OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.05.2005 - 15 A 1690/03
Fundstelle
openJur 2011, 33040
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist Eigentümer der unbebauten Grundstücke Gemarkung I. , Flur 10, Flurstücke 1596 bis 1600, 1605 bis 1607, 1609, 1610, 1642 und 1643. Die Grundstücke liegen im Bereich des Bebauungsplans Nr. 5 "Auf T. G. " und sind als allgemeines Wohngebiet überplant. Sie liegen - unter Außerachtlassung der noch zu behandelnden Flurstücke 1601 und 1608 - vom C.-----weg aus gesehen hinter vier bebauten Grundstücken. Der Bebauungsplan sieht die Erschließung der klägerischen Flurstücke durch zwei Stichwege auf den Parzellen 1601 und 1608 vor, die vom C.-----weg abzweigen sollen. U.A. das Flurstück 1596 kann zusätzlich durch einen vom C.-----weg abzweigenden Stichweg auf Flurstück 1595 erschlossen werden. Der Bebauungsplan setzt für die Stichwege mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zu belastende Flächen vor. Alle drei Stichwegflurstücke stehen ebenfalls im Eigentum des Klägers, sind aber nicht ausgebaut und bilden mit den beitragsbelasteten Flurstücken zur Zeit eine Weidelandfläche. Seit 1999 liegen im C.- ----weg ein Mischwasserkanal und eine öffentliche Wasserleitung. Mit Bescheid vom 8. Januar 2002 setzte der Beklagte für das Flurstück 1610 einen Kanalanschlussbeitrag über 4.373,73 EUR fest. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2002 zurück.

Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger weiter gegen den Beitragsbescheid gewandt und vorgetragen: Nach der Entwässerungssatzung bestehe ein Anschlussrecht nur für Grundstücke, die durch eine Straße erschlossen seien, in der eine betriebsfertige Abwasserleitung vorhanden sei. Andere Grundstücke könne die Stadt auf Antrag zum Anschluss zulassen. Die danach geforderten Voraussetzungen lägen nicht vor, sodass dem Kläger kein Anschlussrecht zustehe. Selbst die Grundstücksanschlussleitungen gehörten nach der Entwässerungssatzung zur öffentlichen Abwasseranlage, sodass ein Anschlussrecht erst bejaht werden könne, wenn derartige Grundstücksanschlussleitungen vorhanden wären. Auch seien die nach dem Bebauungsplan vorgesehenen Verkehrsflächen mit den nach dem Bebauungsplan geforderten Belastungen nicht vorhanden.

Der Kläger hat beantragt,

den Anschlussbeitragsbescheid des Beklagten vom 8. Januar 2002 und seinen dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2002 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Dagegen richtet sich die zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung des Beklagten, mit der er vorträgt: Das klägerische Grundstück sei auch ohne Bestellung der im Bebauungsplan vorgesehenen Geh-, Fahr- und Leitungsrechte erschlossen. Da der Kläger Eigentümer der im Bebauungsplan als Straßen vorgesehenen Flurstücke sei, habe er es in der Hand, die erforderlichen Rechte zu bestellen. Zwar sei auch die Bestellung einer Baulast erforderlich. Wenn jedoch im Bebauungsplan eine private Erschließungsanlage vorgesehen sei, habe dies beitragsrechtlich nicht zur Folge, dass sich der Eigentümer durch Nichtausübung des Baurechts nach seinem Willen der Beitragspflicht entziehen könne. Dies sei dem Beitragsrecht fremd.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und entsprechend dem erstinstanzlichen Antrag die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor: Auch bei Eigentümeridentität sei eine öffentlichrechtliche Sicherung der Zufahrt zur Herbeiführung der Bebaubarkeit erforderlich. Hier existiere die Zufahrt noch nicht einmal. Ein Vollzug der Festsetzungen des Bebauungsplans sei nicht möglich, da unklar bleibe, zu wessen Gunsten die Baulasten bestellt werden sollten. Daher seien die Festsetzungen sogar mangels Bestimmtheit nichtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der angefochtene Beitragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Rechte des Klägers (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Der Beitragsbescheid findet keine Rechtfertigung in § 8 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW) i.V.m. mit der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 20. Juli 1984 in der seit 1999 gültigen Fassung (KABS).

Die Beitragspflicht ist nicht entstanden, weil das Grundstück nicht der Beitragspflicht unterliegt. In Übereinstimmung mit § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW unterliegen nach § 2 Abs. 1 KABS Grundstücke der Beitragspflicht, die an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden können. Dies erfordert ein entwässerungsrechtliches Anschlussrecht. Nach § 2 Abs. 1 der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage - Entwässerungssatzung - der Stadt X. vom 20. Juli 1984 (EWS) ist jeder Eigentümer eines im Gebiet der Stadt liegenden Grundstücks vorbehaltlich der Einschränkungen in § 3 berechtigt, von der Stadt zu verlangen, dass sein Grundstück an die bestehende öffentliche Abwasseranlage angeschlossen wird (Anschlussrecht). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EWS erstreckt sich das Anschlussrecht nur auf solche Grundstücke, die durch eine Straße (Weg, Platz) erschlossen sind, in der eine betriebsfertige Abwasseranlage vorhanden ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann die Stadt bei anderen Grundstücken den Anschluss zulassen. Nach Satz 3 der Vorschrift kann die Herstellung neuer oder die Erweiterung oder Änderung bestehender Leitungen nicht verlangt werden.

§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW erfordert für die Beitragspflicht die gesicherte Möglichkeit der vorteilsrelevanten Inanspruchnahme, hier also des Kanalanschlusses. Ein bloß bedingtes, in das Ermessen der Gemeinde gestelltes Anschlussrecht begründet eine solche Möglichkeit nicht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 15 A 949/05 -, S. 2 f. des amtl. Umdrucks; Urteil vom 2. März 2004 - 15 A 1151/02 -, NVwZ-RR 2004, 679 f.

Hier liegt ein lediglich bedingtes Anschlussrecht vor. Das Grundstück des Klägers wird nämlich nicht durch eine Straße erschlossen, in der eine betriebsfertige Abwasserleitung vorhanden ist. Das Grundstück liegt nicht am C.-----weg , in dem alleine eine solche Leitung liegt, sondern an einer nach dem Bebauungsplan u.a. mit einem Leitungsrecht zu belastenden Fläche. Erkennbar soll die Wasserversorgungs- und Entwässerungserschließung über diese auch der verkehrlichen Erschließung dienende Fläche erfolgen. Unerheblich ist dabei, ob die im Bebauungsplan ausgewiesene Fläche den Charakter einer selbstständigen Erschließungsanlage aufweist.

Vgl. zur Selbstständigkeit einer befahrbaren Privatstraße Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 5 Rn. 6 ff.

Danach differenziert die Entwässerungssatzung nicht, vielmehr liegt ihr die Erwägung zu Grunde, dass nur den Grundstücken ein unbedingtes Anschlussrecht gewährt werden soll, bei denen im zur Erschließung bestimmten Straßenstück die Abwasserleitung vorbeiführt, an die das Grundstück über eine individuelle, nur für dieses Grundstück bestimmte Grundstücksanschlussleitung (§ 10 EWS) angeschlossen werden kann. Sieht der Bebauungsplan eine Entwässerung über einen mehrere Grundstücke erschließenden Stichweg vor, so soll danach ein unbedingtes Anschlussrecht nur gewährt werden, wenn in diesem Stichweg die Abwasserleitung verlegt ist, von der die Grundstücksanschlussleitungen ausgehen können. Da dies bislang nicht der Fall ist, besteht das für eine Beitragspflicht erforderliche unbedingte Anschlussrecht nicht.

Entgegen der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung kommt es für die Beitragspflicht nicht darauf an, mit welcher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden kann, dass der Beklagte von seinem Ermessen bezüglich des Anschlussrechts im Sinne einer Ablehnung des Anschlusses Gebrauch machen würde. Das Entstehen der Beitragspflicht mit seinen daran insbesondere festsetzungsverjährungsrechtlich geknüpften Folgen muss im Interesse der Rechtssicherheit auf klar erkennbaren Umständen beruhen. Daher hindert ein in das Ermessen gestelltes Anschlussrecht grundsätzlich das Entstehen der Beitragspflicht.

Unabhängig davon besteht die Beitragspflicht auch deshalb nicht, weil das klägerische Grundstück trotz der Festsetzung der baulichen Nutzung im Bebauungsplan noch nicht bebaut werden kann i.S.d. § 2 Abs. 1 Buchst. a KABS. An diesem Merkmal des Bebautwerdenkönnens fehlt es, wenn eine vom Bebauungsplan zur Erschließung des Grundstücks vorgesehene Erschließungsanlage tatsächlich nicht vorhanden ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. September 2001 - 15 A 3850/99 -, Gemhlt. 2004, 92 (94).

Das ist hier der Fall. Die im Bebauungsplan zur verkehrlichen Erschließung des klägerischen Grundstücks vorgesehene mit einem Geh- und Fahrrecht zu belastende Fläche existiert als Verkehrsfläche nicht.

Unerheblich ist, dass nach Auffassung des Beklagten keine öffentliche, sondern eine private Erschließungsanlage festgesetzt sei. Wenn eine private verkehrliche Erschließung für mehrere Grundstücke im Bebauungsplan festgesetzt ist, liegt das beitragsrechtliche Merkmal Bebautwerdenkönnen erst vor, wenn diese private Erschließungsanlage errichtet ist. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Beitrag nur verlangt werden kann als Gegenleistung für die durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme gebotenen wirtschaftlichen Vorteile (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW). Das bedeutet, dass ein Anschlussbeitrag für ein unbebautes Grundstück nur verlangt werden kann, wenn die Realisierung der Inanspruchnahme nur noch von der Verwirklichung des Bauvorhabens abhängt. Diese Möglichkeit wird jedoch dem nicht gewährt, der vor der Realisierung des Bauvorhabens das Grundstück selbst erschließen muss. Auch wenn ihm dies rechtlich möglich sein sollte, ist die Möglichkeit der Inanspruchnahme dennoch nicht nur von der bloßen Ausübung des Baurechts abhängig und entspricht damit nicht mehr dem beitragsrechtlichen Bild des durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme bevorteilten und wegen vorhandener Erschließung baureifen Grundstücks. Das gilt jedenfalls dann, wenn die private Erschließungsanlage nicht nur einem einzelnen Grundstück zu dienen bestimmt ist, wie es hier der Fall ist. Dann nämlich hängt die Realisierung des Baurechts für ein einzelnes Grundstück letztlich davon ab, dass zugleich die Binnenerschließung für ein ganzes Baugebiet durchgeführt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 163 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.