LG Köln, Urteil vom 10.02.2005 - 2 O 651/03
Fundstelle
openJur 2011, 34382
  • Rkr:
Tenor

Es wird festgestellt, daß es sich bei den Verbindlichkeiten aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 14.02.2002 und aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 02.05.2002 in dem Verfahren Az. 2 O 577/99 um solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO handelt.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob es sich bei Ansprüchen des Klägers, die er gemeinsam mit seinen Geschwistern in einem Vorprozess gegen den Beklagten erstritten hat, um Verbindlichkeiten des Beklagten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S. von § 302 Nr. 1 InsO handelt. Mit diesen Verbindlichkeiten hat es folgende Bewandtnis:

Die 89-jährige Mutter des Klägers wurde am 24.04.1999 Opfer eines Überfalls. Sie war zu Fuß unterwegs, als ihr ein Freund des Beklagten - auf Inline-Skates fahrend - die von ihr geschulterte Tasche entriss. Im Anschluss hieran kam der damals 13 ½- jährige Beklagte sogleich absprachegemäß auf einem Fahrrad herangefahren und zog seinen Freund hinter sich her, um ihm eine schnellere Flucht zu ermöglichen. Die Mutter des Klägers kam zu Fall, als ihr der Freund des Beklagten die Tasche entriss. Sie zog sich durch diesen Sturz Verletzungen (Beckenringfraktur) zu, an deren Folgen sie kurze Zeit darauf verstarb.

Der Kläger und seine Geschwister sind die Erben der Verstorbenen. Sie machten im Vorprozess gegen den Beklagten und seinen Freund die Schmerzensgeldansprüche ihrer Mutter sowie weitere Ansprüche geltend, die anläßlich des Krankenhausaufenthaltes ihrer Mutter sowie durch deren Beerdigung entstanden sind. Das Landgericht Köln (Urteil vom 14.02.2002 – 2 O 577/99) gab ihrer Klage in Höhe von 22.499,32 € nebst Zinsen statt. Dabei ging das Gericht auf dem Boden der getroffenen Feststellungen davon aus, dass der Beklagte und sein Freund diesen Angriff zuvor gemeinsam geplant und auch gemeinschaftlich handelnd durchgeführt hatten (§ 830 BGB). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das o.g. Urteil des Landgerichts Köln Bezug genommen. Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 02.05.2002 setzte das Landgericht fest, dass der Beklagte und sein Freund als Gesamtschuldner einen Betrag in Höhe von 2.339,17 € nebst Zinsen an den Kläger und seine Geschwister zu erstatten hätten.

Am 15.08.2003 eröffnete das AG Köln das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten. Am 03.09.2003 meldete der Kläger gegenüber dem Treuhänder die Forderung aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 14.02.2002 sowie aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss im gleichen Verfahren vom 02.05.2002 als Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung an. In die Insolvenztabelle wurde am 04.11.2003 eingetragen, dass der Beklagte der Feststellung der Forderung des Klägers widerspricht, soweit der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldet ist.

Der Kläger ist der Ansicht, bei den angemeldeten Forderungen handele es sich um solche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung i.S.d. § 302 Nr. 1 InsO.

Er beantragt,

festzustellen, dass es sich bei dem Überfall des Beklagten auf die Mutter des Klägers am 24.04.1999 um eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO handelt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte weist darauf hin, dass das Landgericht Köln in seinem o.g. Urteil nur eine Aussage zum Vorliegen einer fahrlässigen Körperverletzung und einer fahrlässig herbeigeführten Todesfolge getroffen habe. Er meint weiterhin, dass die im Kostenfestsetzungsbeschluss titulierte Forderung nicht unter die Regelung des § 302 Nr. 1 InsO falle, sondern von der Restschuldbefreiung erfasst werde.

Schließlich ist der Beklagte der Auffassung, es würden verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Rechtsordnung bestehen, die einen jungen Menschen wegen einer Verfehlung im Kindes- oder Jugendalter für den Rest seines Lebens auf die Grenze des pfändungsfreien Existenzminimums beschränke. Der Beklagte dürfe nicht wegen einer "Jugendsünde" daran gehindert werden, sich als Erwachsener eine bürgerliche Existenz aufzubauen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

1) Das für die Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers folgt daraus, dass in dem Urteil des LG Köln vom 14.02.2002 keine Feststellung dahingehend getroffen ist, dass es sich bei der Forderung um eine solche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung handelt. Hierauf kommt es aber im Rahmen des Restschuldbefreiungsverfahrens entscheidend an, weil § 302 Nr. 1 InsO Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung von der Restschuldbefreiung ausnimmt. Der Kläger hat deshalb, nachdem der Beklagte diesem Rechtsgrund der Forderung widersprochen hat, ein Interesse daran, den Widerspruch durch Feststellungsklage zu beseitigen (vgl. dazu auch Ahrens, in: Frankfurter Kommertar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2002, § 302 Rn. 8; Behr Rpfleger 2003, 389, 391; MünchKommInsO/Stephan, 2003, § 302 Rn. 20; BT-Drucks. 14/5680, S. 27; a.A. Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., 2003, § 302 Rn. 11).

2) Dem Kläger steht der mit der Klage geltend gemachte Feststellungsanspruch zu.

Bei der Verbindlichkeit des Beklagten aus dem Urteil des LG Köln vom 14.02.2002 handelt es sich um eine solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne von § 302 Nr. 1 InsO. Die Vorschrift erfordert, dass der Schuldner den Tatbestand einer unerlaubten Handlung im Sinne von §§ 823 ff. BGB verwirklicht hat. Subjektiv wird vom Schuldner vorsätzliches Handeln verlangt, Eventualvorsatz genügt. Im Falle des § 823 Abs. 1 BGB muss sich der Vorsatz auf die Verletzung des absolut geschützten Rechts oder Rechtsguts, bei § 823 Abs. 2 BGB auf die Verletzung des Schutzgesetzes beziehen. Der eingetretene Schaden muss vom Vorsatz nicht umfasst sein (vgl. BGHZ 75, 328, 329 f.). Dies gilt auch im Rahmen von § 302 Nr. 1 InsO (Ahrens, in: Frankfurter Kommentar, a.a.O., § 302 Rn. 8; MünchKommInsO/Stephan, a.a.O., § 302 Rn. 7 f.). Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten insoweit keine einschränkende Auslegung. Ziel der Restschuldbefreiung ist es, dem redlichen Schuldner die Gelegenheit zu geben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien (vgl. § 1 S. 2 InsO). Dem Gesetzgeber schien es im Hinblick auf die Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts sachgerecht, Schadensersatzpflichten aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen von der Schuldbefreiung auszunehmen (vgl. Uhlenbruck/Vallender, a.a.O., § 302 Rn. 1 m.w.N.). Diese Zwecksetzung greift auch dann, wenn der Schaden selbst nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde.

Der Beklagte hat sowohl eine vorsätzliche unerlaubte Handlung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB als auch im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 249 StGB begangen. In dem Rechtsstreit über die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld konnte sich das Gericht darauf beschränken, eine fahrlässige Rechtsgutsverletzung anzunehmen, weil für die Rechtsfolge aus § 823 Abs. 1 BGB die fahrlässige Rechtsgutsverletzung ausreicht. Erst die Vorschrift des § 302 Nr. 1 InsO zwingt zu einer Entscheidung, ob die unerlaubte Handlung (auch) als Vorsatztat zu qualifizieren ist. Dies ist der Fall. Die Gewaltanwendung gegen den Körper der Geschädigten, die mit dem Entreißen der geschulterten Tasche zwangsläufig verbunden war, stellt eine vorsätzliche Körperverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB dar, für die der Beklagte als Mittäter gemäß § 830 Abs. 1 S. 1 BGB haftet. Auf dieser Vorsatztat beruhen sämtliche im Urteil vom 14.02.2002 zugesprochenen Ansprüche. Sie sind vom Schutzzweck der Haftungsnorm erfasste adäquatkausale Folgen der vorsätzlichen Schädigungshandlung.

Darüber hinaus liegt eine vorsätzliche unerlaubte Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB vor, weil die in Mittäterschaft begangene Handlung als Raub im Sinne von § 249 StGB zu qualifizieren ist. Es kann auf sich beruhen, ob der Beklagte den Tod der Mutter des Klägers auch leichtfertig im Sinne von § 251 StGB herbeigeführt hat. Denn unabhängig davon folgen die zur Insolvenztabelle angemeldeten Ansprüche aus dieser Vorsatztat des Beklagten.

Die Auslegung des § 302 Nr. 1 InsO, nach der bei Schadensersatzansprüchen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung eine Restschuldbefreiung nicht in Betracht kommt, bedarf für den Fall der Minderjährigenhaftung nicht einer Korrektur in Form einer verfassungskonformen Auslegung. Der Wortlaut der Vorschrift lässt für eine solche Auslegung keinen Raum. Hierfür besteht auch keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur Einschränkung der Minderjährigenhaftung aus Billigkeitsgründen betreffen nicht die Folgen vorsätzlicher Rechtsverletzungen (vgl. BVerfG NJW 1998, 3557, 3558). Es blieb dem Gesetzgeber unbenommen, den allgemeinen Rechtsgedanken (vgl. etwa § 393 BGB), nach dem der durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung Geschädigte zu seinem Recht kommen soll, in § 302 Nr. 1 InsO ausnahmslos zum Tragen zu bringen.

Die Verbindlichkeit aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss nimmt nach Auffassung des Gerichts an der Rechtsnatur des Hauptanspruchs als einer Verbindlichkeit aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung teil. Es greift zu kurz, eine Erstreckung der Rechtsnatur des Hauptanspruchs auf die Prozesskosten mit der Begründung abzulehnen, diese seien verschuldensunabhängig und rein prozessualer Natur (so Ahrens, in: Frankfurter Kommentar, a.a.O., § 302 Rn. 9; MünchKommInsO/Stephan, a.a.O., § 302 Rn. 8). Prozesskosten, die aus dem Rechtsstreit über die vorsätzliche unerlaubte Handlung resultieren, sind als Kosten der Rechtsverfolgung eine adäquat kausale Folge der unerlaubten Handlung und damit zugleich auch eine Verbindlichkeit aus dieser (zutreffend für die Parallelproblematik im Rahmen des § 850 f ZPO KG Rpfleger 1972, 66; LG Dortmund Rpfleger 1989, 75; MünchKommZPO/Smid, 2. Aufl., 2001, § 850 f Rn. 14; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 2002, § 850 f Rn. 8; a.A. LG München I Rpfleger 1965, 278 f.). Diese Auslegung des § 302 Nr. 1 InsO entspricht auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie soll Gläubiger privilegieren, denen gegenüber der Schuldner sich durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung in besonderem Maße schuldhaft verhalten hat. Die mit der Restschuldbefreiung bezweckte Schuldnerbegünstigung soll hier zurücktreten. Diese Gläubigerprivilegierung wäre indes unvollständig, wenn sie sich nicht auch auf die Kosten der Rechtsverfolgung erstrecken würde, der Gläubiger diese also im Falle der Restschuldbefreiung des Schuldners selbst zu tragen hätte.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Streitwert: 27.165,95 EUR