OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.03.2005 - 18 B 339/05
Fundstelle
openJur 2011, 33433
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 10 L 182/05.A

Ein Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60 a Abs.2 AufenthG wegen Reiseunfähigkeit setzt voraus, dass unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als Folge der Abschiebung der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich verschlechtert wird.

Eine posttraumatische Belastungsstörung vermag erst dann auf ein Vollstreckungshindernis zu führen, wenn ein Ausländer suizidgefährdet ist und im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig, soweit der vorläufige Rechtsschutzantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO wegen und damit für die Dauer der Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 3. gerichtet ist. Hierbei handelt es sich um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das ausschließlich gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht werden muss.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383, und vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, DVBl 2003, 463.

Insoweit ist der den Antrag nicht als asylverfahrensrechtliche Streitigkeit zu behandeln.

Streitgegenstand des vorläufigen Rechtsschutzantrages ist auch ein von den Antragstellern behaupteter Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG wegen gegenwärtiger Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 3. Dies ergibt sich aus dem in der Antragsbegründung dargestellten Sachverhalt und den dem Antrag beigefügten weiteren Unterlagen. Die Antragsteller berufen sich insoweit darauf, dass die Behandlung des erkrankten Antragstellers zu 3. in der Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt werden müsse. Dabei tragen sie zugleich vor, das Kind sei infolge seiner Erkrankung reiseunfähig. Im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16. Januar 2005 gegenüber dem Antragsgegner, auf den in der Antragsschrift Bezug genommen wird, wird dies ebenso hervorgehoben wie bereits zuvor in dem an den Antragsgegner gerichteten Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 23. März 2004.

Im übrigen, d. h. soweit die Antragsteller mit ihrer uneingeschränkt erhobenen Beschwerde (erneut) Abschiebungsschutz mit Blick auf das anhängige Asylfolgeverfahren begehren, ist die Beschwerde unzulässig. Gemäß § 80 AsylVfG können Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz (vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO) nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Verfahren dieser Art liegen immer dann vor, wenn ein Bleiberecht im Zusammenhang mit einer angefochtenen oder begehrten Entscheidung in Streit steht, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Wahrnehmung der ihm von Asylverfahrensgesetz übertragenen Aufgaben getroffen oder zu treffen hat.

Vg. BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 6.97 -, InfAuslR 1998, 15; Beschlüsse des Senats vom 16. August 2004 - 18 B 1914/03 -, m.w.N. und vom 14. September 2004 - 18 B 1983/04 .

Dies ist hier bezogen auf das sonstige Vorbringen der Antragsteller der Fall. Soweit sie geltend machen, mit Schreiben vom 12. Januar 2005 das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragt zu haben, berufen sie sich auf einen von ihnen gestellten Asylfolgeantrag im Sinne von § 71 Abs. 5 AsylVfG. Das Vorbringen, die Erkrankung des Antragstellers zu 3. müsse weiter in der Bundesrepublik Deutschland behandelt werden, beinhaltet sinngemäß die Behauptung, die notwendige medizinische Behandlung des Kindes im Heimatland sei nicht gewährleistet. Damit berufen sich die Antragsteller auf ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, über das gemäß § 24 Abs. 2 AsylVfG ebenfalls das Bundesamt zu befinden hat. Gleiches gilt für das Vorbringen, wegen der Gefahr schwerer Gesundheitsschäden für Kinder aufgrund der Verhältnisse in Serbien und Montenegro müsse ein Winterabschiebungsschutz für Angehörige der Volksgruppe der Roma gewährt werden. Über alle diese Gesichtspunkte hat das Bundesamt in eigener Zuständigkeit zu entscheiden. Sie können insoweit nicht gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht werden; vielmehr ist diese an die Entscheidungen des Bundesamtes dazu gemäß § 42 AsylVfG gebunden. Dies schließt es zugleich aus, die Gewährung von Abschiebungsschutz für die Dauer eines beim Bundesamt anhängigen Verfahrens sowie im sich anschließenden Klageverfahren zur Klärung solcher Sachverhalte zum Gegenstand eines gegen die Ausländerbehörde gerichteten vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu machen.

Soweit die Beschwerde zulässig ist, hat sie aber in der Sache keinen Erfolg. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, die vom Senat im Beschwerdeverfahren nur zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Es kann dahingestellt bleiben, in welchem Umfang das Kind gegenwärtig erkrankt ist. Denn es ist von den Antragstellern nicht nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 3. infolge einer Erkrankung gegenwärtig reiseunfähig sein könnte. In der ärztlichen Stellungnahme des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Dr. phil. U. B. vom 13. April 2004 ist lediglich die Rede davon, dass eine Zwangsrückkehr des Antragstellers zu 3. nach Serbien mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Verschlechterung seines psychischen Zustandes führen und eine Abschiebung seines Vaters als wichtige schutzbietende Bezugsperson mit großer Wahrscheinlichkeit eine Dekompensation auslösen würde, was das Risiko eines Suizids umschließe. Diese Aussagen stehen aber zum einen inhaltlich im Zusammenhang mit der von dem Therapeuten angenommenen Notwendigkeit der Fortsetzung einer psychotherapeutischen Behandlung in Deutschland und sind unter diesem Gesichtspunkt aus den oben dargelegten Gründen für die Beurteilung der Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 3. selbst im Falle seiner eigenen Abschiebung zusammen mit seiner Familie unbeachtlich. Zum anderen ist auch unter der Geltung des Aufenthaltsgesetzes eine zu einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG führende Reiseunfähigkeit nur gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als unmittelbare Folge der Abschiebung voraussichtlich wesentlich verschlechtern wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 8.99 -, NVwZ 2000, 206; Beschlüsse des Senats vom 28. März 2003 - 18 B 35/03 - und vom 8. September 2004 - 18 B 575/04 -, sowie vom 30. Dezember 2004 - 18 B 2690/04 -.

Daraus hat der Senat abgeleitet, dass eine posttraumatische Belastungsstörung erst dann auf ein Vollstreckungshindernis wegen einer Reiseunfähigkeit zu führen vermag, wenn ein Ausländer suizidgefährdet ist und im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht.

Vgl. Beschluss des Senats vom 15. September 2004 - 18 B 2014/04 -.

Derartiges ist der gutachterlichen Stellungnahme vom 13. April 2004 nicht zu entnehmen. Sonstige aussagekräftige ärztliche Unterlagen haben die Antragsteller nicht vorgelegt. Soweit sie eine fehlende amtsärztliche Untersuchung des Antragstellers zu 3. rügen, besteht für eine solche nach dem gegenwärtigen Sachstand keine Veranlassung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.