VG Köln, Beschluss vom 09.11.2005 - 20 L 1794/05
Fundstelle
openJur 2011, 38867
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 08.11.2005 wiederherzustel- len,

ist unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht nach Anordnung der sofortigen Vollziehung eines belastenden Verwaltungsaktes die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der auf- schiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers am Auf- schub der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Vorliegend spricht vieles für die Rechtmäßig- keit des angegriffenen Versammlungsverbotes, so dass die anzustellende Interes- senabwägung auch unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen, die an einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu stellen sind, zu Lasten des Antragstellers ausfällt.

Bei dieser Entscheidung orientiert sich die Kammer an den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur Inanspruchnahme des Grundrechts der Versamm- lungsfreiheit und zur Auslegung des § 15 VersG im Einzelnen ausgeführt hat,

vgl. BVerfGE, 69, 315 ff.; Beschlüsse vom 21.04.1998, NVwZ 1998, 834 ff., vom 21.04.2000 - 1 BvQ 10/00, vom 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00, vom 18.08.2000, NJW 2000, 3053 ff., vom 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 sowie 1 BvQ 9/01, vom 24.03.2001, NJW 2001, 2069 ff., vom 07.04.2001, NJW 2001, 2072 ff., vom 12.04.2001, NJW 2001, 2075 f., vom 01.05.2001, NJW 2001, 2076 ff. und 2078 f, vom 11.04.2002 - 1 BvQ 12/02, vom 14.08.2003 - 1 BvQ 30/03, vom 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03, NVwZ 2004,90, Senatsbeschluss vom 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04, NJW 2004,2814, zuletzt Beschluss vom 16.08.2005 - 1 BvQ 25/05.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbie- ten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmit- telbar gefährdet ist. Aus der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) folgt, dass nicht jede Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ord- nung ein Verbot oder eine Auflösung der Versammlung rechtfertigt. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat vielmehr eine Güterabwägung stattzu- finden mit der Folge, dass ein Verbot nur zulässig ist, wenn es zum Schutz anderer, dem Versammlungsrecht gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist,

vgl. BVerfG, aaO.

Gemessen an diesen hohen Anforderungen sind der Verbotsverfügung des Antragsgegners und den von ihm vorgelegten Unterlagen bzw. Erkenntnissen hinreichend konkrete Anhaltspunkte zu entnehmen, dass bei der vorgesehenen Veranstaltung ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit unmittelbar droht.

Zwar mag das Motto der angemeldeten Versammlung „Gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung!" einerseits die politische Grundeinstellung des Antragstellers als Anmelder der Versammlung zum Ausdruck kommen lassen, andererseits von der Formulierung her für sich genommen aber noch nicht geeignet sein, eine erhebliche Beeinträchtigung des allgemeinen sittlichen Empfindens zu provozieren. Jedenfalls deuten aber bezüglich dieser Versammlung nunmehr gewichtige Anhaltspunkte auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hin, die dafür sprechen, die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung aufrecht zu erhalten. Insbesondere ist dabei auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Tag der angemeldeten Versammlung, dem 09.11.2005, um den Jahrestag der von den Nationalsozialisten so genannten „Reichskristallnacht" vom 09.11.1938 handelt, an dem Pogrome gegen jüdische Mitbürger auch in Köln stattgefunden haben; der vom Antragsteller für die vorgesehene Zwischenkundgebung gewählte Ort liegt in unmittelbarer Nähe der in dieser Nacht zerstörten jüdischen Synagoge.

Der Antragsgegner hat in seiner Verbotsverfügung - unter Beachtung des hohen Stellenwerts der Versammlungsfreiheit - ausführlich dargelegt, dass seitens des An- tragstellers bei einer Durchführung der angemeldeten Versammlung die unmittelbare Gefahr der Verwirklichung von Straftaten nach § 130 Abs. 4 StGB besteht. Auf diese Ausführungen nimmt die Kammer - auch angesichts der ihr zur Verfügung stehenden geringen Zeit - ausdrücklich Bezug. Von maßgeblichem Gewicht für die anzustellende Prognose ist das gegen den An- tragsteller ergangene - im vorgelegten Verwaltungsvorgang befindliche - Urteil des LG Bochum vom 09.09.2005, mit dem dieser zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen Volksverhetzung (Verstoß gegen § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) verurteilt worden ist. Nach den vom LG Bochum getroffenen Feststellungen hat der Antragsteller bei einer knapp 7 Minuten langen Rede am 26.04.2004 in C. bei einer Versammlung unter freiem Himmel zu dem Motto: „Keine Steuergelder für den Synagogenbau" seine judenfeindliche Gesinnung kundgetan, wobei er wusste, dass diese Rede geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören (S. 17-24 der Ur- teilsausfertigung). Dass der Antragsgegner im Hinblick auf die eingehenden und ein- deutigen Ausführungen des Landgerichts befürchtet, dass es bei der geplanten Kundgebung am 09.11.2005 zu ähnlichen Vorfällen und damit zu einem Verstoß gegen den durch Gesetz vom 24.03.2005 neu geschaffenen § 130 Abs. 4 StGB kommt, ist nicht zu beanstanden. Ob diese Vorschrift verfassungsrechtlich unbe- denklich ist, kann in der Kürze der Zeit und zumal in einem summarischen Verfahren nicht näher erörtert werden. Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anzustellen- den Interessenabwägung hat die Kammer vor allem mitberücksichtigt, dass der Ge- setzgeber ein Eingreifen gegen Störungen des öffentlichen Friedens durch Schaffung einer neuen Strafrechtsnorm für erforderlich erachtet und dabei den von einer Ver- sammlung ausgehenden Gefahren ein hohes Gewicht beigemessen hat.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.08.2005 - 1 BvQ 25/05.

Schließlich ist nicht zu erkennen, dass mildere Mittel als das Verbot, nämlich versammlungsrechtliche Auflagen und ggf. deren Durchsetzung mit polizeilichen Mitteln, zur Beseitigung oder zumindest deutlichen Reduzierung der Gefahrenlage ausreichten. Dies folgt aus dem besonderen Charakter der hier in Frage stehenden Straftaten und liegt vor allem auch in der Person des Antragstellers begründet; diesbezüglich ist ebenfalls auf die Gründe des Urteils des LG Bochum zu verweisen. Zwar ist - worauf sich der Antragsteller beruft - das Urteil noch nicht rechtskräftig, aber für das vorliegende Eilverfahren kann die eingehende Würdigung des Landgerichts, wonach der Antragsteller in der Öffentlichkeit als zum geistigen Führungskader der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen gehörend auftritt, jedenfalls zugrunde gelegt werden.

Hinzu kommt, dass nach den der Kammer vorliegenden Erfahrungsberichten des PP Leverkusen über den vom Antragsteller angemeldeten Aufzug am 09.11.2004 in Leverkusen unter dem identischen Motto (diese Versammlung war Gegenstand des Verfahrens VG Köln - 20 L 3046/04) in aggressiver Weise rechtsradikale Parolen skandiert, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet wurden und eine Verherrlichung und Verharmlosung des Nationalsozialismus stattgefunden hat. Im Übrigen hat sich die rechtliche Ausgangslage durch die Neuschaffung des § 130 Abs. 4 StGB geändert, diese Vorschrift gab es am 09.11.2004 noch nicht. Unter diesen Umständen vermag die Kammer - insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ihr für eine Entscheidung nur ein äußerst knapp bemessener Zeitraum zur Verfügung steht - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 09.11.2005 nicht zu erkennen, wie durch konkrete Auflagen der Gefahr für die öffentliche Sicherheit hinreichend wirksam begegnet werden könnte.

Das Verbot jeglicher Ersatzveranstaltungen an diesem Tage zu dem vom Antragsteller benannten Thema begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken; der Antragsteller hat sich hiergegen auch nicht gewendet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.