VG Aachen, Urteil vom 26.04.2005 - 2 K 1249/03
Fundstelle
openJur 2011, 34274
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt mit der vorliegenden Klage ergänzende Leistungen nach dem zum 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG).

Die 1929 geborene Klägerin und ihr 1930 geborener Ehemann machten gegenüber dem Beklagten die Bewilligung entsprechender Leistungen mit Antrag vom 11. Dezember 2002 geltend. Beide Eheleute sind schwerbehindert. Bei Herrn X. sind vom zuständigen Versorgungsamt ein GdB von 90 v.H. und das Merkzeichen G, bei der Klägerin ein GdB von 50 v.H. zuerkannt. Zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen machten sie folgende Angaben: Die Klägerin bezog zum damaligen Zeitpunkt vom Rententräger ein eigenes Altersruhegeld in Höhe von 355,53 EUR netto. Der Ehemann erhielt eine gesetzliche Altersrente in Höhe von 1.174,63 EUR netto sowie eine Zusatzrente in Höhe von 152,20 EUR netto, insgesamt also eine monatliche Altersversorgung in Höhe von 1.326,83 EUR. Als gemeinsames Vermögen gaben die Eheleute einen PKW an, dessen Wert sie mit 9.000 EUR veranschlagten. Als besondere Belastungen machten sie die Kosten einer Sterbeversicherung von insgesamt jährlich 82 EUR für beide Ehepartner, die jährlichen Kosten einer Haftpflichtversicherung in Höhe von 61,02 EUR sowie einer Hausratversicherung in Höhe von jährlich 141,44 EUR geltend. Die Unterkunftskosten der Familie beliefen sich auf 380,41 EUR zuzüglich 34,68 EUR Heizungskosten und 17,90 EUR für eine Garage.

Mit Bescheid vom 30. April 2003 lehnte der Beklagte die Gewährung von Grundsicherungsleistungen ab. Unter Berücksichtigung der Einkünfte beider Eheleute sei die Einkommensgrenze für beide Ehegatten deutlich überschritten. Das vorhandene Vermögen übersteige den Freibetrag von 2.915 EUR erheblich.

Die Klägerin legte Widerspruch ein. Sie ist der Auffassung, dass die Anrechnung des Einkommens des Ehemannes verfassungswidrig sei, da in § 2 Abs. 1 GSiG für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften eine solche Anrechnung nicht vorgesehen sei. Eheleute und eheähnliche Gemeinschaften würden durch diese Regelung gleichheitswidrig benachteiligt. Dies sei mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar. Im Übrigen sei der angegebene Vermögensfreibetrag nicht nachvollziehbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2003 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift sehe er nicht. Im Übrigen habe der Bundesgesetzgeber den von der Klägerin gerügten Mangel im Partnerschaftsergänzungsgesetz beheben wollen. Diese Gesetzesnovelle sei aber im Bundesrat vorläufig gescheitert; da gegen das Partnerschaftsgesetz eine Reihe von Verfassungsbeschwerden anhängig seien, sei vor Abschluss dieser Verfahren nicht mit einem Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens zu rechnen. Der im Bescheid vom 30. April 2003 angegebene Vermögensfreibetrag von 2.915 EUR setze sich aus einem Betrag von 2.301 EUR für den Hilfesuchenden zuzüglich 614 EUR für den Ehegatten zusammen. Dieser Betrag werde durch das den Eheleuten gehörende Fahrzeug im Wert von 9.000 EUR deutlich überschritten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 88 BSHG könnten vor einer Verwertung des Vermögens keine Grundsicherungsleistungen verlangt werden.

Die Klägerin hat am 20. Juni 2003 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die Anrechnung des Einkommens bei Ehegatten und die Nichtberücksichtigung der Partner von Lebenspartnerschaften auch nicht mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 GG vereinbar sei. Sie schlägt deshalb vor, das Verfahren auszusetzen und zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 GG einzuholen. Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 30. April 2003 und 28. Mai 2003 zu verpflichten, der Klägerin Leistungen der Grundsicherung seit Antragstellung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage unter Bezugnahme auf die versagenden Bescheide entgegen.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 3. März 2005 (Beklagte) und vom 14. März 2005 (Klägerin) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Im Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Klage ist nur teilweise zulässig. Der schriftsätzlich dem Gericht unterbreitete Antrag ist zeitlich unbefristet zur Entscheidung gestellt. Unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 6 GSiG können im Klageverfahren regelmäßig die Leistungen der Grundsicherung nur für ein Jahr erstrebt werden. Diese Jahresfrist beginnt nach Auffassung der Kammer am 1. Januar 2003. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte die Bewilligung der Hilfe ab Antragstellung beantragt; unabhängig von dem Umstand, dass sich der genaue Eingang des Grundantrags vom 12. Dezember 2002 bei der Behörde aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht feststellen lässt, spricht der Umstand, dass das GSiG zum 1. Januar 2003 erst in Kraft getreten ist, bei sachgerechter Auslegung des Antrags dafür, dass mit der Klage eine Hilfegewährung ab dem der Antragstellung nächst möglichen Zeitpunkt - also dem 1. Januar 2003 - erstrebt wird. Der der gerichtlichen Überprüfung unterliegende Zeitraum endet dann am 31. Dezember 2003. Soweit das Klagebegehren über diesen Zeitraum hinaus reichen sollte, ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht ferner auch, dass es für den nachfolgenden Zeitraum auch am Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO fehlt, dessen Durchführung für eine Verpflichtungsklage zwingend vorgeschrieben ist (vgl. § 68 Abs. 2 VwGO).

Zwar haben die Prozessbevollmächtigten den Klageantrag ursprünglich als allgemeine Leistungsklage formuliert. Da über die Gewährung dieser Leistung durch Verwaltungsakt entschieden wird, ist es nach Auffassung der Kammer unter Berücksichtigung der Begründung des klägerischen Vortrages sachgerecht, den Antrag dahin auszulegen, dass die Klägerin ihr Begehren - die Verpflichtung des Beklagten zur Bewilligung von Grundleistungen nach dem GSiG - in der statthaften Verpflichtungsklage (vgl. § 42 VwGO) verfolgt.

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie indes unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 30. April 2003 und der Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2003 sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung von ergänzenden Leistungen der Grundsicherung für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2003.

Nach § 2 Abs. 1 GSiG haben Anspruch auf Leistungen der beitragsunabhängigen, bedarfsorientierten Grundsicherung die Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können. Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten und des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, die den Bedarf und die Grenzen des § 3 GSiG übersteigen, sind zu berücksichtigen. In § 3 Abs. 1 ist der Umfang der Grundsicherungsleistungen beschrieben. Für den Einsatz von Einkommen und Vermögen verweist § 3 Abs. 2 GSiG auf die §§ 76 bis 88 BSHG und die dazu ergangenen Rechtsverordnungen.

Nach diesen gesetzlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung, auch wenn man zu ihren Gunsten die von ihr mit verfassungsrechtlichen Erwägungen angegriffene Einkommensanrechnungs- regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG außer Betracht lässt. Zwar ergibt sich dann allein für die Klägerin ein nach § 3 Abs. 1 GSiG zu ermittelnder Bedarf einer Haushaltsangehörigen von 494,45 EUR, der sich aus erhöhtem Regelsatz [234 EUR + (15% Zuschlag=) 43,95 EUR =] in Höhe von 277,95 EUR und der Hälfte der Unterkunftskosten (ohne die nicht berücksichtigungsfähige Garage) in Höhe von 216,50 EUR für die von den Eheleuten bewohnte Wohnung zusammensetzt. Dem steht ein eigenes Renteneinkommen der Klägerin in Höhe von 355,53 EUR gegenüber, so dass eine Lücke von 138,92 EUR bleibt. Wenn man das Renteneinkommen der Klägerin um die Hälfte der angegebenen Versicherungsbeträge (jährlich 82 EUR Sterbekasse, Haftpflicht jährlich 61,02 EUR, Hausrat jährlich 141,44 EUR - insgesamt also 286,46 EUR : 2 = 143,23 : 12 Monate = 11,85 EUR pro Monat) nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG bereinigt, steigt der monatlich ungedeckte Bedarf auf 150,77 EUR.

Dieser Bedarf konnte aber im hier streitigen Zeitraum durch das vorhandene Vermögen der Klägerin gedeckt werden. Als Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG ist hier der nach den Angaben in dem Grundantrag vom 12. Dezember 2002 der Klägerin und ihrem Ehemann gemeinsam gehörende PKW im Wert von 9.000 EUR anzusehen. Denn zum Vermögen im Sinne der genannten Vorschrift gehört das gesamte verwertbare Vermögen, soweit es nicht durch § 88 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 BSHG vor einer Verwertung geschützt ist. Auch wenn ein PKW in den Fallgruppen des § 88 Abs. 2 BSHG nicht ausdrücklich als Schonvermögen aufgeführt ist, so sollen Kraftfahrzeuge dieser Art nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung "mittelbar" zum Schonvermögen gehören, soweit der Wert eines Kraftfahrzeuges die Grenzen des "kleineren Barbetrages" im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG - zukünftig DVO § 88 - nicht übersteigt,

vgl. hierzu: Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7.96 -, BVerwGE 106, 105 ff. = FEVS 48, 145.

Der als Schonvermögen geschützte Barbetrag für die Klägerin allein beläuft sich nach § 1 Abs. 1 Zif. 1 b DVO § 88 zum hier maßgeblichen Zeitraum auf 2.301 EUR. Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise ein höherer Betrag in Ansatz zu bringen ist (vgl. § 2 DVO § 88), sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Unter Berücksichtigung des auf 4.500,00 EUR zu veranschlagenden Wertes ihres Anteils am PKW ist somit Vermögen in Höhe von 2.199 EUR ungeschützt und vorrangig für die Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes einzusetzen. Unabhängig davon, dass dieser Betrag ausreicht, um über ein Jahr den bestehenden monatlichen Bedarf in Höhe von 150,77 EUR zu decken, hat der Widerspruchbescheid zutreffend darauf hingewiesen, dass das oben genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von einer Verpflichtung des Hilfe Suchenden zur Vermögensverwertung ausgeht. Geschieht dies nicht, steht das nach wie vor vorhandene Vermögen weiterhin einer Leistungsgewährung entgegen, da im Rahmen solcher Sozialleistungen eine "fiktive Vermögensverwertung" nicht möglich ist. Schließlich kann die Klägerin auch keine darlehensweise Hilfegewährung geltend machen, wenn sich die Verwertung des Fahrzeugs - aus welchen Gründen auch immer - als schwierig erweisen sollte. Denn § 3 Abs. 2 GSiG verweist nur auf die §§ 76 bis 88 BSHG, nicht aber auf den für die darlehensweise Hilfegewährung maßgeblichen § 89 BSHG.

Bei dieser Sachlage kommt die von der Klägerin gewünschte Aussetzung und Vorlage des Verfahrens an das Bundesvefassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG an den grundrechtlichen Vorgaben der Artt. 3 und 6 GG nicht in Betracht, da die Klage schon aus anderen Gründen keinen Erfolg hat und es somit auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Norm nicht mehr ankommt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) muss nämlich das vorlegende Gericht in der Begründung eines Vorlagebeschlusses darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie nicht vereinbar ist. Die Ausführungen müssen mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift bei der Entscheidung des Falles zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit,

st. Rspr. seit BVerfG, Beschl. vom 6 November 1957 - 2 BvL12,13,14,15/56 -, BVerfGE 7, 171 ff. (S. 173); so beispielsweise u.a. auch Beschl. vom 27. Januar 1988 -1 BvL 2/86 -, BVerfGE 78, 1ff. (S:5); Beschl. vom 14. November 1990 - 1 BvL 10/89 -, BVerfGE 83, 111 ff. (S. 116); Beschl. vom 7. April 1992 - 1 BvL 19/91 -, BVerfGE 86, 52 ff. (S. 56); Beschl. vom 21. April 1993 - 1 BvL 1/90 -, BVerfGE 88, 187 ff. (S: 194).

Eine solche Begründung ist hier nicht möglich, da die Klage der Klägerin - wie oben ausgeführt - auch unabhängig von der Verfassungsmäßigkeit der in § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG vorgeschriebenen Anrechnung des Einkommens des Ehegatten erfolglos ist. Nur colorandi causa sei angemerkt, dass die Geltung des GSiG zum 31. Dezember 2004 endete, weil die Regelungen über die Grundsicherung im Wesentlichen als 4. Kapitel in das zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene SGB XII eingefügt wurden; dort hat der Gesetzgeber in § 19 Abs. 1 SGB XII bestimmt, dass bei der Hilfegewährung das Einkommen des Ehepartners oder des Lebenspartners zu berücksichtigen ist. Dies dürfte letztlich auch der Grund sein, weshalb im Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15. Dezember 2004, BGBl. I S. 3396, das nach Art. 7 zum 1. Januar 2005 in Kraft trat, eine entsprechende Novellierung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GSiG nicht (mehr) vorgesehen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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