OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.07.2006 - 15 A 3600/05
Fundstelle
openJur 2011, 43101
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung wird verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 20.200, -- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Berufung kann gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 VwGO durch Beschluss verworfen werden, denn sie ist unzulässig. Hierzu sind die Beteiligten vorab gehört worden. Die Beklagte hat die Frist zur Begründung der Berufung versäumt, und ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt erfolglos.

Hat - wie hier - das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen, so ist die Berufung gemäß § 124 Abs. 6 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen. Der Beschluss des Senates vom 28. März 2006 über die Zulassung der Berufung ist der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 30. März 2006 zugestellt worden. Die Frist zur Begründung der Berufung, über die die Beklagte durch die dem Zulassungsbeschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung ordnungsgemäß belehrt worden ist, endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 und 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am Dienstag, dem 2. Mai 2006. Die Berufungsbegründung ist aber erst am 4. Mai 2006, also verspätet per Telefax beim Oberverwaltungsgericht eingegangen.

Dass der Fristenlauf mit dem auf dem Empfangsbekenntnis vermerkten Zustellungsdatum 30. März 2006 begonnen hat, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Empfangsbekenntnis durch ROI T. unterschrieben worden ist. Bei der Zustellung an juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden gemäß § 174 Abs. 4 ZPO ist das Schriftstück an dem Tage zugestellt, an welchem der hierfür nach der behördeninternen Aufgabenverteilung zuständige Bedienstete den Empfang mit Datum und seiner Unterschrift bestätigt.

BAG, Urteil vom 2. Dezember 1994 - 4 AZB 17/94 -, NJW 1995, 1916 m.w.N.

Dass diese ROI T. behördenintern für die Abzeichnung des Empfangsbekenntnisses nicht zuständig gewesen wäre, wird vom Beklagten weder vorgetragen, noch ist dies sonst ersichtlich. Vielmehr hat der Beklagte ausdrücklich erklärt, ROI T. sei der für das Rechtsgebiet zuständige Sachbearbeiter. Der Wirksamkeit der Zustellung steht auch nicht entgegen, dass ROI T. nicht gemäß § 67 Abs. 1 VwGO postulationsfähig war. Denn die Mitwirkung des zuständigen Behördenbediensteten bei einer Zustellung gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. 174 Abs. 4 ZPO unterliegt trotz der damit verbundenen Erklärung, dass das Schriftstück als zugestellt angesehen wird,

vgl. Stöber, in: Zöller, ZPO, 25. Auflage 2005, § 174 Rn. 6,

jedenfalls nicht dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 1 VwGO, wobei offen bleiben kann, ob § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 174 Abs. 4 ZPO als speziellere Regelungen die Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 67 Abs. 1 VwGO ausschließen oder ob es an einer Prozesshandlung i.S.v. § 67 Abs. 1 VwGO fehlt.

Vgl. BayVGH, Beschluss vom 2. Dezember 1999 - 12 B 98.964 -.

Das gefundene Auslegungsergebnis wird durch folgende Überlegungen bestätigt: Gemäß § 67 Abs. 3 Satz 3 VwGO sind Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an den Bevollmächtigten zu richten, wenn ein solcher bestellt ist. Daraus folgt, dass Zustellungen - auch in dem Vertretungszwang unterliegenden Verfahren - unmittelbar an die Beteiligten zu richten sind, wenn ein Bevollmächtigter nicht bestellt ist. Mit diesem Befund wäre es unvereinbar, wenn die Wirksamkeit dieser Zustellungen - im Falle des § 174 Abs. 4 ZPO bei einer Behörde, bei der kein nach § 67 Abs. 1 VwGO Postulationsfähiger beschäftigt wäre - an der fehlenden Bestellung eines Bevollmächtigten scheitern müsste.

Die Darlegungen der Beklagten im Verfahren auf Zulassung der Berufung führen nicht zur Entbehrlichkeit der Berufungsbegründung. Denn die in § 124 Abs. 6 Satz 1 VwGO niedergelegte Pflicht zur Begründung der Berufung wird nur durch die - rechtzeitige - Einreichung eines gesonderten Schriftsatzes nach Zulassung der Berufung erfüllt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. März 2004 - 4 C 6.03 -, NVwZ-RR 2004, 541 m.w.N.

Der von der Beklagten gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg, denn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO sind nicht erfüllt. Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergibt sich nicht, dass die Beklagte ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Insoweit trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Der für das Rechtsgebiet zuständige Sachbearbeiter ROI T. , der mit der Prozessführung vor den Verwaltungsgerichten nicht befasst sei, habe den Zulassungsbeschluss im Rahmen der allgemeinen Postverteilung am 30. März 2006 in Empfang genommen, das Empfangsbekenntnis unterschrieben und an das Oberverwaltungsgericht zurückgesandt, den Beschluss mit dem Arbeitsvermerk "Herrn I. z.K." versehen, ihn in eine der im internen Geschäftsbetrieb der Bezirksregierung noch üblichen Laufmappen gelegt und dem Botendienst übergeben. RD I. habe sich in der Zeit vom 27. bis 31. März 2006 auf einer Dienstreise befunden. Der Botendienst habe den Beschluss sodann ordnungsgemäß an den für Posteingänge des RD I. vorgesehenen Platz in dessen Büro gelegt. Unmittelbar auf der Mappe mit dem Zulassungsbeschluss habe eine Mappe mit einer Fachzeitschrift gelegen, die Zeitschrift sei mit einer kräftigen Büroklammer an der Unterseite der Laufmappe befestigt gewesen. Als RD I. nach Rückkehr von der Dienstreise die Mappe mit der Zeitschrift vom Stapel genommen und sie wegen der Vielzahl der zu bewältigenden Vorgänge in das für Unterlagen zur gelegentlichen Lektüre bestimmte Fach gelegt habe, müsse sich die Büroklammer mit der darunter liegenden Mappe (mit dem Zulassungsbeschluss) verhakt haben. Durch diesen Umstand sei der Zulassungsbeschluss erst nach dem Hinweis des Senats auf die versäumte Berufungsbegründungsfrist wieder aufgefunden worden.

Die Beklagte hat damit keine Tatsachen vorgetragen, die die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unverschuldet erscheinen lassen. Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist. Dabei sind an eine Behörde zwar keine strengeren, aber auch keine geringeren Anforderungen zu stellen als an einen Rechtsanwalt. Dies gilt insbesondere auch für das Auftreten in der Berufungsinstanz, für die prinzipiell Vertretungszwang besteht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. November 2004 - 5 B 105/04 -, NJW 2005, 1001 m.w.N.

Hiervon ausgehend ist nicht dargetan, dass die Beklagte die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten bei der Überwachung der Berufungsbegründungsfrist eingehalten hat. Zur Fristenkontrolle ist insbesondere die Führung eines Fristenkalenders erforderlich, in den die Fristeintragungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erfolgen haben. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Vergangenheit eine Fristnotierung bereits vor Unterzeichnung und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses grundsätzlich für erforderlich gehalten worden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 1 B 429/02 - , NVwZ 2003, 868 m.w.N. insbesondere aus der Rechtsprechung des BGH.

Bescheinigt eine Behörde den Rechtsmittelfristen auslösenden Zugang einer gerichtlichen Entscheidung ohne vorherige Notierung der Frist im Fristenkalender, so erhöht sich das Risiko, dass die Fristeintragung unterbleibt und die Frist versäumt wird.

Vgl. BGH, Beschluss vom 30. November 1994 - VII ZB 197/94 - .

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,

Beschlüsse vom 19. April 2006 - 10 B 83/05 -, vom 26. November 2004 - 5 B 33/04 - und vom 29. November 2004, a.a.O.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. Februar 2003 - V ZR 422/02 - , NJW 2003, 1528,

ist jedoch zweifelhaft, ob die denkbaren Möglichkeiten der Büroorganisation derart eng einzuschränken sind. Vielmehr dürfte eine Fristnotierung unmittelbar nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses ausreichend sein. Es spricht allerdings vieles dafür, dass die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses und eine sich unmittelbar daran anschließende Fristeintragung im Allgemeinen durch dieselbe Person zu erfolgen haben. Ein Bearbeiterwechsel zwischen Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses und Fristeintragung erhöht nämlich in aller Regel das durch die Fristenkontrolle gerade zu minimierende Risiko, dass die Fristeintragung unterbleibt.

Vgl. die Sachverhalte, die den Beschlüssen des BVerwG vom 26. November 2004, a.a.O., und vom 29. November 2004, a.a.O., zu Grunde liegen und auf die sich das BVerwG im Beschluss vom 19. April 2006, a.a.O., bezieht.

Eine hinreichende Fristenkontrolle bei der Beklagten ist im vorliegenden nicht ersichtlich, zumal hierzu - trotz ausdrücklichen Hinweises der Klägerin auf die Notwendigkeit einer Fristenkontrolle - von der Beklagten gar nichts vorgetragen ist. Lediglich ergänzend weist der Senat deshalb auf Folgendes hin: Offenbar war eine Eintragung des Ablaufs von Berufungsbegründungsfristen durch ROI T. nicht vorgesehen und ist diese auch nicht erfolgt. Andernfalls wäre nämlich nicht verständlich, wie es zu dem Fristversäumnis hätte kommen können. Nach Lage der Dinge spricht vieles dafür, dass die Fristenkontrolle durch RD I. erfolgen oder jedenfalls von ihm veranlasst werden sollte. Dass zur Gewährleistung einer Fristenüberwachung durch RD I. gewählte Verfahren genügte jedoch - auch unabhängig von dem Bearbeiterwechsel - nicht den Anforderungen an die insoweit zu erfüllenden Sorgfaltspflichten. Soll eine fristauslösende Entscheidung durch den hausinternen Botendienst gemeinsam mit anderen - nicht mit vergleichbaren Fristen verbundenen und deshalb weniger bedeutsamen - Zuträgen an einen einheitlichen für Posteingänge vorgesehenen Platz im Büro des für die Fristenkontrolle zuständigen Mitarbeiters gelegt werden, so trägt die Behörde das Risiko dafür, dass der Vorgang, aus welchen Gründen auch immer, außer Kontrolle gerät, bevor die Frist notiert ist. Dies gilt umso mehr dann, wenn im Falle der Dienstabwesenheit des für die Fristenkontrolle zuständigen Mitarbeiters eine umgehende Festhaltung der Frist durch einen Vertreter nicht sichergestellt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3 GKG.