OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.01.2005 - 19 B 2375/04
Fundstelle
openJur 2011, 33561
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 18 L 2924/04
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Der Beschlusstenor soll den Beteiligten vorab telefonisch bekannt gegeben werden.

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Die Prüfung des Senats ist auf diejenigen Gründe beschränkt, die die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde vorgetragen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig in eine Klasse der Jahrgangsstufen 5 oder 6 der von der Antragsgegnerin geleiteten Gesamtschule aufzunehmen. Denn die Antragstellerin hat den erforderlichen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Eine - wie hier - vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn glaubhaft gemacht ist (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO), dass der Antragstellerin ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können, und wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren überwiegend wahrscheinlich ist.

Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 11. September 2002 - 19 B 1597/02 - und 9. August 2002 - 19 B 1347/02 -, m. w. N.

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Zugang zum öffentlichen Bildungswesen erforderlich ist, um schlechthin unzumutbare Nachteile abzuwenden. Das Recht der Antragstellerin als Schülerin auf Erziehung und Bildung (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV NRW, Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 GG) und das Recht ihrer Eltern, die Erziehung und Bildung ihres Kindes zu bestimmen (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), umfassen das Recht auf Zugang zum öffentlichen Bildungswesen unter zumutbaren Bedingungen und ferner das Recht, den einzuschlagenden schulischen Bildungsweg und damit auch die Schulform frei zu wählen. Dieses verfassungsrechtlich gewährleistete Recht beinhaltet lediglich die freie Wahl der Schulform, also des entsprechenden Bildungsganges und des entsprechenden Ausbildungsziels, grundsätzlich aber nicht die freie Wahl einer bestimmten Schule innerhalb derselben Schulform. Erst wenn der Besuch einer anderen Schule der von den Eltern des Schülers gewählten Schulform unter zumutbaren Bedingungen nicht möglich ist und deshalb durch Nichtaufnahme auf die gewünschte Schule die verfassungsrechtliche Garantie der Schulformwahl in Frage gestellt ist, kann sich ein Anspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule ergeben.

Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 11. September 2002 - 19 B 1597/02 -, 6. August 1998 - 19 B 1445/98 -, 19. Mai 1998 - 19 B 541/98 - und vom 30. August 1994 - 19 B 2132/94 -.

Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die beantragte Anordnung zur Gewährleistung des Rechts auf Schulformwahlfreiheit nötig ist. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin aus Gründen fehlender Aufnahmekapazität nicht auf eine der vom Verwaltungsgericht auf Seite 4 seines Beschlusses genannten anderen N. Gesamtschulen, die zu der gewählten Schulform gehören, wechseln kann oder zum Beginn des Schuljahres 2004/2005 wechseln konnte. Die Antragstellerin hat die vom Verwaltungsgericht angeführten Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen, dass die Aufnahmekapazität der anderen N. Gesamtschulen nicht erschöpft ist, nicht in Frage gestellt.

Die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie eine der anderen N. Gesamtschulen nur unter Bedingungen besuchen kann, die so beschwerlich oder unzumutbar sind, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zur Abwendung unzumutbarer Nachteile erforderlich ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Schulweg zu einer anderen Gesamtschule in N1. nicht hinreichend sicher oder zu weit, also bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit zumutbarem Zeitaufwand nicht zu bewältigen ist, hat die Antragstellerin nicht aufgezeigt. Auch unter Berücksichtigung der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragstellerin ergibt sich aus ihrem Vorbringen nicht, dass sie den Schulweg nicht bewältigen kann. Der Besuch einer anderen Schule ist nicht deshalb unzumutbar, weil die von der Antragsgegnerin geleitete Gesamtschule in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Eltern der Antragstellerin liegt.

Auch im Hinblick auf den Schulbesuch selbst ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Wechsel zu der von der Antragsgegnerin geleiteten Gesamtschule dringend notwendig ist und die Verweisung auf eine andere Gesamtschule in N1. zu für die Antragstellerin unzumutbaren Nachteilen führt, die den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderlich machen. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie an einer psychischen Erkrankung oder Störung leidet, die nur durch den begehrten Schulwechsel geheilt oder behoben werden kann, und dass ihr nur durch den Schulwechsel ein Schulbesuch überhaupt ermöglicht wird. Aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen der Fachärztin für Innere Medizin Dr. T. vom 2. März 2004, wonach bei der Antragstellerin eine "psychogen bedingte Allergie" besteht, und derjenigen des Dermatologen Dr. I. vom 10. März 2004, wonach die Antragstellerin an einer Trichotillomanie leidet und diese psychische Störung aufgrund der Gespräche mit ihr und Familienangehörigen "offenbar auf schulische Schwierigkeiten zurückzuführen" sei, ergibt sich, wie das Verwaltungsgericht zu Recht zugrunde gelegt hat, nicht, dass die Antragstellerin durch die Versagung des Wunsches, nur die von der Antragsgegnerin geleitete Gesamtschule zu besuchen, derart psychisch erkrankt ist, dass ihr der Besuch jeder anderen Schule von vornherein unmöglich ist. Unbeschadet der Frage, ob die genannten Ärzte die für die Beurteilung der Ursachen, Auswirkungen und Therapiemöglichkeiten der angesprochenen psychischen Störung erforderliche Sachkunde besitzen, ist den Bescheinigungen nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin nur auf der gewünschten Schule beschult werden kann, ohne psychischen Schaden zu nehmen. Dies folgt unmittelbar aus dem Text der Bescheinigungen selbst, ohne dass entgegen dem Beschwerdevorbringen hohe oder zu hohe Anforderungen an den Aussagegehalt der ärztlichen Stellungnahmen oder der Sachkunde gestellt werden. Es ist Sache der Antragstellerin, die von ihr geltend gemachten tatsächlichen Umstände glaubhaft zu machen, und die Anforderungen an die Glaubhaftmachung sind nicht deshalb herabzusetzen, weil von den Ärzten, deren Bescheinigungen vorgelegt worden sind, weiter gehende Erklärungen zu den Beschwerden und zu der zugrunde liegenden psychischen Störung nicht erwartet werden können.

Auch mit den eidesstattlichen Versicherungen ihres Vaters vom 22. September und 11. Oktober 2004 hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass sie nur die gewünschte Schule besuchen kann. Es ist schon nicht ersichtlich, dass der Vater der Antragstellerin - parallel in der Laiensphäre - hinreichend beurteilen kann, ob die Versagung des Wunsches, dieselbe Schule wie die ältere Schwester zu besuchen, die alleinige oder maßgebliche Ursache für die angeführten psychischen Störungen der Antragstellerin ist. Soweit geltend gemacht wird, die Antragstellerin habe den unbedingten oder innigsten Wunsch, dieselbe Schule zu besuchen, die auch die ältere Schwester besucht, es handle sich um eine "fixe Idee" und um "eine nicht mehr korrigierbare Vorstellung", ist jedenfalls nicht hinreichend dargetan, dass die Fixierung der Wunschvorstellung der Antragstellerin auf den Besuch der von der Antragsgegnerin geleiteten Schule nicht durch nachhaltiges eindringliches wie einfühlsames erzieherisches Einwirken der Eltern, auf deren Mitwirkungspflicht bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, behoben werden kann. Flankierend kommt hierfür auch eine schulpsychologische Beratung oder eine außerschulische psychologische oder eine psychotherapeutische Behandlung in Betracht, der sich die Antragstellerin nach ihrem Beschwerdevorbringen in den S. Klinken F. (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters) unterzieht. Dass derartige Einwirkungen von vornherein keine Aussicht auf Erfolg bieten, ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 52 Abs. 1, 47 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).