LG Dortmund, Urteil vom 19.10.2006 - 2 O 117/06
Fundstelle
openJur 2011, 44373
  • Rkr:

Das Schriftformerfordernis für das Ablehnungsschreiben nach § 12 Abs. 3 VVG ist gewahrt, wenn dem Ablehnungsschreiben auf einem Beiblatt nicht unterschriebene "Besondere Hinweise" mit der Belehrung über die Rechtsfolge der Versäumung der Klagefrist beigefügt sind, sofern im Ablehnungsschreiben auf die Anlage Bezug genommen wird.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 416.048,88 €.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des je-weils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 95) sowie unter anderem der besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit verbesserte Gliedertaxe, zeitweise erhöhtem Krankenhaustagegeld und Bergungskosten und der besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel (Progression 300 %). Die Invaliditätsgrundsumme betrug ab dem 01.01.2000 265.000,00 DM, das Unfallkrankenhaustagegeld und das Genesungsgeld belief sich auf 130,00 DM täglich mit einer vereinbarten Erhöhung des Unfallkrankenhaustagegeldes auf 260,00 DM für den 1. bis 10. Tag.

Der Kläger erlitt am 20.06.2000 gegen 14.30 Uhr mit seinem PKW auf der Bundesautobahn A 2 Richtung Hannover einen Verkehrsunfall, bei dem sein Fahrzeug einen Schaden am Kotflügel und Beleuchtung erlitt. Er suchte am 22.06.2000 seinen Hausarzt Dr. T3 auf, der ihm die Einweisung ins Krankenhaus wegen eines vermuteten Schlaganfalls empfahl. Am 23.06.2000 wurde der Kläger wegen einer intracraniellen Blutung im rechten vorderen Stammganglienbereich in die Neurologische Klinik der Medizinischen Hochschule I bis zum 06.07.2000 stationär aufgenommen. Eine weitere Untersuchung erfolgte vom 07.09. bis zum 08.09.2000 stationär.

Die Beklagte sandte dem Kläger mit Datum vom 30.09.2002 ein Unfallberichtsformular zu, das der Kläger unter dem 31.03.2003 der Beklagten zurücksandte. Danach erlitt er eine Gehirnblutung nach Auffahrunfall durch starkes Schleudern des PKW.

Der Kläger beauftragte am 15.02.2003 den Versicherungsberater y, der die Vertretung des Klägers am 27.03.2003 der Beklagten anzeigte.

Mit an den Kläger gerichtetem Schreiben vom 22.04.2003 lehnte die Beklagte Leistungen wegen Invaliditätsansprüchen aufgrund des Unfalls vom 20.06.2000 ab, da die Invaliditätsfrist abgelaufen sei. Eine weitere Ablehnung erfolgte mit Schreiben vom 25.06.2003, da der Unfall aufgrund eines Bewusstseinsverlustes eingetreten sei. Mit ärztlichem Erstbericht vom 08.04.2004 erfolgte die ärztliche Invaliditätsfeststellung durch den Hausarzt Dr. T3.

Mit weiterem, an den Versicherungsberater y gerichteten Schreiben vom 12.05.2004 lehnte die Beklagte Leistungen wegen des Unfalles vom 20.06.2000 ab und verwies im letzten Satz des Schreibens auf die beiliegenden "Besonderen Hinweise". Das ursprünglich geheftete Schreiben ging am 17.05.2004 beim Versicherungsberater ein und trägt die handschriftliche Notiz in roter Tinte: "Fristablauf 17.11.04" "Belehrung mangelhaft". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Original des Schreibens Bezug genommen.

Wegen einer weiteren Gehirnblutung im Bereich des Thalamus war der Kläger vom 06.05. bis zum 18.05.2005 erneut in stationärer Behandlung der medizinischen Hochschule I.

Mit der Klage macht der Kläger eine Invaliditätsleistung in Höhe von 100 % sowie Krankenhaustagegeld in Höhe von 6.381,12 € und Genesungsgeld in Höhe von 3.190,72 € geltend.

Der Kläger behauptet, der Verkehrsunfall vom 20.06.2000 sei ursächlich für die Gehirnblutungen; der ärztliche Bericht des Dr. C vom 07.09.2000, wonach schon vor dem Unfall Bewusstseinsstörungen aufgetreten seien, sei falsch.

Infolge des Unfalles sei er zu 100 % Invalide. Der Kläger behauptet weiter, er habe den Unfall zeitnah seinem Versicherungsbetreuer Weise und der Schadensaußenstelle der Beklagten in I gemeldet. Dem Schreiben vom 12.05.2004 seien keine besonderen Hinweise beigefügt gewesen; der handschriftliche Vermerk sei in Vorbereitung der Klageschrift im Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.03.2006 von dem Versicherungsberater y auf das Schreiben gesetzt worden. Der Kläger meint, die Setzung der Klagefrist durch Verweis sei nicht wirksam.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 416.048,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.04.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf Verfristung sowohl hinsichtlich der Invaliditätsfristen wie auch hinsichtlich der Frist des § 12 Abs. 3 VVG und auf Verjährung. Sie behauptet, die Zeugen T2 und N hätten das Schreiben vom 12.05.2004 unterschrieben und die besonderen Hinweise über Rechtsbehelfe und deren Folgen mit folgendem Inhalt beigefügt: Das Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten regeln die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) in § 11 Abs. 5 AUB 88 bzw. § 15 Abs. 2 AUB 95 der D.

Danach können sie ihre vermeintlichen Ansprüche nur innerhalb einer Frist von 6 Monaten gerichtlich geltend machen. Die Frist beginnt an dem Tag, an dem ihnen dieses Schreiben zugeht.

Wenn sie diese Frist versäumen, verlieren sie allein aus diesem Grund endgültig ihren Versicherungsanspruch. Das bedeutet: "Sie büßen nicht nur die gerichtliche Einspruchsmöglichkeit, sondern haben auch keinen Versicherungsanspruch für diesen Schadenfall mehr".

Die Beklagte behauptet, der Unfall vom 20.06.2000 sei aufgrund einer Bewusstseinsstörung eingetreten. Auch sei der Kläger durch Vorunfälle in den Jahren 1994 und 1998 bereits beeinträchtigt gewesen.

Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen T2 und y. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.09.2006 (Bl. 47 f. d. A.) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

1.

Invaliditätsansprüche stehen dem Kläger nicht zu, da es an einer fristgemäßen ärztlichen Invaliditätsfeststellung fehlt. Gemäß § 7 I (1) AUB 95 muss die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt sein. Die ärztliche Feststellung hat schriftlich oder elektronisch zu geschehen (OLG Hamm VersR 2004, 186; OLG Stuttgart R+S 2003, 211; OLG Frankfurt NVersZ 2002, 403; OLG Hamm, OLGR 2001, 383, 384). Hier ist eine schriftliche Feststellung der unfallbedingten Invalidität erst durch den ärztlichen Erstbericht des Dr. T3 vom 08.04.2004 und damit lange nach Ablauf der 15 Monatsfrist am 20.09.2001 erfolgt.

Die Beklagte handelt auch nicht treuwidrig, in dem sie sich auf den Fristablauf beruft. Denn die Beklagte hat keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, sondern sich bereits in der Ablehnung vom 22.04.2003 auf den Fristablauf berufen.

2.

Im Übrigen sind etwaige Invaliditätsansprüche des Klägers gemäß § 12 Abs. 1 VVG mit Ablauf des Jahres 2005 und damit vor Klageeingang am 03.04.2006 verjährt. Der Lauf der Verjährungsfrist begann mit dem Schluss des Jahres, in dem die Fälligkeit des Anspruchs eintrat, mithin 2003. Fällig wird der Anspruch mit Beendigung der nötigen Erhebungen des Versicherers. Diese sind mit endgültiger Ablehnung beendet. Hier lehnte die Beklagte bereits mit Schreiben vom 22.04.2003 Invaliditätsansprüche endgültig ab und hat sich auch nachfolgend nicht mehr inhaltlich mit diesen befasst. Vielmehr hat sie wiederholt, so auch durch Schreiben vom 11.02.2004 klargestellt, dass nur noch das Unfallkrankenhaustagegeld und das Genesungsgeld im Raum stehe.

3.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Unfallkrankenhaustagegeld und Genesungsgeld zu. Denn die Beklagte ist durch Fristablauf nach § 12 Abs. 3 VVG von der Leistungsverpflichtung frei geworden. Die 6-monatige Frist des § 12 Abs. 3 VVG beginnt, nachdem der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber den erhobenen Anspruch unter Angabe der mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolge schriftlich abgelehnt hat. Hier begann die Frist mit Zugang des Schreibens beim Bevollmächtigten des Klägers am 17.05.2004 und lief am 17.11.2004, und damit vor Klageeingang, ab. Die Kammer ist überzeugt, dass der schriftlichen Ablehnung vom 12.05.2004 die besonderen Hinweise beigefügt waren, die eine ordnungsgemäße Belehrung, auf die oberhalb der Unterschrift Bezug genommen wurde, enthielten. Dies ergibt sich aus der durchgeführten Beweisaufnahme und der handschriftlichen Notiz des Zeugen y auf dem Schreiben vom 12.05.2004. Der Zeuge y hatte nur dann Veranlassung, den Fristablauf zu berechnen und zu notieren, wenn dem Schreiben die nach § 12 Abs. 3 VVG erforderliche Belehrung beigefügt war. Sofern diese gefehlt haben sollte, wäre unverständlich, weshalb ein sachkundiger Berater eine Fristberechnung vornehmen und "Belehrung mangelhaft" notieren sollte. Insoweit folgt die Kammer der Aussage des Zeugen y nicht, sondern hält es für unglaubhaft, dass der Zeuge erst in Vorbereitung der Klageschrift im Jahre 2006 das Originalschreiben mit - zu diesem Zeitpunkt - völlig sinnlosen Notizen versah. Die Erklärung des Zeugen hierzu ist nicht plausibel. Vielmehr ist gerade auch die Notiz "Belehrung mangelhaft" nur dann sinnvoll, wenn überhaupt eine Belehrung erfolgte. Sofern eine solche fehlte, wäre, wie auch in der Klageschrift behauptet wird, das Fehlen der Belehrung bemängelt worden. Die Kammer sieht sich daher nicht in der Lage der Aussage des Zeugen y glauben.

Auch hat der Zeuge T2 glaubhaft bestätigt, dass er generell den gefertigten Ablehnungsschreiben die besonderen Hinweise der Beklagten beifüge, die Schreiben tackere und nach Korrekturlesen unterzeichnet. Danach kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass in Ausnahmefällen die Beifügung der besonderen Hinweise vergessen wird und dies auch nicht vom mitunterzeichnenden Vorgesetzten bei der Beklagten bemerkt wird. Hier sieht die Kammer aber wegen der handschriftlichen Aufzeichnung des Zeugen y einen solchen Ausnahmefall als ausgeschlossen an.

Die besonderen Hinweise der Beklagten, die nach der Aussage des Zeugen T2 inhaltlich mit den bei den Akten befindlichen besonderen Hinweisen übereinstimmen, belehren den Versicherungsnehmer ordnungsgemäß. Es ist auch zur Wahrung der Schriftform nach § 127 BGB ausreichend, wenn in dem schriftlichen Ablehnungsschreiben auf die - nicht unterschriebene - Belehrung in der Anlage Bezug genommen wird (vgl. BGH NJW 2003, 1248).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.