VG Aachen, Urteil vom 25.10.2005 - 2 K 1949/02
Fundstelle
openJur 2011, 39236
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt mit der vorliegenden Klage die Erstattung der Kosten im Jugendhilfefall W. I. für die Zeit ab dem 1. Februar 2000 bis zum 14. September 2001.

W. I. wurde am 11. Dezember 1994 als zweites Kind ihrer Eltern geboren. Die Eltern leben seit 1996 getrennt und sind mittlerweile geschieden. Der 1992 geborene Bruder lebt mit der Mutter in C. . Nach der Trennung der Eltern lebte W. I. bis zum August 1998 teilweise im Haushalt des Vaters, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in N. (Kreis B. ) und in der Nähe von N. gelegenen Orten hatte, sowie im Haushalt ihrer Großeltern väterlicherseits, die in N. wohnten. Bereits Mitte der 90er Jahre mussten sich das Jugendamt und das Amtsgericht N. mehrfach mit den familiären Verhältnissen der Herkunftsfamilie von W. I. befassen. Mit Beschluss vom 10. April 1999 - 21 F 267/98 - entzog das Amtsgericht B. den Eltern die Personen- und Vermögenssorge für W. . Mit Beschluss vom 14. Juni 1999 - 3 VII 5268 - bestellte das Amtsgericht N. das Kreisjugendamt B. zum Vormund für W. .

Am 10. August 1998 wurde W. zunächst im Wege der Inobhutnahme im Kinderheim St. K. in F. untergebracht. Hintergrund war, dass es bei einer ärztlichen Untersuchung bei Dr. A. in T. ernste Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch des Kindes gab. Mit Bescheid vom 16. Dezember 1998 wurde die Inobhutnahme rückwirkend ab dem 24. September 1998 in Hilfe zur Erziehung in Form der Heimpflege umgewandelt. Ab dem 29. Dezember 1998 wechselte W. in die Erziehungsstelle S. mit dem Ziel der dauerhaften Unterbringung. Auf Grund der Ausbildung von Frau S. und ihrer langjährigen Arbeit mit behinderten Kinder verfügte diese Pflegestelle über eine besondere pädagogische Qualifikation. Ausweislich eines Vermerks der zuständigen Sozialarbeiterin vom 3. Februar 1999 über eine Sitzung des Fachgremiums vom 1. Februar 1999 gab es in dieser Pflegestelle von Anfang an Probleme, wobei die Pflegeeltern sich vom Jugendamt nicht hinreichend über die Defizite und gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Kindes informiert fühlten. Aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten, schweren Entwick- lungsretardierungen und von der Pflegefamilie vermuteter Behinderungen aufgrund eines hirnorganischen Leidens teilten die Pflegeeltern anlässlich eines Besuchstermins in ihrem Haus am 11. Mai 1999 den Mitarbeitern des Kreises B. mit, dass W. I. nicht dauerhaft bei ihnen verbleiben könne. Infolge dieses Termins nahm die zuständige Sozialarbeiterin ausweislich eines Vermerks vom 28. Mai 1999 am 21. Mai 1999 erstmals fernmündlich Kontakt mit dem Kinderneurologischen Zentrum der Rheinischen Kliniken C1. auf. In dem genannten Vermerk heißt es hierzu:

"... Eine anschließende stationäre Aufnahme des Kindes im Laufe des Junis wäre dann möglich. Es folgt eine 6- bis 8- wöchige stationäre Diagnostik. Anschließend findet ein Auswertungsgespräch mit allen Beteiligten statt. Es wird dann ein Behandlungs- und Therapieplan für das Kind aufgestellt, in dem auch die Herkunftssituation des Kindes bzw. Pflege- und Erziehungsstellen mit einbezogen werden. Wird es erforderlich sein, dass W. in eine andere Erziehungsstelle bzw. in eine therapeutische Einrichtung wechseln soll oder kann, wird ein solcher Wechsel von dem H. -I1. -Haus vorbereitet und begleitet. Ein solcher Prozess kann bis zu 6 bis 8 Monaten in Anspruch nehmen. Die stationäre Unterbringung wird von der Krankenkasse übernommen. ..."

Zum 28. Juni 1999 wurde W. I. vom Jugendamt des Kreises B. auf Antrag des Amtsvormundes wieder in dem Kinderheim Hermann-K. in F. untergebracht wurde. Zwar war sich der zuständige Jugendhilfeträger auf Grund der früheren Unterbringung des Kindes in dieser Einrichtung klar darüber, dass dies keine geeignete Hilfe für W. I. war. Ausweislich eines Vermerks über eine Fachkonferenz vom 25. Juni 1999 war dieser Aufenthalt von vornherein als nur vorübergehende Lösung für zwei Monate gedacht, da im Kinderneurologischen Zentrum der Rheinischen Kliniken C1. zurzeit kein Platz frei war. Eine Aufnahme sollte erst am 20. September 1999 erfolgen. Die stationäre Aufnahme erfolgte dann auch tatsächlich zu diesem Datum.

In einem Vermerk der Sozialarbeiterin des damals zuständigen Jugendamtes vom 27. September 1999 wird zum Aufenthalt in der C2. Klinik ausgeführt: "... W. befindet sich dort für einen Zeitraum von 6 bis 8 Wochen zur stationären Diagnostik. Anschließend ergeht ein Bericht über den Entwicklungsstand des Kindes, seine mögliche Therapie und Vorschläge für eine geeignete Weiterunterbringung. Meines Erachtens endet mit der Unterbringung des Kindes nicht der gestellte Antrag auf Hilfe zur Erziehung für W. ... Die Grundlage zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung ist meines Erachtens nach wie vor gegeben. Es findet lediglich eine kostenrechtliche Unterbrechung zwecks Diagnostik statt, um das Kind anschließend einer geeigneten weiteren Unterbringung zuzuführen."

Es folgten noch Hinweise zum Taschengeld und zur Winterbekleidung, die beide weiterhin vom örtlichen Jugendhilfeträger bewilligt wurden, während die Kosten des Aufenthalts im Übrigen von der Krankenkasse getragen wurden.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 1999 wandte sich der Kreis B. als örtlich zuständiger Jugendhilfeträger an die Klägerin und bat um Übernahme des Jugendhilfefalles sowie Kostenerstattung für die Zeit ab dem 30. Juni 1999. Zu diesem Zeitpunkt sei der Vater, auf dessen gewöhnlichen Aufenthalt es zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ankomme, nach Herzogenrath verzogen. Nachdem die Dauer der Unterbringung von W. I. im Kinderneurologischen Zentrum der Rheinischen Kliniken C1. und die Erstellung der Diagnostik sich wesentlich verzögerten, fragte die Klägerin Anfang Januar 2000 beim Deutschen Institut für Vormundschaftswesen in I2. an, ob der nunmehr bereits seit mehreren Monaten andauernde Verbleib im Kinderneurologischen Zentrum als Abbruch der bisher geleisteten Jugendhilfe zu verstehen sei. In seiner Stellungnahme vom 26. Januar 2000 verneinte dies das Deutsche Institut für Vormundschaftswesen. Im vorliegenden Fall sei die Jugendhilfe nicht von dem Kind oder einem Personensorgeberechtigten abgebrochen, sondern lediglich durch den von der Krankenkasse finanzierten Aufenthalt in der neurologischen Klinik "überlagert" worden. Es könne deshalb nicht von einer Unterbrechung der Jugendhilfe gesprochen werden.

Im ärztlichtherapeutischen Zwischenbericht vom 10. Februar 2000 diagnostizierten der Abteilungsarzt Prof. Dr. T1. und die Kinderärztin Dr. S1. bei W. I. einen Zustand nach gravierender psychosozialer Deprivation und zahlreichen Beziehungsabbrüchen, einen dringenden Verdacht auf erlebte sexuelle Übergriffe, ein posttraumatisches Belastungssyndrom, eine gravierende Störung der Emotionen und des Sozialverhaltens mit autistischen Verhaltensweisen, einen zum Teil ausgeprägten allgemeinen Entwicklungsrückstand mit Betonung im sprachlichen Bereich, ferner rezidivierende komplizierte Fieberkrämpfe. Derzeit würden gemeinsam mit den Jugendämtern B. und I3. eine neue familiäre Perspektive für W. erarbeitet und die dauerhafte Vermittlung des Kindes in eine Fachpflegefamilie geplant.

Am 6. Juni 2001 verließ W. das Kinderneurologische Zentrum der Rheinischen Kliniken C1. und wurde im Rahmen der Hilfe zur Erziehung in die sonderpädagogische Betreuungsstelle Frau und Herr C3. in D. untergebracht. Im Abschlussbericht der C2. Klinik vom 15. Juni 2000 heißt es:

"Wie auch in unserem Zwischenbericht vom 10. Februar 2000 ausgeführt, gehen wir bei W. einerseits von einem gravierenden posttraumatischen Belastungssyndrom durch erlebten sexuellen Missbrauch, zahlreiche Beziehungsabbrüche und psychosoziale Deprivation aus. Betreffs ihres derzeit noch deutlichen allgemeinen Entwicklungsrückstandes, der zum Entlassungszeitpunkt im Bereich der geistigen Behinderung lag, müssen neben den oben genannten psychosozialen Faktoren auch die ätiologisch nicht sicher geklärten neurologischen Defizite ursächlich mit berücksichtigt werden. Das zugehörige Entwicklungsalter lag zum Zeitpunkt der Entlassung zwischen 2 und 2 1/2 Jahren, worauf man sich im alltäglichen Umgang mit ihr einstellen muss. ... Ab August 2000 kann W. in ihrem neuen Zuhause einen Heilpädagogischen Sonderkindergarten besuchen. Nach einem halben Jahr Eingewöhnungszeit ist auch die Fortführung der psychotherapeutischen Einzelbehandlung durch eine Therapeutin vor Ort geplant, die die Pflegefamilie ... sehr gut kennt."

Mit Schreiben vom 11. Februar 2000 teilte die Klägerin dem Jugendamt des Kreises B. mit, dass im Hinblick auf das vorliegende Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Vormundschaftswesen die örtliche Zuständigkeit anerkannt werde und sie federführend die notwendigen Schritte im Hinblick auf eine adäquate Unterbringung des Kindes im Anschluss an den Aufenthalt im Kinderneurologischen Zentrum in C1. in die Wege leiten werde. Am 1. Februar 2000 verzog der Vater von W. I. in den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Nachdem der Klägerin dies bekannt geworden war, forderte sie mit Schreiben vom 12. Mai 2000 die Beklagte erstmals auf, den Jugendhilfefall zu übernehmen. Zugleich machte sie Kostenerstattung ab dem 1. Februar 2000 geltend. Ferner regte sie im Hinblick auf eine adäquate Unterbringung des Kindes im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt an, den allgemeinen Sozialdienst der Beklagten in die weitere Planung einzubeziehen. Vor einer Entscheidung forderte die Beklagte mit Schreiben vom 19. Mai 2000 die Klägerin zunächst auf, weitere Unterlagen vorzulegen. Es dränge sich aufgrund der bislang übersandten Unterlagen die Frage auf, ob es sich im vorliegenden Falle nicht um Eingliederungshilfe gemäß den §§ 39, 100 BSHG handele. Da W. sich zurzeit in einer Kinderneurologischen Einrichtung befinde, sei es naheliegend, auch diese Frage medizinisch abklären zu lassen. Im Übrigen sei unklar, welche Kosten zu erstatten seien.

Auf eine entsprechende Nachfrage der Klägerin, ob W. dem Personenkreis des § 39 BSHG oder dem Personenkreis der seelisch Behinderten im Sinne von § 35 a SGB VIII zuzuordnen sei und welche Maßnahmen der Eingliederungshilfe in Betracht kämen, teilte das Kinderneurologische Zentrum mit Schreiben vom 26. September 2000 mit:

"Bei W. lag zum Zeitpunkt der stationären Behandlung bei uns im Hause ein Mischbild aus einer gravierenden seelischen Behinderung im Rahmen eines posttraumatischen Belastungssyndroms (Zustand nach psychosozialer Deprivation, sexuellem Missbrauch und zahlreichen Beziehungsabbrüchen) und aus neurologischen Problemen (deutlicher allgemeiner Entwicklungsrückstand, rezidivierende Fieberkrämpfe) vor. Bei der notwendigen Unterbringung von W. in einer sonderpädagogischen Fachpflegestelle stand die Hilfe zur Erziehung aufgrund der seelischen Behinderung des Kindes und der Erziehungsunfähigkeit seiner Eltern und Großeltern absolut im Vordergrund. Wenn ihre damalige familiäre psychosoziale Situation intakt gewesen wäre, hätte W. aufgrund ihrer neurologischen Auffälligkeiten nicht in eine Fachpflegestelle vermittelt werden müssen."

Auch in der Folge verweigerte die Beklagte die Übernahme des Hilfefalles. Sie vertrat die Auffassung, dass während des Aufenthalts im Kinderneurologischen Zentrum eine Leistungsunterbrechung stattgefunden habe. Der Argumentation des Gutachtens des Deutschen Vereins für Vormundschaftswesen folge sie insofern, als angesichts einer fehlenden Rückkehrmöglichkeit in den elterlichen Haushalt unter Umständen an einem fortbestehenden Bedarf auf Hilfe kein Zweifel bestehe. Im vorliegenden Fall sei jedoch zum Zeitpunkt der Unterbringung in der Klinik aufgrund des Krankheitsbildes überhaupt nicht klar gewesen, ob nach Abschluss der Diagnostikphase die Jugendhilfe die richtige Hilfeform sei. Es hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, dass das Kind der Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG bedurft hätte. In diesem Zusammenhang müsse auch berücksichtigt werden, dass einige Wochen vor der Aufnahme ins Krankenhaus die Unterbringung in der Erziehungsstelle S. beendet werden musste. Die Unterbringung im F. Kinderheim sei nur erfolgt, weil kurzfristig bis zum Krankenhausaufenthalt keine anderweitige Hilfemöglichkeit habe angeboten werden können. Die Jugendhilfe habe damals nicht gewusst, welche adäquate Hilfe W. I. angeboten werden konnte; dies sollte während des Aufenthalts im Kinderneurologischen Zentrum überhaupt erst abgeklärt werden. In Anbetracht der langen Dauer der Behandlung könne somit nicht von einer bloßen Überlagerung der Jugendhilfe durch die von der Krankenkasse finanzierte Behandlung gesprochen werden.

Daraufhin wandte sich die Klägerin vorsorglich mit Schreiben vom 20. Juni 2001 an das Jugendamt C1. und bat um Übernahme des Falles. Am 15. September 2001 zog der Kindesvater aus dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten in den Kreis B. . Mit Schreiben vom 1. Februar 2002 übernahm das Jugendamt des Kreises B. den Hilfefall W. I. und erstattete der Klägerin die ab der Zeit vom 15. September 2001 entstandenen Kosten in diesem Hilfefall.

Die Klägerin hat am 27. September 2002 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die Beklagte in der Zeit vom 1. Februar 2000 bis zum 14. September 2001 örtlich zuständiger Jugendhilfeträger gewesen und deshalb zur Erstattung der entstandenen Aufwendungen im Hilfefall W. I. verpflichtet sei. Maßgeblich sei insoweit auf den Aufenthalt des Vaters des Kindes abzustellen, in dessen Haushalt und im Haushalt der Großeltern väterlicherseits W. I. in den letzten sechs Monaten vor Beginn der Hilfe gelebt habe. Der Vater habe im hier streitbefangenen Zeitraum im Zuständigkeitsbereich der Beklagten gelebt. Die Beklagte könne sich insbesondere nicht darauf berufen, dass der Hilfefall durch die 8 1/2 Monate dauernde Behandlung im Kinderneurologischen Zentrum der Rheinischen Kliniken in C1. unterbrochen worden sei. Zum einen enthalte das SGB VIII keine ausdrückliche Regelung für eine Unterbrechung. Selbst wenn man in einer Zusammenschau der Vorschriften eine solche Unterbrechung für möglich halte, lägen deren Voraussetzungen nicht vor. So habe nach obergerichtlicher Rechtsprechung eine Maßnahme ihren Charakter als Jugendhilfe nicht deshalb verloren, weil zeitweise der Sozialversicherungsträger die Hauptkosten im Hilfefall trage. Die von der Beklagten vorgetragenen Argumente, vor Aufnahme in das Krankenhaus habe die Möglichkeit der Zuordnung des Kindes zum Personenkreis der § 39 BSHG bestanden und es sei zu berücksichtigen, dass die Hilfe nach § 33 SGB VIII in der Erziehungsstelle S. habe beendet werden müssen, rechtfertigten nicht die Annahme einer rechtserheblichen Leistungsunterbrechung. Die Vermutung des Vorliegens einer geistigen Behinderung löse noch keine Rechtsfolgen aus. Erst ab dem Zeitpunkt der definitiven Feststellung einer entsprechenden Behinderung sei Raum für die in § 10 SGB VIII normierte Nachrangregelung. Der Umstand, dass faktisch die Betreuung in der Erziehungsstelle S. beendet worden sei, stelle nicht den Schlusspunkt der Hilfe zur Erziehung dar. Der seinerzeitig zuständige Träger, das Kreisjugendamt B. , habe den Hilfefall auch nicht formell eingestellt, sondern sei davon ausgegangen, dass die Hilfe weiter andauere. Er habe deshalb ab dem 15. September 2001 den Hilfefall erneut übernommen. Zur Bestätigung ihres Rechtsstandpunkts legte die Beklagte eine Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht vom 13. Juni 2003 vor. Dort wurde davon ausgegangen, dass keiner der beiden beteiligten Jugendhilfeträger eine Hilfeeinstellung verfügt habe. Vielmehr sei im Rahmen der bestehenden Hilfe zur Erziehung intensiv nach geeigneten Pflegeeltern für W. gesucht worden, weil eine Rückkehr zu einem Elternteil ausgeschlossen gewesen sei. Eine Unterbrechung sei auch nicht dadurch bewirkt worden, dass für das Kind während des 8 1/2- monatigen Aufenthaltes im Kinderneurologischen Zentrum keine Leistungen zum Unterhalt einschließlich der Kosten der Erziehung angefallen seien. Auch sei die Hilfe zur Erziehung nicht durch konkludentes Verhalten beendet worden. Aus der obergerichtlichen Rechtsprechung lasse sich nicht der Schluss ziehen, dass eine Leistungsunterbrechung von mehr als drei Monaten grundsätzlich zu einer Neubestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 SGB VIII führe. Hilfe zur Erziehung sei zumindest durch Übernahme der Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung nach § 40 Satz 2 SGB VIII zu Beginn des Jahres 2000 gewährt worden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, die im Zeitraum vom 1. Februar 2000 bis zum 14. September 2001 entstandenen ungedeckten Aufwendungen im Rahmen der Hilfegewährung nach den §§ 27 ff. SGB VIII für W. I. in Höhe von 49.600,70 EUR (= 97.010,53 DM) nach Maßgabe der §§ 89 ff. SGB VIII nebst Prozesszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz an die Klägerin zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist bereits der Auffassung, dass die Klägerin für die Hilfegewährung, die ursprünglich beim Kreis B. gelegen habe, nicht zuständig geworden sei. Im Übrigen halte sie an ihrer Auffassung fest, dass durch den Aufenthalt des Kindes in C1. eine Leistungsunterbrechung eingetreten sei. Zuständig für die weitere Hilfegewährung sei daher die vor der Unterbrechung zuständige Behörde. Es könne zutreffen, dass vor Beginn des Aufenthaltes im Krankenhaus die mit dem Fall betrauten Behörden von einem langfristigen Hilfebedarf des Kindes auch nach Abschluss der Betreuung im Kinderneurologischen Zentrum ausgegangen seien. Fraglich seien zum damaligen Zeitpunkt der Umfang und die Art des Hilfebedarfs sowie die aufgrund entsprechender Feststellungen erforderlichen Leistungen gewesen. Auch die Klägerin habe angenommen, dass bei dem Kind sowohl seelische als auch geistige Behinderungen in Betracht kommen könnten. Im Falle einer geistigen Behinderung wäre aber nicht Jugendhilfe, sondern Eingliederungshilfe nach dem BSHG zu gewähren gewesen. Es sei keineswegs sicher gewesen, dass das Kind nach Beendigung des Aufenthaltes wieder Leistungen nach dem SGB VIII erhalten sollte. Dies lasse nur den Schluss zu, dass die Leistungsgewährung für den Zeitraum des Aufenthaltes in C1. unterbrochen gewesen sei.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Klägerin und der Beklagten sowie die im Verfahren gewechselten Schriftsätze samt beigefügter Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die als allgemeine Leistungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung bezüglich der von ihr erbrachten Jugendhilfeleistungen für W. I. in der Zeit vom 1. Februar 2000 bis zum 14. September 2001.

Als Anspruchsgrundlage für das Erstattungsbegehren kommen hier nur die §§ 89 ff. SGB VIII in Betracht. Welche dieser Erstattungsnormen hier eingreift, kann ebenso dahingestellt bleiben wie die unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten zum Wechsel der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 3 SGB VIII bei Eltern, denen das Personensorgerecht während der Leistungsgewährung entzogen wurde, da die Klage aus anderen Gründen abzuweisen ist.

Die Klage hat hier jedenfalls keinen Erfolg, weil die Bewilligung von Jugendhilfe während des Aufenthaltes von W. I. im Kinderneurologischen Zentrum der Rheinischen Kliniken C1. vom 20. September 1999 bis zum 6. Juni 2000 "unterbrochen" und daher bei Wiedergewährung der Hilfe ab dem 7. Juni 2000 der zuständige örtliche Jugendhilfeträger neu zu bestimmen war. Wegen der Unterbrechung der Jugendhilfe kann zu dem letztgenannten Zeitpunkt nicht mehr auf den damaligen Wohnsitz des Vaters in B. nach § 86 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII abgestellt werden, da W. I. in den letzten sechs Monaten vor Aufnahme der Hilfe (7. Juni 2000) nicht mit ihm zusammengelebt hatte. Die Bestimmung des örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers ist deshalb nach § 86 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII in entsprechender Anwendung vorzunehmen, d.h. es ist auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in den letzten sechs Monaten vor Beginn der Leistung abzustellen. Da dieser zu keinem Zeitpunkt in B. war, ist die Beklagte nicht kostenerstattungspflichtig.

Wann von einer "Unterbrechung der Jugendhilfeleistungen" auszugehen ist, ist im SGB VIII nicht allgemein geregelt. Soweit das Gesetz den Begriff der "Unterbrechung der Leistung" verwendet, muss diese in den in §§ 86 Abs. 7 Satz 4, 86a Abs. 4 Satz 2, 86 b Abs. 3 Satz 2 SGB VIII angesprochenen Konstellationen mindestens drei Monate dauern und ist auf besondere, genau bezeichnete Kreise von Hilfebeziehern, zu denen W. I. nicht gehört, beschränkt. Darüber hinaus beschränkt die "Unterbrechung der Leistung" in § 95 Abs. 3 SGB VIII den Zeitraum der Wirksamkeit einer rechtswahrenden Anzeige, wenn dieser mehr als zwei Monate andauert.

Die obergerichtliche Rechtsprechung,

vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 1997 - 9 S 174/96 - FEVS 48 (1998), S 131 ff., so auch Kunkel in LPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 86 Rdnr. 8,

hat aus einer Gesamtschau der zitierten Vorschriften geschlossen, dass Hilfeleistungen nur dann als "unterbrochen" angesehen werden sollen, wenn sie während einer längeren Zeit (mindestens drei Monate) davor nicht erbracht werden. In der genannten Entscheidung hat das Gericht zugleich zum Ausdruck gebracht, dass allein ein bestimmter Zeitablauf zur Annahme einer Unterbrechung nicht ausreicht. Vielmehr kann die "Unterbrechung" nur auf Grund des Gesamtumstände des Hilfefalles ermittelt werden. Dieser Auffassung schließt sich auch das erkennende Gericht an. Für die Annahme einer Unterbrechung kann z.B. sprechen, dass nach Leistungsgewährung die Hilfe faktisch oder förmlich eingestellt wurde oder aufgrund der gegebenen Verhältnisse die Einstellung die einzig fachlich vertretbare Entscheidung war und wegen des unklaren zukünftigen Hilfebedarfs eine konkrete Wiederaufnahmeperspektive der bisher geleisteten Hilfe nicht gegeben war,

vgl. etwa VG B. , Urteil vom 30. Dezember 2002 - 2 K 4480/97-, bestätigt durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein Westfalen, Beschluss vom 24. Mai 2005 -12 A 2451/03 -.

In der oben angeführten Literatur,

Kunkel in LPK-SGB VIII a.a.O.,

werden eine Unterbrechung und ein Neubeginn der Hilfeleistungen weiter angenommen in den Fällen, in denen die Leistung im Sinne des Leistungskatalogs des § 2 Abs. 2 SGB VIII wechselt (z.B. zukünftig Eingliederungshilfe - § 2 Abs. 2 Nr. 5 SGB VIII - statt bisher Hilfe zur Erziehung - § 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII -). Demgegenüber wird der Wechsel der Hilfeart (z.B. innerhalb der Hilfe zur Erziehung von der Vollzeitpflege im Sinne des § 33 SGB VIII zur Heimerziehung im Sinne des § 34 SGB VIII) nicht als eine Unterbrechung der bisherigen Leistung bzw. ein Neubeginn der Leistung bewertet. Eine Unterbrechung der Jugendhilfe liegt nach Auffassung des erkennenden Gerichts in den Fällen nicht vor, in denen für ein Kind oder einen Jugendlichen zunächst Jugendhilfe gewährt wurde, der Begünstigte aber auf Grund eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung zu einem länger als drei Monate dauernden Krankenhausaufenthalt gezwungen ist, um nach Gesundung anschließend wieder in die gleiche Einrichtung oder Pflegefamilie zurückzukehren. Dies gilt selbst in den Fällen, in denen die stationäre Behandlung von einem anderen Sozialleistungsträger, wie z.B. der Krankenkasse, finanziert wurde. Denn hier stand die Wiederaufnahme der bislang gewährten Jugendhilfe nach Behebung der krankheits- oder unfallbedingten Beeinträchtigungen von vorneherein fest. Maßgeblich ist insoweit immer die Situation, wie sie sich zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses darstellt, das zu einer Einschätzung der Frage zwingt, ob die Hilfe nun unterbrochen ist oder nicht. In keinem Fall darf diese Beurteilung aus einer ex- post-Betrachtung vorgenommen werden.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist hier mit der Aufnahme von W. I. in das Kinderneurologische Zentrum der Rheinischen Kliniken C1. die Jugendhilfe unterbrochen worden. Zwar ist der Klägerin einzuräumen, dass die zuständige Sozialarbeiterin ausweislich der im Tatbestand ausführlich wiedergegebenen Vermerke vom 28. Mai 1999 und 27. September 1999 zunächst nur von einem Verbleib im Krankenhaus über einen Zeitraum von 6 bis 8 Wochen ausgegangen ist, um eine Diagnose zu erstellen, die möglichen Therapien aufzuzeigen sowie im Anschluss eine geeignete Hilfeform zu finden. Nachdem diese Frist für die Erstellung der Diagnostik nicht gehalten werden konnte - sie wurde nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen erstmals im Zwischenbericht des Kinderneurologischen Zentrums der Rheinschen Kliniken C1. vom 10. Februar 2000 mitgeteilt - war dem Erfordernis des Zeitmoments für eine rückwirkende Annahme einer Unterbrechung spätestens nach drei Monaten Rechnung getragen. Denn erst nach der Vorlage dieses Zwischenberichts setzte auch die Suche von Jugendamt und Klinik nach einer geeigneten Sonderpflegestelle ein. Erst damit beginnt frühestens die Vorbereitung einer neuen jugendhilferechtlichen Maßnahme.

Auch die übrigen Umstände des Falles W. I. sprechen klar für eine Einstellung der Jugendhilfe. Es war bei Aufnahme des Kindes in die C2. Klinik weder klar, ob für das Kind weiterhin Jugendhilfe in Form der Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII oder Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII oder nach den §§ 39 ff. BSHG zu leisten war, noch gab es eine konkrete Hilfe in Form der Vollzeitpflege oder der Heimunterbringung, die nach dem Krankenhausaufenthalt fortgesetzt werden konnte oder sollte. Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, waren die bisherigen Bemühungen des damals zuständigen Jugendamtes, für W. eine adäquate Maßnahme der Hilfe zur Erziehung zu finden, gescheitert. Da die Heimunterbringung nicht den angemessenen Rahmen für eine den Defiziten des Kindes gerecht werdende Hilfe zur Erziehung bieten konnte, veranlasste der frühere örtliche Jugendhilfeträger die Unterbringung W.s bei Familie S. als Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege. Die Pflegefamilie S. , die bereits über besonderen pädagogischen Sachverstand und über Erfahrungen in der Arbeit mit behinderten Kinder verfügte, sah sich jedoch aufgrund der schweren Auffälligkeiten des Kindes völlig überfordert und verlangte schon nach einem halben Jahr kurzfristig die Herausnahme aus ihrem Haushalt. Von dieser Pflegefamilie kamen wohl die Hinweise auf die neurologischen Auffälligkeiten W. s und wegen der enormen Entwicklungsretardierungen des Kindes auch die Vermutung, es könnte eine geistige Behinderung vorliegen. Zwar wurde W. im Anschluss für eine Übergangszeit von knapp drei Monate (26. Juni bis 20. September 1999) im Kinderheim I.-K. in F. untergebracht. Der damals zuständige Jugendhilfeträger war sich aber bewusst, dass dies nur ein Notbehelf bis zur geplanten Klinikaufnahme und nicht die geeignete Form der Jugendhilfe für W. war. Es gab somit für den damals zuständigen Jugendhilfeträger keine konkrete jugendhilferechtliche Maßnahme, die nach dem Klinikaufenthalt hätte fortgesetzt werden können.

Hinzu kommt, dass er bei seinen Erwägungen zur Unterbrechung der Jugendhilfe die realistische Möglichkeit einzubeziehen hatte, dass W. wegen einer geistigen Behinderung zukünftig völlig aus der Jugendhilfe ausscheiden würde, weil sie nach dem Ergebnis der klinischen Untersuchungen gegebenenfalls in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. BSHG unterzubringen war. Diese Auffassung des Gerichts stützt sich zum einen darauf, dass die Berichte der damals zuständigen Sozialarbeiterin und der Fachgremien aus fachlicher Sicht keine Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung der Pflegefamilie S. erkennen lassen oder dieser gar entgegengetreten sind. Dass diese Vermutung einer geistigen Behinderung nicht fernliegend, sondern durchaus ernst zu nehmen war, haben später auch die Berichte des Kinderneurologischen Zentrums der Rheinischen Kliniken C1. vom 10. Februar 2000 und 15. Juni 2000 bestätigt. So heißt es im letztgenannten Bericht ausdrücklich, dass bei W. I. ein deutlicher allgemeiner Entwicklungsrückstand vorliege, der zum Entlassungszeitpunkt im Bereich der geistigen Behinderung gelegen habe. Neben psychosozialen Faktoren müssten auch die ätiologisch nicht sicher geklärten neurologischen Defizite ursächlich mit berücksichtigt werden. Aus medizinsicher Sicht konnten die behandelnden Ärzte somit auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht hinreichend sicher abklären, inwieweit neurologische Defizite (also organisches Leiden) die Entwicklungsdefizite W. s mit beeinflussen. Die Zuständigkeit der Jugendhilfe begründeten sie aus medizinischer Sicht mit dem Überwiegen der psychosozialen Faktoren.

Entgegen der Auffassung der Klägerin musste der örtliche Jugendhilfeträger diese Möglichkeit einer geistigen Behinderung bei seinen Überlegungen im Jahre 1999 nicht außer Acht lassen, weil ärztlicherseits noch keine entsprechenden Feststellungen getroffen war. Diese medizinischen Feststellungen sind nämlich nur dann zwingend notwendig, wenn es um die konkrete Bewilligung der zutreffenden Hilfe geht. Im Rahmen der Erwägungen, ob die Jugendhilfe unterbrochen ist, war unter Würdigung entsprechender Anzeichen nur die ernsthafte Möglichkeit eines solchen Ergebnisses in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen. Eines entsprechenden ärztlich bestätigten Befundes bedurfte es in diesem Rahmen nicht. Dass hier Anlass für solche Erwägungen bestand, ist oben dargelegt.

Eine abweichende Entscheidung ist auch nicht durch den Bericht der Kinderneurologischen Klinik vom 26. September 2000 geboten. Zwar sprechen die Ärzte dort von einer im Vordergrund stehenden seelischen Behinderung des Kindes und der Erziehungsunfähigkeit der Herkunftsfamilie als Gründe für eine Fortdauer der Zuständigkeit der Jugendhilfe im Rahmen einer Hilfe zur Erziehung während des Klinikaufenthaltes. Diese Feststellung ist aber aus einer expost-Betrachtung getroffen und beruht nicht auf dem Wissensstand des Jugendamtes zu dem Zeitpunkt, zu dem es die Frage, ob die Hilfegewährung unterbrochen war, zu entscheiden hatte.

Bei dieser Sachlage kommt es für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens nicht darauf an, dass weder der Amtsvormund die Einstellung der Hilfe beantragt noch die damals zuständige Sachbearbeiterin die förmliche Einstellung der Hilfe verfügt hat, ja die Sachbearbeiterin ausdrücklich in dem im Tatbestand wiedergegebenen Vermerk vom 27. September 1999 davon ausgegangen ist, dass die Zuständigkeit der Jugendhilfe nicht beendet sei. Es reicht für die Annahme einer Unterbrechung aus, dass diese unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles spätestens nach Ablauf von drei Monate nach Aufnahme in das Krankenhaus der zutreffende fachliche Befund war. Eine auf einer fehlerhaften rechtlichen Einschätzung des Jugendamtes beruhende Fortführung der Jugendhilfe ist nicht geeignet, der Annahme einer Unterbrechung entgegenzustehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die vorliegende Klage nach dem 1. Januar 2002 erhoben wurde, ist das Verfahren nicht mehr gerichtskostenfrei (vgl. § 188 Satz 2 2. Halbsatz VwGO i.V.m. § 194 Abs. 5 VwGO.