FG Köln, Beschluss vom 22.09.2005 - 10 K 1880/05
Fundstelle
openJur 2011, 37235
  • Rkr:
Tenor

Das Verfahren wird gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ausgesetzt.

Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob

1. die Vorschriften der §§ 20 Abs. 1, 32a EStG in der für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 maßgeblichen Fassung mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar sind, wie sie im Zusammenwirken mit den ergänzenden Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes (StraBEG) steuerehrliche Steuerpflichtige einer höheren Steuer unterwerfen als dies für Steuerunehrliche geschieht und

2. darüber, ob die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, weil die Durchsetzung des aus dem Bezug von Zinseinkünften erwachsenden Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt wird.

Gründe

Das Verfahren war gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen.

I. Vorlagepflicht

Verletzt ein Bundesgesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung eines Rechtsstreits ankommt, nach Auffassung des Gerichts das Grundgesetz, so ist das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) einzuholen. Im Streitfall war die Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG geboten, weil der vorlegende Senat die Regelungen der §§ 20Abs. 1, 32a EStG in der für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 maßgeblichen Fassung zunächst insoweit für verfassungswidrig hält, als sie im Zusammenwirken mit den Regelungen des StraBEG steuerehrliche Steuerpflichtige einer höheren Steuer unterwerfen als dies bei Steuerunehrlichen der Fall ist; außerdem hält der Senat die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG für mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil die Durchsetzung des aus dieser Vorschrift erwachsenden Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt wird.

II. Rechtsentwicklung

1. Rechtsentwicklung bis zu den Streitjahren 2000 bis 2002

Mit Art. 17 des Steuerreformgesetzes 1990 (vom 25. Juli 1988, BGBl. I 1988, 1093) führte der Gesetzgeber das "Gesetz über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen" ein. Dieses gewährte Straffreiheit für Steuerhinterziehungen und leichtfertige Steuerverkürzungen im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen. Voraussetzung war, dass der Steuerpflichtige bis zum 31. Dezember 1990 seine Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Veranlagungszeiträume 1986 und 1987 richtig und vollständig bei den Finanzbehörden erklärte. Darüber hinaus wurde in § 2 des Gesetzes auf die Festsetzung der hinterzogenen Steuern für Veranlagungszeiträume vor 1986 verzichtet. Die gleichzeitig durch das Steuerreformgesetz 1990 eingeführte sog. "kleine Quellensteuer", nach der ein Quellensteuerabzug i.H.v. 10 v.H. von den Zinseinnahmen vorgesehen war, wurde schon ein halbes Jahr nach ihrem Inkrafttreten durch das Gesetz zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 (30. Juni 1989, BGBl. I 1989, 1267) wieder abgeschafft.

In seinem Urteil vom 27. Juni 1991 (2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, bei der Besteuerung von Zinseinkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 7 (damals Nr. 8) EStG bestehe seit dem Veranlagungszeitraum 1981 ein struktureller Erhebungsmangel, weil der (zwischenzeitlich wortgleich in die Vorschrift des § 30a AO 1977 übernommene) Bankenerlass 1979 eine wirksame Ermittlung und Kontrolle der Einkünfte aus Kapitalvermögen verhindere. Die tatsächliche Steuerbelastung hänge daher im Regelfall davon ab, ob der Steuerpflichtige seine Einkünfte erkläre oder verschweige. Das Bundesverfassungsgericht hat aus diesem Grund die Besteuerung von Zinseinkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG 1979 für unvereinbar mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung bis zum 31. Dezember 1992 gesetzt.

Der Gesetzgeber reagierte hierauf mit dem "Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung" vom 9. November 1992 (BGBl. I 1992, 1853). Dieses sah zum einen die Anhebung des Sparerfreibetrages um das jeweils Zehnfache auf 6.000 DM für Alleinstehende bzw. 12.000 DM für Verheiratete vor. Nach der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 246/92, S. 25) sollten hierdurch "gut 80 % der jetzt noch Steuerpflichtigen künftig von der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen freigestellt" werden. Zum anderen sah es für Einkünfte aus Kapitalvermögen von Steuerinländern einen Zinsabschlag i.H.v. 30 v.H. bzw. bei Tafelgeschäften i.H.v. 35 v.H. vor. Die erhöhten Sparerfreibeträge konnten bereits bei der Bemessung des Zinsabschlags berücksichtigt werden, wenn ein entsprechender Freistellungsauftrag erteilt wurde. Zur Verhinderung einer missbräuchlichen und gesetzeswidrigen Erteilung von Freistellungsaufträgen wurde § 45d EStG eingefügt, der Mitteilungspflichten der steuerabzugspflichtigen Stellen gegenüber dem Bundesamt für Finanzen vorsah. Diese Mitteilungen durften nach § 45d Abs. 2 EStG ausschließlich zur Prüfung der rechtmäßigen Inanspruchnahme des Sparerfreibetrags verwendet werden. Die Vorschrift des § 30a AO 1977 blieb durch das Zinsabschlaggesetz unberührt.

Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl. I 1999, 402) halbierte der Gesetzgeber die Sparerfreibeträge mit Wirkung vom 1. Januar 2000 auf 3.000 DM bzw. 6.000 DM. Die Absenkung sei wegen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung der unterschiedlichen Einkunftsarten geboten und diene der Finanzierung einer spürbaren Tarifsenkung (vgl. BR-Drs. 910/98, S. 179). Gleichzeitig wurde § 45d EStG dahin erweitert, dass die zum Steuerabzug Verpflichteten dem Bundesamt für Finanzen auch die aufgrund der Freistellungsaufträge tatsächlich freigestellten Beträge mitzuteilen haben. Die Mitteilungen dürfen nunmehr von der Finanzbehörde auch zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens oder eines gerichtlichen Verfahrens in Steuersachen verwendet werden.

2. Rechtsentwicklung nach 2002

Durch das Zweite Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (- StÄndG 2003 -, BGBl. I 2003, 2645) wurde § 24c EStG eingeführt, der die Kreditinstitute und vergleichbare Einrichtungen ab dem Jahr 2004 verpflichtet, eine zusammenfassende Bescheinigung u.a. über sämtliche Kapitalerträge auszustellen, die alle für die Besteuerung nach § 20 EStG erforderlichen Angaben enthalten muss. Die Bescheinigung dient zugleich als Bescheinigung zur Anrechnung von einbehaltener Kapitalertragsteuer und Zinsabschlag.

Mit dem durch Art. 1 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I 2003, 2928) eingeführten Strafbefreiungserklärungsgesetz (StraBEG) ermöglichte der Gesetzgeber eine strafbefreiende Nacherklärung von Einnahmen, die bei der Festsetzung der Einkommensteuer in den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 2001 aufgrund unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben zu Unrecht nicht berücksichtigt wurden. Die derart nacherklärten Einnahmen werden durch einen pauschalen Abschlag von 40 v.H. gemindert und einer Steuer mit Abgeltungswirkung unterworfen. Die Höhe der Steuer beträgt 25 v.H., wenn die Nacherklärung bis zum 31. Dezember 2004 erfolgte, bzw. 35 v.H., wenn dies zwischen dem 1. Januar und dem 31. März 2005 geschah. Eine ursprünglich von der Bundesregierung geplante Zinsabgeltungssteuer, die zusammen mit der Steueramnestie ab 2004 eingeführt werden sollte (vgl. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung und zur Förderung der Steuerehrlichkeit - Zinsabgeltungssteuergesetz - vom 17. März 2003, abrufbar unter www.steuerberatercenter.de), wurde nicht realisiert.

Mit Wirkung ab 1. April 2005 hat der Gesetzgeber in den Art. 2 und 3 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden hinsichtlich der Kapitaleinkünfte erweitert. Ein neu eingeführter § 93b AO 1977 ermöglicht einen automatisierten Abruf der auf der Grundlage von § 24c Abs. 1 KWG nun auch für Besteuerungszwecke zu führenden Kontoinformationen. Die Finanzbehörden können nach Maßgabe des ebenfalls neu eingeführten § 93 Abs. 7 AO 1977 über das Bundesamt für Finanzen einzelne Daten elektronisch abrufen, wenn ein Auskunftsersuchen beim Steuerpflichtigen erfolglos durchgeführt worden ist oder keinen Erfolg verspricht.

Am 1. Juli 2005 trat die Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen (Zinsinformationsverordnung – ZIV) vom 26. Januar 2004 (BGBl. I 2004, 128) in Kraft. Ziel dieser Verordnung, die auf Grundlage des § 45e EStG zur Umsetzung der genannten EU-Richtlinie (ABlEU Nr. L 157, S. 38) erlassen wurde, ist es, im Bereich der EU grenzüberschreitende Zinszahlungen im Wohnsitzstaat des Empfängers effektiv zu besteuern (vgl. BR-Drs. 832/03, S. 16). Danach sind die jeweiligen Zahlstellen verpflichtet, den Finanzbehörden die notwendigen Auskünfte über die an natürliche Personen geleisteten Zinszahlungen erteilen.

III. Geltendes Recht im Streitfall

Nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung unterliegen der Einkommensteuer Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Steuerpflicht erzielt. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Erträge aus Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist. Auf Grundlage dieser Vorschriften hat das Finanzamt zutreffend angenommen, dass die Kläger in den Streitjahren Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt haben. Der von den Klägern erzielte Überschuss war, soweit er den Sparerfreibetrag des § 20 Abs. 4 EStG überschreitet, der Besteuerung zu unterwerfen. Da die Kläger ihre Einkünfte ordnungsgemäß erklärt hatten, kam die günstige StraBEG-Besteuerung nach geltendem Recht nicht in Betracht.

IV. Verfassungsrechtliche Würdigung

Der vorlegende Senat hält jedoch die Regelungen der §§ 20 Abs. 1, 32a EStG im Allgemeinen und § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG im Besonderen für verfassungswidrig. Nach seiner Überzeugung sind die §§ 20 Abs. 1, 32a EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit nicht vereinbar, wie sie ehrliche Steuerpflichtige einer höheren Steuer unterwerfen als dies für Steuerunehrliche durch das StraBEG der Fall ist (s.u. 1.). Darüber hinaus hält der vorlegende Senat § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch deshalb für gleichheitssatzwidrig, weil die aus dieser Norm erwachsenden Steueransprüche - jedenfalls soweit sie die einzubehaltende Kapitalertragsteuer übersteigen - wegen struktureller Vollzugshindernisse tatsächlich weitgehend nicht vollzogen werden (sog. strukturelles Vollzugsdefizit; s.u. 2.).

1. Verfassungswidrigkeit der §§ 20 Abs. 1, 32a EStG wegen StraBEG

Der vorlegende Senat ist der Auffassung, dass die §§ 20 Abs.1, 32a EStG mit der Einführung der diese Regelung ergänzenden Vorschriften des StraBEG insoweit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar geworden sind, wie sie für Steuerehrliche eine höhere steuerliche Belastung vorsehen als das StraBEG für Steuerstraftäter.

a. Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG

Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung wesentlich gleicher Sachverhalte oder für eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem nicht finden lässt bzw. wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Nähere Maßstäbe und Kriterien lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche präzisieren (BVerfG vom 6. März 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 [110]; vom 4. Dezember 2002 – 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 [45]).

Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird für den Bereich des Steuerrechts und insbesondere für den des Einkommensteuerrechts vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: Durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen sein muss. Zwar hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstands und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum, jedoch muss er die bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen daher eines besonderen sachlichen Grundes (BVerfG vom 6. März 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 [110]).

b. Verfassungsrechtliche Beurteilung in Rechtsprechung und Schrifttum

Rechtsprechung zu der Frage der Besteuerung von Kapitaleinkünften in Bezug auf die Vergünstigungen des StraBEG liegt noch nicht vor. Soweit ersichtlich, hat lediglich das VG München (Urteil vom 16.02.2005 11 K 1528/04) in Bezug auf die Gewerbesteuer einen Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG auf Besteuerung nach dem StraBEG abgelehnt. Das Schrifttum geht teilweise davon aus, die Benachteiligung der Steuerehrlichen ergebe sich naturgemäß aus einem Amnestiegesetz. Es sei eine politische Entscheidung des Gesetzgebers, ob diese Benachteiligung in Kauf genommen werden könne, die keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne (Düll, Verfassungsrechtliche Voraussetzungen einer Steueramnestie im Rahmen der Neuordnung der Zinsbesteuerung, 2003, S. 66; Hilgers-Klautzsch, StuW 2003, 297 [304]; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Auflage 2005, Vor § 1 StraBEG Rz. 16; ders., DStR 2003, 1417; Kamps/Wulf, FR 2004, 121 (133); Laule in Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21. Januar 2005, 2005, S. 1198 f.; Schmitz/Brilla, IStR 2004, 73; Seipl in Wannemacher, Steuerstrafrecht. Handbuch, 5. Auflage 2004, Rz. 5400; Stahl, Selbstanzeige und strafbefreiende Erklärung, 2. Auflage 2004, S. 246; Streck/Kamps in Streck, Berater-Kommentar zur Steueramnestie, 2004, Einl. Rn. 12 ff.; Weber-Grellet, DB 2004, 1574; Wieland, DFGT 1, 108).

Die Gegenansicht sieht den verfassungsrechtlichen Spielraum des Gesetzgebers als überschritten an und hält die Ungleichbehandlung für verfassungswidrig (Müller, StBp 2004, 95; Pezzer, DStZ 2003, 724; Schünemann, ZRP 2003, 433; Seer in Tipke/Söhn, Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik, 2005, S. 457; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Auflage 2005, § 23 Rz. 66 f.; ders., in Tipke/Kruse, Vor StraBEG Rz. 3 f.; Randt/Schauf, DStR 2003, 1369 [1370]; Striegel/Weger, DStR 2004, 534 [539 f.]).

c. Rechtsansicht des vorlegenden Senats zur

Die §§ 20 Abs. 1, 32a EStG sind durch die diese Vorschriften ergänzenden Regelungen des StraBEG insoweit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar geworden, wie Steuerehrliche erheblich ungünstiger besteuert werden als es das StraBEG für Steuerunehrliche vorsieht.

aa) Die Besteuerung durch die §§ 20 Abs. 1, 32a EStG einerseits und das StraBEG andererseits führt zu einer erheblichen Ungleichbehandlung zwischen Steuerehrlichen und Steuerunehrlichen. Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift des § 20 EStG eine Entscheidung dafür getroffen, die Kapitaleinkünfte als Quelle finanzieller Leistungsfähigkeit der Einkommensbesteuerung zu unterwerfen. Er hat diese Entscheidung nunmehr folgerichtig auszugestalten und im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit dafür Sorge zu tragen, dass Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden. Daraus ergibt sich, dass die Bezieher mit gleich hohen Einkünften aus Kapitalvermögen steuerlich gleich belastet werden müssen, unabhängig davon, ob sie ihren steuerlichen Erklärungspflichten nachkommen oder nicht. Ist ein Bezieher von Kapitaleinkünften seiner so bestimmten Pflicht zur Steuerzahlung nicht nachgekommen und wird dies bekannt, entspräche es dem Gebot der steuerlichen Lastengleichheit, dass der Einkünftebezieher – unabhängig von einer Sanktion der Steuerunehrlichkeit – die von Anfang der entstandenen Steuerschuld nachträglich in voller Höhe zu entrichten hat.

Grundsätzlich werden Einnahmen, die ein Bürger aus Kapitalvermögen bezieht und erklärt, nach § 9a Abs. 1 Nr. 2 EStG um einen Werbungskostenpauschbetrag i.H.v. 51 EUR bei Alleinstehenden bzw. 102 EUR bei Ehegatten (in den Veranlagungszeiträumen 2000 und 2001: 100 bzw. 200 DM) gemindert. Die so ermittelten Einkünfte gehen in das zu versteuernde Einkommen ein und unterliegen dem persönlichen Einkommensteuersatz nach § 32a EStG (höchstens 51 v.H. in 2000, 48,5 v.H. in 2001 und 2002). Hat der Steuerpflichtige seine Einkünfte dagegen unrichtig, unvollständig oder gar nicht erklärt, sieht das StraBEG in seinem § 1 Abs. 2 Nr. 1 vor, dass nur 60 v.H. dieser unrichtig, unvollständig oder nicht erklärten Einnahmen des Steuerpflichtigen der Besteuerung unterworfen werden, wenn er sie bis zum 31. März 2005 nacherklärt. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 StraBEG unterliegen die Einkünfte einem Steuersatz von 25 v.H., wenn sie bis zum 31. Dezember 2004 nacherklärt wurden, nach § 1 Abs. 6 StraBEG einem Steuersatz von 35 v.H., wenn sie danach bis zum 31. März 2005 nacherklärt wurden. Von einer Sanktion der Steuerunehrlichkeit wird durch das StraBEG ebenso abgesehen wie von einer Verzinsung der Steuerbeträge. Das StraBEG bewirkt somit durch die Schmälerung der Bemessungsgrundlage und den niedrigeren Steuersatz eine erhebliche Besserstellung derjenigen, die sich ihren steuerlichen Pflichten entzogen haben (vgl. auch Weber-Grellet, DB 2004, 1574 [1575]).

bb) Diese Ungleichbehandlung ist nach Auffassung des vorlegenden Senats nicht zu rechtfertigen.

aaa) Der pauschale Abschlag i.H.v. 40 v.H. auf sämtliche einkommen- und körperschaftsteuerpflichtigen Einnahmen nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG kann nicht als Typisierung gerechtfertigt werden. Das Bundesverfassungsgericht lässt die vergröbernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung grundsätzlich zu. Der Gesetzgeber darf einen steuererheblichen Vorgang um der materiellen Gleichheit willen im typischen Lebensvorgang erfassen und individuell gestaltbare Besonderheiten unberücksichtigt lassen (BVerfG vom 10. April 1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 [6 f.]). Eine zulässige Typisierung setzt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allerdings voraus, dass mit ihr verbundene Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, dass sie lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfG vom 4. April 2001 – 2 BvL 7/98, BVerGE 103, 310 [319]).

Der Gesetzgeber führt zur Begründung der § 1 Abs. 2 bis 5 StraBEG an, es sei im Interesse der Rechtssicherheit erforderlich, die Bemessungsgrundlage für die strafbefreiende Erklärung eindeutig zu regeln. Dies diene dem Interesse des Erklärenden, da davon die Reichweite seiner Straf- und Steuerfreiheit abhängt. Möglicherweise später auftretende Schwierigkeiten darüber, inwieweit der Erklärende die Bemessungsgrundlage zutreffend ermittelt hat und inwieweit er durch seine Erklärung straf- und steuerfrei geworden ist, sollen durch eine differenzierte, aber gleichwohl nachvollziehbare Regelung zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage vermieden werden (BT-Drs. 15/1309, S. 8).

Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die strafbefreiende Erklärung hat der Gesetzgeber zwar zwischen den betroffenen Steuerarten differenziert, nicht aber hinsichtlich der Einkunftsarten innerhalb der Einkommensteuer. Eine solche Differenzierung wäre aber geboten gewesen, da bei der Höhe der abziehbaren Aufwendungen zwischen den jeweiligen Einkunftsarten erhebliche Unterschiede bestehen. So sind die Betriebsausgaben eines Gewerbetreibenden typischerweise sehr viel höher als die Werbungskosten eines Kapitalanlegers. Dass derartige Unterschiede zwischen den Einkunftsarten bestehen, zeigt auch § 9a EStG, der unterschiedliche Werbungskosten-Pauschbeträge für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und Kapitaleinkünfte vorsieht. Wie der allgemeine Teil der Gesetzesbegründung zum StraBEG deutlich macht, lag der Schwerpunkt der gesetzlichen Zielsetzung auf der Rückholung von nicht erklärten Kapitalerträgen in die Steuerehrlichkeit. Denn die Amnestie sollte durch die EU-Zinsrichtlinie und eine attraktivere Besteuerung der Kapitalerträge in Deutschland flankiert werden (vgl. BT-Drs. 15/1309, S. 7). Auch der Umstand, dass die Steueramnestie ursprünglich von einer Neuregelung der Zinsbesteuerung begleitet werden sollte, bestätigt, dass es der Sache nach in erster Linie um die Rückholung von nicht erklärten Kapitalerträgen ging. Der pauschale Abschlag iHv. 40 v.H. der nacherklärten Einnahmen für Steuerunehrliche nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG ist deshalb insbesondere auch ins Verhältnis zum Pauschbetrag von 51 EUR für Steuerehrliche zu setzen. Vor diesem Hintergrund ist die Ungleichbehandlung durch die typisierenden Regelungen des StraBEG nicht mehr verhältnismäßig. Es ist nicht ersichtlich, dass Steuerunehrliche typischerweise höhere Werbungskosten im Zusammenhang mit ihren Kapitaleinkünften haben als Steuerehrliche. Denn die möglicherweise anfallenden Mehrkosten für die Transaktion des Kapitals auf schwarze Konten rechtfertigen keinen Abschlag von 40 v.H.

Eine Differenzierung der pauschalen Abzüge im Rahmen der verschiedenen Einkunftsarten zur Abmilderung der Ungleichbehandlung Steuerunehrlicher und Steuerehrlicher wäre ohne größere Schwierigkeiten möglich gewesen. Die derzeitigen Regelungen betreffen sämtliche Bezieher von Einkünften aus Kapitalvermögen und somit nicht nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen. Aufgrund des erheblichen Unterschieds der typisierten Abzugsbeträge liegt ein intensiver Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, der unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist.

bbb) Die sich danach ergebende Ungleichbehandlung kann auch nicht durch Lenkungszwecke gerechtfertigt werden. Ziel des StraBEG ist die Förderung der Steuerehrlichkeit. Es soll dazu beitragen, die Umsetzung der Steuergesetze zu verbessern, die nach den Feststellungen des Gesetzgebers in der Praxis "mitunter an rechtliche und tatsächliche Grenzen" stößt, um tatsächlich alle Steuerpflichtigen an der Finanzierung der staatlichen Aufgaben zu beteiligen. Zur Erreichung dieses Ziels soll es einen Anreiz setzen, freiwillig in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Bisher Steuerunehrlichen soll durch die befristete Möglichkeit einer Straf- und Bußgeldbefreiung, die außerdem einen Verzicht auf die verkürzten Steuern bei Zahlung einer pauschalierten Abgabe vorsieht, ein Weg zurück in die Legalität aufgezeigt werden (so BT-Drs. 15/1309, S. 7).

Der vorlegende Senat hat bereits Zweifel daran, ob das Gesetz zur Erreichung dieses Ziels überhaupt geeignet ist. Um geeignet zu sein muss das vom Staat gewählte Mittel wenn auch nicht optimal, so doch zumindest der Zweckerreichung dienlich, also dem gewünschten Erfolg förderlich sein (BVerfG vom 10. April 1997 – 2 BvL 45/92, BVerfGE 96, 10 [23]). Das Bundesverfassungsgericht spricht dem Gesetzgeber bei Prognosen der Geeignetheit einen weiten Spielraum zu und stellt für die Beurteilung auf die Möglichkeiten des Gesetzgebers zum Zeitpunkt der Gesetzesvorbereitung ab (BVerfG vom 18. Dezember 1968 – 1 BvL 5, 14/64 u.a., BVerfGE 25, 1

[12 f.]). Das oben angeführte Ziel des StraBEG, die Steuerehrlichkeit zu fördern, umfasst allerdings nicht nur die Rückholung der Steuerunehrlichen in die Steuerehrlichkeit, sondern auch das Verbleiben der bisher Steuerehrlichen in der Steuerehrlichkeit. Untersuchungen zeigen, dass durch Steueramnestien die Steuerehrlichkeit nicht gefördert werden konnte, sondern vielmehr eine Erosion der Steuermoral eingetreten ist (Sausgruber/Winner, ÖStZ 2004, 207 [211]). Dies gilt in besonderem Maße in Deutschland, wo die Steueramnestie durch das StraBEG - zumindest im Hinblick auf die Besteuerung von Zinsen - fast nahtlos an die Steueramnestie aus dem Jahre 1990 anknüpft. In der Literatur wird denn auch klar ausgesprochen, der Steuerehrliche müsse jetzt kalkulieren, wann die nächste "Exit-Möglichkeit zu Dumpingpreisen" geboten werde und ob er diesmal hiervon auch profitieren will (vgl. Striegel/Weger, DStR 2004, 534 [539]; Randt/Schauf, DStR 2003, 1369 [1370]). Derzeit ist unklar, wie viele Steuerehrliche sich in Zukunft aufgrund ihrer mittlerweile schlechten Erfahrung mit der Rechtstreue in die Steuerunehrlichkeit begeben. Der Ausschluss der Steuerehrlichen von den steuerlichen Begünstigungen des Gesetzes ist jedenfalls nicht geeignet, die Steuerehrlichkeit zu fördern.

Wegen dieser negativen Folgen beschränkt das BVerfG das Auswahlermessen des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung einer Amnestie. Das Gericht sieht in einer Amnestie in der Regel die Absicht des Gesetzgebers verwirklicht, unter eine Zeit, in der das Rechtsbewusstsein infolge außergewöhnlicher Verhältnisse erheblich gestört war, einen Strich zu ziehen (vgl. BVerfG vom 15. Dezember 1959 – 1 BvL 10/55, BVerfGE 10, 234 [241]). Die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung durch ein solches "Schlussstrichgesetz" beschränkt sich also auf die rechtspolitische Bewältigung einer Ausnahmesituation. Dies muss erst recht dann gelten, wenn zu dem Verzicht auf Bestrafung als eigentlichem Inhalt einer Amnestie erhebliche steuerliche Vergünstigungen für den Steuerstraftäter hinzutreten und dadurch sogar eine Besserstellung der Straftäter gegenüber den rechtstreuen Bürgern eintritt. Voraussetzungen einer solchen Amnestie sind mithin die notwendige Korrektur der Rechtslage, ein Schlussstrich und ein Neuanfang (Weber-Grellet, DB 2004, 1574 [1575]; Schünemann, ZRP 2003, 433; Düll, Verfassungsrechtliche Voraussetzungen einer Steueramnestie im Rahmen der Neuordnung der Zinsbesteuerung, S. 20). Nur das Junktim mit einer für die Zukunft geltenden Neugestaltung vermag die massive Ungleichbehandlung für die Vergangenheit zu rechtfertigen (so Seer in Tipke/Söhn, Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik, S. 460).

Die Korrekturbedürftigkeit der Rechtslage kann mit dem Gesetzgeber bejaht werden, der rechtliche und tatsächliche Grenzen bei der Umsetzung der Besteuerungsgerechtigkeit erkannt hat (vgl. BT-Drs. 15/1309, S. 1). Im Bereich der Zinsbesteuerung hat bisher vor allem die Vorschrift des § 30a AO 1977 die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden bei Bankinstituten einschränkt und eine tatsächliche Gleichbelastung der Steuerpflichtigen verhindert (BVerfG vom 27. Juni 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239; vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94; vgl. dazu im Einzelnen die Ausführungen des vorlegenden Senats unter 2.). Eine Korrektur dieser Regelung, die die Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen rechtfertigen und unter Umständen auch sinnvoll machen könnte, ist jedoch ausgeblieben. Der ursprüngliche Referentenentwurf des Gesetzes, das zu diesem Zeitpunkt noch "Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung und zur Förderung der Steuerehrlichkeit" (vom 17. März 2003, abrufbar unter "http://www.steuerberatercenter.de") hieß, sah die Einführung einer Zinsabgeltungssteuer vor, die durch die Steueramnestie begleitet werden sollte. Noch bevor dieser Reformvorschlag allerdings in den Bundestag eingebracht wurde, sah die Bundesregierung wieder von ihm ab und beließ es bei einer Amnestie. Eine grundlegende Renovierung des Systems der Besteuerung von Kapitaleinkünften ist schließlich unterblieben.

Mit Wirkung ab dem 1. April 2005 wurden lediglich einige Reparaturen durchgeführt, indem die Vorschriften der §§ 93 Abs. 7 und 93b AO 1977 eingefügt wurden. Diese sollen zu einer Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten für die Finanzverwaltung auch im Bankenbereich führen. Die bis dahin vom Bundesverfassungsgericht für Vollzugsdefizite verantwortlich gemachte Norm des § 30a AO 1977 blieb jedoch erneut unverändert bestehen. Zum Teil wird vertreten, die Einführung der §§ 93 Abs. 7 und 93b AO 1977 setzten den Regelungsinhalt des § 30a AO 1977 "in gewissem Umfang teilweise" außer Kraft (so Weber-Grellet, DB 2004, 1579; Hilgers-Klautzsch, StuW 2003, 297 [304]), Rechtsunsicherheiten bestehen aber weiterhin, zumal der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausführt, dass der "Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden" durch die Normen unangetastet bleibe (BT-Drs. 15/1309, S. 12). Von einem Neuanfang kann also nicht gesprochen werden, wenn unverändert die Vorschrift fortbesteht, die bisher im Wesentlichen für die Korrekturbedürftigkeit der Rechtslage verantwortlich war (vgl. ebenso Seer in Tipke/Söhn, Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik, S. 462; Pezzer, DStZ 2003, 724 [727]; Hey, DB 2004, 724 [728]; Göres, NJW 2005, 253 [257]). Die Aufrechterhaltung des "steuerlichen Bankgeheimnisses" in § 30a AO 1977 ist das falsche Signal an die bisher Steuerehrlichen, denn die Vorschrift dient auch weiterhin einzig und allein dem Schutz der Steuerhinterziehung und sorgt dafür, dass diese - noch mehr als bisher - als Kavalierdelikt angesehen wird. Mit der Steueramnestie hat der Gesetzgeber daher seinen Beurteilungsspielraum überschritten.

d. Entscheidungserheblichkeit

Auch die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Frage ist zu bejahen (a.A. VG München, a.a.O.). Die Entscheidungserheblichkeit erfordert eine Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz in dem Sinne, dass dem Gesetzgeber eine Heilung des Gleichheitsverstoßes durch Einbeziehung der Kläger, deren durchschnittlicher Steuersatz in den Streitjahren zwischen 29,2 % und 40,3 % betrug, in die Begünstigung möglich wäre. Die Gültigkeit der beanstandeten Normen (§§ 20, 32a EStG im Zusammenwirken mit den Regelungen des StraBEG) wäre hingegen nicht entscheidungserheblich, wenn die Einbeziehung des Klägers in den begünstigten Personenkreis schlechthin ausgeschlossen erschiene, wenn die Regelungen also verfassungswidrig in dem Sinne wären, dass allein der ersatzlose Wegfall der StraBEG-Vergünstigungen zu einem verfassungskonformen Zustand führen würde. Denn dann könnte der Kläger sein Klageziel unter keinen Umständen erreichen und die Klage wäre abzuweisen (vgl. BVerfG vom 10. Oktober 1983 - 1 BvL 73/78, BVerfGE 65, 160 [169], vom 27. Juni 1991 - 2 BvL 3/89, BVerfGE 84, 233 [237], vom 31. Januar 1996 – 2 BvL 39, 40/93, BVerfGE 93, 386 [395]). Die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung dadurch beseitigt, dass er den Steuerehrlichen nunmehr auch die Vergünstigungen gewährt, die er dem Steuerunehrlichen zugesteht, scheint dem vorlegenden Senat im Streitfall nicht gänzlich unvorstellbar (vgl. auch Felix, FR 1998, 669 [671]; Seer, StB 1989, 141 [144]; Birk, NJW 1989, 1072 [1075] zum Steueramnestiegesetz 1990), weil es dem gesetzlichen Ziel - der Förderung der Steuerehrlichkeit - langfristig entgegensteht, wenn Steuerehrliche von Vergünstigungen ausgeschlossen werden, die der Gesetzgeber Steuerunehrlichen gewährt. Die Entscheidung darüber, wie die verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung beseitigt werden soll, steht aber letztlich nicht den Gerichten zu. Sie ist alleine Sache des Gesetzgebers (Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 1993, S. 1392 ff.; Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz - Rechtsfolgen und Rechtsschutz, S. 143).

2. Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG im Besonderen

Darüber hinaus hält der vorlegende Senat § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG für nicht mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil der sich nach dieser Vorschrift ergebende Steueranspruch wegen des insoweit nach wie vor bestehenden strukturellen Vollzugsdefizits gegenüber den Steuerpflichtigen nicht gleichmäßig durchgesetzt wird.

a. Prüfungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG

aa) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht nicht nur, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich, sondern auch dass sie tatsächlich - im Rahmen der Steuererhebung - gleich belastet werden. Daraus folgt, dass das materielle Steuergesetz in ein normatives Umfeld eingebettet sein muss, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolgs prinzipiell gewährleistet. Zwar hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstands und der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Ermessensspielraum, jedoch muss er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umsetzen. Dazu müssen die Besteuerungsgrundlagen möglichst vollständig festgestellt und die Steuern anschließend gleichmäßig erhoben werden. Hängt die Festsetzung der Steuer von der Erklärung des Steuerschuldners ab, werden erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit gestellt. Der Gesetzgeber muss die Steuerehrlichkeit deshalb durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen. Eine Belastungsungleichheit durch Vollzugsmängel bei der Steuererhebung, die immer wieder vorkommen können und sich auch tatsächlich ereignen, führt noch nicht zu einer gleichheitswidrigen Besteuerung. Wirkt sich indes eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig aus, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und ist dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen, so führt die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Norm (BVerfG vom 27. Juni 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239; vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94).

bb) Verfassungsrechtliche Beurteilung in Rechtsprechung und Schrifttum

aaa) Das Bundesverfassungsgericht hat sich nach seinem Urteil vom 27. Juni 1991 (2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) nicht noch einmal ausdrücklich mit der Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung auseinandergesetzt. Mit Kammerbeschlüssen vom 21. März 1996 (2 BvR 2473/95, StE 1996, 411) und vom 10. Oktober 1997 (2 BvR 1440/97, StE 1997, 799) hat es zwei Verfassungsbeschwerden zur Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Kapitalerträgen im Veranlagungszeitraum 1993 nicht zur Entscheidung angenommen und nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen. Mit Urteil vom 9. März 2004 (2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94) hat das Bundesverfassungsgericht die Besteuerung von privaten Spekulationsgeschäften bei Wertpapieren wegen eines strukturellen Erhebungsdefizits für verfassungswidrig erklärt und dabei für den Vergleich der Kontrollmöglichkeiten innerhalb der verschiedenen Einkunftsarten ausgeführt, anders als bei der Besteuerung von Spekulationsgewinnen existierten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen eine Quellensteuer sowie die Kontrollmöglichkeit nach § 45d EStG. Die Besteuerung der Spekulationsgewinne habe selbst dann noch Ausnahmecharakter, wenn man unterstelle, dass bei den Kapitaleinkünften wegen der ins Ausland transferierten "Fluchtgelder" knapp zwei Drittel der Zinsgutschriften nicht versteuert werden, weil selbst die Quellensteuer als wirksamste Erhebungsform im Ausland nicht greife. Hinzu komme, dass die Finanzverwaltung insbesondere im Rahmen von Steuerfahndungsmaßnahmen nicht unerhebliche Anstrengungen unternommen habe, die Besteuerung von Einkünften aus im Ausland transferiertem Kapitalvermögen sicherzustellen (BVerfG vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [134 f.]). Als Hauptursache des strukturellen Erhebungsdefizits bei der Besteuerung von Spekulationsgewinnen nennt das Bundesverfassungsgericht § 30a AO 1977, der eine effektive Kontrolle durch die Finanzbehörden verhindere (BVerfG vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [124 ff. und 137]).

bbb) Der 8. Senat des Bundesfinanzhofs hat die Zinsbesteuerung im Veranlagungszeitraum 1993 in einem Urteil vom 18. Februar 1997 (VIII R 33/95, BFHE 183, 45) für verfassungsgemäß gehalten. Ein Vollzugsdefizit sah er weder bei aus- noch bei inländischen Zinseinkünften. Kapitalerträge, die im Ausland anfielen, unterlägen nicht bundesdeutschen Hoheitsbefugnissen. Daher könne der deutsche Gesetzgeber – selbst wenn solche Zinszahlungen tatsächlich in großem Umfang im Inland rechtswidrig nicht besteuert würden – dort auch keine Maßnahmen zur Aufklärung steuererheblicher Sachverhalte treffen. Bezüglich der inländischen Kapitalerträge wies der 8. Senat darauf hin, dass ein Vollzugsdefizit nur dann auftreten könne, wenn der persönliche Steuersatz der Einkünftebezieher den der Zinsabschlagsteuer übersteige. Für diese Fälle genügten aber die zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden. Die Vorschrift des § 30a AO 1977 stehe dem nicht entgegen, denn sie sei verfassungskonform einschränkend auszulegen. Während den Regelungen des § 30a Abs. 1, 2, 4 und 5 AO 1977 lediglich rechtsbestätigender Charakter zukomme, hindere Abs. 3 nicht die Fertigung und Auswertung von Kontrollmitteilungen anlässlich einer Außenprüfung bei Kreditinstituten, wenn hierfür ein "hinreichend begründeter Anlass" bestehe.

Mit Urteil vom 15. Dezember 1998 (VIII R 6/98, BFHE 187, 302) und Beschluss vom 22. Februar 1999 (VIII R 29/98, BFH/NV 1999, 931) hat der 8. Senat seine Rechtsprechung zu § 30a AO 1977 und seine Auffassung von der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Kapitaleinkünfte im Veranlagungszeitraum 1993 bestätigt, obwohl ihm der 7. Senat in einem Beschluss vom 28. Oktober 1997 (VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424) hinsichtlich der Auslegung des § 30a AO 1977 entgegen getreten ist. Der 7. Senat führte aus, die Auslegung des § 30a AO 1977 durch den 8. Senat widerspreche der Zielsetzung der Vorschrift, die eine bewusste und zielgerichtete Einschränkung des § 194 Abs. 3 AO 1977 durch den Gesetzgeber für Prüfungen im Bankenbereich sein solle. Solange § 30a AO 1977 Bestand habe, müsse wenigstens ein Kernbestand des Bankgeheimnisses bewahrt bleiben. In seinem Vorlagebeschluss 16. Februar 2002 (IX R 62/99, BFHE 199, 451) hinsichtlich der Besteuerung von Einkünften aus Spekulationsgeschäften hat der 9. Senat des Bundesfinanzhofs ebenfalls Bedenken gegen die verfassungskonforme Auslegung des § 30a AO 1977 durch den 8. Senat geäußert und sich zur Begründung den Ausführungen des 7. Senates angeschlossen.

ccc) Die wohl überwiegende Mehrheit der Stimmen im Schrifttum bejaht die Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung auch für die Veranlagungszeiträume ab 1993 (z.B. Austrup, Zinsbesteuerung, 1994, S. 106; Bilsdorfer, NJW 1997, 2368; Blesinger, NJW 2001, 1459; Birk, Steuerrecht, 7. Auflage 2004, Rz. 433; ders., StVj 1993, 97; ders., StuW 2004, 277; Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, 1999, S. 348 ff.; ders., DStR 1997, 1071; Ehrhardt-Rauch/Rauch, DStR 2002, 57; Esskandari, Zur "Misere der Zinsbesteuerung", 2001, S. 178; ders., DStZ 2001, 761; Freitag, Die Besteuerung der Zinsen, 1999, S. 108; Fumi in Kellersmann, Nationale und internationale Dimensionen des Steuerrechts, Symposium zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Jörg Manfred Mössner, 2002, S. 67; Harenberg in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz. Kommentar, § 20 EStG Anm. 6; ders., FR 1998, 493; Hellwig in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgaben- und zur Finanzgerichtsordnung, § 30a AO 1977 Rz. 11d; ders. in Kirchhof/Jakob/Beermann, Steuerrechtsprechung, Steuergesetz, Steuerreform, Festschrift für Klaus Offerhaus zum 65. Geburtstag, 1999, S. 1113; Hey, DB 2004, 724; Hoppe, Das Erhebungsdefizit im Bereich der Besteuerung von Zinseinkünften, 1998, S. 15 ff.; Knist, Kapitalvermögen und Steuerhinterziehung, 1996, S. 42 f.; Koss in Lademann, § 20 EStG Anm. 137; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Auflage 2002, § 9 Rz. 563; Laule, in Kleineidam, Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, Festschrift für Lutz Fischer zum 60. Geburtstag, 1999, S. 335; Miebach, Das Bankgeheimnis. Verfassungsrecht und § 30a AO 1977, 1999, S. 295; Niebler, DStZ 2001, 890; Papier/Dengler, BB 1996, 2541; Peschges, Die Rechtsstellung der Bank im Steuerverfahren ihres Kunden, 2000, S. 52; Risto/Julius, DB Beilage 4/2002; Rüth, DStZ 2000, 30; Schumacher, FR 1997, 1; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Auflage 2002, § 21 Rz. 200; ders. in Tipke/Söhn, Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik, S. 457; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Auflage 2003, S. 708; ders. in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung. Kommentar, § 30a AO 1977 Rz. 31; Wernsmann/Stabold, StuB 2000, 252 und 302; Weyand; INF 1997, 554). Sie geht davon aus, dass trotz der Einführung der Zinsabschlagsteuer und der Erhöhung der Sparerfreibeträge – nicht zuletzt wegen des weiterhin geltenden § 30a AO 1977 – noch immer ein strukturelles Vollzugsdefizit bei der Besteuerung von Zinsen besteht.

Die Gegenansicht (z.B. Dötsch, DStZ 1999, 221; Gersch in Kirchhof/Söhn, § 43 EStG Rn. I 2; Jakob, DStR 1992, 893; Lindberg in Blümich, § 43 EStG Rz. 7; Metzner in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 30a AO 1977 Rzl. 24 ff.; Rößler, DStZ 1998, 51; Vogt/Kramer, DStZ 1999, 491; Weber-Grellet in Schmidt, § 20 Rz. 165; Wieland, JZ 2000, 272) geht von der Verfassungsmäßigkeit der seit dem Veranlagungszeitraum 1993 geltenden Neuregelung der Zinsbesteuerung aus. Durch die erhebliche Erhöhung der Freibeträge, die Zinsabschlagsteuer, die Regelung des § 45d EStG und eine vermehrte Ermittlungsaktivität der Finanzverwaltung sei das strukturelle Vollzugsdefizit bei der Zinsbesteuerung beseitigt. Hinsichtlich der Vorschrift des § 30a AO 1977 beruft sich die Gegenansicht überwiegend auf die Auslegung des 8. Senats des Bundesfinanzhofs und sieht diese daher nicht als Vollzugshindernis an.

cc) Rechtsansicht des vorlegenden Senats zur Verfassungsfrage

Nach Ansicht des vorlegenden Senats ist der gleichmäßige tatsächliche Vollzug der Zinsbesteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in den Streitjahren nicht gewährleistet. Die Maßnahmen, die der Gesetzgeber für die Verifikation der vom Steuerpflichtigen erklärten Zinseinkünfte geschaffen hat, sind nach Auffassung des vorlegenden Senats für die Streitjahre nicht ausreichend, um das vom Bundesverfassungsgericht im Jahre 1991 festgestellte Vollzugsdefizit bei der Zinsbesteuerung zu beseitigen.

aaa) Mit dem Zinsabschlaggesetz hat der Gesetzgeber als Reaktion auf das BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239) den Zinsabschlag eingeführt. Danach werden die Einkünfte aus Kapitalvermögen von Inländern, die diese von einer inländischen Zahlstelle beziehen, einer Quellensteuer i.H.v. 30 vH. bzw. bei Tafelgeschäften i.H.v. 35 v.H. unterworfen. Der Zinsabschlag hat jedoch keine abgeltende Wirkung, er wird vielmehr als eine Art der Vorauszahlung auf die Einkommensteuer angerechnet. Der Steuerpflichtige ist deshalb weiter verpflichtet seine Zinseinkünfte grundsätzlich auch in der Steuererklärung anzugeben. Übersteigt sein persönlicher Einkommensteuersatz den Zinsabschlagsteuersatz – also 30 bzw. 35 v.H. – fällt weitere Einkommensteuer auf seine Zinseinkünfte an. Ein Steuererhebungsdefizit ist deshalb weiterhin in zwei Fällen denkbar:

Zum einen bei den Steuerpflichtigen, die Zinsen von ausländischen Zahlstellen beziehen und deshalb dem Zinsabschlag von vorneherein nicht unterworfen sind (unbestritten ist es infolge der Einführung der Zinsabschlagsteuer im Jahr 1992 zu einer erheblichen Verlagerung von inländischen Kapitalvermögen in das Ausland gekommen; allerdings handelt es sich bei der Steuerflucht grundsätzlich um kein dem Gesetzgeber anzulastendes Erhebungsdefizit, sondern vielmehr um eine Folge territorial begrenzter Steuer- und Vollzugshoheit, die die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers an den Landesgrenzen enden lässt (BVerfG vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [134]; BFH 18. Februar 1997 - VIII R 33/95, BFHE 183, 45 [54]; Hey, DB 2004, 724 [728]; Englisch, Die duale Einkommensteuer – Reformmodell für Deutschland?, 2005, unter A. II. 2.);

zum anderen bei Steuerpflichtigen, die ihre von inländischen Zahlstellen bezogenen und dem Zinsabschlag unterworfenen Kapitalerträge in ihrer Einkommensteuererklärung nicht angeben, obwohl die effektive Steuerbelastung dieser Erträge höher als der erhobene Zinsabschlag wäre (so auch BFH vom 18. Februar 1997 – VIII R 33/95, BFHE 183, 45 [53]).

Da das Gesetz auch in diesen Fällen weiterhin die Besteuerung der Zinseinkünfte mit dem persönlichen Steuersatz fordert, hat der Gesetzgeber auch dafür zu sorgen, dass der Steueranspruch nicht nahezu allein von der Erklärung durch den Steuerpflichtigen abhängt (Harenberg, FR 1998, 493). Für die Gleichheitswidrigkeit der Norm macht es nach Auffassung des vorlegenden Senats keinen Unterschied, ob ein Erhebungsdefizit hinsichtlich des gesamten Besteuerungstatbestands vorliegt (wie dies bis 1993 für die Zinseinkünfte der Fall war) oder ob dies nur für einen bestimmten Teil des Besteuerungstatbestandes der Fall ist, nämlich für die Besteuerung von Zinseinkünften, soweit der persönliche Steuersatz über den Quellensteuersatz hinaus geht. Auch wenn in diesem Fall die entgangene Steuer geringer ausfallen mag, erfordert ein gleichheitssatzkonformer Vollzug, wie ihn das Bundesverfassungsgericht fordert, die Sicherung der gesetzlich angeordneten Steuer in der vollen Höhe (so auch Hey, DB 2004, 724 [728]; Wernsmann/Stalbold, StuB 2000, 252 [254]). Kontrollen sind daher für die Gleichheit im steuerlichen Belastungserfolg insoweit unbedingt erforderlich.

Gleichzeitig mit der Einführung des Zinsabschlags hat der Gesetzgeber die Höhe der Sparerfreibeträge auf 6.000 DM für Alleinstehende bzw. 12.000 DM für Ehegatten verzehnfacht, mit dem Ziel, einen Großteil der bis dahin noch Steuerpflichtigen künftig von der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen freizustellen (nach Schätzungen der Bundesregierung etwa 80%; vgl. BR-Drs. 246/92, S. 25). Es wird vorgebracht, soweit es den durch die Freibeträge ausgeschiedenen Teil der Steuerpflichtigen betreffe, könne das gleichheitswidrige Steuererhebungsdefizit von vorneherein nicht mehr auftreten (so BFH vom 18. Februar 1997 – VIII R 33/95, BFHE 183, 45 [53]; auch Jakob, DStR 1992, 893 [895]; Wieland, JZ 2000, 272 [275]). Zu beachten ist dabei jedoch, dass ab dem Veranlagungszeitraum 2000 die Sparerfreibeträge durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 halbiert worden sind und dadurch wieder ein größerer Kreis Steuerpflichtiger von der Zinsbesteuerung betroffen ist (Esskandari, DStR 2001, 1596 (1597); Risto/Julius, DB Beilage 5/2002, S. 5; Wernsmann/Stalbold, StuB 2000, 252 [254]). Abgesehen von gleichheitsrechtlichen Fragen, die sich durch die hohen Freibeträge im Hinblick auf die anderen Einkunftsarten ergeben (Tipke, StuW 1993, 8 [11 f.]; Birk, StVj 1993, 97 [102]; Schumacher, DStR 1997, 1 [6]; Harenberg, FR 1998, 493 [494]; vgl. auch BR-Drs. 910/98, S. 179), wird das vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Problem des Erhebungsdefizits aber hinsichtlich der nicht von den Freibeträgen erfassten Steuerpflichtigen nicht gelöst (Fumi in Kellersmann, Nationale und internationale Dimensionen des Steuerrechts, S. 75). Auch für diesen verbleibenden Personenkreis hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Belastungsgleichheit zu beachten und sicherzustellen. Durch die Einführung der hohen Freibeträge wurde lediglich die Gruppe derjenigen verkleinert, innerhalb der die Belastungsgleichheit bezüglich der Zinsbesteuerung bestehen muss. Die Herausnahme eines Großteils der Zinsbezieher aus der Steuerpflicht befreit den Gesetzgeber jedoch nicht, für den weiterhin steuerpflichtigen Teil die Belastungsgleichheit herzustellen und durch Kontrollmöglichkeiten im Besteuerungsverfahren auch abzusichern (Birk, StVj 1993, 97 [107]; Papier/Dengler, DB 1996, 2541 [2543]).

bbb) Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Urteil vom 9. März 2004 (2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [133]) auf die Kontrollmöglichkeit nach § 45d EStG hin, die - anders als bei Spekulationsgewinnen - für die Besteuerung der Kapitaleinkünfte bestehe. Diese im Zinsabschlaggesetz eingeführte Vorschrift verpflichtete die steuerabzugspflichtigen Stellen ursprünglich nur zu Mitteilungen über die Anzahl der Freistellungsaufträge und die Höhe des Betrages, bis zu dem aufgrund dieses Freistellungsauftrags vom Steuerabzug Abstand genommen werden sollte. Die Finanzverwaltung konnte damit überprüfen, ob der Sparerfreibetrag mehrmalig in Anspruch genommen wurde, wenn die Summe der erteilten Freistellungsaufträge über den zustehenden Sparerfreibetrag hinausging. Ab dem Veranlagungszeitraum 1999 hat die steuerabzugspflichtige Stelle auch die tatsächlich freigestellten Beträge mitzuteilen. Damit kann die Finanzverwaltung bei Vorliegen eines Freistellungsauftrags die in der Steuererklärung angegeben Zinseinnahmen verproben. Diese Kontrollmöglichkeit erfasst jedoch nur die Höhe der Zinsbeträge, soweit ein Freistellungsauftrag erteilt wurde, nicht die darüber hinaus ausgezahlten Zinsen (ausführlich Esskandari, DStR 2001, 1596 [1596 ff.]). Sie lässt sich außerdem leicht dadurch umgehen, dass überhaupt kein Freistellungsauftrag erteilt wird (Wernsmann/Stalbold, StuB 2000, 252 [254]). Eine wirksame Möglichkeit zur Überprüfung der dem Steuerpflichtigen zugeflossenen Zinsen stellt § 45d EStG deshalb nicht dar (vgl. auch Ehrhardt-Rauch/Rauch, DStR 2002, 57 [58]).

Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus, die Finanzverwaltung habe insbesondere im Rahmen von Steuerfahndungsmaßnahmen nicht unerhebliche Anstrengungen unternommen, die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen sicherzustellen (Urteil vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [134]). Dagegen wird jedoch zu Recht eingewandt, der Einsatz der Steuerfahndung zur Aufdeckung hinterzogener Zinseinkünfte sei kein hinreichender Ersatz für Prüfungsmöglichkeiten im Vorfeld (Fumi in Kellersmann, Nationale und internationale Dimensionen des Steuerrechts, S. 96; Papier/Dengler, BB 1996, 2593 [2596]; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Auflage 2002, § 21 Rz. 200; Tipke, BB 1998, 241 [245]). Das Strafrecht ist zur Aufklärung und Ahndung individueller Straftaten konzipiert, damit der jeweilige Straftäter der dem Schuldvorwurf entsprechenden Strafe zugeführt werden kann. Schon dieser notwendige Individualbezug des Strafrechts führt dazu, dass das Steuerstrafrecht ungeeignet ist, strukturelle Vollzugsdefizite auf der Ebene des exekutivischen Normenvollzugs auszugleichen und die gebotene Belastungsgleichheit herzustellen (Papier/Dengler, BB 1996, 2593 [2596]; Seer in Tipke/Söhn, Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik, S. 466). Als eine besondere Maßnahme der Verifikation kommt die Steuerfahndung – entsprechend den erhöhten Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen gemäß § 90 Abs. 2 AO 1977 – allenfalls bei Auslandssachverhalten in Betracht (so BVerfG vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [134]). Ein geeignetes und angemessenes Mittel zur Kontrolle von Inlandssachverhalten stellt sie jedoch nicht da.

ccc) Die Prüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung im Vorfeld werden durch die Vorschrift des § 30a AO 1977 erheblich beeinträchtigt. Nach § 30a Abs. 1 AO 1977 haben die Finanzbehörden bei der Ermittlung des Sachverhalts auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden besonders Rücksicht zu nehmen. Abs. 3 bestimmt, dass die Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung eine Legitimationsprüfung nach § 154 Abs. 2 AO 1977 vorgenommen worden ist, anlässlich der Außenprüfung bei einem Kreditinstitut nicht zwecks Nachprüfung der ordnungsmäßigen Versteuerung festgestellt oder abgeschrieben werden dürfen. Die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen soll insoweit unterbleiben. Obwohl das BVerfG für die jeweils bestehenden strukturellen Vollzugsdefizite im Bereich der Zinsbesteuerung (BVerfG vom 27. Juni 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) und der Besteuerung von Spekulationsgewinnen (BVerfG vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94) die Verantwortung ausdrücklich dieser Regelung zugesprochen hat, ist eine Abschaffung durch den Gesetzgeber – trotz zahlreicher Versuche (vgl. z.B. BT-Drs. 15/119, S. 14) – bis heute unterblieben.

Der 8. Senat des Bundesfinanzhofs hat in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1997 (VIII R 33/95, BFHE 183, 45) den Versuch unternommen, den Anwendungsbereich der Norm durch eine einschränkende Auslegung zu begrenzen (s. o.). Ein hinreichend konkreten Anlass für Kontrollmitteilungen ist danach gegeben, wenn der Außenprüfer im Rahmen einer Prognoseentscheidung zu dem Ergebnis kommt, dass eine Kontrollmitteilung zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen kann. "Hinreichender Anlass" im Anwendungsfeld des § 30a Abs. 3 AO 1977 meine dasselbe wie der "hinreichende Anlass" für ein Auskunftsersuchen i.S.v. § 93 Abs. 1 AO 1977. Trotz erheblicher Kritik gerade auch vonseiten des 7. Senates (vom 28. Oktober 1997 VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424 [430 f.]) hat der 8. Senat an dieser Auslegung des § 30a AO 1977 festgehalten (BFH vom 15. Dezember 1998 – VIII R 6/98, BFHE 187, 302; vom 22. Februar 1999 VIII B 29/98, BFH/NV 1999, 931).

ddd) Der vorlegende Senat schließt sich der restriktiven Auslegung des § 30a AO 1977 durch den 8. Senat des Bundesfinanzhofs nicht an. Die Auslegung einer Norm findet ihre Grenzen, wo sie zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerf vom 11. Juni 1958 – 1 BvL 149/52, BVerfGE 8, 28 [34]; vom 15. Oktober 1996 – 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64 [93]; ferner Lang in Tipke/Lang, 18. Auflage 2005, § 5 Rz. 74). Der Gesetzgeber hat § 30a Abs. 3 AO 1977 als bewusste und zielgerichtete Einschränkung des § 194 Abs. 3 AO 1977 für Prüfungen im Bankenbereich vorgesehen (vgl. auch BT-Drs. 15/119, S. 51). Folglich müssen auch die Befugnisse der Prüfer gegenüber § 194 Abs. 3 AO 1977 eingeschränkt sein. Solange § 30a AO 1977 Bestand hat, muss wenigstens ein Kernbestand des Bankgeheimnisses gewahrt bleiben (BFH vom 28. Oktober 1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424 [431]; vom 16. Juli 2002 – IX R 62/99, BFHE 199, 451 [468 f.] sowie Intermann in Pahlke/König, Abgabenordnung, § 30a AO 1977 Rz. 3; Wernsmann/Stalbold, StuB 2000, 302; Fumi in Kellersmann, Nationale und internationale Dimensionen des Steuerrechts, S. 79 ff.; Laule in Kleineidam, Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, S. 353; Birk, Steuerrecht, 7. Auflage 2004, Rz. 433). Das Bundesverfassungsgericht hat dem § 30a Abs. 3 AO 1977 diese Wertung ebenfalls entnommen, wenn es in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 (2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 [278]) davon ausgeht, dass vor allem das Verbot der Kontrollmitteilungen durch die Nr. 3 des Bankenerlasses (die dem § 30a Abs. 3 AO 1977 wörtlich entspricht) der Finanzverwaltung eines der wirksamsten Mittel zur Sachverhaltsaufklärung genommen habe (Tipke, FR 1998, 117 [117]; Wernsmann/Stalbold, StuB 2000, 302 [306], Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 358; ders., DStR 1997, 1071 [1073]; Laule in Kleineidam, Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, S. 353; Harenberg, FR 1997, 493). In seiner Entscheidung vom 9. März 2004 (2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [125 f.]) hat das BVerfG ausgeführt, dass der Streit um Inhalt und Ausmaß der Vorschrift in der Praxis zu erheblichen Rechtsunsicherheiten geführt habe (so auch Weinreuter/Braun, DStZ 2001, 185 [192]; Rüth, DStZ 2000, 30) und schließlich auch das Vollzugsdefizit bei der Besteuerung der Spekulationsgewinne mit § 30a AO 1977 begründet.

Schließlich wurde und wird § 30a AO 1977 in der Praxis beachtet (Tipke, BB 1998, 241 [246]; Harenberg, FR 1998, 493 [494]; Eckhoff, Rechtsanwendung im Steuerrecht, S. 362). Dies zeigt sich beispielhaft an dem Erlass des nordrheinwestfälischen Finanzministeriums vom 6. Juli 1996 (S 1505 – 14 – VC, NJW 1997, 2374), betreffend die Intensivierung der Ausfertigung von Kontrollmitteilungen bei Betriebsprüfungen von Kreditinstituten, dessen grundlegende Aussagen durch ein BMF-Schreiben vom 12. Juni 1997 (IV A 4 – S 0130a – 14/91, zitiert nach Weyand, INF 1997, 554 FN 9) bestätigt wurden. Nach dieser Anweisung sollen Kontrollmitteilungen aus nicht nach § 154 Abs. 2 AO 1977 legitimierten und deshalb nicht von § 30a Abs. 3 AO 1977 geschützten Bankkonten (beispielsweise CpD-Konten und betriebsinterne Konto) angefertigt werden und dadurch Informationen über die von § 30a Abs. 3 AO 1977 geschützten Guthabenkonten und Depots erlangt werden.

Diese Vorgehensweise wird zu Recht kritisiert, denn sie sprengt den Rahmen der Bankenprüfung, ist somit keine Prüfung der Bank mehr, sondern Prüfung des Kunden (vgl. Streck/Peschges, DStR 1997, 1993 [1996]). Andererseits zeigt das Vorgehen, dass § 30a AO 1977 für die Finanzverwaltung eine tatsächliche Hürde bei der Kontrolle der gesetzmäßigen Kapitalbesteuerung darstellt. Durch die Aufrechterhaltung dieser Norm vereitelt der Gesetzgeber die effektive und umfassende Kontrolle der dort geschützten Konten. Dieses Ergebnis wird auch durch die Stellungnahmen der Landesfinanzverwaltungen anlässlich der Ermittlungen des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen (vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [107]) gestützt, nach der sich die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen Dritter anlässlich der zeitintensiven Bankenprüfungen als "schwierig" gestalte. Der Bericht der Arbeitsgruppe "Steuerausfälle"" (StB 1994, 446 [448]) führt dazu aus: "Im Zusammenhang mit der vollständigen Besteuerung der Zinsen sind den Finanzbehörden effiziente Ermittlungen durch das Bankgeheimnis in § 30a AO 1977 weitgehend verwehrt".

Hinzu kommen nicht zuletzt Praktikabilitätserwägungen. Das Steuerrecht schließt als ein Massenfallrecht in der Praxis eine eingehende Prüfung der Grenzen des Bankgeheimnisses im jeweiligen Einzelfall faktisch aus. Wenn der Bearbeiter sich in jedem zweifelhaften Fall Gedanken zu den Grenzen des Bankgeheimnisses machen würde, wäre er zu einer sachgemäßen Prüfung der von ihm zu erledigenden Fälle nicht in der Lage. § 30a AO 1977 baut unnötigerweise eine Prüfungshürde auf, die in der Praxis im Regelfall dadurch umgangen wird, dass eine vertiefte Prüfung der Angaben des Steuerpflichtigen unterbleibt.

eee) Dass die Einschränkung der Kontrollmöglichkeiten durch die Regelung des

§ 30a AO 1977 nicht gerechtfertigt werden kann oder gar geboten ist, hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil 27. Juni 1991 (2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 [278 ff.]) festgestellt und ausgeführt, dass insbesondere die Verfolgung gesamtwirtschaftlicher Belange nicht dadurch erreicht werden darf, dass das materielle Steuergesetz als "lex imperfecta" angelegt und seine Umsetzung vereitelt wird (zu weiteren Rechtfertigungsversuchen vgl. Rüth, DStZ 2000, 30

[37 ff.]). Auch für das Prüfungsrecht des § 50b EStG, dass als weitere Kontrollmöglichkeit zur Überprüfung der korrekten Zinsbesteuerung angeführt wird (Weber-Grellet, DB 2004, 1574 [1577]), ist umstritten, inwieweit es durch die Regelung des § 30a AO 1977 begrenzt wird (dafür Apitz in HHR, § 50b EStG Anm. 5; Laule in Kleineidam, Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, S. 354; Streck/Peschges, DStR 1997, 1993 [1994]; dagegen Metzner in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 30a AO 1977 Rz. 71). Auch insoweit sorgt die Vorschrift des § 30a AO 1977 also für Rechtsunsicherheiten und vereitelt eine effektive Verifikation der Angaben des Steuerpflichtigen.

fff) Belegbare Zahlen über das Ausmaß des tatsächlichen Vollzugsdefizits liegen dem Senat nicht vor (Schätzungen über Steuerausfälle in erheblicher Höhe finden sich aber bei Schumacher, FR 1997, 1 (3 f.); Laule in Kleineidam, Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, S. 336; Risto/Julius, DB Beilage Nr. 4/2002, S. 4 ff. sowie im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe "Steuerausfälle", StB 1994, 446 [447 f.]). Aus dem im Gesetz angelegten normativen Erhebungsdefizit kann aber die Vermutung eines tatsächlichen Erhebungsdefizits abgeleitet werden (BVerfG vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [113]).

ggg) Die ab dem 1. April 2005 geltende Erweiterung der Kontrollmaßnahmen in der Abgabenordnung führt zu keiner Änderung der Bewertung für die Streitjahre. Zwar wird auch von Kritikern des § 30a AO 1977 vorgebracht, nunmehr seien die verfassungsrechtlichen Vollzugsdefizite im Bereich der Zinsbesteuerung weitgehend beseitigt, weil der äußerlich unangetastete § 30a AO 1977 faktisch abgeschafft worden sei (so z.B. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Auflage 2005, § 9 Rz. 502). Der Gesetzgeber trägt aber auch weiterhin wegen der nicht nachvollziehbaren Beibehaltung der Norm die Verantwortung für Friktionen in diesem Bereich (so auch Hey, DB 2004, 724 [728]), zumal es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich heißt, der nach § 30a AO 1977 gebotene Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden bleibt dabei unangetastet (BT-Drs. 15/1309, S. 12).

hhh) Das strukturelle Erhebungshindernis im Bereich der Zinsbesteuerung ist dem Gesetzgeber (jedenfalls hinsichtlich der inländischen Sachverhalte) auch zuzurechnen. Es beruht weiterhin insbesondere auf dem vom Gesetzgeber trotz aller Kritik beibehaltenen § 30a AO 1977, der sich nicht der Erkenntnis verschließen durfte, dass das Verfassungsziel der Gleichheit im Belastungserfolg mit dieser Norm nicht zu erreichen ist (vgl. BverfG-Urteil vom 27. Juni 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 [272], das die Vorgängerregelung des § 30a AO 1977 ausdrücklich als Grund des strukturellen Vollzugshindernisses nennt). Im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe "Steuerausfälle" wird ausgeführt, dass - auch nach Einführung des Zinsabschlagsteuergesetzes - § 30a AO 1977 effiziente Ermittlungen der Finanzbehörden im Bereich der Zinsbesteuerung weitgehend vereitelt (StB 1994, 446 [448]). Auch in der Literatur wurde zahlreich auf weiterhin bestehende Vollzugsdefizite hingewiesen, ausgelöst durch die fortbestehende Regelung des § 30a AO 1977 (vgl. nur Schumacher, FR 1997, 1Risto/Julius, DB Beilage 4/2002). Der Gesetzgeber selbst hat zahlreiche Ansätze unternommen, die Kapitalbesteuerung neu zu regeln, weil er um deren Mangelhaftigkeit wusste (z.B. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung einer Steuerreform für Wachstum und Beschäftigung vom 14. März 2000, BT-Drs. 14/2903, S. 18; Entwurf eines Steuervergünstigungsabbaugesetzes, BT-Drs. 15/119, S. 51 und 53), stets jedoch § 30a AO 1977 unberührt gelassen. Das weiter bestehende Hindernis des gesetzmäßigen Steuervollzugs im Bereich der Zinsbesteuerung durch § 30a AO 1977 war dem Gesetzgeber somit stets bewusst (so auch BVerfG vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 [136 f.] für den Bereich der Spekulationsgewinnbesteuerung). Damit hängt die vollständige Besteuerung der Zinserträge weiterhin nahezu allein von den freiwilligen Angaben des Steuerpflichtigen in seiner Einkommensteuererklärung ab, soweit sie nicht durch den Zinsabschlag abgedeckt ist.

b. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

Die Gültigkeit der Norm des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist entscheidungserheblich. Im Rahmen der anhängigen Klage ist darüber zu entscheiden, ob die von den Klägern erklärten Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG der Besteuerung zu unterwerfen sind. Diese Norm fände bei Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit der Verfassung keine Anwendung, weil eine verfassungskonforme Auslegung insoweit nicht möglich ist.