LAG Köln, Urteil vom 10.05.2005 - 1 Sa 1510/04
Fundstelle
openJur 2011, 33794
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 Ca 10860/03

1. Wird ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen, ist außerhalb wie innerhalb eines Insolvenzverfahrens auch die Herausnahme sog. Leistungsträger aus der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO).

2. Findet der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit auf die Prüfung der sozialen Auswahl Anwendung, braucht der Arbeitgeber die Gründe für die fehlende Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern und die Ausklammerung von Leistungsträgern zunächst nur in „groben Zügen“ darzulegen.

3. Die Massenentlassungsvorschriften nach §§ 17 ff. KSchG lassen sich nicht im Sinne der Entscheidung des EuGH in Sachen Junk ./. Kühnel (Rs.C - 188/03) richtlinienkonform auslegen. Für Altfälle ist jedenfalls Vertrauensschutz zu gewähren.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeits-

gerichts Köln vom 05.08.2004 - 6 Ca 10860/04 - wird

zurückgewiesen.

2) Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der geborene, verheiratete Kläger, Vater von zwei geborenen Kindern, war seit 1976 bei der F GmbH & Co., Kessel-Apparatebau, die in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigte, zu einem von ihm behaupteten Bruttomonatsverdienst von zuletzt durchschnittlich 2.862,78 € tätig. Er verfügt über eine Ausbildung als Schlosser und war seit 1978 zunächst für elf Jahre als Vorarbeiter in der Endmontage tätig. Anschließend arbeitete er sechs Jahre lang als Maschinenbediener, wozu er eine mehrtägige Einführung beim Hersteller erhalten hatte. Sodann folgte für acht Jahre ein Wechsel als Hilfskraft in die Abteilung "Marketing/Messebau", in der sich seine Tätigkeit im wesentlichen auf Messebau- bzw. -aufbau und das Versenden von Prospekten erstreckte.

Über das Vermögen der F GmbH & Co. wurde unter dem 01.08.2003 wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Kurz darauf zeigte der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit an.

Unter dem 31.07.2003 war die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Dr. N und Partner in einem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, die Erfolgsaussichten für die Fortführung der F GmbH & Co. seien positiv einzuschätzen, wenn der Personalbestand sofort reduziert würde. In dem daraufhin erstellten Sanierungskonzept war vorgesehen, die Marketingabteilung dadurch aufzulösen, dass der Messebau an Dritte vergeben und sonstige Aufgaben auf andere Unternehmensbereiche verlagert werden sollten.

Unter dem 21.08.2003 schlossen der Beklagte und der bei der F GmbH & Co. bestehende Betriebsrat einen Interessenausgleich. Dieser sah zur Neustrukturierung des Unternehmens die betriebsbedingte Kündigung von 70 Arbeitnehmern vor, die in einer dem Interessenausgleich beigefügten Namensliste aufgeführt waren. Unter ihnen befand sich auch der Kläger. Des weiteren hielt der Interessenausgleich unter Ziff. 3.1 fest, dass der Betriebsrat zu den Kündigungen gem. § 102 BetrVG angehört worden sei. Zu den beabsichtigten Kündigungen erhielt der Betriebsrat ein ebenfalls vom 21.08.2003 datierendes, alle beabsichtigten Kündigungen ohne Spezifizierung umfassendes Anhörungsschreiben; dazu enthielt er sich der Stellungnahme.

Mit Schreiben vom 26.08.2003 kündigte der Beklagte dem Kläger unter Berufung auf dringende betriebliche Gründe zum 30.11.2003. Gleichzeitig mit dem Kündigungsschreiben erhielt der Kläger ein weiteres Schreiben des Beklagten vom 25.08.2003, in dem dieser mitteilte, er habe einen Investor gefunden, der bereit sei, das Unternehmen unter der Voraussetzung von Gehaltsverzichten und einer Personalreduzierung fortzuführen. Das bedeute, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger auch nach Betriebsübernahme durch den Investor nicht möglich sei.

Die Massenentlassungsanzeige des Beklagten ging am 28.08.2003 beim (damaligen) Arbeitsamt ein. Dieses legte die Freifrist gem. § 18 Abs. 4 KSchG auf die Zeit vom 29.09. bis 27.12.2003 fest.

Zum 01.12.2003 wurde das Unternehmen an die F Heiz- und Trinkwassersysteme GmbH veräußert.

Mit seiner am 17.09.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt. Er hat sie wegen Fehlens betrieblicher Erfordernisse, mangelhafter sozialer Auswahl, Verstoßes gegen die Unkündbarkeitsregelung in § 20 Nr. 4 des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (MTV), nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung, Verstoßes gegen § 613 a Abs. 4 BGB sowie Verletzung der Massenentlassungsvorschriften für unwirksam gehalten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit dem Antrag,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung

des Beklagten vom 26.08.2003 nicht aufgelöst worden ist,

abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf Bl. 109 ff d.A. Bezug genommen.

Gegen das ihm am 09.11.2004 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat der Kläger am 08.12.2004 Berufung eingelegt, die nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 09.02.2005 an diesem Tag begründet worden ist. Er hält weiterhin die von dem Beklagten getroffene soziale Auswahl für grob fehlerhaft. Er meint, eine Namensliste führe im Insolvenzverfahren zwar zu einer Beschränkung der gerichtlichen Prüfung der sozialen Auswahl, ändere aber nichts an der Darlegungs- und Beweislast des Beklagten. Die soziale Auswahl leide schon daran, dass der Beklagte seine beiden Kinder, gegenüber denen er bereits zum Zeitpunkt der Kündigung zum Unterhalt verpflichtet gewesen sei, unberücksichtigt gelassen habe. Auch wenn die Kinder - unstreitig - zu diesem Zeitpunkt nicht in seiner Lohnsteuerkarte eingetragen gewesen seien, hätte der Beklagte ihn befragen müssen, was unterblieben sei. Des weiteren sei der Vortrag des Beklagten unsubstantiiert, wenn er von der fehlenden fachlichen und gesundheitlichen Eignung des Klägers für eine Tätigkeit in der Produktion sowie einer mangelnden Vergleichbarkeit mit Mitarbeitern aus den Bereichen Versand/Lager ausgehe. So verfügten die Mitarbeiter W , M , A , T und C , die von den Sozialdaten her weniger schutzwürdig als er seien, über keine Berufsausbildung. Er bestreite, dass es sich bei diesen Mitarbeitern um sog. Leistungsträger handele. Dafür - so meint er - sei der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig; er dürfe sich nicht auf Schlagworte beschränken. Schließlich sei er vergleichbar mit dem sozial weniger schutzwürdigen Maschinenarbeiter B , der ebenfalls gelernter Schlosser sei und hinsichtlich dessen Tätigkeit er in zumutbarer Zeit angelernt werden könne.

Der Kläger bestreitet, dass seine Qualifizierung mehr als drei Monate dauern würde. Dafür ließen sich die Mitarbeiter B und F anführen, deren Einarbeitung in die Bedienung von Maschinen nicht länger als drei Monate gedauert habe.

Der Kläger ist der Auffassung, die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG unterliege auch bei einem Interessenausgleich mit Namensliste keinen erleichterten Anforderungen. Demzufolge könne sich der Beklagte nicht auf die Herausnahme der angeblichen Leistungsträger W , M , A , T und C aus der Sozialauswahl berufen, weil er dazu weder in seinem Anhörungsschreiben vom 21.08.2003 Angaben gemacht noch den Betriebsrat mündlich informiert habe.

Weiterhin hält der Kläger die Kündigung nach § 613 a Abs. 4 BGB für unwirksam. Dies ergebe sich daraus, dass der Betrieb in nahtlosem Anschluss an das Auslaufen der Kündigungsfrist auf den Erwerber übergegangen und schon in dem Begleitschreiben zu der Kündigung der Betriebsübergang thematisiert worden sei. Auch habe - was unstreitig ist - nicht ein verbindliches Erwerberkonzept vorgelegen, aufgrund dessen gekündigt worden sei, vielmehr habe der Beklagte das Sanierungskonzept selbst initiiert.

Schließlich hält der Kläger die Kündigung deshalb für unwirksam, weil die Massenentlassungsanzeige beim zuständigen Arbeitsamt entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erst nach Ausspruch der Kündigung erstattet worden sei.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem

erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er beruft sich darauf, nach den einschlägigen Vorschriften der Insolvenzordnung werde vermutet, dass die Kündigung betriebsbedingt gewesen sei, die soziale Auswahl ordnungsgemäß getroffen und die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen worden sei. Er meint, der Kläger habe nicht darzulegen vermocht, dass die von ihm getroffene Sozialauswahl grob fehlerhaft sei. Bezüglich der Unterhaltspflichten des Klägers sei jedenfalls im Insolvenzfall die Eintragung in der Steuerkarte maßgeblich. Die vom Kläger für die Sozialauswahl angegebenen Personen seien nicht mit ihm vergleichbar.

Der Beklagte behauptet, die nach der drastischen Personalreduzierung in der Produktion weiterbeschäftigten Arbeitnehmer müssten hochflexibelmultifunktional einsetzbar sein, das heiße, sie müssten über überdurchschnittliche Fähigkeiten verfügen und computergesteuerte Schweißroboteranlagen bedienen können, wozu ein durchschnittlich begabter Mitarbeiter eine Einarbeitungszeit und praktische Erfahrung von 5 bis 12 Monaten benötige. Die Bedienung dieser Anlage beherrsche der Kläger nicht. Dagegen sei der Mitarbeiter Baumann dazu bereits in der Lage. Die in den Bereichen Versand/Lager weiterbeschäftigten Arbeitnehmer verfügten gegenüber dem Kläger über Qualifikationsvorsprünge und besondere Leistungsstärke. So besitze der Mitarbeiter W aufgrund seiner 12jährigen Tätigkeit in dem Ersatzteillager unverzichtbare Detailkenntnisse über Produkte und technische Spezifikationen von Ersatzteilen. Er arbeite mit hohem Arbeitstempo kontinuierlich fehlerfrei. Der Mitarbeiter M sei aufgrund seiner 21jährigen Betriebszugehörigkeit und spezifizierter technischer Kenntnisse über Produkte und Materialien in der Lage, die Warenrücknahme durchzuführen. Bei den Mitarbeitern A , T und C handele es sich um besonders leistungsstarke Mitarbeiter, die in der Lage seien, im personell stark ausgedünnten Versandlager dauerhaft weit überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen. Bei den nicht vergleichbaren Mitarbeitern W , A , T und C handele es sich im Übrigen auch um sog. Leistungsträger. Demgegenüber sei der Kläger schwerfällig und leistungsschwach.

Er meint, die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß verlaufen, und behauptet, bei der Erstellung der Namensliste sei mit dem Betriebsrat intensiv über die Namensauswahl und die betrieblichen Interessen an den leistungsstarken Arbeitnehmern W , M , A , T und C beraten worden.

Schließlich beruft sich der Beklagte gegenüber der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige darauf, dass eine richtlinienkonforme Auslegung nicht in Betracht komme und im Übrigen sein Vertrauen in die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu schützen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten haben die Parteien auf ihre im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

1. Die Berufung ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und nach Verlängerung der Begründungsfrist begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 5, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

2. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

a) Die Kündigung ist nicht bereits deshalb unwirksam, weil der Kläger nach § 20 Nr. 4 MTV als älterer, langjährig Beschäftigter zu den "unkündbaren" Arbeitnehmern gehört. Schon nach dem Wortlaut des § 113 Satz 1 InsO kann im Insolvenzverfahren "ohne Rücksicht auf einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung" gekündigt werden. Der Insolvenzverwalter hat bei der Kündigung auch dann, wenn die tarifvertragliche Kündigungsfrist länger ist, lediglich eine Kündigungsfrist von drei Monaten einzuhalten (§ 113 Satz 2 InsO; BAG vom 16.06.1999 - 4 AZR 191/98 -, 19.01.2000 - 4 AZR 70/99 - = EzA § 113 InsO Nr. 9, 10).

b) Die Kündigung des Beklagten ist auch nicht nach § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam. Zwar gilt § 613 a Abs. 4 BGB nach der Gesetzeslage und der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch im Insolvenzverfahren (arg. § 128 Abs. 2 InsO; BAG vom 20.03.2003 - 8 AZR 97/02 - = EzA § 613 a BGB 2002 Nr. 9). Jedoch wird nach § 128 Abs. 2 InsO vermutet, dass die Kündigung nicht "wegen des Betriebsübergangs" erfolgt ist. Diese Vermutung hat der Kläger nicht widerlegt. Wäre die Kündigung aufgrund eines verbindlichen Sanierungskonzepts des Erwerbers erfolgt, hätte es der Vermutung gar nicht bedurft, weil die Kündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts ohnehin nicht gegen das Kündigungsverbot in § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB verstößt (BAG, aaO). Unstreitig lag der Kündigung allerdings kein verbindliches Sanierungskonzept des Erwerbers zugrunde. Demzufolge hätte der Kläger die Vermutung aus § 128 Abs. 2 InsO nur widerlegen können, wenn der Erwerber der F GmbH & Co. lediglich die Forderung aufgestellt hätte, die Belegschaft vor dem Betriebsübergang zu verkleinern, oder eine Personalauslese mit der Ablehnung bestimmter Arbeitnehmer getroffen hätte, weil diese "ihm zu teuer seien" (s. dazu BAG, aaO).

Dafür hat der Kläger keinen substantiierten Sachvortrag unterbreitet. Er hat vielmehr - unter Verkennung der Darlegungslast - seinerseits nur Vermutungen für ein solches Verhalten des Erwerbers vorgetragen, die er allein auf die bei Ausspruch der Kündigung erkennbare Absicht des Beklagten, das Unternehmen gegebenenfalls zu veräußern, stützt. Hinzu kommt, dass der Kläger den Vortrag des Beklagten nicht bestritten hat, er habe aufgrund des von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Dr. N und Partner erstellten Gutachtens nach einem eigenen Sanierungsplan die Personalreduzierung vorgenommen, um zunächst die Fortführung der Insolvenzschuldnerin zu ermöglichen. Ein solches Verhalten eines Insolvenzverwalters ist durchaus plausibel und erfährt nicht eine rechtliche Wertung im Sinne des Klägers, wenn er daneben - sozusagen zweigleisig - nach einem Investor als Betriebsübernehmer sucht. Wegen des eigenen Sanierungskonzepts des Insolvenzverwalters lag demzufolge neben dem Betriebsübergang ein sachlicher Grund vor, der "aus sich heraus" die Kündigung zu rechtfertigen vermochte (§ 613 a Abs. 4 Satz 2 BGB). Das Kündigungsverbot nach § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB schützt nicht vor Risiken, die sich jederzeit unabhängig vom Betriebsübergang aktualisieren können und führt insbesondere nicht zur Lähmung der als notwendig erachteten unternehmerischen Maßnahme (BAG, aaO).

c) Die Kündigung ist auch nicht wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG zu beanstanden. Selbst wenn man der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt und davon ausgeht, dass auch bei einem Interessenausgleich mit Namensliste im Sinne des § 125 Abs. 1 InsO die Betriebsratsanhörung grundsätzlich keinen erleichterten Anforderungen unterliegt (BAG vom 21.02.2002 - 2 AZR 581/00 - = EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10; BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 377/02 - = EzA § 102 BetrVG 2001 Nr. 4), hat die Beklagte im Falle des Klägers den Betriebsrat ordnungsgemäß informiert. Zum einen kann das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG mit den Verhandlungen über einen Interessenausgleich verbunden werden, zum anderen gehen regelmäßig - und so war es auch hier - dem Abschluss eines Interessenausgleichs mit der Liste der Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer längere Verhandlungen voraus, aufgrund derer beim Betriebsrat erhebliche Vorkenntnisse über die Kündigungsgründe und eine soziale Auswahl vorhanden sein können. Die dem Betriebsrat aus diesen Verhandlungen bekannten Tatsachen muss der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren nicht erneut vortragen (BAG vom 28.08.2003, aaO). Der Arbeitgeber muss erst dann zu den Vorkenntnissen des Betriebsrats weitere Ausführungen machen, wenn der Arbeitnehmer sie konkret bestreitet (BAG vom 21.02.2002, aaO).

Der Beklagte hat ohne substantiierten Gegenvortrag erstinstanzlich dargelegt, der Betriebsrat habe die ihm überreichten Namenslisten, die zu jedem aufgeführten Mitarbeiter die Merkmale Alter, Betriebszugehörigkeit, Steuermerkmale, betriebliche Funktion, erlernter Beruf, Zusatzausbildung, aktueller Urlaub und sonstige für die Auswahl relevante Bemerkungen sowie die vom Beklagten ausgearbeiteten Vorschläge der zu kündigenden Mitarbeiter enthalten hätten, nach interner Beratung überarbeitet und eigene Vorschläge entwickelt. In zwei folgenden Verhandlungsrunden sei zwischen den Beauftragten des Beklagten und dem Betriebsrat jeder einzelne Arbeitsbereich anhand der Namenslisten im Einzelnen durchgesprochen und bei etlichen Einzelpersonen teils sehr kontrovers erörtert worden. Demgegenüber wendet der Kläger im Berufungsverfahren lediglich ein, der Beklagte habe den Betriebsrat nicht darüber informiert, dass er die Mitarbeiter W , M , A , T und C wegen ihrer Eigenschaft als Leistungsträger gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a. F. aus der Sozialauswahl herausgenommen habe (S. 16, 21 der Berufungsbegründung vom 09.02.2005 = Bl. 144, 149 d. A.). Er übersieht dabei allerdings, dass sich der Beklagte nicht nur darauf beruft, er habe die genannten Mitarbeiter wegen ihrer Eigenschaft als Leistungsträger im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a.F. aus der Sozialauswahl herausgenommen, sondern zusätzlich darauf, der Kläger sei insbesondere im Hinblick auf die Einarbeitungszeit mit ihnen nicht vergleichbar. Der Beklagte hat betriebliche Interessen an der Weiterbeschäftigung dieser Arbeitnehmer in Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a.F. lediglich "auch" geltend gemacht (S. 6 der Berufungserwiderung vom 01.04.2005 = Bl. 169 d.A.). Dennoch will der Kläger wohl zusätzlich die korrekte Information des Betriebsrats über die Vergleichbarkeit bestreiten, weil die Grenze zwischen mangelnder Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern und ihrer Leistungsträgereigenschaft fließend sein kann und auch der Beklagte insoweit nicht immer mit letzter Schärfe unterschieden hat.

Die so verstandenen Einwände des Klägers zwingen den Beklagten nicht zur weiteren Substantiierung der Betriebsratsanhörung. Dass beim Betriebsrat durch das teilweise kontroverse Abhandeln jedes einzelnen Arbeitsbereichs mit seinem Personalbestand ausreichende Vorkenntnisse über die fehlende Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer wegen der Unterschiede in der Funktion und der Dauer von Einarbeitungszeiten vorhanden waren, bestreitet der Kläger nicht konkret. Ebenso bestreitet er nicht konkret, dass hier wie bei jedem Betriebsrat, der im Falle einer insolvenzbedingten Personalreduzierung mit dem Ziel der nahtlosen Fortführung eines existenzfähigen Restunternehmens verantwortungsbewusst eine Namensliste aushandelt, ausreichende Vorkenntnisse dazu vorhanden waren, dass betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung der aufgezählten Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a.F. bedingten. Für diese Vorkenntnisse des Betriebsrats musste der Beklagte nicht den Begriff "Herausnahme der Leistungsträger im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aus der Sozialauswahl" benutzen. Es reichte aus, dass dem Betriebsrat aufgrund der intensiven und teilweise kontroversen Verhandlungen über die Namensliste klar sein musste, auf welche Mitarbeiter nicht verzichtet werden konnte, um das Restunternehmen sinnvoll weiterführen zu können.

d) Dass die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung betriebsbedingt ist, wird wegen des Interessenausgleichs mit Namensliste, in der der Kläger aufgeführt ist, vermutet (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO). Abgesehen von seinem nicht ausreichenden Vortrag zum Betriebsübergang hat der Kläger nichts dargelegt, was diese Vermutung widerlegen könnte.

e) Die soziale Auswahl, die der Beklagte in bezug auf den Kläger vorgenommen hat, kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO). Sie ist unter Anlegung dieses Maßstabs nicht zu beanstanden.

aa) Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit bezieht sich nicht nur auf die sozialen Indikatoren (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten) und deren Gewichtung. Vielmehr wird die gesamte soziale Auswahl, also insbesondere auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer, von den Gerichten für Arbeitssachen nur auf ihre groben Fehler überprüft (BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 - = EzA § 125 InsO Nr. 1). Das gilt auch für die Herausnahme von Arbeitnehmern als Leistungsträger aus der Sozialauswahl. Das Bundesarbeitsgericht hat dies zwar bis jetzt nur für den Fall bejaht, dass die Herausnahme der Leistungsträger dem Erhalt oder der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur dient (aaO). Für diese Einschränkung besteht jedoch kein Anlass. Nach dem durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 3002) novellierten Kündigungsschutzgesetz gilt für das allgemeine Kündigungsschutzrecht außerhalb des Insolvenzverfahrens, dass bei einem Interessenausgleich mit Namensliste die gesamte soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG n.F.). Dem Anliegen des Gesetzgebers, die Sozialauswahl möglichst rechtssicher zu gestalten, wird man nur durch dieses Verständnis gerecht (Bader NZA 2004, 65 (75); Willemsen/Annuß NJW 2004, 177 (181); Hanau ZIP 2004, 1169 (1173); Schiefer-Worzalla NZA 2004, 345 (354)).

Was für das allgemeine Kündigungsschutzrecht gilt, muss erst recht für den Kündigungsschutz im Insolvenzverfahren gelten. Auch das Bundesarbeitsgericht geht von einer weiten Anwendung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs bei der Sozialauswahl aus, weil für den Insolvenzfall zum Zwecke einer erfolgreichen Sanierung zusätzliche Kündigungserleichterungen geschaffen werden sollten (BAG vom 28.08.2003, aaO).

bb) Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl dann, wenn ein evidenter Fehler vorliegt und sie jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BAG, aaO). Dies kann in Bezug auf die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung nicht angenommen werden.

Der Beklagte hat genügend Umstände vorgetragen, die die grobe Fehlerhaftigkeit seiner Sozialauswahl ausschließen. Zwar kann ein Arbeitnehmer auch im Falle eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbs. KSchG verlangen, dass der Arbeitgeber die Gründe angibt, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben; dazu gehören ggf. auch die betrieblichen Interessen, die den Arbeitgeber zur Ausklammerung der Leistungsträger aus der sozialen Auswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG veranlasst haben (BAG vom 10.02.1999 - 2 AZR 716/98 -, 12.04.2002 - 2 AZR 706/00 - = EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 38, 48). Damit ist jedoch noch nicht entschieden, welchen Umfang die Mitteilung der Gründe des Arbeitgebers haben muss. Das Bundesarbeitsgericht hat dies in der Entscheidung vom 10.02.1999 (aaO) nicht näher vertiefen müssen, weil der damalige Arbeitgeber noch nicht einmal ansatzweise versucht hatte, die soziale Auswahl zu begründen. In dem Urteil vom 12.04.2002 (aaO) hat das Bundesarbeitsgericht dahinstehen lassen, ob die mehr oder weniger pauschalen Hinweise des Arbeitgebers auf eine bestimmte Ausbildung der Arbeitnehmer oder ihre Flexibilität ausreichten.

Das Spannungsverhältnis zwischen der Entlastung des Arbeitgebers dadurch, dass die Verneinung der Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern und die Herausnahme von Leistungsträgern aus der sozialen Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann, und seiner Belastung mit der Pflicht, die Gründe für diese Überlegungen vorzutragen, ist dadurch aufzulösen, dass der Arbeitgeber zunächst die Gründe für die fehlende Vergleichbarkeit und/oder Ausklammerung der Leistungsträger nur in "groben Zügen" darlegen muss. Es genügt somit, wenn er zunächst bestimmte Ausbildungen, besondere berufliche Erfahrungen, den Grad der Leistungsstärke usw. umschreibt. Konkreter zu werden, kann ihn im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast der Arbeitnehmer nur durch substantiierten Gegenvortrag zwingen (s. dazu BAG vom 05.12.2002 - 2 AZR 697/01 - EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 52).

Ein solcher substantiierter Vortrag des Klägers fehlt. Er hat nicht überzeugend darlegen können, warum auch er die Tätigkeit der von ihm aufgezählten Arbeitnehmer erfüllen könne und nur eine wesentlich geringere Einarbeitungszeit als vom Beklagten angegeben benötige. Er hätte angeben müssen, welche Fertigkeiten ihn zur Ausfüllung der angestrebten Arbeitsplätze befähigen, und die Dauer seiner Einarbeitungszeit näher begründen müssen (BAG aaO). Dabei ist zu berücksichtigen, dass seine berufliche Karriere - aus welchen Gründen auch immer - nicht vom Auf-, sondern eher Abstieg gekennzeichnet ist: vom Vorarbeiter zum Maschinenbediener bis zur Hilfskraft der Marketingabteilung, die u.a. mit dem Verteilen von Prospekten befasst ist. Wer dann schon acht Jahre in der letzten Position verharrt hat, der muss für diese Berufsjahre darlegen, aufgrund welcher hervorragenden Leistungen, welcher Bewältigung schwieriger Aufgaben und welcher Fortbildungsmaßnahmen er sich die Fähigkeit erhalten hat, mit bestimmten Arbeitnehmern, die jahre-, zum Teil jahrzehntelange Erfahrungen auf bestimmten Arbeitsplätzen haben und deren Leistungsstärke von ihm nicht bestritten wird, konkurrieren kann. Das ist nicht geschehen. Demzufolge ist dem Kläger nicht gelungen darzulegen, der Beklagte habe ihn grob fehlerhaft als nicht vergleichbar mit den von ihm genannten Mitarbeitern angesehen. Aus diesem Grunde lässt er auch ausreichenden Vortrag dafür vermissen, warum der Beklagte im Rahmen eines sanierenden Personalreduzierungskonzepts grob fehlerhaft handelte, als er die vom Kläger herangezogenen Mitarbeiter als Leistungsträger für die Fortführung des Unternehmens für unverzichtbar hielt.

cc) Die soziale Auswahl ist schließlich nicht deshalb grob fehlerhaft, weil der Beklagte zwei Kinder des Klägers unberücksichtigt gelassen hat. Angesichts der Besonderheiten des Falles kann offen bleiben, ob der Beklagte den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte, die für die beiden Kinder keinen Freibetrag aufwies, zumindest angesichts des Umstands einer Massenentlassung in der Insolvenz vertrauen durfte oder vor Ausspruch der Kündigung insoweit beim Kläger nachfragen musste (s. dazu LAG Köln vom 29.07.2004 - 5 Sa 63/04 - = LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 45a; LAG Niedersachsen vom 28.05.2004 - 10 Sa 2180/03 = LAGReport 2005, 52; LAG Düsseldorf vom 04.11.2004 - 11 Sa 957/04 - = DB 2005, 454; LAG Hamm vom 06.07.2000 - 4 Sa 233/00 - = ZinsO 2001, 336). Der Kläger hat erst kurz nach Ausspruch der Kündigung vom 26.08.2003 in seine Steuerkarte (Kopie Bl. 85 d.A.) unter dem 23.09.2003 als Zahl der Kinderfreibeträge "2,0" eintragen lassen. Irgendwelche Erläuterungen hat er dazu im Prozess nicht abgegeben. Wenn der Kläger damit dokumentieren wollte, schon zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, auf den es für die Beurteilung der sozialen Auswahl ankommt, hätten ihm gegenüber Unterhaltspflichten für zwei Kinder bestanden, so hätte er nähere Angaben dazu machen müssen, wieso er erst danach solche Pflichten gegenüber 20jährigen Abkömmlingen reklamiert. Es kommt nämlich für die Berücksichtigung im Rahmen der sozialen Auswahl darauf an, ob den Unterhaltsberechtigten tatsächlich Unterhalt geleistet oder zumindest rechtswidrig nicht geleistet wurde (LAG Köln, LAG Niedersachsen, jeweils aaO.; APS/Kiel, 2. Aufl. 2004, § 1 KSchG Rn. 717; Schaub-Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 11. Aufl. 2005, § 132 Rn. 29).

Eine solche tatsächliche Belastung mit Unterhaltsleistungen für zwei volljährige Kinder ist nicht zwingend und kann deshalb nicht zugunsten des Klägers unterstellt werden. Im Übrigen hat der Kläger keinerlei Ausführungen dazu gemacht, ob die Kinderfreibeträge früher etwa auf der Steuerkarte seiner Ehefrau eingetragen waren. Angesichts dieser bis zum Prozessende bestehenden Unklarheiten kann dem Beklagten nicht vorgeworfen werden, er habe Unterhaltspflichten des Klägers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Zumindest war seine soziale Auswahl nicht als grob fehlerhaft zu bewerten. Dieser eingeschränkte Prüfungsmaßstab kann nämlich, ohne dass der Wortlaut und der Sinn des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO dem entgegen stehen, nicht nur auf die Gewichtung von Unterhaltspflichten, sondern bereits auf die Ermittlung bezogen werden, ob überhaupt tatsächliche Belastungen durch Unterhaltspflichten bestehen.

f) Die unter dem 26.08.2003 zum 30.11.2003 erklärte Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen die Massenentlassungsvorschriften nach §§ 17 ff KSchG unwirksam.

aa) Zwar sind nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27.01.2005 in Sachen Junk ./. Kühnel (Rs. C - 188/03 = DB 2005, 453) die Art. 2 bis 4 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen, dass die Kündigungserklärung des Arbeitsgebers das Ereignis ist, das als Entlassung gilt. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige der Agentur für Arbeit bereits vor dem Ausspruch der Kündigungen erstatten muss. Das ist im vorliegenden Massenentlassungsverfahren nicht geschehen, da die Massenentlassungsanzeige des Beklagten erst nach der Kündigung vom 26.08. 2003 am 28.08.2003 bei dem damaligen Arbeitsamt einging.

Die Auslegung der Massenentlassungsrichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof widerspricht der jahrzehntelang nahezu einhellig in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinung, dass unter der "Entlassung" im Sinne der §§ 17, 18 KSchG, vor der die Massenentlassungsanzeige erstattet werden muss, nicht die Kündigungserklärung des Arbeitgebers, sondern die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnis gemeint ist (BAG vom 13.04.2000 - 2 AZR 215/99 - = DB 2000, 2175; BAG vom 18.09.2003 - 2 AZR 79/02 - = DB 2004, 2817). Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat jedoch keine Auswirkung auf den vorliegenden Fall.

Einer europäischen Richtlinie kommt im Verhältnis zwischen Privatrechtssubjekten keine unmittelbare Geltung zu; sie verpflichtet nur die Mietgliedstaaten zur Umsetzung ihrer Vorgaben in nationales Recht (vgl. BAG vom 18.02.2003 - 1 ABR 2/02 -= NZA 2003, 742; BAG vom 18.09.2003 - 2 AZR 79/02 -, aaO). Ist eine Richtlinie nicht (ordnungsgemäß) durch den deutschen Gesetzgeber umgesetzt worden, stellt sich die Frage, ob sich das nationale Recht richtlinienkonform auslegen lässt. Dies ist hier nicht möglich.

Der Gesetzgeber hat in §§ 1 - 16 KSchG nur den Begriff der "Kündigung" verwandt, während er in den §§ 17 - 22 KSchG nur von "Entlassung" spricht. Diese Differenzierung in einem Gesetz von nicht mehr als 26 Paragraphen kann nur dahin verstanden werden, dass "Kündigung" (also die Kündigungserklärung) nicht mit der "Entlassung" (also der Beendigung des Arbeitsverhältnisses) gleichzusetzen ist (ebenso ArbG Krefeld vom 14.04.2005 - 1 Ca 3731/04 - = NZA 2005, 582; ArbG Lörrach vom 24.03.2005 - 2 Ca 496/04 - = NZA 2005, 584; Bauer/Krieger/Powietzka DB 2005, 445). Es geht nicht an, den Unterschied juristischer Fachbegriffe im Kündigungsschutzgesetz mit dem Hinweis, umgangssprachlich ließen sich "Entlassungen" auch als "Kündigungen" verstehen oder in anderen Gesetzen bezeichne der Begriff "Entlassung" die Kündigung des Arbeitgebers, zu negieren (so aber Riesenhuber/Domröse NZA 2005, 568). Das gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die §§ 17, 18 KSchG nach herkömmlichem Verständnis allein arbeitsmarktpolitischen Zwecken dienen und es für ihre Anwendung allein auf den Zeitpunkt der Belastung des Arbeitsmarkts ankommt (BAG vom 24.10.1996 - 2 AZR 895/95 - = DB 1997, 630).

Auch kann der Umstand, dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Massenentlassungsrichtlinie nicht bewusst von ihr abweichen wollte, nicht ohne weitere Anhaltspunkte dahin interpretiert werden, nunmehr seien Normen des Kündigungsschutzrechts stillschweigend entgegen dem herkömmlichen Rechtsverständnis mit einem anderen Inhalt gefüllt worden (a.A. ArbG Bochum vom 17.03.2005 - 3 Ca 307/04 - = NZA 2005, 587). Schließlich führen nicht die verschärften Anforderungen weiter, die der Europäische Gerichtshof in dem Urteil vom 05.10.2004 in Sachen P ./. D (Rs. C-397/01 bis C-403/01 = NZA 2004, 1145 (1151)) aufgestellt hat, um mit Hilfe nationaler Auslegungsmethoden eine Kollision zwischen innerstaatlichem Recht und dem von der Richtlinie verfolgten Ziel zu vermeiden (a.A. Riesenhuber/Domröse, aaO). Zu den nationalen Rechtsfindungsmethoden gehört sicherlich auch die Rechtsfortbildung contra legem. Sie kommt aber nur in Betracht, wenn eine allein am Gesetz ausgerichtete Entscheidung zu schwer erträglichen Ergebnissen führen oder (so Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 251) ein "Rechtsnotstand" drohen würde. Angesichts des deutschen allgemeinen und besonderen Schutzes vor Kündigungen ist es nicht unerträglich, wenn die Massenentlassungsanzeige hinsichtlich ihres Zeitpunkts nicht nach vorne verschoben wird (im Ergebnis a.A. Riesenhuber/Domröse, aaO, S. 569).

bb) Aber auch dann, wenn man der Junk-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbare nationale Wirkung beimisst, ist die Kündigung unter dem Gesichtspunkt des Zeitpunkts der Massenentlassungsanzeige nicht zu beanstanden. Der Beklagte genießt jedenfalls für seine Vorgehensweise Vertrauensschutz (ebenso LAG Köln vom 25.02.2005 - 11 Sa 667/04 -; ArbG Krefeld, aaO; ArbG Lörrach, aaO; Bauer/Krieger/Powietzka, aaO, S. 449 ff; a.A. ArbG Bochum, aaO; Riesenhuber/Domröse, aaO). Durfte er im Zeitpunkt der Kündigung im August 2003 mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdiente dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen der anderen Partei und denjenigen der Allgemeinheit den Vorzug, so ist die Rückwirkung einer Rechtsprechungsänderung ausgeschlossen (BAG vom 20.11.1990 - 3 AZR 573/89 - = NZA 1991, 477). Das ist hier der Fall, da der Beklagte auf eine jahrzehntelange Rechtsprechung und nahezu einhellige Meinung in der Literatur vertraute, die weder die Arbeitnehmer besonders benachteiligte noch gemeinwohlschädlich war. Dieses Vertrauen ist nicht zerstört worden durch den Vorlagebeschluss des ArbG Berlin vom 30.04.2003 (- 36 Ca 19726/02 - = ZIP 2003, 1265), auf den die Junk-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ergangen ist. Gleichgültig, wann der Vorlagebeschluss bekannt geworden ist, jedenfalls brauchte sich der Beklagte durch die Entscheidung eines einzelnen Arbeitsgerichts noch nicht in seinem Glauben an eine bisher gefestigte ständige Rechtsprechung irritieren zu lassen. Sein Vertrauen in die bisherige Rechtslage konnte auch schon deshalb nicht durch die Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 30.09.2004 (ZIP 2004, 2019) erschüttert werden, weil die Kündigung aus dem Jahre 2003 stammt.

Schließlich kann dem Beklagten nicht entgegen gehalten werden, der Europäische Gerichtshof habe, was möglich gewesen wäre, die Rückwirkung der Junk-Entscheidung nicht in dem Urteil beschränkt. Der Europäische Gerichtshof mag die Richtlinie auch für die Vergangenheit europarechtlich bindend ausgelegt haben, dies ändert aber nichts daran, dass bei der richtlinienkonformen Auslegung nach nationalen Auslegungsmethoden die nationalen Rechtsgrundsätze zum Vertrauensschutz bei der Rückwirkung von Rechtsprechung zu beachten sind. Diese schließen eine Rückwirkung der EuGH-Rechtsprechung neben den bereits genannten Gründen auch deshalb aus, weil der Empfänger der Massenentlassungsanzeige, die Bundesagentur für Arbeit, bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in ihren Merkblättern und Formularen zur Erstattung von Massenentlassungsanzeigen die Arbeitgeber ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass es nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ankomme, sondern auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es kann nicht verlangt werden, dass der Bürger klüger ist als die Behörden.

3. Da der Kläger das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, muss er nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung tragen.

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

(Dr. Isenhardt) (Rupp) (Schaffert)