OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.10.2004 - 15 A 4023/02
Fundstelle
openJur 2011, 33048
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 15 K 954/01
Tenor

Die Berufung wird unter Neufassung des Tenors in Satz 1 wie folgt zurückgewiesen:

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Oktober 2000 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2001 verpflichtet, der Klägerin auf ihren Antrag vom 11. Oktober 2000 für die angemeldeten 43 Flüchtlinge aus dem Kosovo eine Erstattung in Höhe von 44.520,74 EUR zu gewähren.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit Antrag vom 11. Oktober 2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten für das 3. Quartal 2000 eine Kostenerstattung nach § 4 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes u.a. für 43 Kosovo-Flüchtlinge, die einer ethnischen Minderheit angehörten. Mit Erlass vom 21. März 2000 hatte das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen an die Ausländerbehörden im Rahmen der Regelung der Rückführung von Kosovo-Albanern verfügt: "Von Rückführungsmaßnahmen sind bis auf weiteres ethnische Minderheiten, wie z.B. Serben und Roma, ausgeschlossen." Mit Erlass vom 31. Oktober 2000 an die Bezirksregierung Detmold erläuterte das Innenministerium den Erlass wie folgt: "Einen Abschiebestopp gemäß § 54 des Ausländergesetzes für Angehörige ethnischer Minderheiten gibt es nicht. Die Betroffenen erhalten Duldungen nach § 55 Abs. 2 des Ausländergesetzes, weil bis auf weiteres ein tatsächliches Abschiebungshindernis besteht. Mein Erlass vom 21.03.2000 gilt insoweit unverändert fort."

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2000 lehnte die Beklagte die beantragte Erstattung ab, da die in Rede stehenden Personen nicht zum einen Erstattungsanspruch begründenden Personenkreis zählten. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2001 zurück.

Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und vorgetragen: Mit dem Erlass des Innenministeriums vom 21. März 2000 sei eine Aussetzung von Abschiebungen nach § 54 des Ausländergesetzes verfügt worden, sodass die davon betroffenen Personen gemäß §§ 4 Abs. 1 und 2, 2 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes zum Kreis der einen Erstattungsanspruch begründenden Personen zählten. Selbst wenn in dem Erlass eine Anordnung nach § 54 des Ausländergesetzes nicht zu sehen sei, komme der Erlass jedenfalls einer solchen Verfügung gleich, sodass es sich faktisch um eine solche Maßnahme handele. Auch das nach dieser Vorschrift erforderliche Einvernehmen des Bundesministeriums des Innern für einen Abschiebestopp über sechs Monate hinaus sei gegeben, da auf der Innenministerkonferenz am 10. Mai 2001 ein solches Einvernehmen herbeigeführt worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 16. Oktober 2000 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2001 zu verpflichten, der Klägerin gemäß ihrem Antrag vom 11. Oktober 2000 zum Stichtag 30. September 2000 für 43 Flüchtlinge aus dem Kosovo, die einer ethnischen Minderheit angehören, die Pauschalen nach § 4 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen: In dem Erlass vom 21. März 2000 sei keine Anordnung nach § 54 des Ausländergesetzes zu erblicken. Vielmehr handele es sich um eine verwaltungsinterne Weisung, dass tatsächliche Abschiebungshindernisse vorlägen. Jedenfalls hätte aber eine Anordnung nach § 54 des Ausländergesetzes mangels einer Einvernehmenserklärung durch das Bundesministerium des Innern nach Ablauf von sechs Monaten und damit auch zum hier maßgeblichen Stichtag des 30. September 2000 ihre Gültigkeit verloren.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung der Beklagten, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft und weiter ausführt: Eine Anordnung nach § 54 des Ausländergesetzes könne in dem in Rede stehenden Erlass schon deshalb nicht gesehen werden, weil eine solche Anordnung die rechtliche und faktische Möglichkeit voraussetze, dass abgeschoben werden könne. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, da sich die Zivilverwaltung im Kosovo der Rückführung von Minderheiten widersetzt habe, sodass selbst eine erfolgte Rückführung spätestens am Zielflughafen gescheitert wäre. Der Erlass diene daher lediglich der Sicherstellung einer gleichgerichteten Behördenpraxis und stelle eine bloße Reaktion auf die vorgefundene Situation dar. Zu Unrecht wende das Verwaltungsgericht auf diesen Erlass die Erstattungsregelung analog an. Eine Regelungslücke liege nicht vor, da der erstattungsrelevante Personenkreis in § 2 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes abschließend aufgeführt sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erstrebe das Flüchtlingsaufnahmegesetz keine vollständige Kostenerstattungsregelung, was sich schon daraus ergebe, dass der erstattungsrelevante Personenkreis in § 2 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes und der Kreis der nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes anspruchsberechtigten Personen nicht kongruent seien. Auch die Verfassungsrechtsprechung des Landes Nordrhein-Westfalen habe keine Vollkostenerstattung gefordert und den erstattungsrelevanten Personenkreis in § 2 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes gebilligt. Im Übrigen entspreche die Interessenlage des in Rede stehenden Erlasses auch nicht einer Aussetzung von Abschiebungen nach § 54 des Ausländergesetzes, sodass eine analoge Anwendung ausscheide. Auch sei es verfehlt, den Erlass wie eine Norm auszulegen, wie es das Verwaltungsgericht getan habe.

Die Beklagte beantragt,

das angegriffene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und führt ergänzend aus: Der Erlass diene dem Schutz von Flüchtlingen aus ethnischen Minderheiten vor extremen Gefahren bei der Rückkehr in den Kosovo, wie sich aus Mitteilungen des Innenministeriums unter Bezugnahme auf den Vertreter des UNHCR ergebe. Dieser Sachverhalt und insbesondere der fehlende Hinweis auf bestehende tatsächliche Abschiebehindernisse lasse keinen anderen Schluss zu, als dass es sich bei dem Erlass um einen faktischen Abschiebestopp nach § 54 des Ausländergesetzes handele. Im Übrigen rechtfertige der Erlass auch deshalb eine Gleichbehandlung mit einer ausdrücklichen Aussetzung von Abschiebungen nach § 54 des Ausländergesetzes, weil das Land es sonst in der Hand hätte, die Wirkungen des § 54 des Ausländergesetzes herbeizuführen, ohne nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz für die Kosten einzustehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Vorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der zulässigen Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Erstattung, sodass sie deren Ablehnung in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Der Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 1 und 2 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes in der Fassung des 5. Änderungsgesetzes vom 18. Februar 1997 (GV NRW S. 24) - FlüAG -. Danach gewährt das Land für jeden ausländischen Flüchtling i.S.d. § 2 FlüAG, der - wie hier - näher bezeichnete Leistungen erhält, für einen - hier relevanten - Zeitraum eine Vierteljahrespauschale von 1.935,-- DM und eine Betreuungspauschale von 90,-- DM. Diese Voraussetzungen liegen auch insofern vor, als die hier in Rede stehenden 43 Personen zum Personenkreis des § 2 FlüAG gehören.

Von § 2 FlüAG werden Asylbewerber sowie fünf Personengruppen umfasst, die in Folge einer Entscheidung des Bundes oder Landes über eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung verfügen. Insbesondere waren gemäß Nr. 6 der Vorschrift Personen erfasst, deren Abschiebung auf Grund einer ab dem 1. Januar 1995 getroffenen Anordnung nach § 54 des Ausländergesetzes (AuslG) ausgesetzt worden war. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für die Dauer von längstens sechs Monaten ausgesetzt wird. Die hier in Rede stehende Personengruppe fällt unter § 2 Nr. 6 FlüAG zumindest in seiner analogen Anwendung.

Es ist allerdings zweifelhaft, ob der Erlass des Innenministeriums vom 21. März 2000 in dem hier maßgeblichen Teil eine Anordnung nach § 54 AuslG enthält. Maßgebend für die Auslegung einer Willenserklärung der Verwaltung ist nicht der innere Wille der Behörde, sondern der in der Erklärung zum Ausdruck kommende, erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte, wobei Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen.

BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1999 - 1 A 4.97 -, GewArch 2000, 196; Urteil vom 3. November 1998 - 9 C 51.97 -, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 116, S. 24; Urteil vom 18. Juni 1980 - 6 C 55.79 -, BVerwGE 60, 223 (228 f.).

Dieser für das Verhältnis Staat - Bürger in Anlehnung an die zivilrechtlichen Grundsätze für die Auslegung von Willenserklärungen geltende Maßstab ist auch für das Verhältnis Aufsichtsbehörde - nachgeordnete Behörde maßgeblich.

Gleiches gilt für die Frage, ob ein fehlendes Bewusstsein, eine rechtlich verbindliche Erklärung abzugeben (Erklärungsbewusstsein), die Existenz einer Willenserklärung ausschließt, wie es hier die Beklagte wohl geltend machen will, wenn sie behauptet, das Ministerium habe lediglich von dem Vorliegen tatsächlicher Abschiebungshindernisse Mitteilung machen wollen, aber keine rechtsverbindliche Entscheidung über einen Abschiebestopp oder eine sonstige Weisung an die nachgeordneten Behörden treffen wollen. Ein so fehlendes Erklärungsbewusstsein hindert die Existenz einer Willenserklärung nicht, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.

Vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2001 - VIII ZR 13/01 -, NJW 2002, 363 (365); Heinrichs, in: Palandt, BGB, 63. Aufl., Einf v § 116 Rn. 17.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Senat nicht gehindert, den in Rede stehenden Erlass auszulegen. Richtig ist zwar, dass es für die Frage, ob jemand auf Grund des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) beanspruchen kann, entsprechend einer vorhandenen Verwaltungsvorschrift behandelt zu werden, nicht auf den Inhalt der Verwaltungsvorschrift in der gerichtlichen Auslegung ankommt, sondern auf die tatsächliche Verwaltungspraxis.

Vgl. dazu Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., § 6 Rn. 49.

Hier geht es jedoch darum, wie eine an eine nachgeordnete Behörde gerichtete Erklärung einer Aufsichtsbehörde von jener verstanden werden durfte. Das bemisst sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen.

Danach enthält die hier in Rede stehende Erklärung eine Weisung an die Ausländerbehörden, Personen aus ethnischen Minderheiten des Kosovo nicht dorthin abzuschieben. Schon der Wortlaut (Von Rückführungsmaßnahmen sind ... ethnische Minderheiten ... ausgeschlossen.") legt dies nahe. Ihm kann nicht entnommen werden, dass es dem Ministerium um die bloße Mitteilung tatsächlicher Abschiebungshindernisse ging, da solche nicht angeführt werden, sondern allein ein Ergebnis (keine Rückführung ethnischer Minderheiten) mitgeteilt wird. Auch der Zusammenhang mit dem davor stehenden Absatz gibt für eine bloße Mitteilung tatsächlicher Abschiebungshindernisses nichts her. Dort ist allein davon die Rede, dass nach Auffassung der Innenminister und -senatoren der Länder und des Bundes die Rückkehr der Kosovo-Albaner möglich sei. Die vereinbarten Einschränkungen für Rückführungen im Winter seien entfallen. Das legt sogar eher nahe, dass der Rückkehr von Flüchtlingen von vorneherein nichts im Tatsächlichen, sondern allein im Humanitären entgegenstand.

Die Passivkonstruktion (Ethnische Minderheiten sind von Rückführungsmaßnahmen ausgeschlossen.) steht dem Weisungscharakter nicht entgegen. Im Verhältnis von Aufsichtsbehörden und nachgeordneten Behörden ist es durchaus üblich, dass Weisungen nicht in dieser direkten Form, sondern etwa in Form von Bitten oder - wie hier - in Form der Mitteilung des Ergebnisses des gewünschten Verwaltungshandelns erteilt werden. Auch der Zusammenhang der Passage mit den übrigen Teilen des Erlasses, die Weisungen bezüglich der freiwilligen oder zwangsweisen Rückführung von Kosovo-Albanern betreffen, legt es nahe, dass nicht nur tatsächliche Abschiebungshindernisse mitgeteilt, sondern eine Rückführungsentscheidung getroffen werden sollte. Das gilt auch und gerade aus Sicht der mit der Materie vertrauten Ausländerbehörde, für die die Annahme geradezu fern lag, der Erlass stelle die politisch sensible Frage der Rückführung ethnischer Minderheiten in den Kosovo in ihre Entscheidung, während sich die oberste Aufsichtsbehörde auf eine bloße Information über tatsächliche Gegebenheiten im Kosovo zurückziehe. Jedenfalls bestanden zumindest bis zur ansatzweisen Klarstellung des Inhalts der genannten Passage mit Erlass vom 31. Oktober 2000 Zweifel, ob lediglich eine unverbindliche Tatsacheninformation und keine Weisung vorlag. Das geht zu Lasten der Aufsichtsbehörde, die es hätte erkennen können, dass der Erlass vom Empfänger im Sinne einer Weisung verstanden würde, und es in der Hand hatte, dem durch klare Ausdrucksweise entgegenzuwirken.

Ob die Anordnung sich auf § 54 AuslG stützt, kann dem Erlass selbst nicht entnommen werden. Der Regelungsgegenstand spricht für eine Verankerung in § 54 AuslG. Wie dem Erlass zu entnehmen ist, hielt das Innenministerium eine Rückkehr der aus dem Kosovo geflohenen Kosovo-Albaner nach Beendigung des Winters ab dem 21. März 2000 für möglich. Allerdings war die Situation ethnischer Minderheiten, etwa der Roma, gemessen an der Situation der albanischstämmigen Mehrheit nicht in gleicher Weise im Kosovo gesichert.

Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 5. Mai 2000 - 14 A 3334/94.A -, S. 32 ff. des amtlichen Umdrucks.

Es ist denkbar, dass dies ein humanitärer Grund i.S.d. § 54 AuslG für das Abschiebungsverbot in dem genannten Erlass war. Die im Berufungsverfahren eingereichte Stellungnahme des Ministeriums unterstreicht dies: Danach soll ein hochrangiger Vertreter der KFOR gegenüber der Bundesregierung geäußert haben, die Sicherheit von ethnischen Minderheiten könne gegenwärtig noch nicht gewährleistet werden. Weiter soll der Bundesminister des Innern in einem Schreiben an den UNHCR-Vertreter in Deutschland geäußert haben, dass bezüglich der ethnischen Minderheiten im Kosovo die Gefahr bestehe, dass sich eine zweite ethnische Vertreibung, diesmal ausgehend von den Kosovo-Albanern gegenüber ethnischen Minderheiten, vollziehe. Dies alles legt es nahe, dass das Ministerium für ethnische Minderheiten konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bei Abschiebungen in den Kosovo gesehen hat, die nach Satz 2 der Vorschrift bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt werden.

Dem steht nicht entgegen, dass nach dem Vortrag der Beklagten eine Anordnung nach § 54 AuslG schon deshalb ausscheide, weil tatsächlich keine Abschiebung möglich gewesen sei. Die Vorschrift stellt allein darauf ab, dass die Abschiebung bestimmter Ausländergruppen aus den im Gesetz genannten Gründen ausgesetzt wird. Ob daneben eine Abschiebung auch tatsächlich nicht durchgeführt werden kann, ist für die Aussetzung unerheblich. Im Übrigen kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass klar war, dass Abschiebungen tatsächlich nicht möglich waren. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Vertreter der Beklagten keine Präzedenzfälle benennen können, aus denen sich eine solche Unmöglichkeit ergab.

Allerdings spricht gegen diese Einstufung als Entscheidung nach § 54 AuslG, dass das Innenministerium im Erlass vom 31. Oktober 2000 an die Bezirksregierung E. die Existenz einer Anordnung nach § 54 AuslG ausdrücklich in Abrede gestellt und von tatsächlichen Abschiebungshindernissen gesprochen hat. Die bloße Verwahrung gegen eine Einstufung des in Rede stehenden Erlasses als eines solchen nach § 54 AuslG ist unbeachtlich, wenn das Verhalten des Innenministeriums im Erlass vom 21. März 2000 von der Klägerin nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte nur als Ausdruck eines auf eine Anordnung nach § 54 AuslG gerichteten Willens aufgefasst werden konnte. Denn dann würde sich das Innenministerium in Widerspruch zu seinem eigenen tatsächlichen Verhalten setzen.

Vgl. zur Figur der sog. protestatio facto contraria BGH, Urteil vom 9. Mai 2000 - VI ZR 173/99 -, NJW 2000, 3429 (3431).

Das alles kann aber auf sich beruhen, da auch dann, wenn die im Erlass enthaltene Weisung ihre Grundlage nicht in § 54 AuslG finden sollte, sich die Erstattungsrelevanz des hier in Rede stehenden Personenkreises bei Zugrundelegung der ansonsten in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen aus einer analogen Anwendung des § 2 Nr. 6 FlüAG ergibt.

Mit dem Erlass wird in den gemeindlichen Wirkungskreis eingegriffen, sodass eine Ermächtigungsgrundlage für ihn erforderlich ist. Eine solche besteht hier - abgesehen von § 54 AuslG - nicht. Der Klägerin sind die ausländerrechtlichen Aufgaben als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung zugewiesen (§ 1 Nr. 2 der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen vom 6. Dezember 1990, GV NRW S. 661, i.V.m. §§ 1 Abs. 3, 3 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes - OBG - ).

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. März 1995 - 15 B 2839/93 -, NWVBl. 1995, 300 (301).

Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 2 Buchst. b OBG zur Erteilung allgemeiner Weisungen zur zweckmäßigen Erfüllung der ordnungsbehördlichen Aufgaben ist nicht einschlägig, da sie voraussetzt, dass der Ausländerbehörde hinsichtlich des angesonnenen Tuns ein Ermessen zusteht. Das war bezüglich der Abschiebung der hier in Rede stehenden 43 Personen, die nicht über eine Aufenthaltsgenehmigung verfügten und somit grundsätzlich - bei Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht und nach einer Abschiebungsandrohung - ausreisepflichtig waren, nicht der Fall. Bei fehlender freiwilliger Erfüllung waren diese Personen abzuschieben (vgl. §§ 42, 49 Abs. 1 AuslG).

Vgl. zum fehlenden Ermessen bei der Abschiebung Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 49 Rn. 2.

Ein möglicherweise vorhandenes tatsächliches Abschiebungshindernis hindert faktisch die Abschiebung, eröffnet aber kein Ermessen, von der Abschiebung abzusehen.

Auch die weitergehende ausländerrechtliche Weisungsbefugnis nach § 9 Abs. 3 OBG gibt nichts für eine Ermächtigungsgrundlage her, da diese sich wie Abs. 2 der Vorschrift auf die zweckmäßige und damit in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellte Erfüllung ausländerrechtlicher Angelegenheiten bezieht.

Somit kommt allenfalls eine Weisung nach § 9 Abs. 1 OBG in Betracht, der eine solche erlaubt, um die gesetzmäßige Erfüllung der ordnungsbehördlichen Aufgaben zu sichern. Die hier in Rede stehende Weisung dient jedoch nicht einer solchen Sicherung. Dem Wortlaut nach untersagt sie die Abschiebung der in Rede stehenden Personen und widerspricht damit der oben benannten Abschiebungspflicht. Wie auch schon ausgeführt wurde, erschöpft sich die Weisung auch nicht - was unbedenklich gewesen wäre - in der bloßen Mitteilung tatsächlicher Umstände, aus denen sich Abschiebungshindernisse ergeben.

Die Behauptung der Beklagten, die in Rede stehenden Personen hätten aus tatsächlichen Gründen, nämlich mangels Mitwirkungsbereitschaft der UN- Zivilverwaltung im Kosovo zur Rückführung, nicht abgeschoben werden können, sodass deshalb gemäß § 55 Abs. 2 AuslG Duldungen hätten ausgesprochen werden müssen, vermag den Erlass nicht zu stützen. Dies hätte allenfalls die Weisung, Duldungen nach § 55 Abs. 2 AuslG zu erteilen, gerechtfertigt, wenn die behaupteten tatsächlich Abschiebungshindernisse vorgelegen haben sollten. Selbst wenn der Erlass dahin zu verstehen sein sollte, dass nicht das Verbot der Abschiebung, sondern das Gebot der Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG wegen tatsächlicher Abschiebungshindernisse hat ausgesprochen werden sollen, wäre eine solche in das Ermessen des Innenministeriums gestellte Weisung rechtswidrig. Die Beklagte hat - auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung - nicht einmal behauptet, die Klägerin oder andere Ausländerbehörden hätten trotz tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung versucht, solche durchzuführen, und sich geweigert, Duldungen zu erteilen. Daher wäre eine solche Weisung mangels rechtfertigenden Anlasses dazu nicht erforderlich und somit ermessenswidrig.

Somit erweist sich der in Rede stehende Erlass nur als rechtmäßig, wenn er sich auf § 54 AuslG stützen sollte. Unerheblich ist, ob das Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern gemäß § 54 Satz 2 AuslG hergestellt wurde. § 2 Nr. 6 FlüAG erfordert allein, dass die Abschiebung nach § 54 AuslG ausgesetzt ist. Nicht erforderlich ist für den Erstattungsanspruch der Gemeinden, ob die Aussetzung rechtmäßig erfolgt. Sollte sich der Erlass auf § 9 OBG stützen wollen, ist § 2 Nr. 6 AuslG jedenfalls analog anzuwenden. Naturgemäß hat der Gesetzgeber rechtswidrige Entscheidungen des Landes, die zum Verbleib ausreisepflichtiger Ausländergruppen führen, nicht bei der Regelung des erstattungsrelevanten Personenkreises in § 2 FlüAG bedacht, sodass eine Regelungslücke besteht. Diese nicht geregelte Fallgruppe ist wie die Fallgruppe der angeordneten Aussetzung von Abschiebungen nach § 54 AuslG zu behandeln, da die Interessenlage vergleichbar ist: Den kommunalen Ausländerbehörden wird es kraft einer Landesentscheidung untersagt, ausreisepflichtige Personen abzuschieben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.