OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.08.2006 - 19 B 1566/06
Fundstelle
openJur 2011, 43606
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens 19 B 1566/06.

Der Streitwert wird für dieses Verfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Der Tenor dieses Beschlusses soll den Beteiligten vorab per Telefax bekannt gegeben werden.

Gründe

Der Antrag der Antragsteller,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Tochter L. im Schuljahr 2006/2007 in die Klasse 5 der K. -D. -T. - Schule, Gesamtschule O. , vorläufig aufzunehmen,

ist unbegründet.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO iVm §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Das Verwaltungsgericht Münster hat durch Urteil vom 18. Juli 2006 im Ergebnis richtig und hinsichtlich der ermessensgerechten Aufnahmekriterien mit zutreffenden Gründen entschieden, dass die Aufnahmekapazität an der vom Antragsgegner geleiteten Gesamtschule nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich erschöpft ist, weil der Antragsgegner das Aufnahmeverfahren ermessensfehlerfrei durchgeführt und auf dieser Grundlage die Aufnahme der Tochter L. der Antragsteller fehlerfrei abgelehnt hat. Das Vorbringen der Antragsteller im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist die bevorzugte Aufnahme von fünf Schülern aus Härtefallgründen nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat dieses Aufnahmekriterium und seine Anwendung - wegen der Eilbedürftigkeit der vorliegenden Entscheidung auf gerichtliche Anfrage fernmündlich - nachvollziehbar dahin erläutert, dass die Erziehungsberechtigten vor der Anmeldung auf das Kriterium Härtefall und die Möglichkeit eines Härtefallantrags hingewiesen werden und dass gestellte Anträge im jeweiligen Einzelfall anhand der vorgebrachten Gründe, der vorgelegten Unterlagen, z. B. ärztlichen Bescheinigungen, und der Hinweise der abgebenden Grundschule gesondert geprüft werden, ohne dass abstrakt Härtefallkriterien aufgestellt sind, und dass nach den bisherigen Erfahrungen etwa der Tod oder eine schwere Erkrankung eines Elternteils oder der Umstand, dass in der Familie ein schwerstbehindertes Kind lebt, als Härtegründe in Betracht kommen. Diese Handhabung ist nicht zu beanstanden. Die Antragsteller haben selbst keinen Härtefallantrag gestellt und auch sonst nichts dafür angeführt, dass bei ihnen ein Härtefall vorliegen könnte oder der Antragsgegner bei aufgenommenen Schülern in der Sache zu Unrecht das Vorliegen eines Härtefalls angenommen hat.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen brauchte der Antragsgegner nicht zu berücksichtigen, dass bereits der ältere Sohn der Antragsteller die Gesamtschule besucht. Das Aufnahmekriterium "Geschwisterkind" brauchte der Antragsgegner nicht anzulegen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat.

Das Anlegen des Aufnahmekriteriums Schulweglänge in der zweiten Leistungsgruppe in der Weise, dass Schüler, deren Schulweg 3,5 km nicht überschreitet, bevorzugt aufgenommen werden, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Zulässigkeit des Kriteriums ist in der Rechtsprechung des Senats prinzipiell anerkannt, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat. Das Abstellen auf eine Entfernung von 3,5 km ist nicht willkürlich. Es orientiert sich an der schülerfahrkostenrechtlichen Voraussetzung für die notwendigen Fahrkosten nach § 5 Abs. 2 der Schülerfahrkostenverordnung und erweist sich als sachgerecht.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen führt das Aufnahmekriterium auch nicht zur faktischen Bildung eines Schuleinzugsbereichs. Da es, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt hat, nur innerhalb der zweiten Leistungsgruppe angewendet worden ist, hat es weder zum völligen Ausschluss von außerhalb der Begrenzung wohnenden Schülern noch dazu geführt, dass solche Schüler nur ausnahmsweise aufgenommen worden sind. So sind von 120 aufgenommenen Schülern neben zahlreichen Schülern aus Nachbargemeinden insbesondere auch aus dem außerhalb der Begrenzung gelegenen Ortsteil D1. der Gemeinde O. sechs Schüler - drei in der ersten Leistungsgruppe, drei durch Losentscheid - und ferner aus dem Ortsteil T1. zwei Schüler durch Losentscheid aufgenommen worden.

Es ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner das in Rede stehende Aufnahmekriterium fehlerhaft angewendet hat. Hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben sich nicht aus der - unsubstantiierten - Anmerkung der Antragsteller, dieses Kriterium habe dazu geführt, dass Eltern den Wohnsitz ihrer Kinder für das Anmeldeverfahren (zum Schein) in den 3,5 km-Bereich umgemeldet hätten, und auch nicht aus dem Hinweis des Antragsgegners in der Antragserwiderung, bereits beim "letzten" (beim vorliegend zu prüfenden) Anmeldeverfahren hätten mehrere Eltern von der Möglichkeit, vor dem Anmeldeverfahren in den Ortsteil O. umzuziehen, Gebrauch gemacht.

Allerdings ist der Antragsgegner, wenn er das Aufnahmekriterium der Schulweglänge von 3,5 km zur Schule anlegt, gehalten, bei den Anmeldungen, bei denen es darauf ankommt, ob der Schulweg des Schülers innerhalb der 3,5 km- Begrenzung liegt, zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, und den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn dazu im Einzelfall Anlass besteht. Die Art und Weise der vom Schulleiter vorzunehmenden Sachverhaltsermittlung richtet sich nach den - gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW für den Bereich der Schule anwendbaren - allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften der §§ 24, 26 VwVfG NRW. Danach ermittelt die Behörde - hier der Schulleiter - den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen (§ 24 Abs. 1 VwVfG NRW); sie bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält (§ 26 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW). Die Sachverhaltsaufklärung ist unter vorgenanntem Aspekt geboten, wenn dem Schulleiter Umstände bekannt werden, die auf eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der genannten Voraussetzung, etwa durch einen Umzug zum Schein, hindeuten. Die bevorzugte Berücksichtigung darauf gestützter Anmeldungen vermindert die Zahl der Schülerplätze, die im Losverfahren vergeben werden und verkürzt - unter Verletzung der Schulformwahlfreiheit und des Gleichheitssatzes - die Aufnahmechance solcher angemeldeter Schüler, die keines der anderen Aufnahmekriterien erfüllen. Daraus folgt, dass der Schulleiter, wenn er einen Schüler aufgenommen hat, bei dem nach der Aufnahmeentscheidung konkrete Anhaltspunkte dafür bekannt werden, dass sein Wohnsitz durch Ummeldung nur zum Schein in den 3,5 km-Bereich gelegt worden ist, dem nachgehen muss. Stellt er fest, dass im konkreten Fall eine auf das Aufnahmekriterium gestützte bevorzugte Aufnahmeentscheidung wegen arglistiger Täuschung oder unrichtiger Angaben hinsichtlich des Wohnsitzes rechtswidrig ist, ist er gehalten, über die Rücknahme der - rechtswidrigen - Aufnahmeentscheidung nach Maßgabe des § 48 VwVfG NRW zu entscheiden. Im Einzelfall kann sein Rücknahmeermessen dahin reduziert sein, dass allein die Rücknahme der rechtswidrigen Aufnahme ermessensgerecht ist.

Die auf diese Weise wieder frei werdenden Plätze hat der Schulleiter nach seinen Aufnahmekriterien an diejenigen Schüler zu vergeben, die ihren bisher erfolglos gebliebenen Aufnahmeantrag aufrecht erhalten. Mangels Entscheidungserheblichkeit lässt der Senat offen, ob der Schulleiter ermessensfehlerfrei Schüler, bei denen unrichtige Angaben über Aufnahmekriterien gemacht wurden, in die ergänzende Verteilung einbeziehen oder ob er deren Aufnahme, etwa aus generalpräventiven Erwägungen oder weil aufgrund der Art und Schwere der Täuschung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW) nicht erwartet werden kann, ablehnen kann.

Hier haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner einen Schüler in der irrigen Annahme bevorzugt aufgenommen hat, er erfülle das Kriterium der Schulweglänge. Der Antragsgegner hat - wegen der Eilbedürftigkeit der vorliegenden Entscheidung fernmündlich - nachvollziehbar dargetan, wie er das Wohnsitzkriterium anhand glaubhafter Angaben bei der Anmeldung, eines amtlichen Ausweises oder einer Meldebescheinigung überprüft und dass er konkreten, nicht nur als Gerücht bekannt gewordenen Anhaltspunkten für eine unrichtige Wohnsitzangabe nachgeht; im konkreten Aufnahmeverfahren sei in drei Fällen der - tatsächliche - Umzug in den Ortsteil O. durch Vorlage der meldeamtlichen Ummeldebescheinigung belegt worden, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Umzug nur zum Schein vorgenommen worden sei und die Meldebescheinigungen unrichtig seien, habe es nicht gegeben. Dies ist nicht zu beanstanden.

Schließlich ist die Aufnahmeentscheidung nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil der Antragsgegner ungeprüft gelassen hat, ob ein (aufgenommener) Schüler an anderen Gesamtschulen angemeldet und dort aufgenommen worden ist. Das Verwaltungsgericht hat im Urteil vom 18. Juli 2006 zutreffend ausgeführt, dass Doppel- und Mehrfachanmeldungen von Schülern zulässig sind und der Antragsgegner - schon aus praktischen Gründen - nicht verpflichtet war, die eigenen Aufnahmeentscheidungen oder Ablehnungen mit den Aufnahmeverfahren anderer Gesamtschulen zu koordinieren und die Aufnahme von Schülern (etwa aus Nachbargemeinden), die an einer anderen Gesamtschule aufgenommen worden sind, schon aus dem Grunde zugunsten anderer Schüler abzulehnen, die nicht an einer anderen Gesamtschule angemeldet oder aufgenommen worden sind. Der von den Antragstellern zum Vergleich angeführte Beispielsfall einer Schülerin aus X. , die sowohl an der - wesentlich näher zum Wohnort gelegenen - Gesamtschule in C. -I. als auch an der Gesamtschule in O. aufgenommen worden sei und deren Eltern sich unter Inkaufnahme eines täglichen Schulwegs für ihre Tochter von etwa 20 km für die Gesamtschule in O. entschieden hätten, wohin gegen ihre, der Antragsteller, Tochter für den Besuch etwa der Gesamtschule in C. -I. anstelle der nur etwa 6 km entfernten Gesamtschule in O. ebenfalls einen Schulweg von etwa 20 km zurücklegen müsste, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Schülerin aus X. ist, wenn sie in die zweite Leistungsgruppe gehörte, an der vom Antragsgegner geleiteten Gesamtschule durch Losentscheid und so mit der gleichen Chance, die auch die Tochter der Antragsteller im Losverfahren hatte, (aber mit mehr Glück) in die Gesamtschule in O. aufgenommen worden, und die aufgezeigten Aspekte hinsichtlich der Schulwege sind Konsequenz der Entscheidung der Eltern der Schülerin aus X. , der Gesamtschule in O. den Vorzug zu geben, die die Antragsteller nichts angeht. Dass es ihrer Tochter unzumutbar ist, eine andere Gesamtschule - etwa bei einer angegebenen Entfernung von 20 km diejenige in C. -I. - zu besuchen, haben sie nicht glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der ständigen Praxis des Senats, in vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit dem Ziel vorläufiger Schulaufnahme die Hälfte des Auffangstreitwertes festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).