OLG Köln, Beschluss vom 11.10.2004 - 8 W 24/04
Fundstelle
openJur 2011, 35928
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 7 O 70/04
Tenor

Unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird der Streitwert für die Zeit ab dem 9. März 2004 auf 1.315,96 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG (i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts - Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - vom 5. Mai 2004, die hier gemäß § 72 Nr. 1 Hs. 2 GKG n. F. Anwendung findet) statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Klägers führt in der Sache selbst zur tenorierten Herabsetzung der Streitwertfestsetzung für den streitigen Zeitraum ab dem 9. März 2004.

1. Über die Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts (§ 68 GKG n. F.) entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - von einem Einzelrichter erlassen wurde, gemäß § 68 Abs. 1 Satz 4, § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG grundsätzlich das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter. Da vorliegend der Einzelrichter das Verfahren nach § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG dem Senat übertragen hat, weil der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt, ist jedoch der Senat in seiner im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung zur Entscheidung berufen.

2. In der Sache selbst war nach der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers in seinem am 9. März 2004 beim Landgericht eingegangen Schriftsatz vom 5. März 2004 der Streitwert nur noch nach den bis dahin entstandenen Gerichts- und Parteikosten zu bemessen, die sich insgesamt auf den vom Senat festgesetzten Betrag von 1.315,96 EUR (statt der vom Kläger errechneten 1.624,52 EUR) belaufen.

a) Die Frage, ob und ggf. wie die einseitige Erledigungserklärung des Klägers sich auf den Streitwert auswirkt, ist in der Rechtsprechung seit langem umstritten, wobei drei unterschiedliche Lösungsansätze vertreten werden:

Der Bundesgerichtshof nimmt in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt ein, bei einseitiger Erledigungserklärung der klagenden Partei bemesse der Streitwert sich in aller Regel nach den bis zur Erledigungserklärung angefallenen Kosten. Eine andere rechtliche Beurteilung komme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn auch nach tatsächlicher Erledigung das Interesse der Parteien an einer mittelbaren Rechtfertigung des jeweiligen Standpunkts deutlich im Vordergrund stehe (vgl. zuletzt BGH BGHR ZPO § 3 Hauptsacherledigung m. weit. Nachw.). Dieser Auffassung haben sich vor allem in neuerer Zeit zahlreiche Senate der Oberlandesgerichte angeschlossen (vgl. z. B. OLG Frankfurt OLGR 2001, 12; OLG Naumburg FamRZ 2002, 680; OLG Düsseldorf OLGR 2002, 296; OLG Nürnberg JurBüro 2002, 368; OLG Hamm OLGR 2001, 297, OLGR 2002, 376; OLG München, Beschluss vom 10. 12. 2001 - 27 W 303/01, juris-Dokument Nr. KORE427392002; KG MDR 2004, 116; ebenso OLG Jena OLG-NL 2002, 18, alle mit weiteren Rechtsprechungs- und Literaturnachw.; ebenso Zöller/Vollkommer, ZPO 24. Aufl. § 91a Rdn. 48).

Demgegenüber ist ein anderer Teil der instanzgerichtlichen Rechtsprechung der Auffassung, es verbleibe ungeachtet der einseitigen Erledigungserklärung beim unveränderten Hauptsachewert (so in neuerer Zeit insbesondere OLG Schleswig OLGR 2004, 342; LG Duisburg MDR 2004, 962; LG Frankfurt JurBüro 2002, 367), während nach der dritten Meinung - der im Streitfall auch das Landgericht gefolgt ist - ein prozentual verminderter Feststellungswert, der überwiegend mit 50 Prozent des Hauptsachewerts bemessen wird, anzusetzen sein soll (vgl. in diesem Sinne OLG Brandenburg OLGR 2000, 490; ebenso Zöller/Herget aaO § 3 Stichwort "Einseitige Erledigungserklärung").

Auch innerhalb des Oberlandesgerichts Köln ist das Meinungsbild nicht einheitlich: So sind bislang der 6., 12. und 16. Zivilsenat dem Bundesgerichtshof gefolgt (vgl. OLG Köln NJW-RR 2000, 678 m. einzelnen Nachw.) wohingegen der 22. Zivilsenat in einer vom Landgericht in Bezug genommenen Entscheidung (OLGR 1994, 114) den Streitwert mit 50 % des Werts der erledigten Hauptsache bemessen und demgegenüber der 27. Zivilsenat den vollen Hauptsachewert in Ansatz gebracht hat (OLGR 1997, 120). Der 19. Zivilsenat schließlich ist einer früheren Entscheidung (VersR 1992, 518) dem Bundesgerichtshof gefolgt, während er in einer späteren (ZAP EN-Nr. 179/95) den hälftigen Hauptsachewert als Streitwert in Ansatz gebracht hat.

b) Der erkennende Senat schließt sich der vom Bundesgerichtshof und dem jedenfalls heute wohl überwiegenden Teil der Oberlandesgerichte vertretenen Auffassung an, wonach der Streitwert bei einseitiger Erledigungserklärung des Klägers in der Regel nach den bis zur Erledigungserklärung entstandenen Kosten zu bemessen ist.

Gegen die Auffassung, wonach die einseitige Erledigungserklärung der Klägerseite keine Auswirkung auf den Streitwert haben soll, streitet maßgeblich, dass der in dieser Erledigungserklärung liegende, nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Übergang von der ursprünglichen Leistungs- zur Feststellungsklage von der herrschenden Meinung zu Recht als Beschränkung des Klageantrags gewertet wird, die dann auch in einer Verminderung des Streitwerts ihren Ausdruck finden muss. Denn das Feststellungsinteresse (§ 3 ZPO) eines Klägers, der sein primäres Klageziel durch Erfüllung - hier: Räumung der streitgegenständlichen Wohnung - bereits erreicht hat, ist im Allgemeinen geringer zu bewerten als das Interesse eines Klägers, der dieses Interesse weiter verfolgt.

Es erscheint dem Senat ferner nicht zutreffend, dem im Regelfall verminderten Interesse eines Klägers, dessen Klage sich ganz oder teilweise erledigt hat, durch einen prozentualen Abschlag vom Hauptsachewert, wie er bei der positiven Feststellungsklage ansonsten üblich ist, Rechnung zu tragen. Denn ungeachtet dessen, dass die einseitige Erledigungserklärung und ihre prozessuale Behandlung sich dogmatisch von der übereinstimmenden Erledigungserklärung unterscheiden, die einseitige Erledigungserklärung also nicht nur gegenüber der ursprünglichen Hauptsacheklage, sondern auch gegenüber dem Verfahren nach übereinstimmender Erledigungserklärung einen anderen Streitgegenstand aufweist, geht es dem Kläger - auch - bei der einseitigen Erledigungsklärung im Regelfall nur noch darum, seine eigenen Rechtsverfolgungskosten ersetzt zu bekommen und die Kosten des Gegners sowie des Gerichts nicht tragen zu müssen. Dagegen kommt es ihm regelmäßig nicht weiter auf die aus prozessrechtlichen Gründen verlangte Feststellung an, dass die Hauptsache erledigt ist. Das gilt zumindest dann, wenn Gegenstand der Klage ein Leistungsbegehren (hier: Räumung) ist, dass aus Sicht des Klägers durch Erfüllung seine Erledigung gefunden hat. Jedenfalls in einem solchen Fall, in dem in der Regel kein über die Abwehr der Kostenlast hinausgehendes besonderes Interesse des Klägers mehr erkennbar ist, ist der Streitwert mit dem Kosteninteresse, d. h. den bis dahin entstandenen Partei- und Gerichtskosten gleichzusetzen.

Dass der Beklagte, der sich mit dem Klageabweisungsantrag der einseitigen Erledigungserklärung widersetzt, durch sein prozessuales Verhalten ein über die Kostenentscheidung hinausgehendes eigenes Interesse an einer Hauptsacheentscheidung bekundet (so OLG Schleswig aaO), ist schon deshalb unbeachtlich, weil das Interesse des Beklagten für die Streitwertbemessung keine Rolle spielt. "Gründe der Praktikabilität" (OLG Schleswig aaO) können keine Veranlassung geben, einen als sachlich unpassend erkannten Betrag zur Grundlage der Streitwertbemessung zu machen, das jedenfalls dann nicht, wenn sich der Gesamtbetrag der bis zur Erledigungserklärung angefallenen Kosten - wie dies üblicherweise der Fall ist - ohne größeren Aufwand errechnen lässt. Dass bei einseitiger Erledigungserklärung unter Umständen "Gericht und Anwälte genau die Arbeit zu leisten haben, die auch bei Durchführung des Rechtsstreits mit dem ursprünglichen Antrag angefallen wäre" (OLG Schleswig aaO), gibt ebenfalls keinen Anlass, den Streitwert abweichend vom Kosteninteresse zu bemessen. Zum einen findet im Streitwert nicht die Arbeitslast von Verfahrensbeteiligten, sondern das wirtschaftliche Interesse des Klägers an dem von ihm verfolgten Rechtsschutzziel seinen Ausdruck. Zum anderen hat das Gericht auch bei der nach übereinstimmender Erledigungserklärung zu treffenden Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO jedenfalls den bisherigen Sach- und Streitstand und damit zumindest den Prozessstoff bis zur Erledigterklärung summarisch zu prüfen.

c) Ob wegen des für die Streitwertberechnung maßgebenden Zeitpunkts auf den Eintritt des erledigenden Ereignisses oder auf den Eingang der Erledigungserklärung bei Gericht abzustellen ist, kann für den vorliegenden Fall dahin stehen.

d) Ausgehend von den dargestellten Erwägungen war für die Wertberechnung grundsätzlich von der Zusammenstellung des Klägers in der Beschwerdeschrift vom 2. August 2004 auszugehen. Im Rahmen der Kostenermittlung konnten freilich die vom Kläger berücksichtigten anwaltlichen Vergleichsgebühren aus einem - verminderten - Streitwert von 2.000,00 EUR nicht berücksichtigt werden, weil diese bei Eintritt des erledigenden Ereignisses bzw. Abgabe der Erledigungserklärung noch nicht angefallen waren. Gegenstand der Streitwertberechnung sind nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, soweit für die Streitwertermittlung auf das Kosteninteresse abgestellt wird, nur die "bisher" angefallenen, nicht auch die zukünftig noch anfallenden Kosten. Das versteht sich auch deshalb, weil ein (Gebühren-)Gesamtbetrag, der erst noch ermittelt werden soll, nicht zugleich schon Gegenstand Ermittlung selbst sein kann. Rechnet man die beiden vom Kläger angesetzten Vergleichsgebühren nebst anteiliger Mehrwertsteuer aus dem von ihm errechneten Betrag von 1.624,52 EUR heraus, so ergibt sich der zutreffende Wert von 1.315,96 EUR.

e) Der Senat ist nicht gehindert, diesen - unterhalb des Beschwerdeantrags liegenden - Betrag der Wertfestsetzung zugrunde zu legen. Für das Beschwerdeverfahren nach § 25 Abs. 3 GKG (a. F.) war allgemein anerkannt, dass das Gericht weder nach § 308 ZPO an die gestellten Anträge gebunden war noch das Verschlechterungsverbot eingriff (vgl. zusammenfassend LAG Erfurt MDR 2001, 538). Das beruht nicht zuletzt darauf, dass die höhere Instanz ohnehin jederzeit von Amts wegen die Wertfestsetzung der Vorinstanz abändern kann (vgl. Hartmann, Kostengesetze 31. Aufl. § 25 GKG Rdn. 73). Für die insoweit inhaltlich im Wesentlichen unveränderten kostenrechtlichen Vorschriften i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsvorschriften kann nichts anderes gelten. Gilt aber keine Antragsbindung und greift kein Verschlechterungsverbot ein, kann das Beschwerdegericht erst recht nicht gehindert sein, den Streitwert sogar noch niedriger, als hier vom Kläger mit seinem Rechtsmittel angestrebt festzusetzen.

Der Ausspruch zu den Kosten beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.