VG Arnsberg, Urteil vom 17.02.2006 - 13 K 1115/05
Fundstelle
openJur 2011, 37891
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der am 2. Juni 1936 geborene Kläger ist verheiratet und stand bis zu seiner Pensionierung mit Ablauf des 31. Juli 1999 als Studiendirektor (Besoldungsgruppe A 15 des Bundesbesoldungsgesetzes) im Schuldienst des beklagten Landes.

Unter dem 9. Oktober 2003 beantragte er unter anderem (u. a.) eine Beihilfe zu Kosten eines stationären Krankenhausaufenthalts, die ihm sein behandelnder Arzt Dr. H. aus E. unter dem 7. Oktober 2003 mit einem Betrag über insgesamt 3.508,43 EUR in Rechnung gestellt hatte. Die Rechnung für die in der Zeit vom 15. bis 19. September 2003 erfolgte Behandlung gibt als Diagnose eine „Spinalkanalstenose, lumbal" an. Sie enthält u. a. die Gebührennummer 2287 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) mit der Bezeichnung „Wirbelsäulenverkrümmung, Spondylodese + impl. Aufspreiz- u." sowie die Gebührennummer 2566 GOÄ mit der Bezeichnung „Nervenwurzel(n), Dekompression thorakaler/lumbaler Bereich". Im Rahmen der letztgenannten Gebührennummer weist die Rechnung Materialkosten einer Implantierung eines x-Stop-Implantats über 2.517,50 EUR aus.

Durch Bescheid vom 27. Oktober 2003 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) lehnte das Landesamt für Besoldung und Versorgung eine Beihilfe zu der Operation nach dem x-Stop-Verfahren ab, weil Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlungen nicht beihilfefähig seien.

Daraufhin teilte der behandelnde Arzt des Klägers dem Landesamt mit, dass im Internetauftritt der Herstellerfirma des Implantats Nachweise über die wissenschaftliche Anerkennung der Behandlungsmethode zu finden seien. Bezugnehmend auf diese Stellungnahme wies der Kläger das Landesamt auf die erfolgreiche Behandlung und die Kostenersparnis gegenüber einer Radikaloperation hin.

Das Landesamt holte sodann beim zuständigen Gesundheitsamt eine amtsärztliche Stellungnahme zur Frage der wissenschaftlichen Anerkennung der Behandlungsmethode ein. Unter dem 5. April 2004 teilte dieses mit, dass das x-Stop- Verfahren zur Behandlung der Spinalkanalstenose zwar wissenschaftlich nicht anerkannt sei, aber gerade in Deutschland erprobt werde. Das Verfahren sei nur beihilfefähig, wenn vor dem Eingriff konservative Behandlungsmethoden nicht gegriffen hätten und der Patient an einer klinischen Studie teilnehme. Das sei hier aber nicht der Fall.

Nach Übersendung dieser Stellungnahme legte der Kläger dem Landesamt einen Artikel über eine Behandlungsstudie aus den USA aus dem Jahre 2003 mit dem Titel „A prospective randomized multicenter study for the treatment of lumbar spinal stenosis with the X STOP interspinous implant: 1-year results" vor. Ferner wies er auf die von ihm seit Jahren erfolglos durchlaufenen herkömmlichen Behandlungen hin.

Das Landesamt bat angesichts der amtsärztlichen Stellungnahme vom 5. April 2004 das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen mit Blick auf die Beihilfefähigkeit wissenschaftlich noch nicht anerkannter Heilbehandlungen in den Fällen, in denen wissenschaftlich anerkannte Methoden ohne Erfolg angewendet worden sind, um die vom Ministerium zu erteilende erforderliche Zustimmung zur Beihilfefähigkeit der Behandlung.

Mit Erlass vom 6. Januar 2005 lehnte das Finanzministerium diese Zustimmung ab. Es führte aus: Nach Einschaltung des Gesundheitsministeriums sei die „x-Stop- Implantation" zur Behandlung der Spinalkanalstenose eine wissenschaftlich noch nicht anerkannte Operationstechnik im Erprobungsstadium. Die Methode werde oft nur vorübergehend angewendet. Eine spätere Dekompressions-Operation entfalle dadurch auf Dauer nicht, werde aber ggf. risikoreicher. Deshalb seien Aufwendungen für diese Operation nur beihilfefähig, wenn eine Dekompressions-Operation erfolglos durchgeführt worden oder im Einzelfall nicht möglich sei und die Behandlung im Rahmen einer klinischen Studie erfolge. Im Übrigen seien die für den operativen Eingriff abgerechneten Gebührennummern 2287 und 2566 GOÄ unangemessen hoch, weil diese Leistungen der herkömmlichen Wirbelsäulenchirurgie vorbehalten seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 14. April 2005 wies das Landesamt den Widerspruch des Klägers zurück. Es führte aus: Angesichts der unter Beteiligung des Gesundheitsministeriums erfolgten ablehnenden Stellungnahme zur Beihilfefähigkeit lägen keine Zweifel an der Bewertung der Methode durch das Finanzministerium als wissenschaftlich noch nicht anerkanntes Verfahren vor.

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Beihilfebegehren unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens weiter und beantragt,

das beklagte Land unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Besoldung und Versorgung vom 27. Oktober 2003 sowie des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2005 zu verpflichten, ihm eine Beihilfe über 2.455,90 EUR zu seinen Aufwendungen für die Behandlung mit dem x-Stop-Verfahren zu gewähren.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Landesamtes Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der ablehnende Bescheid des Landesamtes für Besoldung und Versorgung vom 27. Oktober 2003 sowie der Widerspruchsbescheid vom 14. April 2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Dieser hat keinen Anspruch auf eine Beihilfe über 2.455,90 EUR zu den Aufwendungen für die Operation seiner Spinalkanalstenose nach dem x-Stop-Verfahren, die ihm sein behandelnden Arzt unter dem 7. Oktober 2003 mit insgesamt 3.508,43 EUR in Rechnung stellte.

Als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Beihilfe kommt in erster Linie § 88 Sätze 1 und 2 erster Halbsatz des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz - LBG -) iVm. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung - BVO -) in der im Zeitpunkt des Entstehens des Aufwendungen (vgl. § 3 Abs. 5 Satz 2 BVO) maßgeblichen Fassung, die sie durch das Gesetz vom 18. Dezember 2002 (GV NRW S. 660) erhalten hat, in Betracht. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO sind beihilfefähig die notwendigen Aufwendungen im angemessenen Umfange unter anderem in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung der Gesundheit sowie zur Besserung oder Linderung von Leiden. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BVO umfassen die beihilfefähigen Aufwendungen die Kosten u. a. für Untersuchung, Beratung und Verrichtung sowie Begutachtung bei Durchführung dieser Vorschriften durch einen Arzt.

1. Die Aufwendungen aus der Arztrechnung vom 7. Oktober 2003 sind zum Teil schon deshalb nicht beihilfefähig, weil sie nicht den Vorgaben der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) genügen.

Die Angemessenheit der hier in Streit stehenden Aufwendungen beurteilt sich grundsätzlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 1996 (BGBl. I S. 210) in der maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 4. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3320). Denn ärztliche Hilfe ist in aller Regel nur nach Maßgabe dieser Gebührenordnung zu erlangen. Deshalb setzt die Beihilfefähigkeit voraus, dass der Arzt die Rechnungsbeträge bei zutreffender Auslegung der Gebührenordnung zu Recht berechnet hat. Nur dann handelt es sich grundsätzlich um (notwendige) Aufwendungen in angemessenem Umfange.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1996 - 2 C 10.95 -, ZBR 1996, S. 314, 315; OVG NRW, Urteile vom 3. Dezember 1999 - 12 A 2889/99 - (juris), und vom 18. Januar 1995 - 12 A 841/92 -, NWVBl. 1995, S. 347; Beschluss vom 20. April 1999 - 6 A 5819/96 -, DÖD 2000, S. 43.

Ob der Arzt seine Forderung zu Recht geltend macht, ist eine der Beihilfengewährung vorgreifliche Rechtsfrage des zivilrechrechtlichen Arzt-(Privat- )Patienten-Verhältnisses, über das die Zivilgerichte letztverbindlich entscheiden. Deren Beurteilung präjudiziert die Angemessenheit der Aufwendungen im beihilferechtlichen Sinne. Aufgrund seiner Fürsorgepflicht hat der Dienstherr die Beihilfe nach den Aufwendungen zu bemessen, die dem Beamten wegen der notwendigen Inanspruchnahme eines Arztes in Übereinstimmung mit der Rechtslage tatsächlich entstehen. Ist eine Entscheidung im ordentlichen Rechtsweg - wie offenbar hier - nicht ergangen, hat der Dienstherr zu prüfen, ob die Abrechnung des Arztes den Vorgaben des Beihilferechts entspricht, insbesondere ob die vom Arzt geltend gemachten Ansprüche nach materiellem Recht begründet sind. Die behördliche Entscheidung, ob die Aufwendungen notwendig und angemessen sind, unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 2 C 34.03 -, DVBl 2005, S. 509, 506.

Nach diesen Maßstäben hat der Arzt seine Leistungen gegenüber dem Kläger nicht ordnungsgemäß abgerechnet. Die Gebührennummer 2287 GOÄ erfasst die „Operative Behandlung von Wirbelsäulenverkrümmungen nach Nummer 2286 mit zusätzlicher Implantation einer metallischen Aufspreiz- und Abstützvorrichtung", die mitumfasste Gebührennummer 2286 GOÄ steht für die „Operative Behandlung von Wirbelsäulenverkrümmungen durch Spondylodese - einschließlich Implantation von autologem oder alloplastischem Material -" zur Verfügung. Die Gebührennummer 2566 erfasst den „Operative(n) Eingriff zur Dekompression einer oder mehrerer Nervenwurzel(n) im thorakalen oder lumbalen Bereich - gegebenenfalls einschließlich Foraminotomie und/oder der Leistungen nach Nummer 2282 oder Nummer 2283 -". Die so beschriebenen ärztlichen Leistungen erfassen allein die herkömmlichen Dekompressionsmethoden zur Operation einer Spinalkanalstenose. Denn nach Auffassung des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen in seinem Erlass an das Landesamt vom 6. Januar 2005 sind diese Leistungen der herkömmlichen Wirbelsäulenchirurgie mit erheblich höherem chirurgischen Aufwand vorbehalten, weshalb die für den Einriff in Rechnung gestellten Gebührennummern 2287 und 2566 GOÄ unangemessen hoch sind. Damit stimmt der behandelnde Arzt des Klägers insoweit überein, als er in seiner Stellungnahme vom 25. Februar 2005 ausführt, dass das x-Stop-Verfahren „ein Operationsverfahren (ist), das die mit größerem Risiko verbundene Dekompressionsoperation überflüssig machen kann. (...) Das x-Stop-Verfahren ist (...) geradezu dafür entwickelt worden, um eine schonendere Alternative zur größeren Dekompressionsoperation zu haben (...)".

Weil es jedoch Sache des Verordnungsgeber ist, darüber zu befinden, wie ärztliche Leistungen auch unter Berücksichtigung nach Erlass der GOÄ eingetretener Veränderungen des technischen Standards oder der Fortentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bewerten sind,

vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 - III ZR 344/03 -, BGHZ 159, S. 142,149,

kann ein Arzt Leistungen, die erst nach Erlass des Leistungsverzeichnisses zur Praxisreife entwickelt worden sind, nur analog gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ abrechnen. In einem solchen Fall hatte der Verordnungsgeber bei Beschreibung und punktmäßiger Bewertung der von ihm erfassten selbstständigen Leistung nämlich die maßgeblich zu beurteilende Leistung nicht vor Augen.

Vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - III ZR 161/02 -, NJW-RR 2003, S. 636, 637, zur Abrechnung einer Leistung nach der Gebührenordnung für Zahnärzte.

§ 6 Abs. 2 GOÄ bestimmt, dass selbstständige ärztliche Leistungen, die nicht in das Gebührenverzeichnis aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Das Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen als Anlage zur GOÄ wurde zuletzt durch die vierte Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1861) geändert. Zu dieser Zeit war das x- Stop-Verfahren als hier streitige Behandlungsmethode in Deutschland noch nicht praxisreif entwickelt worden. Denn die vom Kläger vorgelegte englischsprachige Studie aus dem Jahr 2003 beschreibt auf Seite 1 selbst, dass das Implantat in Europa erst seit dem Juni 2002 erhältlich gewesen ist.

Vorliegend genügt die Arztrechnung vom 7. Oktober 2003 in Bezug auf die abgerechneten ärztlichen Leistungen nicht den Anforderungen, die § 12 Abs. 4 GOÄ an eine entsprechende Berechnung ärztlicher Leistungen gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ stellt. § 12 Abs. 4 GOÄ bestimmt, dass wenn eine Leistung nach § 6 Abs. 2 berechnet wird, die entsprechend bewertete Leistung für den Zahlungspflichtigen verständlich zu beschreiben und mit dem Hinweis „entsprechend" sowie der Nummer und Bezeichnung der als gleichwertig erachteten Leistung zu versehen ist. Eine solche entsprechende oder analoge Berechnung der Leistungen weitst die Arztrechnung vom 7. Oktober 2003 gerade nicht aus.

2. Darüber hinaus sind die streitigen Aufwendungen insgesamt auch deshalb nicht beihilfefähig, weil die Behandlungsmethode nicht wissenschaftlich anerkannt ist. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO sind Aufwendungen für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlung von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Gemäß Satz 3 der Vorschrift können auf Grund des Gutachtens eines Amts- oder Vertrauensarztes auch Aufwendungen für wissenschaftlich noch nicht anerkannte Heilbehandlungen vom Finanzministerium für beihilfefähig erklärt werden, wenn wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden sind.

Die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes der „wissenschaftlich nicht anerkannten Heilbehandlung" liegen in Bezug auf die Behandlung der Spinalkanalstenose des Klägers mit dem x-Stop-Verfahren im Jahr 2003 - allein um Aufwendungen für diese Behandlungsmethode geht es im vorliegenden Fall - vor.

Eine Behandlungsmethode ist wissenschaftlich anerkannt, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit als wirksam und geeignet angesehen wird. Um in diesem Sinne anerkannt zu sein, muss einer Heilbehandlung von dritter Seite - also von anderen als dem Urheber - attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet zu sein, um wirksam eingesetzt werden zu können. Um wissenschaftlich anerkannt zu sein, müssen Beurteilungen regelmäßig von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Somit ist eine Behandlungsmethode dann „wissenschaftlich nicht anerkannt", wenn eine Einschätzung ihrer Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt. Die Frage der wissenschaftlichen Anerkennung richtet sich dabei nicht unbedingt nach dem Meinungsstand derjenigen Therapierichtung, der die fragliche Behandlungsmethode zugerechnet werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juni 1998 - 2 C 24.97 -, ZBR 1999, 25, und vom 29. Juni 1995 - 2 C 15.94 -, ZBR 1996, 48; OVG NRW, Urteil vom 1. September 2004 - 1 A 4294/01 -, Seite 13 f. des Urteilsabdruck; Urteil vom 25. Mai 1994 - 6 A 1153/94 -, NWVBl. 1995, 186 ff.

Die wissenschaftliche Anerkennung einer Behandlungsmethode erfordert keine uneingeschränkte und einhellige, jedoch eine weitgehende Teilung der Überzeugung von deren Wirksamkeit durch die im Fachbereich tätigen Wissenschaftler. Es reicht nicht aus, wenn eine Behandlungsmethode lediglich von einer - wenn auch gewichtigen - Minderheit für wirksam erachtet wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2003 - 6 A 1184/00 -, mwN., und Beschluss vom 29. September 2005 - 6 A 301/04 -.

Grundlage für eine positive Einschätzung der Wirksamkeit der neuen Methode können nur kontrollierte wissenschaftliche Studien sein; Erfahrungsberichte von Ärzten, die die neue Methode angewendet haben, reichen insoweit nicht aus.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. September 2004, aaO.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die wissenschaftliche Anerkennung des x-Stop-Verfahrens - bei dem zur Entlastung des Nervenkanals infolge ihn einengender Wirbel zwischen diese ein Implantat gesetzt wird - zur Behandlung der Spinalkanalstenose (= Verengung im Bereich des Wirbelkanals) im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen (September 2003) nicht gegeben. Diese Einschätzung stützt die Kammer auf die im Verwaltungsverfahren hinzugezogenen bzw. eingeholten amtsärztlichen Stellungnahmen sowie die Informationen, die sie aus dem Internet über das Verfahren gewonnen hat.

Der für den Kläger zuständige Amtsarzt kam unter Auswertung der vom Kläger vorgelegten Unterlagen in seiner Stellungnahme vom 5. April 2004 zu der Einschätzung, dass es sich bei dem x-Stop-Verfahren zur Behandlung der Erkrankung des Klägers um ein noch nicht wissenschaftlich anerkanntes Verfahren im Erprobungsstadium mit sechs Patienten in Deutschland handele. Die in einem anderen Beihilfenverfahren eingeschalteten Amtsärzte des Kreises E1. gelangten in ihrer Stellungnahme vom 25. Juli 2003, die das beklagte Land im Rahmen des Verwaltungsverfahrens hinzugezogen hatte, zu dem selben Ergebnis.

Das Gericht kann diese amtsärztlichen Stellungnahmen zur Beurteilung des Sachverhalts verwerten. Denn eine im Verwaltungsverfahren eingeholte amtsärztliche Stellungnahme stellt grundsätzlich ein verwertbares medizinisches Gutachten dar. Nur wenn die Grundvoraussetzungen für dessen Verwertbarkeit nicht vorliegen, weil offen erkennbare Mängel auftreten, Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Verfassers bestehen oder diesem ein spezielles Fachwissen fehlt, das für die Beantwortung einer besonders schwierigen Fachfrage erforderlich ist, müsste weiterer Beweis erhoben werden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 1998 - 2 B 81.97 -, Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, ES/C 3.4 Nr. 7; OVG NRW, Beschluss vom 5. Januar 2004 - 6 A 2232/03 -.

Die soeben beschriebenen Voraussetzungen für die Unverwertbarkeit der amtsärztlichen Stellungnahmen sind allerdings erkennbar nicht gegeben.

Das Gericht folgt den Amtsärzten bei ihren Beurteilungen zur Frage der wissenschaftlichen Anerkennung des x-Stop-Verfahrens jedoch nur insoweit, als sie die wissenschaftliche Anerkennung der Behandlungsmethode im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO implizit verneinen. Soweit die amtsärztlichen Stellungnahmen von einem „noch nicht anerkannten" Verfahren sprechen und sich insofern auf die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 BVO beziehen, teilt das Gericht diese Einschätzung nicht. Denn es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass der umstrittenen Behandlungsmethode auf Grund von randomisiertkontrollierten, prospektiven (Doppelblind-)Studien, welche die Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit solcher Untersuchungen gewährleisten,

vgl. zu diesen Anforderungen an wissenschaftliche Studien: Urteil der Kammer vom 8. Juli 2005 - 13 K 1519/04 -, NWVBl. 2005, S. 476, 477,

im Jahr 2003 vor der Behandlung des Klägers von einer Mehrzahl der an deutschen Hochschulen oder anderen Forschungseinrichtungen tätigen Orthopäden als zur Behandlung der Spinalkanalstenose wirksam und geeignet angesehen wurde.

Die vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegte Studie verschiedener Autoren aus der USA aus dem Jahr 2003 führt zu keiner anderen Bewertung. Sie erfüllt zwar möglicherweise die Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit einer Studie zur Behandlung der Spinalkanalstenose mit der beim Kläger angewendeten Behandlungsmethode. Gleichwohl gibt sie keinerlei Hinweis darauf, dass die herrschende oder überwiegende Mehrheit der Orthopäden (und Neurochirurgen) im Jahre 2003 in Deutschland davon ausging, dass diese Methode wissenschaftlich anerkannt war. Außerdem stellt die Studie in ihrer (übersetzten) „Folgerung" (Seite 8 der Studie) selbst lediglich fest, dass „die Ergebnisse dieser vorausblickenden kontrollierten Studie darauf hindeuten, dass das x-Stop-Verfahren eine sichere und effektive Behandlung für Patienten mit lumbaler Spinalkanalstenose bietet. (....) Nach einem Jahr liefert das x-Stop-Verfahren signifikante klinische Verbesserungen gegenüber herkömmlichen nicht operativen Therapien mit einer Erfolgsrate vergleichbar derjenigen von veröffentlichten Berichten zur dekompressiven Bandscheibenoperation. Ferner vergleicht die Studie in der Vergleichsgruppe das x- Stop-Verfahren ausschließlich mit nichtoperativen Therapien der Spinalkanalstenose, nicht aber auch in einer weiteren Patientengruppe mit der herkömmlichen operativen Dekompressionsmethode. Dazu führt die Studie selbst in ihren (übersetzten) „Begrenzung" im Rahmen der „Diskussion" der Studienergebnisse (Seite 8) aus: „Weil eine nichtoperative Therapie als Kontrolle in der gegenwärtigen Studie diente, können keine endgültigen Vergleiche zwischen dem x-Stop-Verfahren und dekompressiven Bandscheibenoperation gezogen werden." Deshalb kann erst nach einer solchen Validation der aus der Studie zum x-Stop-Verfahren gewonnenen Daten bewertet werden, ob eine gegenüber dieser Behandlung wissenschaftlich gesicherte Methode vorliegt.

Soweit die in den USA ansässige Herstellerin des Implantats in ihrem Internetauftritt (www.sfmt.com/biblio.asp) auf verschiedene klinische Studien zu der Behandlungsmethode verweist, ist dazu festzustellen, dass diese Studien zu einem Teil aus dem Jahr 2004 stammen und deshalb schon nicht den Stand der Wissenschaft zur Zeit der Behandlung des Klägers im Herbst 2003 wiedergeben. Ferner wurden diese Studien zu einem Großteil von den selben Autorenteams aus den Vereinigten Staaten erstellt, sodass sich auch deshalb die Annahme verbietet, dass der Methode von einer Mehrzahl der in Deutschland tätigen medizinischen Wissenschaftlern zur Behandlung der Erkrankung des Klägers Wirksamkeit zugeschrieben wurde. Dass die Methode in der Bundesrepublik tatsächlich von mehreren Ärzten angewendet worden ist und nach wie vor wird, wie die vom Kläger mit seiner Widerspruchsbegründung überreichte Liste seines behandelnden Arztes ohne Datum ausweist, genügt nicht den aufgezeigten Maßgaben zur wissenschaftlichen Anerkennung durch an Hochschulen oder anderen Forschungseinrichtungen tätigen Medizinern. Bei einem überwiegenden Teil der dort genannten Einrichtungen handelt es sich gerade nicht um der Wissenschaft verschriebene Zentren, sondern um niedergelassene Neurochirurgen oder Orthopäden ohne eine erkennbare wissenschaftliche Anbindung. Die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode in über 1.500 Fällen, wie ein Internetauftritt der Herstellerfirma aus dem Jahr 2004 behauptet (www.sfmt.com/press_releases_6.asp gemäß Zugriff vom 21. Oktober 2005), ersetzt nicht deren wissenschaftlich begleiteten Wirksamkeitsnachweis.

Die Stellungnahme des behandelnden Arztes des Klägers vom 25. Februar 2005 erschüttert die festzustellende fehlende wissenschaftliche Anerkennung der Behandlungsmethode nicht. Der Arzt verweist darin nur auf die eine umfangreiche usamerikanische Studie, wodurch die vorstehenden Ausführungen nicht entkräftet werden. Die Kritik des behandelnden Arztes an der Stellungnahme des Finanzministeriums, das x-Stop-Verfahren sei gerade keine vorübergehende Lösung, sondern mache herkömmliche Dekompressionsmethoden mit einem größeren Risiko überflüssig und gefährde auch später notwendige Dekompressionsoperationen nicht, die im Übrigen eine Gegenindikation für die Behandlungsmethode seien, greift nicht durch. Denn selbst wenn das Finanzministerium insoweit falsche Vorstellungen von der umstrittenen Behandlungsmethode gehabt haben sollte, führt dies nicht dazu, dass im Jahr 2003 eine Mehrzahl der an Hochschulen oder Forschungseinrichtungen in Deutschland tätigen Orthopäden der Methode Erfolgschancen zusprach.

Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Beihilfenfähigkeit der streitigen Aufwendungen auch bei vom Finanzministerium angenommenen medizinischen Gegebenheiten nicht vor. Denn § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 BVO verlangt für die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für wissenschaftlich noch nicht anerkannte Heilbehandlungen ausdrücklich, dass zusätzlich zu einem - notwendigerweise positiven - Gutachten eines Amts- oder Vertrauensarztes und einer entsprechenden Zustimmung des Finanzministeriums zusätzlich wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden sind. Auch wenn die vom Kläger im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 29. Juni 2004 aufgelisteten erfolglosen konservativen, nicht operativen Behandlungen seines Leidens für einen Nachweis ausreichen sollten - ärztliche Bescheinigungen dazu hat er nicht vorgelegt -, fehlt es an der vom Amtsarzt in seiner entsprechenden Stellungnahme vom 5. April 2004 sowie vom Finanzministerium in der Stellungnahme vom 6. Januar 2005 geforderten Teilnahme an einer klinischen Studie. Eine solche hat der Kläger weder behauptet noch ist sie anderweitig ersichtlich.

Der Ausschluss einer Beihilfe in dem Fall, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 BVO nicht vorliegen, ist auch mit der in § 85 Satz 1 LBG normierten allgemeinen Fürsorgepflicht des Dienstherr vereinbar. Denn die Fürsorgepflicht verlangt vom Dienstherr nur dann die Anerkennung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen zu „Außenseitermethoden", wenn wissenschaftlich (allgemein) anerkannte Methoden zur Behandlung einer Erkrankung oder Linderung von Leiden nicht zur Verfügung stehen und die Aussicht besteht, dass eine solche Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich (allgemein) anerkannt werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1995, aaO., ZBR 1996, S. 48, 49; OVG NRW, Beschluss vom 21. Oktober 2005 - 6 A 239/04 -.

Dass diese Voraussetzungen - insbesondere nicht zur Verfügung stehende wissenschaftlich anerkannte Methoden - gegeben sind, hat der Kläger nicht stichhaltig vorgetragen.

3. Dem Kläger steht die begehrte Beihilfe auch nicht aus der Fürsorgepflicht seines Dienstherrn zu. Das geltende Beihilfensystem enthält grundsätzlich eine abschließende Festlegung und Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen (Ruhestands-)Beamten.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. November 1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE 83, S. 89 ff.

Deshalb können nur in Ausnahmefällen nicht von der BVO erfasste Aufwendungen als beihilfefähig anerkannt werden. Das setzt eine einschneidende Beeinträchtigung der Lebensführung des Beamten im Falle der Nichtgewährung der begehrten Beihilfe voraus.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1999 - 2 C 29.98 -, ZBR 2000, S. 46, und Urteil vom 24. August 1995 - 2 C 7.94 -, ZBR 1996, S. 46, 48; OVG NRW, Urteil vom 4. Juli 2002 - 6 A 3458/99 - und vom 21. September 1995 - 6 A 1702/94 -.

Ein solcher Fall liegt hier angesichts der begehrten Beihilfe von 2.455,90 EUR und der Einmaligkeit der Aufwendungen einerseits sowie der Höhe der monatlichen Versorgungsbezüge des Klägers ausgehend von der Besoldungsgruppe A 15 BBesG andererseits ersichtlich nicht vor. Der Kläger hat auch keine dementsprechende finanzielle Belastung vorgetragen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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