OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.04.2005 - 6 B 457/05
Fundstelle
openJur 2011, 35341
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 L 175/05
Tenor

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Die Beigeladenen zu 1. und 2. tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen zu 3. bis 6. Diese Kosten haben die Beigeladenen zu 3. bis 6. selbst zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerden sind nicht begründet. Die mit ihnen dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) führen nicht zum Erfolg der Rechtsmittel.

Der Dienstherr will die dem Landeskriminalamt (LKA) für 00.0000 zugewiesenen sechs Stellen der Besoldungsgruppe A 11 BBesO, Erste Säule, unter Heranziehung von Hilfskriterien mit den Beigeladenen besetzen. Der Antragsteller - wie die Beigeladenen Oberkommissar, Besoldungsgruppe A 10 BBesO - erstrebt einstweiligen Rechtsschutz dagegen, dass er keine dieser Beförderungsstellen erhalten soll. Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die Stellen zu besetzen: Außer einem Anordnungsgrund sei ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Das Auswahlverfahren sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtsfehlerhaft, und es sei jedenfalls möglich, dass der Antragsteller bei fehlerfreier Auswahl befördert werde. Die aktuellen Regelbeurteilungen (Beurteilungszeitraum 00.00.0000 bis 00.00.0000) des Antragstellers und der Beigeladenen (Gesamturteil sämtlich: "Die Leistung und Befähigung ... übertreffen die Anforderungen" - 4 Punkte -) sowie die bewerteten Hauptmerkmale führten zwar nicht zu einem Qualifikationsvorsprung des Antragstellers. Der Dienstherr habe jedoch die vorangegangenen Regelbeurteilungen nicht hinreichend berücksichtigt. Insoweit stehe dem Dienstherr allerdings ein Entscheidungsspielraum zu, innerhalb dessen er sich schlüssig zu werden habe, ob und inwieweit aus den früheren Beurteilungen Erkenntnisse für den Qualifikationsvergleich gewonnen werden könnten. Wenn er früheren Beurteilungen keine Bedeutung für den Qualifikationsvergleich beimessen wolle, müsse er dies jedoch nachvollziehbar begründen. Daran fehle es hier. Bei den erwähnten Vorbeurteilungen habe der Antragsteller - allerdings als Kriminalkommissar - ein Gesamturteil von 5 Punkten erhalten; den Beigeladenen seien - als Oberkommissaren - im Gesamturteil 3 bzw. 4 Punkte zuerkannt worden. Die Vorbeurteilung des Antragstellers habe der Dienstherr bei dem Qualifikationsvergleich nicht einbezogen mit der Begründung, sie verhalte sich zu einer Vergleichsgruppe in einem niedrigeren statusrechtlichen Amt und habe deshalb sowie im Hinblick auf die seit ihrer Erstellung verstrichene Zeit eine deutlich geringere Relevanz. Diese Begründung reiche nicht aus. Frühere dienstliche Beurteilungen hätten für künftige Verwendungs- und Auswahlentscheidungen ebenfalls grundsätzlich Belang, auch wenn sie sich auf ein niedrigeres statusrechtliches Amt bezögen. Gründe, dies ausnahmsweise anders zu sehen, lägen nicht vor. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller bei Einbeziehung seiner Vorbeurteilung unter Leistungsgesichtspunkten vor den Beigeladenen einzustufen wäre. Eine in einem niedrigeren statusrechtlichen Amt erzielte Beurteilung könne gegenüber Beurteilungen aus einem um eine Besoldungsgruppe höheren Amt gleich oder sogar stärker zu gewichten sein, wenn sie - wie hier - im Gesamturteil eine um mindestens einen Punktwert höhere Bewertung aufweise.

Die Beigeladenen zu 1. und 2. machen geltend: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts müsse die Behörde bei einer Beförderungsauswahl nicht gewissermaßen automatisch Vorbeurteilungen der Konkurrenten einbeziehen, insbesondere nicht eine bessere Vorbeurteilung in einem niedrigeren statusrechtlichen Amt. Von dem dem Dienstherrn von der Rechtsprechung insoweit zugestandenen Beurteilungsspielraum habe der Antragsgegner hier beanstandungsfrei Gebrauch gemacht. Er habe sehr wohl erkannt, dass die Vorbeurteilung des Antragstellers im Gesamturteil besser sei als die Vorbeurteilungen der Beigeladenen. Er habe diesen Umstand aber in Relation dazu gesetzt, dass die Vorbeurteilung des Antragstellers sich auf sein vorheriges, um eine Besoldungsgruppe niedrigeres statusrechtliches Amt mit einer dementsprechend unterschiedlichen Vergleichsgruppe bezogen habe. Das beinhalte eine im Kern schlüssige und auch hinreichend begründete Abwägung. Diese lasse es als gerechtfertigt erscheinen, einen Leistungsvorsprung des Antragstellers zu verneinen.

Der Beigeladene zu 2. macht zusätzlich geltend: Seine vom Innenministerium stammende Vorbeurteilung sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts mit der (vom Polizeipräsidium C. erteilten) Vorbeurteilung des Antragstellers nicht vergleichbar. Das Innenministerium lege strengere Beurteilungsmaßstäbe an, und dort befänden sich auch mehr leistungsstarke Beamte.

Dieses Vorbringen bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hätte ablehnen müssen. Ein Anordnungsanspruch ist nach wie vor zu bejahen.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bleiben frühere dienstliche Beurteilungen für künftige Verwendungs- und Auswahlentscheidungen von Belang. Das gilt auch dann, wenn sie sich auf ein niedrigeres statusrechtliches Amt beziehen. Für Auswahlentscheidungen sind zwar in erster Linie aktuelle Beurteilungen maßgebend, die den gegenwärtigen Leistungsstand wiedergeben. Ältere dienstliche Beurteilungen können aber daneben als zusätzliche Erkenntnismittel berücksichtigt werden. Sie stellen keine Hilfskriterien für eine zu treffende Auswahlentscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beurteilten Aufschluss geben und die deswegen gegenüber Hilfskriterien vorrangig heranzuziehen sind. Zwar verhalten sie sich nicht zu dessen nunmehr erreichtem Leistungsstand in seinem derzeitigen statusrechtlichen Amt. Gleichwohl können sie vor allem bei einem Vergleich von Bewerbern bedeutsame Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt ermöglichen. Das kommt namentlich dann in Betracht, wenn frühere Beurteilungen positive oder negative Aussagen über Charaktereigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen sowie deren voraussichtliche weitere Entwicklung enthalten. Derartige Äußerungen, insbesondere bei einer Gesamtwürdigung der vorhandenen dienstlichen Beurteilungen erkennbare positive oder negative Entwicklungstendenzen, können vor allem bei gleichwertigen aktuellen Beurteilungen von Bewerbern den Ausschlag geben.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, Zeitschrift für Beamtenrecht 2003, 359, m.w.N.

Demgemäß muss, wie die Beigeladenen zu 1. und 2. im Ausgangspunkt zu Recht hervorheben, nicht immer ein chronologisch rückwärts gerichteter Vergleich älterer Beurteilungen zwingend den Ausschlag geben. Vielmehr kommt es darauf an, ob die den Konkurrenten früher erteilten Beurteilungen miteinander vergleichbar sind und inwieweit sie darüber Aufschluss geben, wer für die zu besetzende Stelle besser qualifiziert ist. Auf die Frage, ob und inwieweit aus früheren dienstlichen Beurteilungen aktuell gleich beurteilter Konkurrenten zusätzliche Erkenntnisse für den Qualifikationsvergleich gewonnen werden können, kann es in aller Regel keine allein richtige Antwort geben. In den allermeisten Fällen werden vielmehr unterschiedliche Einschätzungen möglich sein, die gleichermaßen vertretbar erscheinen. So kann die Aussagekraft früherer Beurteilungen gegen Null tendieren, wenn sie z.B. aus dem besonderen Blickwinkel einer Bedarfsbeurteilung erteilt wurden, oder wenn sie unter Geltung anderer Beurteilungsrichtlinien, die einen sachgerechten Qualifikationsvergleich erschweren, erstellt worden sind. Auch kann ein besonderes Anforderungsprofil für die konkret zu besetzende Stelle den Rückgriff auf ältere Beurteilungen für einen Qualifikationsvergleich ungeeignet erscheinen lassen, weil diese keinen Aufschluss über die Erfüllung der besonderen Anforderungen geben mögen. Demgemäß muss dem Dienstherrn bei der Auswertung früherer Beurteilungen ein Entscheidungsspielraum zugestanden werden, innerhalb dessen er sich schlüssig zu werden hat, ob und inwieweit aus den früheren Beurteilungen Erkenntnisse für den Qualifikationsvergleich gewonnen werden können. Dem korrespondiert angesichts des Verfassungsprinzips effektiver Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) notwendigerweise eine - unter Umständen erhöhte - Begründungs- und Substantiierungspflicht des Dienstherrn, wenn er früheren Beurteilungen für den Qualifikationsvergleich keine Bedeutung beimessen will.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Dezember 2003 - 6 B 2321/03 -.

Dem genügt die Auswahlentscheidung zu Gunsten der sechs Beigeladenen nicht.

Die Beschwerdeführer ziehen nicht in Zweifel, dass der Dienstherr, wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, das Ergebnis der Vorbeurteilung des Antragstellers bei der die sechs Beförderungsstellen betreffenden Auswahl nicht berücksichtigt hat. Das wird durch die Erläuterungen des Antragsgegners zum Zustandekommen der Beförderungsentscheidungen gestützt: Der Dienstherr hielt den Umstand, dass die Vorbeurteilung des Antragstellers ein Gesamturteil von 5 Punkten aufweist, im Rahmen des Qualifikationsvergleichs für unerheblich, da der Antragsteller diese Beurteilung "nicht wie die übrigen Bewerber im aktuellen statusrechtlichen Amt ... (erhielt). Somit war zu berücksichtigen, dass das Leistungsbild einer anderen Vergleichsgruppe widergespiegelt wurde. Ein Qualifikationsvorsprung ... war damit und auch nach Auswertung dieser älteren Beurteilung nicht festzustellen". Das beinhaltet, dass der Vorbeurteilung des Antragstellers kein Gewicht beigemessen wurde.

Nach den obigen Ausführungen hat der Dienstherr insoweit allerdings einen Entscheidungsspielraum. Diesen hat er jedoch nicht sachgerecht genutzt. Seine für die Ausklammerung der Vorbeurteilung des Antragstellers bei dem Qualifikationsvergleich gegebene Begründung und Substantiierung lässt erkennen, dass er dienstlichen Beurteilungen aus einem niedrigeren als dem aktuellen statusrechtlichen Amt generell keine Bedeutung zumaß. Diese Handhabung widerspricht den rechtlichen Vorgaben der erwähnten, vom Senat übernommenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der frühere dienstliche Beurteilungen für künftige Verwendungs- und Auswahlentscheidungen grundsätzlich auch dann von Belang sind, wenn sie sich auf ein niedrigeres statusrechtliches Amt beziehen. Eine Begründung dafür, vertretbarerweise von der Einbeziehung von Vorbeurteilungen in den Qualifikationsvergleich abzusehen, muss sich nach den obigen Ausführungen - anders als es hier der Fall ist - an den Umständen des Einzelfalles orientieren.

Das Argument des Beigeladenen zu 2., seine Vorbeurteilung sei mit der des Antragstellers nicht vergleichbar, führt - unabhängig davon, ob dem zu folgen wäre - in diesem Zusammenhang nicht weiter. Es ist auszuschließen, dass dieser Punkt bei der Nichtberücksichtigung der Vorbeurteilung des Antragstellers durch den Dienstherrn eine Rolle spielte.

Hiernach braucht nicht mehr darauf eingegangen zu werden, dass die vom LKA in der "Konkurrentenbenachrichtigung" vom 00.00.0000 dem Antragsteller gegebene Begründung für seine Nichtbeförderung darauf hindeuten könnte, dass von vornherein nur die aktuellen dienstlichen Beurteilungen für den Qualifikationsvergleich maßgebend waren und ohne Einbeziehung der Vorbeurteilungen der Konkurrenten nach Hilfskriterien entschieden wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 der Zivilprozessordnung sowie auf § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes.