VG Düsseldorf, Beschluss vom 29.06.2006 - 12 L 935/06
Fundstelle
openJur 2011, 42711
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.965,99 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks G1 in E, das an die L- Straße angrenzt.

Durch Bescheid vom 18. Januar 2006 zog der Antragsgegner die Antragstellerin zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der L-Straße im Abschnitt zwischen Xer Straße und J-Straße (L-Straße Teil 2) heran. Dabei setzte er einen Betrag von 8.320,90 Euro fest, auf den er eine in der Vergangenheit geleistete Zahlung von 456,96 Euro anrechnete, was eine Beitragsforderung von 7.863,94 Euro ergab

Über den hiergegen eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden.

Mit dem am 16. Mai 2006 - nach erfolglosem Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 4 VwGO - bei Gericht eingegangenen Antrag macht die Antragstellerin geltend, die Berechtigung des Antragsgegners, für die L-Straße Erschließungsbeiträge zu fordern, sei zumindest verwirkt. Die alte, im Jahre 1914/1915 hergestellte Fahrbahn der Straße sei schon nicht mehr vorhanden. Die Entwässerung sei in den Jahren 1909 bis 1915 hergestellt worden, die Beleuchtung bis zum Jahre 1955. Im Jahre 1995 habe der Antragsgegner Straßenbaumaßnahmen durchgeführt, welche die Fahrbahn, Entwässerung und Beleuchtung betroffen hätten. Hierfür sei ihr Grundstück im Jahre 1999 zu Straßenausbaubeiträgen nach dem Kommunalabgabengesetz herangezogen worden. Damit habe der Antragsgegner im Jahre 1999 kundgetan, dass die L-Straße endgültig fertiggestellt gewesen sei, so dass die Eigentümer nicht mehr mit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen hätten rechnen müssen.

Vorsorglich werde eingewandt, dass es sich bei der L-Straße um eine historische Straße handele, für die schon aus diesem Grunde keine Erschließungsbeitragspflicht mehr habe entstehen können. Die L-Straße sei schon vor Inkrafttreten des ersten Ortsstatuts am 11. November 1900 zusammenhängend bebaut gewesen. Sie sei bis 1915 entsprechend dem seinerzeitigen Ausbauprogramm hergestellt worden. Ausweislich eines Stadtplans aus dem Jahre 1906 sei zumindest zwischen Xer Straße und M-Straße eine so kompakte Bebauung vorhanden gewesen, dass die Voraussetzungen an eine historische Straße zumindest in diesem Teilbereich erfüllt gewesen seien. Dasselbe gelte für den Teilbereich I zwischen der heutigen F-Straße und heutiger J-Straße.

Die Erstherstellung sei auch nicht erst mit dem Abbruch des Gebäudes L- Straße 000-000/Ecke "I1-Straße" abgeschlossen worden. Erst durch den Fluchtlinienplan Nr. 0000/00 aus dem Jahre 1955 sei die Verkehrsfläche der L- Straße dahingehend erweitert worden, dass das Gebäude L-Straße 000-000 teilweise innerhalb der öffentlichen Verkehrsfläche gestanden hätte. Vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes habe die öffentliche Verkehrsfläche nur bis zur Flucht des Gebäudes L-Straße 000-000 gereicht. Vor diesem Gebäude sei auch ein befestigter Gehweg vorhanden gewesen.

Hilfsweise werde geltend gemacht, dass die Beitragspflicht für die Erschließungsanlage L-Straße Teil 2 noch nicht entstanden sei. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 der Erschließungsbeitragssatzung des Antragsgegners gehöre das Eigentum an den öffentlichen Verkehrsflächen zu den Merkmalen der endgültigen Herstellung von Erschließungsanlagen. Vorliegend fehle es am Grunderwerb für eine Teilfläche von rd. 70 qm. Dabei handele es sich um die Verkehrsfläche vor dem Grundstück L- Straße 000 -000, für die das Umlegungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei.

Ausführungen zum ermittelten Herstellungsaufwand blieben einem ergänzenden Schriftsatz vorbehalten. Es bestünden insbesondere Bedenken gegen die Höhe des wegen der Klassifizierung der Straße in Abzug gebrachten Betrages von - nur - 410.054,63 EUR.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid des Antragsgegners vom 18. Januar 2006 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hält die geltend gemachte Beitragsforderung dem Grunde und der Höhe nach für gerechtfertigt.

Die Erhebung des Erschließungsbeitrages seit nicht verwirkt. Im Zuge in den Jahre 1995 bis 2002 durchgeführter Straßenbaumaßnahmen seien sowohl die letzten noch unfertigen Teilanlagen der L-Straße Teil 2 erstmals endgültig hergestellt als auch die bereits früher hergestellten Teilanlagen Fahrbahn, Kanal/Entwässerung und Beleuchtung verbessert bzw. erneuert worden. Für letztere Arbeiten sei mit der Abnahme der entsprechenden Baumaßnahmen 1995 eine Beitragspflicht nach § 8 KAG NRW entstanden, die mit Heranziehungsbescheiden aus dem Jahre 1999 geltend gemacht worden sei. Die Erschließungsbeitragspflicht für die erstmalige Herstellung aller Teileinrichtungen der Straße sei demgegenüber erst mit dem Abschluss des Erwerbs der öffentlichen Verkehrsflächen sowie mit der Befestigung des letzten Teils der Verkehrsfläche (hier: des Gehwegs nach Abbruch des Gebäudes L-Straße 000-000/I1-Straße) im Jahre 2005 entstanden.

Aus diesem Grunde sei hier die eher seltene, jedoch beitragsrechtlich nicht zu beanstandende Situation eingetreten, dass der Straßenbaubeitrag zeitlich bereits vor dem nunmehr geltend zu machenden Erschließungsbeitrag angefordert worden sei. Anhaltspunkte für eine Verwirkung lägen darin nicht.

Bei der L-Straße Teil 2 handele es sich nicht um eine historische Straße. Sie habe im maßgeblichen Zeitpunkt des Inkrafttretens der hier einschlägigen ersten Ortsstatute dem Verkehr von E zur damals selbständigen Gemeinde C2, nicht aber dem innerörtlichen Verkehr gedient. Ausweislich eines Planes über die Bebauung an der L1er Straße aus dem Jahre 1912 hätten an der 2,2 km langen Strecke zwischen Xer Straße und J-Straße lediglich 35 Wohnhäuser gestanden, was nicht als geschlossene Ortslage zu qualifizieren sei. Der äußerst mangelhafte Ausbauzustand, wie er sich aus den Straßenakten ergebe, lasse zudem erkennen, dass die Erschließungsanlage nach dem Willen der damals zuständigen Gemeinden X und J-I nicht für den inneren Anbau und den innerörtlichen Verkehr bestimmt, sondern noch in der Anlegung begriffen gewesen sei. Sie sei in den Jahre 1900 und 1901 nicht vollständig freigelegt gewesen und habe keine Bürgersteige aufgewiesen. Sie sei weder kanalisiert gewesen noch hätten wenigstens gepflasterte Rinnen für die Entwässerung existiert. Eine ausreichende Beleuchtung habe ebenfalls gefehlt.

Zudem habe es sich bei der L-Straße seinerzeit noch um eine alte Provinzialstraße gehandelt, die bis zum Mai 1911 vom Provinzialverband unterhalten worden und erst anschließend in die Unterhaltung der Gemeinden übergegangen sei. Zur Umwandlung der Provinzialstraße in eine Ortsstraße schon vor Übergang der Unterhaltung auf die Gemeinden hätte es nach der Rechtsprechung aber einer entsprechenden Entschließung der zuständigen Gemeinde bedurft, für die hier keine Anhaltspunkte vorlägen.

Bei Erlass des Fluchtlinienplans 0000/00 vom 21. Juni 1955 sei die L-Straße Teil 2 im Bereich ihrer Nebenanlagen (Geh- und Radwege, Parkflächen und Verkehrsgrün) nicht programmgemäß hergestellt gewesen. Der Abbruch des Gebäudes L-Str. 000-000 sei daher für die endgültige Herstellung erforderlich gewesen.

Die Straße entspreche den Herstellungsmerkmalen der Beitragssatzung auch ohne Eigentum an den beiden von der Antragstellerseite genannten Teilflächen aus dem Grundstück G2 und G3 (vor dem Grundstück L-Str. 000-000) sowie aus dem Grundstück G4 (L-Str. 000), da diesem Umstand durch Abweichungssatzung vom 18. Mai 2004 Rechnung getragen worden sei.

Anhaltspunkte für persönliche Billigkeitsgründe seien weder erkennbar noch vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der zu diesem und zu dem Parallelverfahren 12 L 111/06 beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen nämlich keine ernstlichen Zweifel, die es rechtfertigen, die Antragstellerin entgegen der Grundregel des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorerst von der Zahlungspflicht freizustellen (§ 80 Abs. 4 und 5 VwGO).

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen dann, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Antragstellers im Hauptverfahren wahrscheinlicher ist, als sein Unterliegen.

Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 25. August 1988 - 3 B 2564/85 - DÖV 1990 S. 119 (Erschließungsbeitragsrecht) und vom 17. März 1994 - 15 B 3022/93 - (Straßenbaubeitragsrecht).

Die folglich im Aussetzungsverfahren durchzuführende Prognose zu den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Hauptverfahren kann dabei nur mit den Mitteln des Eilverfahrens getroffen werden. Die gerichtliche Überprüfung des Streitstoffes im Rahmen des Aussetzungsverfahrens findet ihre Grenze an den Gegebenheiten des vorläufigen Rechtsschutzes, soll sie nicht Ersatz für das Hauptsacheverfahren werden, das in erster Linie den Rechtsschutz nach Artikel 19 Abs. 4 GG vermittelt.

Dies bedeutet zunächst, dass in dem summarischen Verfahren vordringlich nur die Einwände berücksichtigt werden können, die der Rechtsschutzsuchende selbst gegen die Rechtmäßigkeit des Erschließungsbeitragsbescheides vorbringt, es sei denn, dass sich andere Fehler bei summarischer Prüfung als offensichtlich aufdrängen. Ferner folgt hieraus, dass im vorläufigen Rechtsschutzverfahren weder schwierige Rechtsfragen ausdiskutiert noch komplizierte Tatsachenfeststellungen getroffen werden können.

Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 25. August 1988 und 17. März 1994 jeweils a.a.O.

Nach diesen Kriterien kann der Antrag keinen Erfolg haben.

Dabei ist nach dem aufgezeigten Prüfungsmaßstab zunächst auf den Haupteinwand der Antragstellerin einzugehen, die Beitragsforderung sei verwirkt.

Dies dürfte jedoch nicht anzunehmen sein.

Die Verwirkung eines Erschließungsbeitragsanspruchs kann nur in Betracht kommen, wenn zusätzlich zu einem als unangemessen anzusehenden Zeitablauf - sog. Zeitmoment - a) ein positives Verhalten der Gemeinde hinzutritt, das die berechtigte Erwartung des Beitragspflichtigen geweckt hat, er werde trotz gewährter Erschließungsvorteile und grundsätzlicher Beitragserhebungspflicht der Gemeinde auf Zahlung eines Erschließungsbeitrags nicht mehr in Anspruch genommen, b) der Beitragspflichtige sich darauf verlassen hat, c) sich nach den Umständen des Einzelfalls hierauf verlassen durfte und d) sich demzufolge hierauf bei anschließenden Vermögensdispositionen auch tatsächlich eingerichtet hat, so dass die Geltendmachung des Beitrags unter diesen Umständen gegen Treu und Glauben verstoßen würde -sog. Umstandsmoment -.

Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, NJW-Schriften 42, 7. Auflage, § 19, Rdnr. 6 mit weiteren Nachweisen; OVG NW, Beschluss vom 17. September 2001 - 3 A 5623/00 -.

Vorliegend kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen b) bis d) vorliegen, da jedenfalls nichts dafür sprechen dürfte, dass der Antragsgegner durch positives Verhalten Veranlassung zu der Annahme gegeben hätte, die Antragstellerin werde nicht - mehr - zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der L- Straße Teil 2 herangezogen werden.

Insbesondere dürfte er durch die im Jahre 1999 erfolgte Heranziehung zu Straßenbaubeiträgen nach § 8 KAG für straßenbauliche Maßnahmen an einzelnen Teileinrichtungen der Straße nicht zum Ausdruck gebracht haben, dass er auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen verzichten wolle.

Auch wenn die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung aller Teileinrichtungen einer Straße in der Regel der Heranziehung zu einem Straßenbaubeitrag für einzelne dieser Straßenbestandteile zeitlich vorausgeht, ist diese zeitliche Reihenfolge jedoch nicht zwingend. Da die Gemeinde Erschließungsbeiträge, wenn sie nicht von der in ihrem Ermessen stehenden Möglichkeit einer Abschnittsbildung (§ 130 Abs. 2 BauGB) oder Kostenspaltung (§ 127 Abs. 3 BauGB) Gebrauch macht, erst erheben kann - und wegen der insoweit bestehenden Beitragserhebungspflicht auch muss -

Driehaus, a.a.O. § 10, Rdnr. 1 ff. mit weiteren Nachweisen,

wenn alle Teileinrichtungen einer Anbaustraße programmgemäß hergestellt sind, was sich - im Einzelfall - wie hier - über Jahrzehnte hinziehen kann, ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass insbesondere verschleißanfällige oder schon sehr früh hergestellte Teileinrichtungen wie Fahrbahn, Entwässerung und Beleuchtung bereits erneuert oder im Wege einer Verbesserung dem aktuellen Straßenbaustandard angepasst werden müssen, bevor - etwa durch Anlegung von vornherein geplanter, aber bislang noch nicht ausgebauter Teileinrichtungen oder durch Abschluss des Grunderwerbs - die Voraussetzungen für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen geschaffen werden können. Für diese Arbeiten soll - was wegen der auch insoweit bestehenden Beitragserhebungspflicht in aller Regel ein Muss bedeutet -,

vgl. Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 KAG, 6. Auflage 2006, Rdnr. 8 mit weiteren Nachweisen,

die Gemeinde, weil sie nicht mehr zur erstmaligen Herstellung gehören, innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfristen gemäß § 128 Abs. 2 BauGB, § 8 Abs. 1 KAG Straßenbaubeiträge erheben, wobei der in den genannten Vorschriften enthaltene Vorrang des Erschließungsbeitragsrechts ausschließlich materiellrechtlicher Natur ist, ohne jedoch die Gemeinde etwa in zeitlicher Hinsicht in der Weise zu binden, dass eine Heranziehung nach § 8 KAG erst erfolgen darf, nachdem zuvor der Erschließungsbeitrag erhoben wurde, oder dass eine Beitragserhebung nach § 127 ff BauGB nicht mehr zulässig sein soll, wenn für einzelne Teileinrichtungen bereits - zulässigerweise - eine Veranlagung nach dem KAG erfolgt ist. Beide Alternativen würden nämlich zu mit dem Beitragserhebungsgebot der Gemeinden nicht zu vereinbarenden Beitragsverlusten führen, für die ein nachvollziehbarer Grund nicht ersichtlich ist.

Im übrigen hätte die Erhebung von Straßenbaubeiträgen für die Erneuerung und/oder Verbesserung von Fahrbahn, Entwässerung und Beleuchtung in der L- Straße allenfalls darauf schließen lassen können, dass diese Teileinrichtungen zuvor endgültig fertiggestellt waren, ohne jedoch Rückschlüsse auf die merkmalsgerechte Herstellung der übrigen Teileinrichtungen und damit der Erschließungsanlage insgesamt zuzulassen.

Dass der im Rahmen der erstmaligen Herstellung geschaffene Zustand einzelner Teileinrichtungen nach Durchführung der nach § 8 KAG beitragsfähigen Maßnahme nicht mehr vorhanden ist, liegt dabei in der Natur der Sache, ohne dass hieraus der Schluss gezogen werden könnte, die Gemeinde wolle für diese Teileinrichtungen oder gar für die erstmalige Herstellung insgesamt auf Erschließungsbeiträge verzichten.

Der angefochtene Bescheid begegnet auch mit Blick auf die "vorsorglich" und "hilfsweise" vorgebrachten Einwände der Antragstellerin keinen ernstlichen Bedenken.

Insbesondere dürfte der Einwand, die L-Straße sei als eine beitragsfreie historische Straße zu qualifizieren, nicht berechtigt sein.

Abgesehen davon, dass ein solcher Vortrag schon deshalb regelmäßig nicht geeignet ist, einem Aussetzungsantrag zum Erfolg zu verhelfen, weil die Prüfung dieser Frage in der Regel umfangreichere tatsächliche Ermittlungen voraussetzt, die den Rahmen dieses summarischen Verfahrens überschreiten würden,

vgl. OVG NW, Beschluss vom 30. März 1990 - 3 B 2409/87 -, Rechtsprechungssammlung des OVG NW im Erschließungs- und Erschließungsbeitragsrecht (OVG NW RSE), § 180 BBauG/§ 242 BauGB "Vorhandene Erschließungsanlage",

spricht im vorliegenden Fall auch nach dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass § 242 Abs. 1 BauGB der Erhebung eines Erschließungsbeitrags für den abgerechneten Bereich der L- Straße entgegensteht.

Sowohl die Annahme einer "historischen Straße" wie die einer "vorhandenen Straße" im Rechtssinne,

zum Unterschied vgl. Driehaus,a.a.O., § 2, Rdnr. 33 und 36 mit weiteren Nachweisen,

würde nämlich voraussetzen, dass der hier betroffene Bereich der L-Straße bei Inkrafttreten der ersten Ortsstatute der ehemaligen Gemeinden I2-X und J-I in den Jahren 1900 bzw. 1901 einerseits dem inneren Anbau und Verkehr tatsächlich gedient hat und andererseits hierzu von Seiten der Gemeinde auch bestimmt war.

Vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen BVerwG, Urteile vom 6. November 1968 - IV 2.66 -, BVerwGE 31, 20 (21), und vom 17. Februar 1984 - 4 C 56.79 -, NVwZ 1984, 434, sowie Beschluss vom 18. Juni 1997 - 4 B 238.96 -, Buchholz 406.11 zu § 34 BauGB Nr. 186, S. 49 (50).

Dass die L-Straße Teil 2 zumindest in einzelnen zusammenhängenden Bereichen im maßbeglichen Zeitpunkt einen Gebäudebestand aufwies, der als Ortslage zu qualifizieren wäre, ist allerdings nicht ganz unwahrscheinlich, ohne dass dieser Frage jedoch im vorliegenden Eilverfahren weiter nachgegangen werden müsste. So dürften sich ausweislich der Legende des auch vom Antragsgegner angeführten Plans aus dem Jahre 1912 vor Inkrafttreten der genannten Ortsstatute an der L-Straße zwischen T-Straße (etwa in Höhe der heutigen I3-Straße) und der Stadtgrenze zur ehemals selbständigen Gemeinde I nicht nur 35 sondern 93 Gebäude befunden haben, von denen 35 in der Zeit zwischen 1886 und 1900 errichtet wurden, wobei eine verdichtete Bebauung insbesondere zwischen Haus Nr. 00 und der M-Straße auffällt.

Für die Annahme einer vorhandenen Straße im Rechtssinne wäre aber weiterhin erforderlich, dass die Straße mit dem Willen der Gemeinde wegen ihres insoweit für ausreichend erachteten Zustandes - die Einstufung als historische Straße würde sogar ihre programmgemäße Fertigstellung voraussetzen - dem inneren Anbau und dem innerörtlichen Verkehr zu dienen bestimmt war.

Hierfür bestehen nach dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge jedoch keine gewichtigen Anhaltspunkte.

Gegen die Annahme, dass die Gemeinden X und I die L-Straße bei Inkrafttreten ihres 1. Ortsstatuts in den Jahre 1900 bzw. 1901 schon aktuell für den inneren Anbau bestimmt hatten, spricht zunächst der seinerzeit vorhandene Ausbauzustand der Straße.

Zwar lassen sich keine allgemeingültigen Merkmale dafür finden, welchen Anforderungen eine Straße insofern im Hinblick auf ihren Ausbauzustand genügen musste. Fehlten jedoch wesentliche Teileinrichtungen, die in der Gemeinde üblicherweise für eine Anbaustraße gefordert wurden, konnte hieraus in Ermangelung entgegenstehender Umstände in der Regel auf den Willen der Gemeinde geschlossen werden, die Straße noch nicht als für den Anbau hinreichend hergerichtet anzusehen.

OVG NW, Urteil vom 29. Februar 1996 - 3 A 743/92 -, a.a.O., PrOVG, Urteil vom 12. Juni 1913 - IV C 70/13 -, PrOVGE 64, 213.

Als vorhandene Straße konnte eine Verbindungsstraße am Rande einer Großstadt jedenfalls dann nicht angesehen werden, wenn Beleuchtung, Kanalisation und Bürgersteige fehlten.

OVG NW, Urteil vom 29. Februar 1996 - 3 A 743/92 -, a.a.O., PrOVG, Urteil vom 28. Februar 1929 - IV C 2/27 -, PrOVGE 84, 176.

Danach dürfte die abgerechnete Strecke der L-Straße im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht den Anforderungen für den innerörtlichen Anbau und Verkehr genügt haben. Bei Inkrafttreten der genannten Ortsstatute in den Jahren 1900 bzw. 1901 verfügte sie nach Aktenlage weder über befestigte Bürgersteige noch über eine ausreichende Beleuchtung. Gepflasterte Rinnen fehlten ebenso wie eine ordnungsgemäße Kanalisation.

Für die Frage der Anbaubestimmung bei Inkrafttreten der genannten Ortsstatute könnte zudem in der Tat von Bedeutung sein, dass die L-Straße nach dem Akteninhalt bis zum Mai 1911 Teil einer Provinzialstraße war, die in erster Linie wohl dem überörtlichen Verkehr zwischen der Stadt E und der Gemeinde C2 gedient hat und Teil der rechtrheinischen Verbindung zwischen E und L1 war. Zwar konnten auch derartige überörtliche Verbindungsstraßen oder Teile von ihnen mit dem Willen der Gemeinde Ortsstraßen sein bzw. in solche umgewandelt werden, selbst wenn die Straße vom Provinzialverband verwaltet und erhalten wurde. Dazu bedurfte es jedoch einer Umwandlung des betreffenden Teils der Straße in eine Ortsstraße durch eine entsprechende Entschließung der Gemeinde.

Vgl. OVG NW, Urteil vom 29. Februar 1996 - 3 A 743/92 -, a.a.O. unter Bezugnahme auf PrOVG, Urteile vom 27. Juni 1918 - IV C 6/18 -, PrOVGE 74, 81 und vom 28. Februar 1929 - IV C 2/27 -, PrOVGE 84, 176.

Für eine derartige Entschließung bestehen hier jedenfalls bei summarischer Prüfung keine hinreichenden Anhaltspunkte. Vielmehr spricht auch insoweit insbesondere der bei Inkrafttreten der genannten Ortsstatute vorhandene Ausbauzustand der Straße gegen die Annahme, die Straße sei von Seiten der Gemeinde als für den Anbau geeignet angesehen und deshalb hierfür bestimmt worden.

Der Tatsache, dass in Teilbereichen der Straße bereits Gebäude in nicht ganz unerheblicher Anzahl errichtet worden waren, dürfte demgegenüber kein ausschlaggebendes Gewicht zukommen. Da die Gemeinden I2-X und J-I vor Inkrafttreten ihrer Ortsstatute mangels eines ortsgesetzlichen Anbauverbots nach § 12 PrFlG nicht in der Lage waren, den Anbau zu verhindern, kann von einer etwaigen vorhandenen Bebauung nicht ohne weiteres auf den Willen der Gemeinden geschlossen werden, die Straße zum Anbau freizugeben.

Vgl. auch insoweit OVG NW, Urteil vom 29. Februar 1996 - 3 A 743/92 -, a.a.O.

Ob die L-Straße Teil 2 im zeitlichen Geltungsbereich des Preußischen Fluchtliniengesetzes programmgemäß hergestellt worden ist, was einer Beitragserhebung auf der Grundlage des BauGB ebenfalls entgegenstehen würde, kann mit den Mitteln des Eilverfahrens nicht abschließend geklärt werden und muss weiteren Ermittlungen im Hauptverfahren vorbehalten bleiben, zumal die Frage für das auf dem Gebiet der ehemaligen Gemeinde X liegende Straßenstück anders zu beantworten sein könnte, als für den im erst 1929 eingemeindeten Stadtteil I liegenden Bereich.

Gegen die Annahme, die Straße habe bereits vor 1961 einem gemeindlichen Bauprogramm entsprochen, sprechen bei summarischer Prüfung jedoch in den Verwaltungsvorgängen befindliche Aktenvermerke aus den Jahren 1965 und 1966, wonach auch nach Eingemeindung beider Gemeinden nach E die Gehwege in beiden Teilstücken zum Teil - vornehmlich vor den unbebauten Grundstücken - noch unbefestigt waren, was jedenfalls dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 4. April 1911 entgegenstünde, der nach ständiger Rechtsprechung der Kammer und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen

vgl. insoweit OVG NW, Urteile 7. Dezember 1994 - 3 A 2098/90 -, vom 29. Februar 1996 - 3 A 743/92 -, a.a.O., und vom 14. Dezember 1998 - 3 A 2065/696 -

als gemeindliches Bauprogramm für die Straßen im Stadtgebiet E - soweit kein konkretes Bauprogramm für die jeweilige Anlage existiert - zu qualifizieren ist und nach dem u.a. die Bürgersteige mit Bandsteinen und Zementplatten (...) vorbehaltlich anderweiter Bestimmung im Einzelfalle" auszubauen waren.

Gegen einen programmgemäßen Ausbau der L-Straße Teil 2 vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes spricht zudem, dass nach Inkrafttreten der Fluchtlinienpläne Nr. 0000/00 aus dem Jahre 1913 für den Xer Bereich und Nr. 0000/00 aus dem Jahre 1914 für das Gebiet der Gemeinde I, die eine Ausbaubreite von 18 m bzw. 25 m festlegten, eine Reihe von Gebäuden (in X Haus Nr. 000 bis 000, 000 und 000, in I Haus Nr. 000 bis 000) in die festgesetzte Straßenfläche hineinragten, deren Abriss erst zwischen 1971 und 1985 erfolgt ist. Die in einem Fluchtlinienplan festgesetzten Fluchtlinien sind in der Regel ein Indiz für den Willen der Gemeinde, eine Straße in diesem Umfang auszubauen. Die zur programmgemäßen Fertigstellung der Straße im Sinne des preußischen Anliegerbeitragsrechts erforderliche Freilegung der Straße war nicht vollständig durchgeführt, wenn noch Gebäudeteile und Einfriedungen der angrenzenden Grundstücke über die Fluchtlinien hinaus auf dem Straßengelände standen.

Insoweit dürfte auch der Einwand der Antragstellerin unzutreffend sein, bis 1955 habe die öffentliche Verkehrsfläche nur bis zur Flucht des Gebäudes L-Straße 000-000 gereicht, da bereits die 1914 festgesetzte Fluchtlinie das Gebäude angeschnitten haben dürfte.

Da alle Eer Erschließungsbeitragssatzungen seit 1961 Grunderwerb und Freilegung der für den Straßenbau erforderlichen Flächen als Herstellungsmerkmal normieren, spricht auch viel dafür, dass Abriss des Gebäudes Nr. 000, der Erwerb der in den Straßenraum fallenden Fläche und deren herstellungsmerkmalsgerechte Befestigung als Gehweg auch für endgültige Herstellung im Sinne des § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB erforderlich waren.

Im Hauptverfahren zu klären sein wird allerdings in diesem Zusammenhang, ob nicht auch die heute noch in die bestehenden Flucht- oder Straßenbegrenzungslinien hineinragenden Gebäude Haus Nr. 000, 000, 000, 000, 000 und 000 ebenfalls einer merkmalsgerechten Herstellung entgegenstehen. Auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Herstellungsmerkmale, dem beitragspflichtigen Anlieger eindeutig erkennbar zu machen, wann für die sein Grundstück erschließende Anlage die sachliche Beitragspflicht entstanden ist, steht zwar der Annahme der merkmalsgerechten Herstellung regelmäßig nicht entgegen, wenn etwa Treppenstufen, Gebäudevorsprünge, Hecken oder sonstige Grundstückseinfriedungen in den Straßenkörper hineinragen, da in diesen Fällen niemand den Gedanken haben wird, dass die Straße an diesen Stellen noch unfertig sein könnte.

Vgl. insoweit OVG NW, Urteil vom 29. Februar 1996 - 3 A 743/92 -, a.a.O., sowie Beschluss vom 26. März 1999 - 3 B 217/99 -.

Ragen wie hier ganze Gebäude - im Falle von Haus Nr. 000 und 000 nicht unerheblich - in den Straßenraum, dürfte die Frage der merkmalsgerechten Herstellung in jedem Einzelfall davon abhängen, ob aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten in der Örtlichkeit der Eindruck entsteht, die Straße werde endgültig um das Gebäude herumgeführt, oder ob sich für einen unbefangenen Betrachter der Eindruck aufdrängt, der Ausbau der Straße sei an dieser Stelle noch nicht abgeschlossen.

Der fehlende Grunderwerb der Verkehrsfläche vor dem Grundstück L-Straße 000 -000 dürfte der endgültigen Herstellung nicht entgegenstehen, da diesem Umstand durch Erlass der Abweichungssatzung vom 18. Mai 2004 Rechnung getragen worden sein dürfte.

Eine Überprüfung der Aufwandsermittlung, auch soweit es die Abzüge infolge der zeitweisen Klassifizierung der Straße angeht, ist nach dem eingangs aufgezeigten Prüfungsmaßstab ebenfalls dem Hauptverfahren vorzubehalten.

Da weiter Einwände von der Antragstellerin nicht erhoben wurden und sonstige Fehler nicht offensichtlich sind, ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Dabei schätzt die Kammer das Interesse an der vorläufigen Regelung der Zahlungspflicht auf ein Viertel des geforderten Beitrages. Dies entspricht dem im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit

vgl. NVwZ 2004, 1327

unter Abschnitt I Nr. 1.5 vorgesehenen Ansatz.