LAG Hamm, Urteil vom 10.01.2006 - 19 Sa 1258/05
Fundstelle
openJur 2011, 38578
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 Ca 2246/04

1. Werden in einem Abmahnungsschreiben mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt und beruht eine auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung oder Tatsachenannahme, so muss das Abmahnungsschreiben vollständig aus der Personalakte entfernt werden.

2. Eine Behauptung mit Nichtwissen über Vorgänge im eigenen Geschäftsbereich ist unzulässig, wenn die Partei versäumt hat, sich über den Gegenstand der Behauptung zuvor im eigenen Geschäftsbereich zu erkundigen

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 25.04.2005 - 2 Ca 3346/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit dreier dem Kläger erklärter Abmahnungen.

Der 56 Jahre alte, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit dem 01.01.1999 als Chefarzt bei der Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsverdienst beträgt durchschnittlich 9.900,00 €.

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus.

Die Beklagte hat den Kläger unter dem 10.08.2004 drei Abmahnungen erteilt.

Zwischenzeitlich wurde das Arbeitsverhältnis von der Beklagten unter dem 21.09.2005 ordentlich zum 31.03.2006 gekündigt.

Der Kläger hat die Thorax- und Kardiovascularchirurgische Abteilung im Hause der Beklagten geleitet. Dem Dienstverhältnis liegt der Dienstvertrag vom 19.11.1998 zugrunde, der in § 12 vorsieht, dass bei Meinungsverschiedenheiten aus diesem Dienstvertrag vor Beschreiten des Rechtsweges zunächst die beim Diakonischen Werk in Münster bestehende Schlichtungsstelle anzurufen. Das Schlichtungsverfahren wurde hinsichtlich der streitgegenständlichen Abmahnungen am 04.11.2004 ergebnislos durchgeführt.

Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 10.08.2004 folgende "Abmahnung - Vorfall vom 31.03.2004":

"...am 31.03.2004 wurde auf Ihre Veranlassung bei einem Patienten eine Narkose eingeleitet, um eine Lungenoperation vorzunehmen. Diese Narkose wurde nach rd. 1½ Stunden wieder ausgeleitet, ohne daß der Patient operiert worden war.

Es fällt Ihnen als pflichtwidriges Verschulden zur Last, daß die Operation in Ansehung der von Ihrer Abteilung mit Schreiben vom 29.03.2004 angezeigten Häufung von Infektionen nach Thoraxoperationen eingeleitet worden ist. In Ansehung des Ihrer Abteilung am 31.03.2004 und damit vor Einleitung der Anästhesie am 01.04.2004 vorliegenden Schreibens des hygieneverantwortlichen Ärztlichen Direktors Prof. Dr. R3xxxx war für thoraxchirurgische Eingriffe kein Raum.

Obwohl es sich bei den angezeigten drei Infektionen nach Ihrer Einschätzung um ungewöhnliche auf einer beseitigbaren systemischen Ursache beruhenden Sepsen handelte, haben Sie es unterlassen, nach Kenntnis von dem dritten Infektionsfall - 15.03.2004 - unverzüglich die notwendigen Schritte zur Klärung des Sachverhaltes einzuleiten. Bekanntlich konnte noch am 31.03.2004 unter Einschaltung des Krankenhaushygienikers, Herrn Prof. Dr. B5xxxxx, der Hygienefachkraft und der an den in dem - verspäteten - Schreiben vom 29.03.2004 aufgezeigten Operationen Beteiligten eine Klärung der Frage des epidemiologischen Zusammenhangs der drei Sepsisfälle nach Lungenresektionen herbeigeführt werden, und zwar in dem Sinne, daß ein epidemiologischer Zusammenhang zu verneinen war. Dieses Ergebnis hätte sich auch schon unverzüglich nach dem 15.03.2004 und dem Tag der Kenntnis von dem dritten Sepsisfall herbeiführen lassen, wobei es Ihnen als pflichtwidriges Verhalten zur Last fällt, die notwendige Aufklärung nicht umgehend eingeleitet zu haben. Statt dessen haben Sie Ihre Operationstätigkeit fortgesetzt und am 31.03.2004 zugelassen, daß der auf Ihre Veranlassung intubierte Patient über 1 ½ Stunden in diese Zustand verblieb, während Sie mit Herrn Prof. Dr. R3xxxx über die Hintergründe der im Schreiben vom 29.03.2004 aufgeführten Infektionen diskutiert haben. Eine zufällige Häufung oder eine in der Erkrankungskonstellation der im Schreiben vom 29.03.2004 aufgeführten Patienten haben Sie als Ursache verworfen und als Ursache ein noch unerkanntes hygienisches Problem vermutet. Sie sind damit von einer Situation ausgegangen, die per se jede Operation und zwar schon nach Kenntnis von dem letzten Schreiben vom 29.03.2004 angezeigten Sepsisfall verbot.

Wir mahnen das vorstehende Verhalten hiermit ab und weisen darauf hin, daß Sie im Falle weiterer Pflichtverletzungen mit dem Ausspruch einer Kündigung rechnen müssen."

Die Abmahnung wurde vor folgendem Hintergrund erteilt:

Im Februar und März 2004 wurden nach Thoraxoperationen drei Sepsen, die letzte am 15.03.2004, festgestellt. Der Kläger veranlasste über den Oberarzt Dr. S4xxxxx die Information der Hygieneschwester W2xxxx am 19.03.2004. Mit Schreiben vom 29.03.2004, wegen dessen Inhalts auf Bl. 74 GA Bezug genommen wird, wiederholte und konkretisierte der Oberarzt Dr. S4xxxxx die Information.

Am 31.03.2004 veranlasste der Kläger einen weiteren Thoraxeingriff bei einem Patienten für den 01.04.2004. Bei diesem wurde morgens am 01.04.2004 die Narkose eingeleitet. Gegen 10.15 Uhr telefonierte der Kläger mit dem hygieneverantwortlichen ärztlichen Direktor Prof. Dr. R3xxxx anlässlich dessen Briefes vom 31.03.2004, wegen dessen Inhalts auf Bl. 75 f. GA Bezug genommen wird. Dort hatte Prof. Dr. R3xxxx angeordnet, dass der Kläger von elektiven Eingriffen am Thorax mit Lungenresektionen absehen solle, wenn er die Häufung der Sepsenfälle nach Thoraxeingriffen für eine "ungewöhnliche Häufung" halte. In dem Telefongespräch wurden die Ursachen der festgestellten Sepsen nicht geklärt. Vor diesem Hintergrund wurde die Operation abgebrochen und die Narkose nach etwa 1,5 Stunden wieder ausgeleitet.

Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 10.08.2004 eine weitere "Abmahnung - Verweigerte Operation eines Aortenaneurysmas, wegen deren Inhalts auf Bl. 12 f. GA Bezug genommen wird. Die Abmahnung hat folgenden Wortlaut:

"…auf Veranlassung des Chefarztes der Neurologie, Herrn Dr. S5xxxxxxx, befand sich der Patient K. E. vom 26.03. bis zum 31.03.2004 in Ihrer Behandlung. Obwohl Sie anläßlich eines ärztlichen Konsils bereits am 26.03.2004 bei dem Patienten ein ausgeprägtes Infrarenales Aortenaneurysma mit Iliacalbeteiligung festgestellt haben, ist dieses Aneurysma nicht operiert worden. Sie haben den Patienten statt dessen 5 Tage nach Feststellung des Aneurysmas als Notfall in die gefäßchirurgische Abteilung des M6xxxxx-S6xxxxx in R4xxxx überwiesen.

Es wäre Ihre Pflicht gewesen, das von Ihnen festgestellte Aortenaneurysma umgehend zu operieren. Im Rahmen Ihrer Anhörung haben Sie zur Begründung für die nicht durchgeführte Operation angegeben, daß der Zustand des Patienten so akut gewesen sei, daß die Operation keinerlei Aufschub geduldet habe und deshalb auf Grund der in Ihrer Abteilung im Zeitpunkt der Diagnose des Aortenaneurysmas vorhandenen Kapazitätsprobleme keine Operation, sondern noch am gleichen Tag - eine Notfallüberwachung habe erfolgen müssen. Diese Einlassung ist durch den tatsächlichen Geschehensablauf widerlegt.

Wir mahnen das vorstehende Verhalten hiermit ab und weisen darauf hin, daß Sie im Falle weiterer Pflichtverletzungen mit dem Ausspruch einer Kündigung rechnen müssen."

Der Hintergrund der Abmahnung ist folgender:

Der Patient war seit dem 16.03.2004 in stationärer Behandlung der Neurologischen Klinik. Der Kläger war im Rahmen des Konsils hinzugezogen. Der Patient wurde mit dem Studienpräparat SanOrg und dem Medikament ASS (Aspirin) zuletzt am 24.03.2004 medikamentiert. Dabei handelt es sich um gerinnungshemmende Medikamente, die wegen einer Lungenembolie eingesetzt wurden.

Der Kläger konnte in der Entwicklung eine sehr schnelle Erweiterung der Halsschlagader feststellen und eine weitere rasante Entwicklung der Gefäßerweiterung nicht ausschließen. Eine Weiterbehandlung war notwendig. Wegen der Nebenerkrankung war eine minimalinvasive Versorgung angezeigt.

Während die Parteien im ersten Rechtszug darüber stritten, ob der Kläger selber eine Operation hätte durchführen müssen, ist im Berufungsrechtszug unstreitig geworden, dass eine sofortige Verlegung des Patienten erforderlich war, da die angezeigte Operation vom Kläger nicht durchgeführt werden konnte. Denn in seiner Abteilung fehlte die notwendige Ausrüstung für die Durchführung einer minimalinvasiven Versorgung.

Schließlich hat die Beklagte dem Kläger unter dem 10.08.2004 eine weitere "Abmahnung - Verweigerung der Übernahme einer zugesagten Behandlung" erteilt, die folgenden Inhalt hat:

"...einem von Ihnen unterschriebenen konsiliarischen Bericht vom 29.01.2004 ist zu entnehmen, daß der Ihnen zu Behandlung zugewiesene Patient B6xxx von Ihnen unter Hinweis auf Kapazitätsprobleme nicht operiert wurde. Ihr konsiliarischer Bericht vom 29.01.2004 weist aus, daß eine Operation innerhalb der nächsten vier Wochen nicht möglich gewesen sein soll.

Der konsiliarische Bericht vom 29.01.2004 datiert auf Donnerstag der 5. Woche des Jahres 2004. Soweit in dem Bericht eine Operation bis zum Ende der 9. Kalenderwoche und damit bis zum 01.03.2004 ausgeschlossen wird, ist dies in keiner Weise hinnehmbar. Tatsächlich gab es weder Ende Januar und schon gar nicht im gesamten Februar Kapazitätsprobleme, die eine Operation des Patienten in unserem Haus unmöglich gemacht hätten.

Durch Ihr Verhalten gegenüber dem Patienten B6xxx und die unter Hinweis auf tatsächlich nicht vorhandene Kapazitäten gegebene Empfehlung, der Patient möge sich anderweitig operieren lassen, haben Sie Ihre arbeitsrechtlichen Pflichten verletzt.

Wir mahnen das vorstehende Verhalten hiermit ab und weisen darauf hin, daß Sie im Falle weiterer Pflichtverletzungen mit dem Ausspruch einer Kündigung rechnen müssen."

Diese Abmahnung erfolgte vor folgendem Hintergrund:

Der Kläger war in der 8. und 9. Kalenderwoche als einziger Facharzt in Urlaub. Nach dem OP-Plan für die 6. und 7. Kalenderwoche sah er keinen Spielraum für die Durchführung einer weiteren elektiven Operation. Daher schlug er eine Verlegung in die gefäßchirurgische Abteilung nach Rheine/Münster/Osnabrück vor.

Der Kläger hat vorgetragen, dass die Abmahnungen unberechtigt seien.

Er habe am 31.03.2004 den Thoraxeingriff für den 01.04.2004 veranlasst, da er nicht davon ausgegangen sei, dass ein epidemiologischer Zusammenhang zwischen den festgestellten Sepsen bestand. Das Schreiben des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. R3xxxx vom 31.03.2004 sei ihm erst zur Kenntnis gelangt, nachdem die Narkose bereits eingeleitet gewesen sei. Er habe dessen Anordnung, die Operation nicht durchzuführen, dann befolgt.

Die Verlegung des Patienten, dessen Aortenaneurysma zu operieren war, sei nicht zu beanstanden. Er habe die Operation selber in seiner Abteilung nicht durchführen können. Die Operation hätte wegen der Verabreichung von medikamentösen Gerinnungshemmern frühestens am 31.03.2004, dem Tag der Verlegung, stattfinden können.

Schließlich habe er eine zugesagte Behandlung nicht verweigert. Die Operation sei bis zur 7. Kalenderwoche aus Kapazitätsgründen und in der 8. und 9. Kalenderwoche wegen seiner Urlaubsabwesenheit nicht möglich gewesen.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die drei Abmahnungen vom 10.08.2004 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger habe die Hygieneprobleme in seiner Abteilung zu Unrecht hochgespielt und auf dem Rücken eines Patienten ausgetragen. Er habe im Telefonat mit Prof. Dr. R3xxxx entgegen seiner Kenntnis systemische Zusammenhänge zwischen den Infektionen nicht ausgeschlossen. Dabei hätte er die Zusammenhänge bereits am 15.03.2004 klären können und müssen. Dann hätte der Operationsabbruch am 01.04.2004 vermieden werden können.

Diesbezüglich hat die Beklagte ein Gutachten von Dr. M5xxxxx vom 04.06.2004 eingeholt, wegen dessen Inhalts auf Bl. 81 ff. GA Bezug genommen wird.

Zur zweiten Abmahnung "Aortenaneurysma" hat die Beklagte vorgetragen, dass der Kläger die Verordnung der medikamentösen Gerinnungshemmer hätte sofort absetzen müssen.

Zur dritten Abmahnung hat die Beklagte vorgetragen, dass es Ende Januar und im Februar 2004 keine Kapazitätsprobleme gegeben habe, die die Operation verhindert hätten.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Abmahnungen jedenfalls überwiegend unzutreffende Sachverhaltsdarstellungen enthielten und deshalb entfernt werden müssten. So könne nicht festgestellt werden, dass dem Kläger das Schreiben des Prof. Dr. R3xxxx vom 31.03.2004 bei Veranlassung der Operation und Einleitung der Narkose am 01.04.2004 bereits bekannt gewesen ist. Der Kläger habe sich also nicht über eine Anweisung des Ärztlichen Direktors hinweggesetzt. Der Vorwurf in der Abmahnung "Aortenaneurysma", dass der Kläger hätte operieren sollen, sei unzutreffend. Denn er habe den angezeigten minimalinvasiven Eingriff gar nicht durchführen können. Auch die dritte Abmahnung "Verweigerung der Übernahme einer zugesagten Behandlung" sei ungerechtfertigt, da die Einschätzung der Kapazitätsprobleme durch den Kläger begründet war.

Das Urteil ist der Beklagten am 23.05.2005 zugestellt worden. Sie hat beim Landesarbeitsgericht eingehend am 23.06.2005 Berufung eingelegt und die Berufung nach Verlängerung der Frist bis zum 25.08.2005 am 23.08.2005 begründet.

Die Beklagte verteidigt die streitigen Abmahnungen.

In der Abmahnung "Vorfall vom 31.03.2004" sei dem Kläger nur vorgeworfen worden, die elektive Operation pflichtwidrig trotz angezeigter hygienischer Probleme eingeleitet zu haben. Die weiteren Ausführungen in der Abmahnung hätten nur der Begründung des Pflichtverstoßes gedient. Sie habe zwar keine Informationen darüber, wann durch wen in welcher Weise dem Kläger das Schreiben des Prof. Dr. R3xxxx vom 31.03.2004 konkret zur Kenntnis gebracht worden sei. Sie gehe aber im Rahmen einer Behauptung mit Nichtwissen davon aus, dass das genannte Schreiben dem Kläger durch seine Mitarbeiterin zu Dienstbeginn am 01.04.2004 zur Kenntnis gebracht worden sei.

Hinsichtlich der "Abmahnung - Verweigerung der Übernahme einer zugesagten Behandlung" bleibe es dabei, dass weder im Januar noch im Februar Kapazitätsprobleme die Routineoperation (Bypass) verhindert hätten.

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat vorgetragen, dass Gegenstand der "Abmahnung - Vorfall vom 31.03.2004" mehrere Vorwürfe seien. Ihm sei nicht nur vorgeworfen worden, die Operation trotz angenommener Hygieneprobleme angesetzt zu haben. Vielmehr habe die Beklagte ihm auch vorgeworfen, die Narkose trotz des Schreibens von Prof. Dr. R3xxxx eingeleitet zu haben und versäumt zu haben, die Hygieneprobleme unverzüglich am 15.03.2004 zu klären. Das ergäbe sich schon aus dem Schlusssatz der Abmahnung. Jedenfalls sei die Abmahnung angesichts der Unsicherheit über den Inhalt der erhobenen Rüge zu unbestimmt.

Er habe die Operation auch durchführen dürfen, da er nicht von einem epidemiologischen Zusammenhang der festgestellten Sepsen ausgegangen sei.

Die Klärung der Hygieneprobleme sei durch den Oberarzt Dr. S4xxxxx unverzüglich - nämlich am 19.03.2004 - eingeleitet worden.

Zu der "Abmahnung - Verweigerung der Übernahme einer zugesagten Behandlung" sei die Einschätzung der Kapazitätsprobleme durch den Kläger nicht zu beanstanden. Das ergebe sich durch die vorgelegten Unterlagen und sei von der Beklagten nicht substantiiert widerlegt.

Mit Schriftsatz vom 02.01.2006 hat die Beklagte die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die vorrangig zu klärende Kündigungsproblematik, die im Kündigungsschutzverfahren beim Arbeitsgericht Rheine unter dem Aktenzeichen 3 Ca 1569/05 anhängig ist, angeregt.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht. Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 b ArbGG.

Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO.

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Beklagte die angegriffenen Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen hat.

Für die seitens der Beklagten angeregten Aussetzung des Verfahrens bis zur Klärung der Kündigungsproblematik (ArbG Rheine 3 Ca 1569/04) gab es nach § 148 ZPO keinen Raum. Voraussetzung für eine Aussetzung nach § 148 ZPO ist, dass die Entscheidung in dem anderen Rechtsstreit vorgreiflich ist für die Entscheidung, die im auszusetzenden Verfahren ergehen soll. Das ist nur der Fall, wenn im anderen Verfahren über ein Rechtsverhältnis entschieden wird, dessen Bestehen für den vorliegenden Rechtsstreit präjudizielle Bedeutung hat. Daran fehlt es.

Eine Vorgreiflichkeit eines Kündigungsschutzverfahrens gegenüber einem Streit über die Wirksamkeit von Abmahnungen kommt nur unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses in Betracht. Denn das Rechtsschutzinteresse an der Entfernung einer rechtswidrigen Abmahnung kann entfallen, wenn es zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gekommen ist (BAG 14.09.1994, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 32). Das Rechtsschutzinteresse muss im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bestehen. Deshalb kommt eine Vorgreiflichkeit nur in Betracht, wenn eine Kündigung im Streit ist, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem früheren Zeitpunkt bewirkt haben kann. Daran fehlt es vorliegend. Denn die Kündigung ist erst zum 31.03.2006 ausgesprochen worden.

II

Der Anspruch des Klägers ist in entsprechender Anwendung der Bestimmungen der §§ 242, 1004 BGB gegeben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitnehmer die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus seinen Personalunterlagen verlangen, wenn das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Ausübung seines Gläubigerrechtes fehlt. Ein Arbeitnehmer kann folglich die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht. Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist; es reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten rügt. Eine solche Rüge ist nicht nur ungerechtfertigt, wenn sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, sondern auch dann, wenn sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht (BAG 11.12.2001, EzA § 611 BGB Nebentätigkeit Nr. 6).

Werden in einem Abmahnungsschreiben mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt und treffen davon nicht alle zu, so muss das Abmahnungsschreiben auf Verlangen des Arbeitnehmers vollständig aus der Personalakte entfernt werden und kann nicht teilweise aufrechterhalten bleiben (BAG 13.03.1991, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 20).

Nach diesen Maßstäben sind die Abmahnungen vom 10.08.2004 unberechtigt.

1. Die unter dem 10.08.2004 erteilte "Abmahnung - Vorfall vom 31.03.2004" ist unberechtigt, da sie dem Kläger in einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung eine Pflichtverletzung vorwirft.

Gegenstand der Abmahnung ist nicht nur der Vorwurf, dass der Kläger die Operation vom 01.04.2004 am 31.03.2004 trotz Annahme unerkannter hygienischer Probleme eingeleitet hat. Vielmehr wird ihm auch die Nichtbeachtung des Schreibens des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. R3xxxx vom 31.03.2004 vorgeworfen.

Anders kann die Formulierung, dass "in Ansehung des Ihrer Abteilung vom 31.03.2004 und damit vor Einleitung der Anästhesie am 01.04.2004 vorliegenden Schreibens des hygieneverantwortlichen Ärztlichen Direktors Prof. Dr. R3xxxx.. für thoraxchirurgische Eingriffe kein Raum (war)", nicht verstanden werden. Indem die Beklagte in der Abmahnung zum einen geltend macht, dass die Anordnung des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. R3xxx vom 31.03.2004 in der Abteilung des Klägers vorlag und dieser trotzdem am 31.03.2004 die Einleitung der Narkose veranlasste, erhebt sie die Rüge, die Anordnung von Prof. Dr. R3xxx nicht beachtet zu haben. Sonst würde nämlich dieser Hinweis in der Abmahnung keinen Sinn geben.

Diese Rüge bezieht sich aber auf eine Pflichtverletzung, die der Kläger nicht begangen hat. Denn unstreitig hat er von dem Schreiben von Prof. Dr. R3xxxx erst nach Einleitung der Narkose am 01.04.2004 - unmittelbar vor dem Telefonat um 10.15 Uhr - Kenntnis erlangt. Er hat sich also mit der Veranlassung der Narkose nicht über eine Anordnung des Ärztlichen Direktors hinweggesetzt.

Die diesbezügliche Tatsachenbehauptung des Klägers ist unstreitig. Denn die gegenläufige Behauptung der Beklagten "mit Nichtwissen", dass dem Kläger durch seine Mitarbeiterin zu Dienstbeginn am 01.04.2004 das genannte Schreiben zur Kenntnis gebracht wurde, ist unbeachtlich. Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Parteien noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Dem stehen Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich gleich (Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., § 138 Rz. 16 m.w.N.). Denn eine Partei kann sich nicht durch arbeitsteilige Organisation ihres Betätigungsbereichs ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen, sondern muss innerhalb desselben Erkundigen anstellen. Das ist vorliegend nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beklagte sich für die Richtigkeit einer Behauptung mit Nichtwissen auf das Zeugnis ihrer Mitarbeiterinnen beruft, dass sie es bisher versäumt hat, sich bei diesen Mitarbeiterinnen zu erkundigen. Wenn die Beklagte nämlich infolge einer Erkundigung eine positive Kenntnis über den Vorgang hätte, könnte sie die Behauptung auch positiv einbringen.

Da die Behauptung mit Nichtwissen vorliegend unzulässig ist, greift die Geständnisfunktion nach § 138 Abs. 3 ZPO ein. Die Einlassung des Klägers ist als unstreitig zu bewerten.

Die fehlende Berechtigung dieser Rüge führt zu der Pflicht, die Abmahnung insgesamt aus der Personalakte zu entfernen. Auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat schon das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen (BAG 13.03.1991, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 20).

2. Die weitere unter dem 10.08.2004 erteilte "Abmahnung - Verweigerte Operation eines Aortenaneurysmas" beinhaltet ebenfalls einen unberechtigten Vorwurf. Gegenstand der Abmahnung ist der Vorwurf, dass der Kläger das Aortenaneurysmas nicht umgehend operiert hat. In der Abmahnung wird als seine Pflicht beschrieben, "... das von Ihnen festgestellte Aortenaneurysmas umgehend zu operieren". Die Beklagte hat durch den Schlusssatz der Abmahnung das vorstehende Verhalten, also auch die Nichtbeachtung der beschriebenen Pflicht, abgemahnt.

Indes ist im Berufungsrechtszug unstreitig geworden, dass der Kläger mangels entsprechender Ausstattung seiner Abteilung nicht in der Lage war, das Aortenaneurysmas minimalinvasiv zu operieren, wie es angezeigt gewesen wäre. Mangels entsprechender Ausstattung seiner Abteilung war vielmehr die Verlegung des Patienten angezeigt.

Die Nichtvornahme der Operation war daher vorliegend keine Pflichtverletzung, sondern entsprach gerade der ärztlichen Sorgfaltspflicht.

Mithin beinhaltet die "Abmahnung - Verweigerte Operation eines Aortenaneurysmas" eine unberechtigte Rüge und ist daher unter Berücksichtigung der dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insgesamt aus der Personalakte zu entfernen, ohne dass es darauf ankäme, ob weitere erhobene Rügen berechtigt waren.

3. Die "Abmahnung - Verweigerung der Übernahme einer zugesagten Behandlung" ist unberechtigt. Sie ist zu unbestimmt.

Die Rüge muss in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise erfolgen. Der Arbeitnehmer soll eindeutig ersehen können, was ihm zum Vorwurf gemacht wird (BAG 18.01.1980 AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; 09.08.1984 AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; 27.11.1985 AP Nr. 93 § 611 BGB Fürsorgepflicht).

Diesem Maßstab wird die genannte Abmahnung nicht gerecht. Die Beklagte hätte in der Abmahnung konkret beschreiben müssen, wann denn der Kläger die Operation hätte durchführen sollen. Der pauschale Hinweis, dass es nicht hinnehmbar sei, dass eine Operation über die Dauer von vier Wochen wegen Kapazitätsproblemen und möglich wäre, genügt nicht.

Selbst wenn man die Abmahnung formal für ordnungsgemäß hielte, wäre sie unberechtigt, da die Beklagte versäumt hat, die die etwaige Pflichtverletzung ausmachenden Tatsachen substantiiert zu beschreiben. Dazu hätte gehört, die etwaigen Kapazitätsprobleme für die Durchführung der konkreten Operation im Zeitraum zwischen der 6. und 9. Kalenderwoche konkret zu widerlegen. Die Beklagte hätte angeben müssen, wann denn die Operation hätte durchgeführt werden sollen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Für die Zulassung der Revision bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG kein Grund.

Clausen Basista Berghahn

Ri.