OLG Köln, Urteil vom 15.07.2005 - 6 U 17/05
Fundstelle
openJur 2011, 40477
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

1.)

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21.10.2004 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 186/04 - abgeändert und im Hauptausspruch wie folgt neu gefasst:

Dem Beklagten wird es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen, vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollstrecken an den Mitgliedern seines Vorstandes, untersagt,

ohne vorherige Ausschreibung Versicherungsverträge mit öffentlichen Auftraggebern abzuschließen, durch die die EU-Schwellenwerte überschritten werden.

2.)

Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen hat der Beklagte zu tragen.

3.)

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann jedoch die Vollstreckung des Unterlassungstitels durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 75.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Im übrigen kann der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4.)

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

B e g r ü n d u n g

Die Parteien sind Wettbewerber bei der Vergabe von Sachversicherungen durch die öffentliche Hand.

Der Beklagte ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, dessen Zweck es gemäß § 2 Abs. 1 seiner Satzung ist, seinen Mitgliedern durch den unmittelbaren Betrieb bestimmter Sachversicherungen Versicherungsschutz zu gewähren. Mitglieder des Beklagten können die in § 4 Abs. 1 der Satzung aufgeführten öffentlichrechtlichen Einrichtungen sowie wirtschaftliche Vereinigungen werden, wenn sich mindestens 50 % ihres Kapitals in öffentlicher Hand befinden. Der Beklagte schließt Versicherungsverträge, auch wenn sie den gem. § 2 Ziff.3 der Vergabeverordnung (im Folgenden: VgV) bestehenden Schwellenwert von 200.000 EUR übersteigen, ohne vorherige Ausschreibung mit öffentlichen Auftraggebern ab. Er sieht sich als hierzu berechtigt an, weil bei dem als sogenanntes "In-House Geschäft" zu wertenden Abschluss der Verträge wegen seiner engen Beziehung zu den Auftraggebern die Einhaltung der Vergabevorschriften nicht geboten sei.

Die Klägerin sieht die Voraussetzungen von "In-House Geschäften" als nicht gegeben an. Sie hat in erster Instanz beantragt,

dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen, mit öffentlichen Auftraggebern Versicherungsverträge ab Erreichen der EU-Schwellenwerte ohne vorherige Ausschreibung abzuschließen.

Bezüglich eines zunächst angekündigten weiteren Antrages, der ein Rundschreiben des Beklagten zum Gegenstand hatte, in dem dieser das Verfahren als "europafest" bezeichnet hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte.

Der Beklagte hat die Zuständigkeit des Landgerichts in Abrede gestellt und sich im übrigen zu der beanstandeten Vorgehensweise für berechtigt erklärt, weil die Voraussetzungen eines "In-House"-Geschäftes vorlägen.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, unter Zugrundelegung der jüngeren, die Haftung des bloßen Störers begrenzenden Rechtsprechung müsse der Beklagte auch bei einem unterstellten Verstoß gegen die Vergabevorschriften durch die Auftraggeber für diesen nicht einstehen.

Im Berufungsverfahren verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Klageantrag, soweit dieser nicht erledigt ist, weiter. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und stützt sich ergänzend auf die Entscheidung der ersten Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 11.01.05 in der Rechtssache C-26/03.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er meint, die erwähnte BGH-Entscheidung betreffe nicht die im vorliegenden Verfahren gegebene Fallgestaltung und dürfe zudem aus verfahrensrechtlichen Gründen im Berufungsrechtszug auch nicht mehr berücksichtigt werden.

Wegen des Sachverhaltes im übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

II

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die beanstandete freie Vergabe der Versicherungsaufträge an den Beklagten verstößt gegen bindende Vergabevorschriften. Hierfür muss neben seinen öffentlichen Auftraggebern auch der Beklagte einstehen. Aus diesem vergaberechtswidrigen Verhalten des Beklagten resultiert der geltendgemachte Unterlassungsanspruch, weil die verletzten Vergabevorschriften Bestimmungen sind, die im Sinne des § 4 Nr.11 UWG auch dazu bestimmt sind, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist daher aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1, Abs. 3 Ziffer 1 UWG i.V.m. §§ 97, 98 Ziffer 1, 101 Abs. 1, Abs. 5 GWB begründet.

1. Der Abschluss von Sachversicherungsverträgen durch öffentliche Auftraggeber mit dem Beklagten verstößt gegen die genannten Vergabebestimmungen des GWB.

a) Vertragspartner des Beklagten sind zumindest im wesentlichen Gebietskörperschaften und damit öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Ziffer 1 GWB. Diese dürfen als solche Dienstleistungsaufträge, also auch Versicherungsverträge, nicht frei abschließen, sondern haben gemäß §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 und 5 GWB i.V.m. § 2 Ziffer 2 und § 4 VgV ab einem Schwellenwert von 200.000,00 EUR die dort näher geregelten Vergabevorschriften einzuhalten.

Hierunter fallen auch die streitgegenständlichen, von dem Beklagten mit seinen Mitgliedern geschlossenen Verträge. Ohne Erfolg beruft sich dieser darauf, die Vergabevorschriften seien deswegen nicht anwendbar, weil es sich bei diesen Verträgen um sogenannte "In-House"-Geschäfte handele. Das trifft nämlich nicht zu.

Dem Beklagten ist allerdings einzuräumen, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei einer engen organisatorischen und wirtschaftlichen Verflochtenheit zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer die Vergabevorschriften nicht eingehalten werden müssen, weil der Versicherer so zu behandeln ist, als sei er organisatorischer Bestandteil des Auftraggebers. So hat insbesondere der EuGH in seinen Entscheidungen vom 18.11.1999 in der Rechtssache C-107/98 ("U.") und vom 11.01.2005 in der Rechtssache C-26/03 entschieden, dass öffentliche Auftraggeber in engen Ausnahmefällen, in denen sie über ihre Vertragspartner eine ähnliche Kontrolle ausüben wie über eine eigene Dienststelle, an die Vergabevorschriften nicht gebunden sind. Diese - engen - Voraussetzungen sind im Streitfall aber nicht gegeben.

Der EuGH hat zunächst in der Entscheidung "U." ausgeführt, dass die einschlägige Richtlinie 93/36 EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge anwendbar sei, wenn ein öffentlicher Auftraggeber mit einer rechtlich von ihm verschiedenen Person einen in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Vertrag schließe. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübe wie über ihre eigenen Dienststellen und diese Person zugleich ihre Tätigkeit im wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichte, die ihre Anteile innehaben (EuGH "Teckal" Rz. 50). In der Entscheidung vom 11.01.2005 in der Rechtssache C-26/03 hat der EuGH (Rz. 42, 46 ff) diese Rechtsprechung weitergeführt und bekräftigt, dass jede Ausnahme von der Geltung der die Vergabe betreffenden Richtlinie 92/50 eng auszulegen sei. Die Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen seien zunächst dann nicht anwendbar, wenn eine öffentliche Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber sei, ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe mit ihren eigenen administrativen, technischen und sonstigen Mitteln erfülle. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass es weitere Umstände gebe, unter denen eine Ausschreibung nicht obligatorisch sei, auch wenn der Vertragspartner eine Einrichtung sei, die sich vom öffentlichen Auftraggeber rechtlich unterscheide. Hierzu hat der EuGH (a.a.O., Rz. 49) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil in der Rechtssache "U." folgendes ausgeführt: Die Einschränkung gelte dann, wenn die öffentliche Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber sei, über die fragliche Einrichtung eine ähnliche Kontrolle ausübe wie über ihre eigenen Dienststellen und diese Einrichtung ihre Tätigkeit im wesentlichen mit der oder den öffentlichen Stellen verrichte, die die Anteile inne haben. Dabei hat sich der EuGH ausdrücklich auf den Umstand bezogen, dass in dem Fall "U." die Einrichtung, also der Auftragnehmer, zu 100 % von öffentlichen Stellen gehalten worden sei. Dagegen schließe - so hat der EuGH weiter ausgeführt - die auch nur minderheitliche Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt sei, es "auf jeden Fall" aus, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübe, wie über seine eigenen Dienststellen.

Auf der Basis dieser Rechtsprechung ist die Vergabe von Versicherungsverträgen an den Beklagten nicht nach dem freien Belieben der Auftraggeber zulässig, vielmehr sind die einschlägigen Vergabevorschriften einzuhalten. Denn es handelt sich bei der Beklagten nicht im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung um eine Einrichtung, über die die Auftraggeber eine ähnliche Kontrolle ausüben könnten, wie über ihre eigenen Dienststellen. Mitglieder des Beklagten können nämlich gem. § 4 Abs. 1 seiner Satzung auch wirtschaftliche Vereinigungen sein, die sich nicht vollständig in öffentlicher Hand, sondern mit bis zu 50 % in privater Hand befinden. Indes schließt nach der dargestellten Rechtsprechung des EuGH eine auch nur minderheitliche Beteiligung an dem Auftragnehmer eine Vergabefreiheit "auf jeden Fall" aus, weil eine vergleichbare Kontrolle der öffentlichen Auftraggeber wie über eine eigene Dienststelle nicht gewährleistet ist. Es ist nicht über die Frage zu befinden, ob die Bindung an die Vergabevorschriften auch dann unter allen Umständen bestünde, wenn die als Mitglieder beteiligen privaten Unternehmen keinen Einfluss auf die Geschäftsführung hätten, wie dies offenbar hinsichtlich derjenigen Unternehmen und Einrichtungen der Fall ist, die unter den Voraussetzungen von § 4 Abs.2 der Satzung des Beklagten versichert werden können, ohne dessen Mitglieder zu sein. Denn nach § 17 der Satzung des Beklagten sind diejenigen Unternehmungen, die gem. § 4 Abs.1 der Satzung als wirtschaftliche Vereinigungen Mitglieder sind, in der Mitgliederversammlung als dem obersten Organ des Vereins uneingeschränkt stimmberechtigt. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Auftraggeber eine Kontrolle über den Beklagten ausüben könnten, die derjenigen über eigene Dienststellen gleichzusetzen wäre.

Ohne Erfolg wendet der Beklagte ein, im Berufungsverfahren dürfe die erst nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ergangene EuGH-Entscheidung in der Rechtssache C-26/03 nicht berücksichtigt werden, weil maßgeblich auf die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht abzustellen sei. Die Klägerin macht in die Zukunft gerichtete Unterlassungsansprüche geltend. Für diese ist im Berufungsverfahren nicht auf den Rechtszustand zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, sondern darauf abzustellen, wie die Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz zu beurteilen ist. Ein anderes besagen auch die von dem Beklagten angeführten Entscheidungen und Literaturmeinungen nicht. Diese betreffen die sich im vorliegenden Berufungsverfahren nicht stellende Frage, ob eine Änderung der Rechtsprechung gem. § 323 ZPO einen Grund zur Abänderung einer bereits rechtskräftigen Entscheidung darstellen kann. Auf die Frage, ob der Rechtsstreit ohne Berücksichtigung der EuGH Entscheidung vom 11.1.2005 überhaupt anders zu beurteilen wäre, kommt es daher nicht an.

b) Über die Unvereinbarkeit der beanstandeten Praxis mit den verbindlichen Vergabebestimmungen der §§ 97 ff GWB hat der Senat zu befinden. Eine - ausschließliche - Zuständigkeit des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf besteht nicht. Insbesondere handelt es sich nicht um eine kartellrechtliche Vorfrage im Sinne des § 87 Abs. 1 Satz 2 GWB. Dieser betrifft ausschließlich Kartellsachen im engeren Sinne und nicht Fragen des ebenfalls im GWB geregelten Vergaberechts. Das ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung der erst nachträglich in das GWB eingefügten Bestimmungen über das von öffentlichen Auftraggebern einzuhaltende Vergabeverfahren. Diese sind erst im Anschluss an die Vorschriften der §§ 87 ff in das Gesetz eingestellt worden, die den das Kartellverfahren betreffenden dritten Teil des Gesetzes abschließen. Dem Wortlaut der Bestimmungen lässt sich auch kein Hinweis darauf entnehmen, dass diese kartellrechtlichen Verfahrensvorschriften auch auf die Vergabevorschriften Anwendung finden sollen. Eine Befassung der Kartellgerichte mit der vorliegend zu entscheidenden Frage wäre auch nicht sachgerecht. Verfahren gegen öffentliche Auftraggeber, die vergaberechtliche Fragen zum Gegenstand haben, sind im GWB nicht den Kartellgerichten, sondern - in § 104 Abs. 2 GWB - den Vergabekammern und in der Instanz den Beschwerdegerichten (§ 116 ff GWB) zugewiesen. Die Kartellgerichte weisen damit keine spezifische Fachkompetenz auf, die eine ausschließliche Zuständigkeit geboten erscheinen ließe. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bei einer Anwendung des § 87 GWB auf die vorliegende Fallgestaltung nach dessen Wortlaut immer die Landgerichte zuständig wären, während ansonsten unterhalb der Schwellenwerte auch die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte in Betracht kommt.

2. Der Beklagte ist auch passivlegitimiert. Der aus der Verletzung der vorstehenden Vorschriften resultierende Unterlassungsanspruch richtet sich nicht nur gegen seine Auftraggeber, sondern auch gegen ihn. Der Beklagte ist von den im einzelnen aus seiner Satzung ersichtlichen öffentlichen Institutionen gegründet worden, diese haben dort die Mehrheit. Alleiniger Zweck des Beklagten ist es gemäß § 2 der Satzung, seinen Mitgliedern in bestimmten Bereichen Versicherungsschutz zu gewähren. Der Beklagte muss daher ebenso wie die Auftraggeber selbst die für den Abschluss derartiger Versicherungsverträge mit öffentlichen Auftraggebern bestehenden Vergabevorschriften einhalten. Er ist zwar nicht selbst Normadressat, aber zumindest im Hinblick darauf, dass seine Mitglieder ganz überwiegend als öffentliche Auftraggeber unmittelbar an die Vergabevorschriften gebunden sind, selbst wie ein Normadressat zu behandeln und daher als Mittäter des in Rede stehenden Normverstoßes anzusehen.

Im übrigen trifft es auch nicht zu, dass er - wollte man den Beklagten lediglich als Störer qualifizieren - für sein Verhalten nicht einstehen müsste. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH (z.B. GRUR 03, 969 ff - "Ausschreibung von Vermessungsleistungen" und GRUR 04, 693 ff - "Schöner wetten") setzt die Bejahung der Störerhaftung allerdings die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfungspflichten voraus. Dabei wären aber hohe Anforderungen zu stellen, weil der Beklagte als Anbieter der Verträge, die er weiterhin als "europafest" ansieht, unmittelbar in die vergaberechtswidrige Praxis eingebunden ist. Diesen umfangreichen Prüfungspflichten kann der Beklagte insbesondere angesichts der nunmehr bekannt gewordenen jüngeren vorzitierten EuGH-Entscheidung nicht mit dem bloßen Hinweis auf ein von ihm eingeholtes Rechtsgutachten von Prof. v. B. genügen.

3. Bei den aus den vorstehenden Gründen verletzten Vergabevorschriften handelt es sich um Bestimmungen, die im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG auch dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.

Die Auswahl des Vertragspartners liegt grundsätzlich in der freien Entscheidung des einzelnen Marktteilnehmers über sein Verhalten am Markt. In diese Freiheit wird durch die Vergabevorschriften, die den öffentlichen Auftraggeber in § 101 GWB zu bestimmten Ausschreibungsverfahren verpflichten, eingegriffen. Der öffentliche Arbeitgeber darf als Marktteilnehmer nur mit demjenigen kontrahieren, der aufgrund der Vorgaben des Vergabeverfahrens das günstigste Angebot gemacht hat. Es ist damit das Marktverhalten der öffentlichen Auftraggeber betroffen, die ab Überschreiten des Schwellenwertes nicht frei nach ihrem Belieben mit jedem Anbieter kontrahieren dürfen. Die Vorschriften bestehen auch im Interesse der Marktteilnehmer im Sinne des § 2 Abs.1 Ziff.2 UWG, nämlich der Mitbewerber des Beklagten. Diese sollen die Gewähr erhalten, bei Abgabe des günstigsten Angebotes, das die Ausschreibungsvorgaben einhält, von dem öffentlichen Auftraggeber mit der (hier:) Versicherungsdienstleistung beauftragt zu werden.

Allerdings vertritt Ullmann (GRUR 03, 817, 822) - zustimmend Dittert in MAH Gewerblicher Rechtsschutz, 2.A., § 21 Rn. 40; anders Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, 23.A., § 4 Rn. 11.15 und 13.60 - die Auffassung, Verstöße der öffentlichen Hand gegen die Vergabevorschriften der §§ 97 ff GWB unterfielen § 4 Nr. 11 UWG nicht. Wer ohne die gebotene Ausschreibung widerrechtlich in den Genuss eines Auftrages der öffentlichen Hand gekommen sei, könne an der Ausführung des Auftrages grundsätzlich nicht über eine Unterlassungsklage des Konkurrenten gehindert werden. Diese Stellungnahme veranlasst den Senat nicht dazu, die Vorschrift des § 4 Nr.11 UWG in der vorliegenden Fallgestaltung als nicht erfüllt anzusehen. Ulmann hat die Fallkonstellation angesprochen, dass ein Auftrag bereits vergaberechtswidrig vergeben worden ist. In dieser Situation würde die Bejahung eines Unterlassungsanspruches des übergangenen Konkurrenten den Auftragnehmer, der an den bereits geschlossenen und nicht nichtigen Vertrag gebunden ist, zwingen, sich vertragswidrig zu verhalten und unter Umständen Schadensersatzansprüchen auszusetzen. Das wäre insbesondere angesichts des Umstandes nicht sachgerecht, dass der Auftragnehmer in der Regel nicht Normadressat der Vergabevorschriften ist. Der Senat hat abweichend hiervon über die Fallgestaltung zu entscheiden, dass der betreffende Auftrag noch nicht erteilt worden ist und der öffentliche Auftraggeber lediglich beabsichtigt, den Auftrag zu erteilen ohne die Vergabevorschriften einzuhalten. In dieser Situation besteht kein Anlass, den Vergabevorschriften die dargelegte marktregulierende Funktion im Interesse der Mitbewerber abzusprechen. Insbesondere ist die Fallkonstellation - anders als die von Ullmann untersuchte, der insoweit auch einen ausdrücklichen Bezug herstellt - nicht vergleichbar mit denjenigen, in denen ein Unternehmen sich am Markt Vorteile durch untertarifliche Lohnzahlungen oder den unberechtigten Bezug von EU-Beihilfen verschafft. Der BGH hat bereits in der Entscheidung "Abgasemissionen" (WRP 00, 1116, 1121) entschieden, dass ein Verhalten grundsätzlich nicht schon dadurch wettbewerbsrechtlich unlauter werde, dass es Vorteile aus einem vorangegangenen Verstoß gegen ein Gesetz ausnutze, das keinen unmittelbaren Marktbezug aufweise. Dementsprechend verhalten sich Unternehmer, die ihre Arbeitnehmer untertariflich bezahlen oder zu Unrecht eine EU-Beihilfe erhalten haben und diese Vorteile nutzen, ebenso wenig unlauter wie solche, die einen den Vergabevorschriften unterliegenden Auftrag zu Unrecht ohne Ausschreibung erhalten haben. Das besagt aber nicht, dass der systematische zukünftige Verstoß gegen Vergabevorschriften, die wegen der Zusammensetzung seiner Mitgliederstruktur auch von dem Beklagten zu beachten sind, nicht als Verletzung einer marktregulierenden Vorschrift im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG anzusehen wäre. Ebenso wie Ullmann (a.a.O. sub 4 e) bezüglich der zu Unrecht gewährten EU-Beihilfe meint, der benachteiligte Mitbewerber müsse sein Recht bei der die Beihilfe gewährenden Stelle suchen, muss die Klägerin den Beklagten als denjenigen, der die vergaberechtswidrige Praxis initiiert und maßgeblich beeinflusst, auf Unterlassung in Anspruch nehmen können.

Der Senat sieht sich in dieser Auffassung durch die Entscheidung des EuGH vom 11.01.2005 bestärkt. Dort ist entschieden (Rz 36 ff, 41), die Mitgliedsstaaten seien verpflichtet sicherzustellen, dass auch Entscheidungen im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung und insbesondere darüber, ob ein bestimmter Auftrag überhaupt in den Anwendungsbereich der (Vergaberechts-)Richtlinie fällt, wirksam und rasch (gerichtlich) nachgeprüft werden können. Eine derartige Möglichkeit besteht anderweit nicht, weil die allein in Betracht kommende Bestimmung des § 104 Abs.2 GWB nur Verfahren regelt, die sich gegen öffentliche Auftraggeber richten.

Der mithin bestehende Verstoß gegen §§ 97, 98 Ziffer 1, 101 Abs. 1, Abs. 5 GWB ist auch, ohne dass dies einer Begründung bedürfte, im Sinne des § 3 UWG geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Gegen diese Entscheidung ist die Revision zuzulassen. Die Frage, ob die Vergabevorschriften des GWB im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, hat im Sinne des § 543 Abs.2 Ziff.1 ZPO grundsätzliche Bedeutung und ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 75.000 EUR.