LG Duisburg, Urteil vom 22.10.2004 - 7 S 129/04
Fundstelle
openJur 2011, 35684
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 32 C 66/04
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten zu 1) wird das Urteil des Amtsgerichtes Dinslaken vom 12.05.2004, Aktenzeichen 32 C 66/04, teilweise abgeändert: Die Klage wird insoweit abgewiesen, als sie sich gegen den Beklagten zu 1) richtete. Die gerichtlichen Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger und die Beklagte zu 2 je zu 1/2 zu tragen. Der Kläger hat auch die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) zu tragen. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass es im übrigen bei der Verurteilung der Beklagten zu 2) verbleibt. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 17.04.2003 in

vor der Realschule auf der Strasse " " ereignet hat. Der Beklagte zu 1) fuhr ein 50 ccm-Moped mit dem amtlichen Kennzeichen , der Kläger ein Mofa. Die Beklagte zu 2) ist der Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 1).

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe ihn bei einem unsachgemäßen Überholvorgang dadurch zu Fall gebracht, dass er zunächst rechts überholt und dann zu früh nach links eingeschwenkt sei. Dadurch habe er entweder den Kläger berührt oder dieser sei durch das erforderliche Ausweichmanöver gestürzt.

Die Beklagten haben behauptet, der Kläger sei ohne Fremdeinwirkung gestürzt.

Das Amtsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen , und . Es hat aufgrund der Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass der Beklagte zu 1) versucht habe, den Kläger verbotswidrig rechts zu überholen und dabei keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten habe. Die Schadenspositionen seien nicht ausreichend substantiiert bestritten. Das Schmerzensgeld sei mit 1.000 EUR angemessen, da der Kläger unstreitig einen Trümmerbruch des rechten Ellenbogengelenks erlitten habe.

Gegen das am 21.05.2004 beiden Beklagten, die beide vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1) vertreten wurden, zugestellte Urteil hat allein der Beklagte zu 1) frist- und formgerecht Berufung eingelegt und begründet, mit der er die Abweisung der Klage erstrebt. Die Beklagte zu 2) hat gegen das angefochtene Urteil kein Rechtsmittel eingelegt und den ausgeurteilten Betrag am 27.05.2004 nebst Zinsen an den Kläger gezahlt.

Der Beklagter zu 1) ist der Ansicht, das amtsgerichtliche Urteil berücksichtige nicht genügend den Umstand, dass sich der Kläger und der Beklagte zu 1) ein "Rennen geliefert" hätten. Dies führe zu einem Haftungsausschluss.

Der Kläger ist der Ansicht, der Berufung fehle schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger befriedigt und der Beklagte zu 1) durch die Zahlung der Beklagten zu 2) frei geworden sei.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet, da dem Kläger gegen den Beklagten zu 1) aus dem Unfall vom 17.04.2003 ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch weder aus §§ 7, 18 StVG noch aus §§ 823, 253 BGB zusteht.

1.

Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt dem Beklagten zu 1) nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die gegen das Urteil des Amtsgerichts Dinslaken eingelegte Berufung, auch wenn die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer mit befreiender Wirkung an den Kläger aufgrund der gegen sie rechtskräftigen Verurteilung geleistet hat. Denn die Beklagten sind als einfache Streitgenossen im Sinne des § 59 ZPO anzusehen. Bei der einfachen Streitgenossenschaft (§§ 59 und 60 ZPO) werden Klagen lediglich aus Gründen der prozessualen Zweckmäßigkeit in einem einheitlichen Verfahren zusammengefaßt, die Entscheidung kann aber für oder gegen jeden Streigenossen anders ausfallen; es wären also genauso gut Einzelklagen möglich. Folge der Streitgenossenschaft ist zwar zunächst die Einheit des Verfahrens, dabei unterliegen die Streitgenossen aber sowohl im Hinblick auf ihre Person als auch im Hinblick auf die von ihnen oder gegen sie vorgenommenen Prozeßhandlungen einer selbständigen Beurteilung. Bei der Klage des Geschädigten gegen die Haftpflichtversicherung und den Versicherungsnehmer liegt nach mittlerweile herrschender Ansicht eine einfache Streitgenossenschaft vor (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl. 2004 § 62 Rdnr. 8 a). Die einfachen Streitgenossen sind im Prozess zwar faktisch verbunden, rechtlich aber absolut unabhängig. Deshalb kommt es für die Zulässigkeit der Berufung auch allein darauf an, dass der Beklagte zu 1) durch das angefochtene Urteil formell beschwert ist.

Daran ändert es nichts, dass im Verhältnis der Beklagten untereinander der Beklagte zu 1) die rechtskräftige Verurteilung der Beklagten zu 2) gemäß § 3 Nr. 10 PflVG gegen sich gelten muss, es sei denn er kann der beklagten zu 2) nachweisen, dass sie ihrer Pflicht zur Abwehr oder zur Minderung unbegründeter Schadensersatzansprüche schuldhaft nicht genügt hat, indem sie beispielsweise eine aussichtsreiche Berufung nicht eingelegt hat. Denn diese Frage berührt allein das Verhältnis der Beklagten untereinander und hat keine Auswirkungen auf das Rechtsschutzbedürfnis des Beklagten zu 1) im Verhältnis zum Kläger, gegen eine Verurteilung das in der Prozessordnung vorgesehene Rechtsmittel einzulegen.

2.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten zu 1) kein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld zu. Das Amtsgericht hat, worauf der Beklagte zu 1) zu Recht hinweist, nicht genügend beachtet, dass der Kläger und der Beklagte zu 1) ein gemäß § 29 Abs. 1 StVO verbotenes Rennen veranstaltet haben.

a)

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass sich die beiden Unfallbeteiligten ein Rennen geliefert haben. Dies haben alle Zeugen übereinstimmend bekundet. Diese Aussagen sind glaubhaft, weil die bei der ausführlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht anwesenden Unfallbeteiligten dieser Darstellung nicht widersprochen haben und der Unfall nach der Lebenserfahrung auch nur erklärlich ist, wenn man von einem Rennen ausgeht. Die Zeugen sind auch glaubwürdig, da sie ihr Verhältnis zu den Unfallbeteiligten offen gelegt haben und ihre Darstellung des Unfallgeschehens von beiden Unfallbeteiligten nicht angegriffen werden.

b)

Die grundsätzlich im Staßenvekehr bestehenden Haftungsregeln erfahren bei genehmigten Rennveranstaltungen Änderungen dahingehend, dass eine Haftung nur in Betracht kommt, wenn sich ein Rennteilnehmer grob unsportlich und regelwidrig verhalten hat. Denn grundsätzlich sind für die Haftung der beteiligten Rennfahrer untereinander die vom BGH (NJW 1975, 109) entwickelten Grundsätze über die Haftung bei besonders gefährlichen Sportarten anzuwenden (OLG Hamm NZV 1997, 515). Es ist ein besonderer, durch die Eigenart des Sports geprägter Maßstab anzulegen ist (vgl. BGH, VersR 1976, 775, 776). Nicht jede noch so geringfügige Beeinträchtigung eines anderen Sportlers ist als sorgfaltswidrig zu bewerten; eine Haftung kommt nur bei gewichtigen Regelverstößen in Betracht (vgl. OLG Saarbrücken, VersR 1992, 248 m.w. Nachw.). Ein Motorrad- oder Autorennen gehört zu den besonders gefährlichen "nebeneinander" betriebenen Betätigungen (vgl. Schlegelmilch, in: Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 21. Aufl., 12. Kap. Rdnr. 6; 27. Kap. Rdnr. 653; Pardey, ZfS 1995, 281 ff.). Auch bei Autorennen gelten deshalb grundsätzlich die Haftungsbestimmungen des StVG (BGHZ 5, 318), wobei hinsichtlich der Sorgfaltspflichten die besonderen Voraussetzungen des Rennens berücksichtigt werden müssen (Scheffen, NZV 1992, 389 m.w. Nachw.).

Diese Haftungsgrundsätze gelten auch bei sogenannten illegalen Rennen mit Kraftfahrzeugen, wie es im vorliegenden Fall gegeben ist. Nach § 29 Abs. 1 StVO sind Rennen mit Kraftfahrzeugen, wozu auch Mofas und Mopeds gehören, im Straßenverkehr verboten. Dies gilt auch für nicht organisierte Rennen, wie sich aus der Verwaltungsvorschrift zu § 9 Abs. 1 StVO, Ziff. 2 ergibt. Die Teilnehmer an einem verbotenen Rennen handeln gem. § 49 Abs. 2 Nr. 5 StVO ordnungswidrig. Auch nicht organisierte, sog. "wilde" Rennen, die zwei oder mehrere Kraftfahrer spontan durchführen, sind nicht erlaubt.

Dennoch sind auch auf nicht organisierte Rennen die Regeln, die sich für organisierte Rennveranstaltungen herausgebildet haben, wie bei anderen gefährlichen Sportarten auch, entsprechend heranzuziehen (vgl. Pardey, ZfS 1995, 282). Daraus folgt einerseits, dass auch die Teilnehmer eines privaten Rennens sich dem Regelwerk, das bei organisierten Rennveranstaltungen Anwendung findet, stillschweigend unterwerfen, und andererseits, dass, wie bei jeder besonders gefährlichen Sportart, die nebeneinander betrieben wird, zwar keine auf die Verletzungsgefahr bezogene Risikoübernahme wie bei Sportarten, die gegeneinander betrieben werden, vorliegt, so aber doch die stillschweigende, wenn auch unbewußte Übereinkunft getroffen wird, dass eine Haftung nur bei schuldhaften Regelverstößen in Betracht kommt (vgl. OLG Zweibrücken, VersR 1994, 1366; OLG Saarbrücken, VersR 1992, 248; Pardey, VersR 1994, 145 u. ZfS 1995 283 f.). Dabei handelt es sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Haftungsfreistellung, sondern um eine tatsächliche Übereinkunft dahingehend, dass sich die Rennteilnehmer freiwwillig in Gefahrensituationen begeben und es ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darstellen würde, den anderen bei Verwirklichung der sportarttypischen Gefahr entgegen dem vorherigen eigenen Verhalten haftbar zu machen (BGHZ 34, 355 ff.). Dabei ist nur zu fordern, dass der Sportteilnehmer über die gemäß § 828 BGB erforderliche Einsichtsfähigkeit in die Gefährlichkeit seines Handelns besitzt, was bei den beiden damals 16-jährigen Parteien der Fall ist.

c)

Von diesen Grundsätzen ausgehend kann ein schuldhafter Regelverstoß des Beklagten zu 1) nicht festgestellt werden. Denn es entspricht gerade der Rennsituation, an dem "Gegner" rechts oder links vorbeizufahren. Deshalb kann das im Straßenverkehr geltende Verbot, rechts zu überholen, eine Haftung nicht begründen. Auch entspricht es dem Renngeschehen, nach dem Überholen auf die "Ideallinie" zurückzukehren. Dabei handelt es sich für alle am Rennen Beteiligten um ein gefährliches Mannöver. Deshalb kann nur dann ein Regelverstoß angenommen werden, wenn dieses Mannöver bewußt riskant oder in dem Bestreben, den Gegner zu behindern, ausgeführt wird. Nur dann, wenn es sich als unsportliches Verhalten darstellt, kann darin ein Regelverstoß gesehen werden. Denn Rennsituationen bergen gerade deshalb Gefahrenpotentiale in sich, weil die Teilnehmer des Rennens aufgrund der Wettkampfsituation besonders risikofreudig sind und es dabei auch leicht zu Fehleinschätzungen kommt. Jeder, der an einem Rennen teilnimmt, weiß um diese Gefahren und lässt sich bewußt darauf ein. Jedenfalls für die Gefährdungshaftung und die vermutete Verschuldenshaftung ist deshalb davon auszugehen, dass die Beteiligten die Haftung untereinander stillschweigend abbedungen haben. Dies folgt aus dem Grundgedanken, daß es anstößig ist, wenn der Verletzte den Schaden auf einen Dritten abwälzen will, der ebensogut diesen hätte treffen können (BGHZ 63, 140; OLG Celle, VersR 1980, 874). Bei einem Wettrennen mit Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr kann jeder Beteiligte fast jederzeit und zwangsläufig zu Schaden kommen. Dies gilt auch bei solchen gefährlichen Wettkämpfen, die vom Ausgangspunkt her nebeneinander betrieben werden, jedenfalls für nicht nachweisbare schuldhafte Regelverstöße.

Erst wenn das "Nebeneinander" im Wettkampf einschließlich der darin liegenden spezifischen Gefahren in eine bewußtes "Gegeneinander" mit bewußten Regelverstößen wird, kommt eine zivilrechtliche Haftung der Beteiligten untereinander in Betracht. Einen solchen bewußten Regelverstoß hat die Beweisaufnahme aber gerade nicht ergeben, weil keiner der Zeugen einen solchen bekundet hat. Die Zeugen haben entweder eine Fehleinschätzung des Beklagten zu 1) oder eine unbeabsichtigte Berührung beim Überholvorgang als Grund für den Sturz des Klägers angenommen.

Auch das Führen des Mopeds ohne Fahrerlaubnis stellt keinen besonderen Regelverstoß im oben genannten Sinn dar, da das Rennen von vorneherein verboten gewesen ist.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.845,76 EUR.