Leistungspflicht, da sie dann als Fertigarzneimittel zu qualifizieren seien, nicht gegeben, weil bereits eine arzneimittelrechtliche Zulassung fehle; im anderen Falle könnten unter Berücksichtigung der geltenden Arzneimittelrichtlinien die Öle auch nicht ausnahmsweise in die Versorgung als den Arzneimitteln gleichgestellte Ernährungskomponenten einbezogen werden. Antragsunterstützend verweist sie im Übrigen auf eine Abhandlung des Fachreferates Arzneimittel des MDK Westfalen-Lippe vom Mai 2004 und vertritt die Auffassung, es fehlten auch aussagekräftige und nachvollziehbare Erkenntnisse hinsichtlich der Wirksamkeit der Behandlung der X-ALD mit den Ölgemischen, deren Unbedenklichkeit und des therapeutischen Nutzens. Hierzu verweist die Klägerin auf eine entgegnende kritische Abhandlung von Herrn L vom Februar 2005.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme der Kosten für ihre Behandlung mit Lorenzo s Öl bzw. Erstattung der ihr nach Ablehnung der Versorgung durch die Beklagte durch die Selbstbeschaffung entstandenen Kosten gemäß § 13 Abs. 3 des 5. Sozialgesetzbuches -SGB V-, da die Beklagte es mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2005 zu Unrecht abgelehnt hat, ihr die nachgesuchten Spezialöle GTO/GTE als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V erstreckt sich der Anspruch auf Krankenbehandlung auch auf die Versorgung mit Arznei- und Heilmitteln. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Der Begriff des Arzneimittels wird im SGB V selbst nicht erläutert. Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind darunter Substanzen zu verstehen, deren bestimmungsmäßige Wirkung darin liegt,

Krankheitszustände zu erkennen, zu heilen, zu bessern, zu lindern oder zu verhüten (§ 2 Abs. 1 AMG). Nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG sind Lebensmittel im Sinne des § 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) keine Arzneimittel. Lebensmittel sind nach § 1 Abs. 1 LMBG Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden. Nach den ineinandergreifenden Vorschriften des § 2 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 AMG und § 1 Abs. 1 LMBG kann ein Erzeugnis nicht gleichzeitig Arznei- und Lebensmittel sein. Die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel oder Lebensmittel orienitiert sich an objektiven Merkmalen der überwiegenden Zweckbestimmung, wie diese sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verwender dieser Mittel darstellt und wie sie der pharmazeutischen und medizinischen Wissenschaft entspricht.

In diesem Sinne sind die in Lorenzo s Öl enthaltenen ungesättigten Fettsäuren als Lebensmittel zu qualifizieren. Sie dienen in erster Linie der Ernährung und sind gerade nicht dazu bestimmt, durch ihre Anwendung am oder im menschlichen Körper Funktionen des Körpers zu beeinflussen. Ihre durch den vorrangigen Verwendungszweck begründete Eigenschaft als Lebensmittel verlieren sie auch nicht dadurch, dass sie speziell zur Einnahme in erhöhter Dosierung durch X-ALD-Patienten hergestellt werden, vielmehr ergibt sich ihre Funktion gerade daraus, dass sie lebenswichtige Fettsäuren dem Körper zuführen, der die sonst in der Ernährung verwendeten Fettsäuren nicht aufnehmen und verarbeiten kann. Dementsprechend wird Lorenzo s Öl auch von der Herstellerfirma als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Für eine derartige Qualifikation spricht des weiteren auch der Umstand, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden gegen den Vertrieb der Öle trotz fehlender arzneimittelrechterlicher Zulassung nicht eingeschritten sind; einer solchen Zulassung hätte es arzneimittelrechtlich bedurft, weil es sich bei den Ölen um Fertigarzneimittel handeln würde, was das Landessozialgericht Berlin in seinem Urteil vom 19.01.2005 zutreffend ausgeführt hat. Auch Herr L als verordnender Arzt sieht insoweit Lorenzo s Öl als diätetisches Lebensmittel im Sinne des § 1 Abs. 1 der Diätverordnung (DiätV) an, wonach diätetische Lebensmittel solche Lebensmittel sind, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind; nach § 1 Abs. 4 DiätV sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke hergestellte Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind; sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorbtion, Verstoffwechselung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel.

Als Lebensmittel wäre Lorenzo s Öl grundsätzlich von der Versorgung ausgeschlossen. Ausnahmen vom Ausschluss der Lebensmittel sieht § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V vor, welches bestimmte Lebensmittel als den Arzneimitteln gleichgestellte Ernäherungskomponenten ansieht. Nach dieser Bestimmung hat der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhidrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden kann; bei den hier streitgegenständlichen Ölen handelt es sich weder um Aminosäuremischungen noch um Eiweißhidrolysate; die Klägerin erhält auch keine Nahrungszufuhr durch Verwendung einer Sonde noch stellen die Öle Elementardiäten, welche nach Nr. 20.1 i der Arzneimittelrichtlinien (AMR) Gemische von Nahrungsgrundbausteinen, Vitaminen und Spurenelementen sind, dar.

Es gebietet sich jedoch eine entsprechende Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V, da nach Auffassung des Gerichts eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, die durch entsprechende Anwendung in verfassungskonformer Auslegung aufzufüllen ist. Zur Notwendigkeit derartiger (verfassungskonformer) Auslegung der krankenversicherungsrechtlichen Regelungen hat insoweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98), bezogen auf eine nicht durch den Bundesausschuss anerkannte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (§§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, 135 Abs. 1 SGB V) Folgendes grundsätzlich ausgeführt:

-Vorrangiger Prüfungsmaßstab für die Auslegung leistungsrechtlicher Vorschriften des Krankenversicherungsrechts ist Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip.

-.Das Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 1 GG schützt den beitragspflichtigen Versicherten, welcher keinen Einfluss auf Höhe seines Beitrages und auf Art und Ausmaß der ihm im Versicherungsverhältnis geschuldeten Leistungen hat, dessen Rechte und Pflichten vielmehr einseitig durch Gesetz und die hierauf beruhenen Rechtsakte gestaltet werden, vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung; hieraus lässt sich in der gesetzlichen Krankenversicherung zwar kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung ableiten, jedoch sind gesetzliche oder auf Gesetze beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen daraufhin zu überprüfen, ob sie im Rahmen des Artikel 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt sind.

-Aus dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip folgt, dass der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Grundaufgabe des Staates ist. Die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich an der objektivrechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen.

Hieraus folgt, dass behördliche und auch gerichtliche Verfahren der im Grundrecht auf Leben enthaltenen grundlegenden objektiven Wertentscheidungen des Grundgesetzes gerecht werden müssen und sie bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts zu berücksichtigen sind; die Grundrechte gebieten insoweit eine grundrechtsorientierte Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts, insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, da das Leben einen Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung darstellt.

Hieraus folgend hat das Bundesverfassungsgericht es für mit Artikel 2 GG i.V.m. dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar gesehen, den Versicherten, welcher an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für welche anerkannte Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn diese eine auf Indizien gestütze, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, jedenfalls nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung des ärztlichen Anwenders, verspricht. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) im Rahmen des an ihn vom Bundesverfassungsgericht zurückverwiesenen Streitfalles und dessen vergleichsweise Erledigung am 27.03.2006 darauf hingewiesen, dass, je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation sei, desto geringer die Anforderungen an die ernsthaften Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg seien, wobei es zuletzt die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zum Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung auch auf den Bereich der Arzneimittelversorgung übertrug, soweit ausfüllungsbedürftige Versorgungslücken bestünden (Urteil vom 04.04.2006 -B 1 KR 7/05 R-).

Ausgehend hiervon war § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V auch auf die Versorgung der Klägerin mit nachgesuchten Spezialölen anzuwenden. Es handelt sich unzweifelhaft bei der X-ALD um eine lebensbedrohliche Erkrankung, hinsichtlich derer eine Behandlungsalternative

nicht zur Verfügung steht. Die von Herrn L vorgenommene Behandlung bietet dies bezüglich ernsthafte Hinweise auf eine spürbar positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf im Einzelfall; derartig ernsthafte Hinweise können sich dabei ergeben aus bestimmten Vergleichen der Versicherten mit vergleichbar erkrankten Patienten, Erfahrungen bei einer längeren Behandlung, fachliche Einschätzung durch die Ärzte der Erkrankten sowie der wissenschaftlichen Diskussion. Hinsichtlich der therapeutischen Wirksamkeit der nachgesuchten Spezialöle im vorliegenden Fall folgt aus seinen Darlegungen deren Versorgungsfähigkeit. Aufgrund der langjährigen praktischen Erfahrung dieses Arztes mit Behandlung einer Vielzahl gleicherkrankter Patienten kommt seiner Einschätzung besondere Bedeutung zu; angesichts der Seltenheit der Erkrankung und deren Schwere ist eine wissenschaftlich gesicherte, auf der Grundlage klinischer oder sonstiger Studien gegründete Evidenz eines Anwendungserfolges, nicht erforderlich, vielmehr ist, was auch das Bundesverfassungsgericht konstatiert, maßgebend die Einschätzung des behandelnden Arztes hinsichtlich eines positiv zugunsten des Versicherten zu beeinflussenden Krankheitsverlaufs. In diesem Sinne hat Herr L, zuletzt in seiner kritischen Stellungnahme vom Februar 2005 zum Gutachten des Fachreferates Arzneimittel im MDK Westfalen-Lippe vom Mai 2004 dargelegt, dass, jedenfalls -wie auch vorliegend- bei nicht cerebralen Formen der X-ALD-Erkrankung die von ihm gewonnenen Therapieergebnisse eindeutig auf eine günstige, verlaufsbeeinflussende Wirkung der Lorenzo-Öl-Therapie hinweisen, insoweit bei sachgerechter Anwendung sich erhöhte überlangkettige Fettsäuren im Serum der Erkrankten normalisieren und, auch über einen längeren Untersuchungszeitraum, chronische Nervenzellschädigungen verhindert werden. Allein die Aussage des Behandlers, bei langjähriger Anwendung über mehr als 10 Jahre bei fehlenden schwerwiegenden Nebenwirkungen bestehe eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Behandlung mit den nachgesuchten Spezialölen die Krankheitsprogeression verzögere, konnte keine andere Entscheidung als die Vorliegende rechtfertigen. Dabei konnte im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V die zugrundeliegende Erkrankung auch im Wesentlichen vergleichbar den von genannter Bestimmung erfassten angeborenen Enzymmangelerkrankungen, bei welchen der Gesetzgeber bzw. der Gemeinsame Bundesausschuss die Kostenübernahme für Aminosäuremischungen und Eiweißhidrolysaten nicht zuletzt im Hinblick auf die mit dieser speziellen Ernährung verbundenen beträchtlichen Kosten vorgesehen hat, gleichgesetzt werden. Wie Herr L in seiner kritischen Stellungnahme ausgeführt hat, liegt bei X-ALD faktisch ein Enzymmangel vor, welcher zu einer pathologsichen Anhäufung überlangkettiger

Fettsäuren führt; das MDK-Gutachten des Fachreferats Arzneimittel widerspricht dem nicht, insoweit es das Krankheitsbild der X-ALD zumindest als möglich, wenn nicht wahrscheinlich bestimmt durch einen angeborenen Enzymmangel ansieht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.