OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.09.2005 - 8 B 1074/05
Fundstelle
openJur 2011, 40779
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 9 L 383/05
Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 10. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.500,00 EUR festgesetzt.

Der Beschlusstenor soll den Beteiligten vorab per Telefax bekannt gegeben werden.

Gründe

I. Die Antragsteller sind Eigentümer des im Außenbereich gelegenen Grundstücks Im G. in F. . Mit Bescheid vom 17. Dezember 2001 erteilte der Antragsgegner dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Windkraftanlage (Nabenhöhe 98 m, Rotordurchmesser 70 m, Nennleistung 1.800 kW) auf dem Grundstück Gemarkung N. , Flur , Flurstück . Der Genehmigung waren verschiedene Nebenbestimmungen beigefügt. Am 26. August 2002 erhoben die Antragsteller Widerspruch gegen diese Baugenehmigung. Ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht Minden mit Beschluss vom 11. März 2003 - 9 L 1484/02 - ab. Auf die dagegen erhobene Beschwerde der Antragsteller änderte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 4. August 2003 - 10 B 700/03 - die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden und ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an. Mit Nachtragsbaugenehmigung vom 3. Dezember 2003 und mit Änderungsbescheid vom 20. Januar 2004 änderte der Antragsgegner die Auflagen der erteilten Baugenehmigung vom 17. Dezember 2001. Gegen beide Änderungen legten die Antragsteller Widerspruch ein. Auf Antrag der Antragsteller stellte das Verwaltungsgericht Minden mit Beschluss vom 23. Dezember 2004 - 9 L 1003/04 - fest, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat. Den auf § 80 Abs. 7 VwGO gestützten Antrag der Beigeladenen, die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. August 2003 und des Verwaltungsgerichts Minden vom 23. Dezember 2004 abzuändern, lehnte das Verwaltungsgericht Minden mit Beschluss vom 9. Februar 2005 - 9 L 99/05 - ab. Auf die dagegen erhobene Beschwerde der Beigeladenen stellte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 - die sofortige Vollziehbarkeit der Baugenehmigung mit der Begründung wieder her, die Antragsteller müssten eine Verletzung in eigenen nachbarlichen Rechten nicht mehr befürchten, nachdem der Baugenehmigung veränderte Nebenbestimmungen zur Regelung der Schallemissionen beigefügt worden seien.

Am 10. Juni 2005 haben die Antragsteller einen Antrag auf Änderung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2005 gestellt. Diesen Abänderungsantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom selben Tage abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II.

Die Beschwerde mit dem Antrag,

unter Änderung des angefochtenen Beschlusses den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 - zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 17. Dezember 2001 in der Gestalt der Nachtragsgenehmigung vom 3. Dezember 2003 und des Änderungsbescheids vom 20. Januar 2004 zur Errichtung einer Windkraftanlage Typ Enercon E-66/18.70 (mit einer Nabenhöhe von 98 m und einem Rotordurchmesser von 70 m) auf dem Grundstück Gemarkung N. , Flur , Flurstück , wiederherzustellen,

bleibt ohne Erfolg.

1. Mit dem vorliegenden Antrag begehren die Antragsteller bei sachgerechter Auslegung (§§ 88 und 122 Abs. 1 VwGO) - weiterhin - die Anordnung der kraft Gesetzes gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 17. Dezember 2001 in der Gestalt der Nachtragsgenehmigung vom 3. Dezember 2003 und des Änderungsbescheids vom 20. Januar 2004. Dem steht nicht entgegen, dass nach der am 1. Juli 2005 in Kraft getretenen Neuregelung in § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG

- Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 zur Änderung der Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen vom 25. Juni 2005 (BGBl. I S. 1865) -

Baugenehmigungen für Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern, die "bis zum 1. Juli 2005" (gemeint ist offensichtlich: vor dem 1. Juli 2005) erteilt worden sind, als Genehmigungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz gelten. Allerdings haben Widersprüche Dritter gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Baugenehmigungen sind hingegen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212 a Abs. 1 BauGB kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 212 a Abs. 1 BauGB sind hier erfüllt; denn der Widerspruch der Antragsteller richtet sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung des Vorhabens. Die sofortige Vollziehbarkeit dieser bauaufsichtlichen Zulassung ist auch nicht nachträglich entfallen. Auf Baugenehmigungen, die - wie hier - vor dem 1. Juli 2005 für Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern erteilt worden sind, findet unbeschadet der gesetzlichen Fiktion in § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG weiterhin § 212 a Abs. 1 BauGB Anwendung. Die Fortgeltung der bei Erteilung der Baugenehmigung eingetretenen und zuletzt durch den Beschluss vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 - wiederhergestellten sofortigen Vollziehbarkeit über den 30. Juni 2005 hinaus ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, sie entspricht aber dem aus dem Regelungszusammenhang des § 67 BImSchG ersichtlichen Gesetzeszweck (a) und dem im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordenen Willen des Gesetzgebers (b). Auch verfassungsrechtliche Erwägungen legen diese Auslegung nahe (c).

a) Für eine Fortgeltung der sofortigen Vollziehbarkeit der für eine Windkraftanlage erteilten Baugenehmigung spricht der objektive Zweck der gesetzlichen Neuregelung. § 67 Abs. 9 BImSchG stellt - ebenso wie die Absätze 5 bis 8 - eine Ausnahme von dem in § 67 Abs. 4 BImSchG normierten Grundsatz dar, dass bereits begonnene Verfahren einschließlich solcher Widerspruchsverfahren, die auf Widersprüchen Dritter beruhen,

vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1982 - 7 C 42.80 -, BVerwGE 65, 313; Jarass, BImSchG, 6. Aufl., 2005, § 67 Rn. 31,

bei Gesetzesänderungen nach neuem Recht zu Ende zu führen sind. Die Ausnahme von diesem Grundsatz ist in § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG in Bezug auf Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung für Windkraftanlagen, die vor dem 1. Juli 2005 rechtshängig geworden sind, eindeutig geregelt. Diese Verfahren werden - wenn nicht der Bauherr von der in § 67 Abs. 9 Satz 4 BImSchG eingeräumten Möglichkeit einer Klageänderung Gebrauch macht - nach den Vorschriften der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der bisherigen, bis zum 30. Juni 2005 geltenden Fassung abgeschlossen. Das bedeutet, dass auch für Anlagen, die eine Gesamthöhe von mehr als 50 Metern aufweisen und die deshalb nach Nr. 1.6 des Anhangs der 4. BImSchV in der seit dem 1. Juli 2005 geltenden Fassung

- Verordnung zur Änderung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und zur Änderung der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20. Juni 2005 (BGBl. I S. 1687) -

einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürften, aufgrund der Übergangsregelung in § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG weiterhin die Erteilung einer Baugenehmigung in Betracht kommt, sofern die Anlage nicht Teil einer Windfarm ist, die bereits nach bisher geltendem Recht einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurfte. Die aufgrund eines solchen, nach der Übergangsregelung fortgeführten Verfahrens erteilte Baugenehmigung gilt gemäß § 67 Abs. 9 Satz 3 Halbsatz 2 BImSchG als immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Mithin sieht das Gesetz - sogar - für den Fall, dass der Bauherr bisher noch keine Baugenehmigung für die Errichtung einer Windkraftanlage erhalten hat, eine Übergangsregelung vor, nach der nicht ein völlig neues Genehmigungsverfahren bei einer anderen Behörde eingeleitet werden muss. Der Bauherr soll vielmehr auf einen bisher erreichten Verfahrensstand aufbauen können. Der Zweck der Übergangsregelung besteht demgemäß darin, im Interesse der Windkraftanlagenbetreiber der Verzögerung anhängiger Verfahren entgegenzuwirken, die anderenfalls aus der geänderten Abgrenzung zwischen bau- und immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen erwachsen würde. Dieser objektive Gesetzeszweck legt nahe, dass Entsprechendes - erst recht - dann gilt, wenn der Bauherr bereits eine Baugenehmigung erhalten hat. Auch in diesem Fall sollen dem Betreiber die Vorteile eines schon erreichten Verfahrensstandes nicht genommen werden. Zu diesen Vorteilen zählt auch die sofortige Vollziehbarkeit der erteilten Baugenehmigung.

b) Ein solches Verständnis entspricht auch dem im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordenen Willen des Gesetzgebers. Die Einfügung des § 67 Abs. 9 BImSchG steht ausweislich der Begründung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, der die Änderung angeregt hat, im Zusammenhang mit den Vollzugsproblemen, die aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2004 (- 4 C 9.03 -, BVerwGE 121, 182) entstanden sind. Der Gesetzgeber wollte den hinsichtlich der Genehmigung von Windkraftanlagen bei Anwendung des bisher maßgeblichen Begriffs der Windfarm entstandenen Abgrenzungsproblemen entgehen und mit der Übergangsregelung in § 67 Abs. 9 BImSchG "Reibungsverluste" vermeiden.

Vgl. BT-Drs. 15/5443, S. 3.

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Fiktion nach § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG die Rechtsposition des Anlagenbetreibers schwächen wollte, sind danach nicht im Ansatz erkennbar. Die Übergangsregelung soll im Gegenteil dem Interesse der Windkraftanlagenbetreiber an einer zügigen Durchführung des Verfahrens dienen.

c) Gegen die Annahme, dass aufgrund der Fiktion des § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG die mit Erteilung einer Baugenehmigung vor dem 1. Juli 2005 kraft Gesetzes eingetretene sofortige Vollziehbarkeit am 1. Juli 2005 entfallen wäre, sprechen auch verfassungsrechtliche Erwägungen. Zwar verstoßen gesetzliche Regelungen, durch die der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der sich ein Beteiligter befindet, mit Wirkung für die Zukunft einwirkt, nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Nach dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Verfahrens- und Prozessrechts erfassen Änderungen des Verfahrensrechts mit ihrem Inkrafttreten grundsätzlich auch anhängige Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, sofern Übergangsregelungen nichts Abweichendes bestimmen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. November 2002 - 7 AV 3.02 -, NVwZ 2003, 401; Hess. VGH, Beschluss vom 14. Februar 1991 - 13 TH 2288/90 -, InfAuslR 1991, 272; Sächs. OVG, Beschluss vom 15. März 1994 - 1 S 633/93 -, LKV 1995, 119; BayVGH, Beschluss vom 17. Dezember 1998 - 15 CS 98.2858 -, BayVBl. 1999, 373.

Dieser allgemeine Grundsatz wird jedoch durch die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eingeschränkt. Deren Missachtung kann den Beteiligten in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. März 1983 - 2 BvR 475/78 -, BVerfGE 63, 343 (353), Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90, 2 BvR 1728/90 -, BVerfGE 87, 48 (62 ff.).

Das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen ist von Verfassungs wegen zwar weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen; im Einzelfall aber können verfahrensrechtliche Regelungen nach ihrer Bedeutung und ihrem Gewicht in gleichem Maße schutzwürdig sein wie Positionen des materiellen Rechts. Vor diesem Hintergrund erfährt der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, dass eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst, für anhängige Rechtsmittelverfahren eine einschränkende Konkretisierung: Beim Fehlen abweichender Bestimmungen führt eine nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln gerade nicht zum Fortfall der Statthaftigkeit bereits eingelegter Rechtsmittel.

BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90, 2 BvR 1728/90 -, a.a.O., m.w.N.

Auch wenn es im vorliegenden Fall nicht um die Beschränkung eines Rechtsmittels geht, ist die Interessenlage im Wesentlichen vergleichbar. Die aus § 212 a Abs. 1 BauGB folgende verfahrensrechtliche Position des Bauherrn steht ihm nicht erst aufgrund eines Rechtsbehelfs (vgl. § 80 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VwGO), sondern bereits kraft Gesetzes zu.

Die vorstehenden verfassungsrechtlichen Erwägungen sprechen deshalb dafür, dass die durch § 212 a Abs. 1 BauGB bewirkte sofortige Vollziehbarkeit einer vor dem 1. Juli 2005 für eine Windkraftanlage erteilten Baugenehmigung fortgilt. Eine ausdrückliche gesetzliche Übergangsregelung des Inhalts, dass die sofortige Vollziehbarkeit einer vor Inkrafttreten des § 67 Abs. 9 BImSchG erteilten, von einem Dritten angefochtenen Baugenehmigung für eine Windkraftanlage mit Ablauf des 30. Juni 2005 entfällt, besteht nicht. Vielmehr spricht alles für eine gegenteilige Gesetzesauslegung. Eine eindeutige Übergangsregelung wäre aus den dargelegten verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich gewesen, wenn dem Anlagenbetreiber, der finanzielle Dispositionen aufgrund der ihn begünstigenden verfahrensrechtlichen Position getroffen hat, diese Position wieder hätte genommen werden sollen. Der Gesetzgeber musste bei der Neuregelung davon ausgehen, dass die Betreiber von Windkraftanlagen, denen ungeachtet etwaiger Drittwidersprüche sofort vollziehbare Baugenehmigungen erteilt worden waren, die Anlagen in einer Vielzahl von Fällen - so auch hier - unter beträchtlichen finanziellen Aufwendungen errichtet und in Betrieb genommen hatten. Eine verfahrensrechtliche Gleichstellung der von einem Dritten angefochtenen Baugenehmigung mit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hätte zur Folge gehabt, dass ein Anlagenbetreiber, der sich rechtstreu verhalten wollte, aufgrund des am 30. Juni 2005 verkündeten Änderungsgesetzes verpflichtet gewesen wäre, die Anlage mit Beginn des 1. Juli 2005 außer Betrieb zu nehmen und sodann im Einzelfall die behördliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu beantragen. Das würde sogar dann gelten, wenn ein Antrag des Nachbarn auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs zuvor schon erfolglos geblieben wäre. Eine derart weitgehende Zurückstellung der Vertrauensschutzinteressen des Anlagenbetreibers hätte eine ausdrückliche Regelung und eine entsprechende, verfassungsrechtlich tragfähige Begründung erfordert; an beidem fehlt es hier.

Da nach alldem hier - weiterhin - ein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO vorliegt, kommt es auf den Bescheid des Staatlichen Amtes für Umwelt und Arbeitsschutz OWL vom 27. Juli 2005 über die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht an. Diese Anordnung geht ins Leere, da dem Widerspruch der Antragsteller schon kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt.

2. Ausgehend von dem vorstehend dargestellten Verständnis des § 67 Abs. 9 BImSchG ist der Antrag auch zu Recht weiterhin gegen den Antragsgegner als Baugenehmigungsbehörde gerichtet. Unter Berücksichtigung der Parallelität der für Anfechtungs- und Verpflichtungssituationen maßgeblichen Regelungen in § 67 Abs. 9 Satz 1 und Satz 3 BImSchG bleibt die Behörde, die die von einem Dritten angefochtene Baugenehmigung erlassen hat, ebenso wie die Baugenehmigungsbehörde, die für die Erteilung einer Baugenehmigung in einem aufgrund der Übergangsregelung nach altem Recht fortzusetzenden Verfahren zuständig ist, alleinige Herrin des Verfahrens. Das gilt bis zu dessen unanfechtbarem Abschluss.

Die Übergangsregelung bestimmt lediglich, dass bereits rechtshängige Baugenehmigungsverfahren nach altem Recht fortgeführt werden. Das bedeutet für das Verfahren der Drittanfechtung, dass die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung sich entsprechend allgemeinen, für das Baurecht entwickelten Grundsätzen,

vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. April 1996 - 4 B 54.96 -, BRS 58 Nr. 157, und vom 23. April 1998 - 4 B 40.98 -, NVwZ 1998, 1179; OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 1996 - 7 A 3590/91 -, BRS 58 Nr. 147,

nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung beurteilt. Eine Funktionsnachfolge dergestalt, dass nunmehr die Immissionsschutzbehörde für die Erteilung bzw. Verteidigung der nach altem Recht zu beurteilenden Baugenehmigung für eine Windkraftanlage zuständig wäre, findet danach nicht statt. Immissionsschutzrechtliche Bestimmungen sind in dem nach § 67 Abs. 9 BImSchG fortgeführten Verfahren nur insoweit maßgeblich, als die Baugenehmigung rechtswidrig ist bzw. nicht erteilt werden kann, wenn die Anlage schon nach bisherigem Recht einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurfte. Demgemäß liegen in Fällen der vorliegenden Art auch die Voraussetzungen für eine Beiladung der immissionsschutzrechtlich zuständigen Behörde nicht vor, da ihre rechtlichen Interessen durch die Entscheidung nicht im Sinne von § 65 Abs. 1 VwGO berührt werden.

Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass sich die vorstehenden Ausführungen zur zunächst fortgeltenden Zuständigkeit der Baugenehmigungsbehörde lediglich auf Verfahren beziehen, die vor dem 1. Juli 2005 erteilte und noch nicht unanfechtbare Baugenehmigungen zum Gegenstand haben. Sie beziehen sich hingegen nicht auf Überwachungs- oder Vollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit den vorerwähnten Baugenehmigungen.

3. Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123 VwGO) neben einem bestimmten Antrag die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung zu ändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe. Diese Prüfung fällt zu Lasten der Antragsteller aus.

Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht den auf § 80 Abs. 7 VwGO gestützten Antrag der Antragsteller abgelehnt. Der Antrag ist darauf gerichtet, den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 - zu ändern, mit dem die sofortige Vollziehbarkeit der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 17. Dezember 2001 in der Gestalt der Nachtragsgenehmigung vom 3. Dezember 2003 und des Änderungsbescheids vom 20. Januar 2004 zur Errichtung einer Windkraftanlage Typ Enercon E-66/18.70 wiederhergestellt worden ist. Das Vorbringen der Antragsteller gibt keine Veranlassung, diese Entscheidung zu ändern.

a) Ohne Erfolg berufen die Antragsteller sich darauf, dass der erstmals am 15. März 2005 vorgetragene und am 13. April 2005 auch zum Gegenstand einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Aachen gemachte Aufsatz von Piorr (Landesumweltamt NRW) mit dem Titel "Müssen Emissionsdaten für die Planung von Quellen, die nachts betrieben werden sollen, auch nachts erhoben werden?" bereits vorliegende Erkenntnisse zur Erforderlichkeit von Emissionsmessungen zur Nachtzeit auf eine neue wissenschaftliche Basis gestellt habe.

Die diesem Aufsatz zu entnehmenden Erkenntnisse stellen keine neuen Umstände dar, die es rechtfertigen, die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 - zu ändern. Wie sich aus dem Aufsatz selbst ergibt, wird schon seit mehreren Jahren die Genauigkeit von Geräuschprognosen für die Nachtzeit hinsichtlich hoher Windkraftanlagen diskutiert. Dabei werden zum einen eine nur unzureichende Aussagekraft einer auf der DIN ISO 9613-2 basierenden Ausbreitungsrechnung und zum anderen "berichtete Tag- und Nacht-Unterschiede" angeführt. An diesem Diskussionsstand hat der von den Antragstellern genannte Aufsatz für die im vorliegenden Zusammenhang allein relevante Frage der Prognosesicherheit nichts Wesentliches geändert. In ihm legt Piorr lediglich dar, eine nachts in größerer Höhe auftretende Windscherung könne "prinzipiell" zu höheren Immissionen im Teillastbereich führen. Für die Feststellung, ob das tatsächlich so ist, hält Piorr die Durchführung entsprechender messtechnischer Untersuchungen für erforderlich. Erst deren Ergebnisse sollen Anlass geben können, die Angaben zur Messunsicherheit bei Emissionsmessungen von hohen Windkraftanlagen zu überdenken. Dem Aufsatz von Piorr sind somit keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu entnehmen, die die bislang vertretene Auffassung zur Prognosesicherheit schon jetzt durchgreifend in Frage stellen könnten. Angesichts dessen fehlt es für die Annahme der Antragsteller, die Immissionsbelastungen an ihrem Wohnhaus müssten in Anbetracht der Feststellungen von Piorr um bis zu 3 dB(A) höher bewertet werden, an einer hinreichenden Grundlage.

b) Auch der Verweis der Antragsteller auf die vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) in seiner 109. Sitzung vom 8. bis 9. März 2005 zur Anwendung empfohlenen "Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windenergieanlagen" rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Den Antragstellern ist zwar zuzugestehen, dass diese Hinweise die Empfehlung enthalten, Immissionsmessungen nachts vorzunehmen. Daraus lässt sich aber kein Grund für eine Änderung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 - herleiten. Insbesondere ist den Hinweisen des LAI kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass die Antragsteller entgegen der in dem genannten Beschluss vertretenen Auffassung durch den Betrieb der in Rede stehenden Windkraftanlage eine Verletzung ihrer nachbarlichen Rechte befürchten müssten.

c) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem in der Beschwerdebegründung genannten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 2005 - 4 B 29.05 - herleiten. Die Antragsteller beziehen sich auf eine Passage dieses Beschlusses, in der von einer Auflage "in Form einer konkreten Betriebsregelung auf Begrenzung der Emissionen der Anlage auf einen unterhalb der Nennleistung liegenden Schallleistungspegel in Verbindung mit einer entsprechenden Steuerung der Anlage" die Rede ist, mittels derer ein Unterliegen in dem entschiedenen Verfahren hätte vermieden werden können. Diese Ausführungen stellen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 - aber nicht in Frage. Denn entgegen der Auffassung der Antragsteller vermag der Aufsatz von Piorr - wie bereits dargestellt - die der angefochtenen Genehmigung zugrunde liegende Prognose nicht durchgreifend in Zweifel zu ziehen und rechtfertigt deshalb auch nicht die von ihnen für erforderlich gehaltene Erhöhung der Bewertung der Immissionsbelastung um bis zu 3 dB(A).

d) Ohne Erfolg berufen sich die Antragsteller auch auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Januar 2005 - 7 B 12114/04 -. Die Antragsteller wollen aus diesem Beschluss ableiten, dass Dritte - entgegen der Rechtsprechung - im Rahmen einer Klage gegen die Genehmigung von Windkraftanlagen einen Anspruch auf Überprüfung auch der Umweltbelange hätten.

Dafür, dass der Baunachbar ein subjektives Recht auf Beachtung aller, auch der ersichtlich allein im öffentlichen Interesse normierten gesetzlichen Vorgaben hätte, gibt die zitierte Entscheidung nichts her. Sie bezieht sich vielmehr darauf, ob die Bestimmungen über Öffentlichkeitsbeteiligung im förmlichen immissionsschutzrechtlichen Verfahren wegen ihrer Funktion als Trägerverfahren für die Umweltverträglichkeitsprüfung drittschützende Wirkung entfalten.

Die Klärung der Frage, ob an der Auffassung festzuhalten ist, dass § 10 BImSchG und § 3 UVPG keine nachbarschützenden Vorschriften sind,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Januar 2004 - 22 B 1288/03 -,

oder ob im Hinblick auf Art. 10 a der UVP-Richtlinie

- eingefügt durch die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, Richtlinie 2003/35/EG, ABl. Nr. L 156 vom 25. Juni 2003, S. 17 ff. -,

der bis zum 25. Juni 2005 von den Mitgliedstaaten umzusetzen war und eine gerichtliche Überprüfung auch der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen durch "Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit" vorsieht, eine europarechtskonforme Auslegung der insoweit maßgeblichen innerstaatlichen Verfahrensvorschriften als drittschützend geboten ist,

so OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 25. Januar 2005 - 7 B 12114/04 -, DÖV 2005, 436; kritisch Lecheler, ZNER 2005, 127 (130 f.),

muss zwar einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. März 2005 - 10 B 2462/04 - und vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 -.

Das allein vermag aber - wie schon in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2005 - 10 B 355/05 - festgestellt worden ist - ein Überwiegen des Suspensivinteresses der Antragsteller nicht zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind billigerweise erstattungsfähig, weil sie sich mit der Antragstellung dem sich aus § 154 Abs. 3 VwGO ergebenden Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 und 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 und 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.