LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.03.2005 - 12 Sa 141/05
Fundstelle
openJur 2011, 32775
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 Ca 1712/04

1. Eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung liegt nicht vor, wenn der Berufungskläger weder auf die Darstellung der Sach- und Rechtslage und Würdigung im erstinstanzlichen Urteil eingeht noch die Berufung auf neue Tatsachen und Beweise stützt.

2. Zu einem Prozessvergleich mit "Schutzwirkung für Dritte".

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 05.01.2005 wird kostenfällig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :

A. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

B. Die Berufung, mit der der Kläger den vom Arbeitsgericht Essen abgewiesenen Anspruch auf Schmerzensgeld weiterverfolgt, hat keinen Erfolg.

I.

Die Berufung ist nach § 520 Abs. 3 ZPO unzulässig. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO muss die Berufungsbegründung neben den Berufungsanträgen die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie die neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn es diese bekämpfen will. Daher muss sie klar und konkret erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art sowie aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, also etwa angeben, welche Tatsachen und Beweisanträge das Arbeitsgericht unberücksichtigt gelassen und übergangen habe. Es reicht deshalb nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (BAG, Urteil vom 16.06.2004, 5 AZR 529/03, AP Nr. 2 zu § 551 ZPO 2002, Urteil vom 15.08.2002, 2 AZR 473/01, AP Nr. 55 zu § 519 ZPO). Diese bereits zu § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG a. F.) in der vor dem 01.01.2002 geltenden Fassung entwickelten Rechtsgrundsätze haben auch für die Nachfolgebestimmung des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO Gültigkeit (BGH, Beschluss vom 26.07.2004, NJW-RR 2004, 1716, LAG Düsseldorf, Urteil vom 25.07.2003, LAG'e Nr. 19 zu § 66 ArbGG 1979).

In der Berufungsbegründungsschrift wird im Wesentlichen der erstinstanzliche Vortrag nur wiederholt und - ohne jedes Eingehen auf die Darstellung der Sach- und Rechtslage und deren Würdigung im arbeitsgerichtlichen Urteil - im Sinne des klägerischen Standpunkts (Seite 8: "1. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ….") gewertet.

Die Berufung wird auch nicht - wie der Kläger in der Verhandlung vor der Kammer für die "Trotzkündigung" (3. Kündigung) geltend gemacht hat - auf neue Tatsachen und Beweise gestützt. In einem solchen Fall bedarf es zwar keiner Auseinandersetzung mit der Begründung des erstinstanzlichen Urteils. Der Berufungskläger muss aber deutlich machen, inwieweit er die rechtliche Würdigung für unrichtig hält oder in welche Richtung seine Einwendungen gegen die Beurteilung durch die Vorinstanz gehen. Insbesondere dann, wenn es - wie im Streitfall - um zahlreiche Tatsachenkomplexe geht, muss er dementsprechend ausweisen, welche Tatsachen neu und weshalb sie nach seiner Auffassung entscheidungserheblich sind (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 520 Rz. 35), zumal es - abgesehen davon, dass es nicht Aufgabe des Berufungsgerichts ist, die Berufungsbegründung mit den erstinstanzlichen Schriftsätzen darauf abzugleichen, inwieweit neue Tatsachen vorgebracht sein könnten, - ohne Weiteres denkbar wäre, dass der (angeblich) neue Vortrag Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht und aus Vorprozessen gerichtsbekannt war.

In der Berufungsbegründung des Klägers findet sich kein Hinweis darauf, welche Tatsachen neu vorgebracht werden.

II.

Wäre die Berufung zulässig, hätte sie als unbegründet zurückgewiesen werden müssen. Die Kammer macht sich insoweit die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (dort zu II 3), gegen die keine durchgreifende Einwände erhoben werden, zu Eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens kann der Kläger auch mit keinem strafgerichtlichen Urteil (vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO) seine Ansicht, dass der Beklagte strafbare Handlungen i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB begangen habe, stützen.

Im Besonderen trifft auch und gerade die Auffassung des erstinstanzlichen Urteils (dort zu II 4) zu, dass ein Anspruch des Klägers auf Ersatz immaterialen Schadens vor dem Hintergrund des Prozessvergleichs vom 07.10.2003 (LAG Düsseldorf, 8 Sa 1108/03) scheitert.

Der Prozessvergleich unterliegt der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB (BAG, Urteil vom 15.09.2004, 4 AZR 9/04 AP Nr. 29 zu § 157 BGB = NJW 2005, 524). Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist auf den objektiv ermittelten Erklärungswert aus der Sicht des Erklärungsempfängers abzustellen. Auch ein klarer und eindeutiger Wortlaut einer Erklärung bildet keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände, und zwar weder bei der einfachen Auslegung noch bei der ergänzenden Auslegung eines lückenhaften Rechtsgeschäfts. Denn die Feststellung, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, lässt sich erst durch eine alle Umstände berücksichtigende Auslegung treffen (BGH, Urteil vom 19.12.2001, NJW 2002, 1260).

Der Prozessvergleich vom 07.10.2003 wurde vom Kläger zwar mit seinem Arbeitgeber K. Controls, K. Regelungstechnik GmbH, geschlossen; der Umstand, dass der Beklagte nicht Vergleichspartei war und sich der Vergleich auch nicht explizit zu etwaigen Ansprüchen zwischen den Parteien verhält, spricht daher zunächst gegen einen Ausschluss etwaiger Schmerzensgeldansprüche des Klägers gegen den Beklagten. Jedoch ergibt sich dieser Ausschluss aus den Gesamtumständen, insbesondere aus Ziffer VII des Vergleichs und dem in der Ausgleichsklausel (Ziffer IX) manifestierten Zweck der umfassenden und endgültigen Befriedung aller im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Streitigkeiten. Wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, indiziert die vom Kläger übernommene Verpflichtung, seine Ehefrau zur Rücknahme der Strafanzeige gegen den Beklagten zu bewegen, den Befund, dass der Vergleich auch "Schutzwirkung zugunsten des Beklagten" (vgl. § 328 BGB) entfalten sollte. Weil sich in der Strafanzeige und mit der vorliegenden Klage erhobenen Vorwürfe im tatsächlichen und rechtlichen Kern decken, ist die vom Kläger in Ziffer VII abgegebene Erklärung so zu verstehen, dass er sich durch den Vergleich mit allen Ansprüchen, auch gegen den Beklagten, soweit er als Personalleiter die arbeitsrechtliche Auseinadersetzung betrieb, abgefunden sah. Die Intention der Vergleichsparteien, eine umfassende Befriedung herbeizuführen, verdeutlichen u. a. die dem Kläger zugestandene Vorformulierung des Zeugnis (Ziffer VIII) und die Ausgleichsklausel, die, indem sie "Ansprüche .., gleich aus welchem Rechtsgrund" einbezieht, erkennbar über die Wirkungen einer Standardausgleichsklausel hinausgeht, die sich auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis beschränkt. Diese Befriedungsfunktion würde verfehlt, wenn Vorgänge im Zusammenhang mit der vom Arbeitgeber (und dem für ihn handelnden Beklagten) erneut zum Gegenstand des Gerichtsverfahrens gemacht werden könnten. Das gilt auch für vom Wortlaut des Vergleichs miterfasste (vgl. BAG, Urteil vom 15.12.1994, 8 AZR 250/93, n. v.) Schadensersatzansprüche. Dass der Kläger rechtlich außerstande war, seine Ehefrau von der Aufrechterhaltung und der Erweiterung der Strafanzeige (Seite 5 des klägerischen Schriftsatzes vom 13.07.2004) abzuhalten, vermag die Feststellung, dass er mit Abschluss des Prozessvergleiches den Verzicht auf Schmerzensgeldansprüche gegen den Beklagten zum Ausdruck brachte, nicht zu berühren. Des Weiteren ist im Rahmen der Vergleichsauslegung zu bedenken, dass, weil nach Vorbringen des Klägers der Geschäftsführer des Arbeitgebers die Vorgehensweise des Beklagten gedeckt habe, sich ein etwaiger Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB nicht allein gegen den Beklagten, sondern ebenso gegen den Arbeitgeber richten würde. Zwar kann der Kläger wegen der Ausgleichsklausel (Ziffer IX) nicht die Beklagte auf Schmerzensgeld in Anspruch nehmen. Die Beklagte wäre jedoch im Falle einer Ersatzpflicht des Beklagten diesem gegenüber zum Ausgleich nach § 426 BGG verpflichtet. Dieses Ergebnis widerspräche eklatant dem eindeutigen Sinngehalt der Ausgleichsklausel. Daher wirkt konsequenterweise der mit der Klausel vereinbarte Erlass von etwaigen Schmerzensgeldansprüchen auch zu Gunsten des Beklagten (vgl. § 423 BGB).

Aus den angeführten Gründen setzt sich der Kläger mit der Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen überdies in einen unzulässigen Selbstwiderspruch (§ 242 BGB), zu seinem Verhalten bei Vergleichsabschluss. Auch deshalb kann er mit der Klage keinen Erfolg haben.

C. Die Kosten der Berufung hat § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :

Für die Zulassung der Revision an das Bundesarbeitsgericht bestand keine Veranlassung, da dem vorliegenden Rechtsstreit weder eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen werden kann, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, noch die Voraussetzungen für eine Divergenzrevision ersichtlich sind, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG. Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann vom Kläger Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden. Hinsichtlich der Einzelheiten der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG hingewiesen.