LG Essen, Urteil vom 03.11.2004 - 1 O 88/04
Fundstelle
openJur 2011, 33787
  • Rkr:
Tenor

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen

auf die mündliche Verhandlung vom 03.11.04

durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht T., die Richterin am Landgericht X. und den Richter am Landgericht I.für R e c h t erkannt:

Es wird festgestellt, dass der Versicherungsvertrag betreffend die Versicherungs-Nr. ...........(Auslandsreiseversicherungsschutz) fortbesteht.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Mit der Klage begehrt der Kläger Feststellung des Fortbestehens eines Krankenversicherungsvertrages sowie eines Auslandsreiseversicherungsvertrages.

Er schloss bei der Beklagten eine Krankheitskostenversicherung nach den Tarifen AM 0, ZM 3 und SM 6 sowie eine Krankenhaustagegeldversicherung nach dem Tarif KM 51, 13 und eine Auslandsreiseversicherung mit der Nummer ..... zum Tarif AS 7 B ab. Grundlage der Verträge waren die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten. Wegen des Inhalts der Geschäftsbedingungen wird auf Bl. 33 bis 43 der Akte Bezug genommen.

Die Versicherungsprämie der Krankenversicherung betrug zuletzt 556,16 EUR, die der Auslandsreiseversicherung ca. 15,00 EUR.

Unstreitig reichte der Kläger in der Folgezeit Abrechnungen über Medikamente ein, die er tatsächlich nicht in dem Umfang bezogen hatte. Die Abrechnungsanträge hatte der Kläger in der Regel selbst unterschrieben. Ob er auch wusste, dass die von ihm unterschriebenen Abrechnungen teilweise nicht bezogene Medikamente enthielten, ist unter den Parteien im Streit. Im Zeitraum 1997 bis zum 27.10.2003 unterschrieb der Kläger jedenfalls 66 Leistungsanträge und die Ehefrau weitere 19.

Nachdem die Beklagte ermittelt hatte, dass die eingereichten Abrechnungen, die teilweise Medikamentenbehandlungen des Klägers, teilweise aber auch solche seiner Frau betrafen, nicht stets richtig waren, erklärte die Beklagte die fristlose Kündigung des Krankenversicherungsvertrages mit der Nummer ..... Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf Bl. 4 und 5 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Am 01.12.2003 sprach sie auch die Kündigung des Auslandsreiseversicherungsschutzes mit der Nr. ... aus. Beide Kündigungen begründete sie mit einem Abrechnungsbetrug zu ihren Lasten, da abgerechnete Medikamente nicht in vollem Umfang bezogen worden waren.

Parallel dazu wurde der Ehefrau des Klägers, die ebenfalls bei der Beklagten eine Krankenversicherung unterhielt, am 27.11.2003 die Kündigung des Krankenversicherungsvertrages mit dem Hinweis auf einen Abrechnungsbetrug ausgesprochen.

Der Kläger meint, die Versicherungsverträge würden weiter bestehen, da die ihm gegenüber ausgesprochenen fristlosen Kündigungen unwirksam seien.

Er bestreitet, jemals bewusst falsch gegenüber der Beklagten abgerechnet zu haben. Sämtliche inhaltlich unzutreffenden Abrechnungen seien von seiner Ehefrau erstellt worden. Er habe sie lediglich unterschrieben. Kenntnis habe er von den unzutreffenden Angaben zu keiner Zeit gehabt. Er habe ein Behältnis für jeweils aufeinanderfolgende Tage für die von ihm benötigten Medikamente. Gingen die Tabletten zur Neige, dann fülle er oder seine Frau diese wieder auf. Für den Vorrat seien er und auch seine Frau verantwortlich. Einen Überblick über alle Medikamente habe er nicht gehabt. Soweit er die Medikamente gekauft habe, habe er sie auch nur in diesem Umfang abgerechnet.

Das Verhalten seiner Ehefrau sei sicherlich falsch gewesen. Er müsse sich dieses Verhalten aber nicht zurechnen lassen, da die Ehefrau hier keine Repräsentantin gewesen sei.

Darüber hinaus bestreitet er den von der Beklagten entsprechend Bl. 150 der Gerichtsakte angenommenen Umfang der zu Unrecht eingereichten Medikamente. Teile der nicht ursprünglich in der angegebenen Apotheke eingekauften Medikamente seien später in anderen Apotheken nachgekauft worden. So sei es vorgekommen, dass die Medikamente nicht in der Apotheke im ...feld vorhanden gewesen wären. Diese Medikamente seien dann später nachgekauft worden.

Nach dem Hinweis der Kammer im Termin vom 03.11.2004, dass der Klageantrag sich auf das Fortbestehen der Versicherungsverhältnisse und nicht auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung beziehe, beantragt der Kläger,

festzustellen, dass das Versicherungsverhältnis mit der Nummer .... und ..- fortbesteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, die Kündigung sei zu Recht ausgesprochen worden.

Bei einem Besuch der Zeuginnen C.und U. in der Apotheke "im ..feld” in F. habe sich herausgestellt, dass der Kläger und seine Ehefrau eine Vielzahl von Medikamenten sich von der Beklagten hätten erstatten lassen, obwohl beide diese Medikamente gar nicht bezogen und schon gar bezahlt hätten.

In den Jahren 2002 und 2003 hätte die Ehefrau des Klägers tatsächlich Medikamente zu einem Preis von 3.641,19 EUR bei der Apotheke im ...feld gekauft. Abgerechnet seien demgegenüber Medikamente im Gesamtvolumen von 12.749,48 EUR zugunsten der Ehefrau, so dass ein Schaden von 9.118,29 EUR alleine auf nichtbezogene Medikamente der Apotheke im ...feld entfalle. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 106 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Kläger selbst habe insgesamt Belege über 13.674,28 EUR an Medikamentenbezug über die Apotheke im ...feld eingereicht. Tatsächlich habe er dort aber nur für 4.364,56 EUR Medikamente eingekauft. Wegen der Einzelheiten wird auf die Tabelle Bl. 107 sowie auf die Excelberechnung Bl. 150 der Gerichtsakte Bezug genommen, woraus sich rechnerisch jedoch ein Einkauf im Wert von 4.405,36 EUR ergibt. Im Einzelnen handele es sich um den nicht erfolgten Bezug von Medikamenten im Gesamtvolumen von 9.268,92 EUR. Wegen der einzelnen Medikamente wird auf die in der Anlage B 12 enthaltenen Abrechnungsschreiben, Anschreiben des Klägers und Zuordnung zu dem einzelnen Rezept Bezug genommen (Bl. 151 bis 289 der Gerichtsakte).

Gehe man davon aus, dass im Schnitt nur 30 % aller abgerechneten Medikamentenkosten tatsächlich angefallen seien, so ergebe sich für den Kläger ein Betrag von rund 29.006,88 EUR seit 1997, der zu Unrecht ausgezahlt sei.

Aufgrund des umfangreichen betrügerischen Verhaltens sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt gewesen. Es wird ausdrücklich bestritten, dass der Kläger nichts von dem Verhalten seiner Ehefrau gewusst habe.

Mit Beschluss vom 05. Mai 2004 hat das Amtsgericht Essen den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen.

Die Kammer hat darauf hingewiesen, dass der Vortrag des Klägers, teilweise seien die Medikamente in einer anderen Apotheke bezogen worden, angesichts der Unterlagen und Tabellen der Beklagten zu unsubstantiiert sei.

Gründe

Die nach der Umstellung des Klageantrages im Termin vom 03.11.2004 zulässig gewordene Feststellungsklage ist hinsichtlich des Krankenversicherungsvertrages unbegründet, hinsichtlich des Auslandsreiseversicherungsvertrages jedoch begründet.

I. Der Krankenversicherungsvertrag zwischen den Parteien dieses Verfahrens mit der Nr. ......besteht nicht mehr fort.

Dieser ist durch die Kündigung der Beklagten vom 27.11.2003 beendet worden.

1. Unzweifelhaft liegt dem Schreiben vom 27.11.2003 eine Kündigung des Krankenversicherungsvertrages durch die Beklagte vor.

2. Der Beklagten stand auch ein außerordentliches Kündigungsrecht zu.

Nach § 14 Nr. 1 ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen hat die Beklagte grundsätzlich auf eine ordentliche Kündigung verzichtet. Entsprechend § 14 Nr. 3 ihrer Bedingungen bleiben die Gründe zu einer außerordentlichen Kündigung davon unberührt. Diese allgemeine Geschäftsbedingung entspricht der Regelung des § 178 i Abs. 1 und 2 VVG, so dass keine Zweifel an deren Wirksamkeit aufkommen.

Danach besteht eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit, wenn ein wichtiger Grund anzunehmen ist. Das wiederum ist insbesondere dann der Fall, wenn der Versicherungsnehmer Versicherungsleistungen erschleicht oder zu erschleichen versucht (BGH VersA 1985, 54, 55, OLG Saarbrücken VersA 1996, 362 und 363). In einem solchen Fall kann der Versicherer nach § 314 Abs. 1 BGB n.F. das Versicherungsverhältnis auflösen. Vorliegend geht die Kammer davon aus, dass der Versicherungsnehmer sich zumindest das vorsätzliche Verhalten der Ehefrau in Bezug auf seine eigenen Abrechnungen zurechnen lassen muss, so dass von einem dem Kläger zurechenbaren Erschleichen der Versicherungsleistungen auszugehen ist.

a. Der Kläger hat entsprechend der auf Bl. 150 der Gerichtsakte aufgeführten Abrechnung Rezepte im Zeitraum 2002 bis November 2003 in einem Gesamtvolumen von mindestens 13.674,28 EUR eingereicht. Soweit er bestreitet, dass er in diesem Umfang überhaupt Rezepte für Medikamente eingereicht habe, ist dieses Bestreiten unzulässig. Ein Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO steht dem Kläger nicht zu. Denn das Einreichen der Rezepte ist ein Gegenstand der eigenen Wahrnehmung. Angesichts der eingereichten Belege und Abrechnungen auf Bl. 151 bis Bl. 289 der Gerichtsakte kann er sich auch nicht darauf beschränken zu sagen, dass nicht in dem kompletten Umfang Medikamente eingereicht worden sind. Er hätte hier schon darlegen müssen, in welchem geringeren Umfang er denn die Belege lediglich eingereicht hat und welche von den dargelegten Belegen nicht von ihm stammen. Trotz des ausdrücklichen Hinweises der Kammer tat der Kläger dies nicht.

Darüber hinaus geht die Kammer davon aus, dass in einem Volumen von 9.268,92 EUR diese Medikamente nicht tatsächlich bezogen worden sind. Soweit auch hier der Kläger bestreitet, dass er nicht in dem vollen Umfang die Medikamente bezogen habe, sondern woanders Teile der Medikamente später erworben hat, hält die Kammer dies für unbeachtlich. Der Kläger bestreitet nicht, dass die Medikamente nicht wie auf dem Rezept vermerkt zu der angegebenen Zeit in der Apotheke im ....feld eingekauft wurden. Nach seiner Einlassung sollen die Medikamente von der Ehefrau lediglich zu einem späteren Zeitpunkt in einer anderen Apotheke erstanden sein. Dieser Vortrag ist aber unsubstantiiert. Er ist nicht einer Beweisaufnahme zugänglich. Der Kläger hätte schon darlegen müssen, welche von den angegebenen Medikamenten denn zu einem späteren Zeitpunkt von der Ehefrau erworben worden sind. Darüber hinaus verlangt die Kammer die Angabe, wo dies denn geschehen sein soll. Auch hier hat der Kläger trotz des Kammerhinweises keinen näheren Sachvortrag geleistet.

Mithin steht fest, dass zumindest in der Größenordnung von 9.268,92 EUR im Zeitraum 2002 bis November 2003 Medikamenteabrechnungen bei der Beklagten eingereicht worden sind, denen kein Erwerb durch den Kläger oder seine Ehefrau zugrunde liegt.

Diese objektiv richtige Mitteilung des Bezugs der Medikamente ist auch aufgrund eines dem Kläger vorwerfbaren Verhaltens geschehen. Dabei kann es die Kammer ausdrücklich offenlassen, ob der Kläger selbst gewusst hat, dass die Medikamente nicht in diesem Umfang gekauft worden sind. Denn auch wenn der Vortrag des Klägers zutreffend sein sollte, dass lediglich seine Ehefrau die Abrechnung vorbereitet und er dies unterschrieben hat, so wäre dieses Verhalten dem Kläger zuzurechnen.

Insoweit ist zwar der Ansatz des Klägers zutreffend, dass er sich nicht unter dem Gesichtspunkt der Repräsentantenhaftung das Verhalten der Ehefrau zurechnen lassen muss. Denn der Ehegatte als solcher ist nicht automatisch Repräsentant. Das wäre er nur dann, wenn die besonderen Voraussetzungen des Repräsentantenbegriffs erfüllt sind (vgl. Prölss/Martin-Prölss Versicherungsvertragsgesetz, 26. Auflage, § 6 Rz 76). Der Kläger muss sich aber das Verhalten und die Kenntnis der Ehefrau unter dem Gesichtspunkt des Wissensvertreters zurechnen lassen. Wissensvertreter ist, wer von dem Versicherungsnehmer damit betraut ist, Tatsachen, deren Kenntnis von Rechtserheblichkeit sind, an seiner Stelle entgegenzunehmen. Dies ist hier hinsichtlich der Ehefrau der Fall. Die Ehefrau war für die Vorbereitung der Abrechnungen und das Einkaufen der Medikamente nach dem Vortrag des Klägers zumindest teilweise verantwortlich, so dass sie die notwendige Kenntnis über den Umfang des Einkaufs hatte. Dazu wurde sie auch von dem Ehemann eingesetzt. Das ist der Unterschied zu dem Fall, wo eine Hilfsperson die Unterlagen ausfüllt, ohne dass sie mit der Beschaffung von Informationen beauftragt war.

Soweit es nach Gesetz oder Vertrag auf das Wissen des Versicherungsnehmers ankommt, wird ihm das Wissen des Wissensvertreters als eigenes zugerechnet. Das gilt auch für den Fall, wenn an die vorsätzliche Missachtung bestimmter Interessen des Versicherers Folgen geknüpft werden (Pröls-Martin a.a.O. Rz 81).

Die Ehefrau des Klägers hatte aber unstreitig Kenntnis von der Unrichtigkeit der jeweiligen Abrechnung.

Dieses Verhalten muss sich dementsprechend der Kläger auch zurechnen lassen.

c. Die fristlose Kündigung ist nicht unbegründet, weil der Kläger auf regelmäßige Einnahme von Medikamenten angewiesen ist. Wegen des ihm zurechenbaren betrügerischen Verhaltens der Ehefrau tritt sein Interesse am Erhalt des Krankenversicherungsvertrages hinter demjenigen der Versicherer auf Auflösung des Vertrages zurück.

II. Die Klage ist demgegenüber begründet hinsichtlich des Fortbestehens des Auslandsversicherungsschutzes. Dieses Versicherungsverhältnis wurde nicht durch die Kündigung vom 01.12.2003 beendet. Ein Kündigungsgrund in Form einer außerordentlichen Kündigung steht der Beklagten insoweit nicht zu. Ein Versicherer kann sich nicht von einem Versicherungsvertrag lösen, weil ihn der Versicherungsnehmer bei dem Abschluss oder Regulierung im Rahmen anderer Versicherungsverträge getäuscht hat. Insoweit ist jedes Versicherungsverhältnis isoliert zu betrachten. (vgl. OLG Hamm VersA 1999, 1265, 1266). Ein zur fristlosen Kündigung berechtigendes Verhalten in Bezug auf die Auslandsversicherung wird seitens der Beklagten nicht vorgetragen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 Satz 1 ZPO.

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