OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.06.2004 - 7 A 4529/02
Fundstelle
openJur 2011, 30441
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 K 1311/01
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Baugenehmigung vom 17. April 2000 zur Nutzungsänderung einer ehemaligen Tischlereiwerkstatt in bewohnbare Räume auf dem Grundstück N. straße 5 in Q. und der Widerspruchsbescheid des Landrates des Kreises Q. vom 7. Mai 2001 werden aufgehoben.

Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Gemarkung Q. , Flur 51, Flurstück 130 (N. straße 3 in Q. ). Sie wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 17. April 2000 zur Nutzungsänderung des im rückwärtigen Bereich seines Grundstücks Parzelle 129 (N. straße 5 in Q. ) stehenden Gebäudes.

Das Wohnhaus der Klägerin reicht wie auch das Wohnhaus des Beigeladenen zuzüglich eines kleinen Vorbaus bis in eine Grundstückstiefe von rund 13 m. Beide Wohnhäuser sind grenzständig aneinander gebaut, halten zu den anderen Nachbargrenzen jedoch einen Grenzabstand ein. Der sich in südöstlicher Richtung erstreckende rückwärtige Bereich des Grundstücks der Klägerin wird mit Ausnahme der an der nordöstlichen Grundstücksseite angebauten Garage als Garten genutzt. Zum südwestlich angrenzenden Grundstück des Beigeladenen hat die Klägerin einen Holzflechtzaun errichtet und an diesem entlang eine Reihe Thujen gepflanzt, die zusammen mit dem Holzflechtzaun den Blick auf das Nachbargrundstück vom Gartenbereich aus weitgehend hindern. Von der so genannten Essküche im Erdgeschoss ihres Wohnhauses, die über ein grenznahes Fenster belichtet wird, kann der rückwärtige Bereich des Grundstücks des Beigeladenen ebenso eingesehen werden wie von den Fenstern im Obergeschoss und im Dachgeschoss.

Auf der Grundlage der Baupolizeiverordnung für die Stadt Q. vom 11. August 1928 (mit Nachtrag vom 1. Februar 1930) wurde dem Vater des Beigeladenen am 29. Juli 1947 die Erlaubnis erteilt, im rückwärtigen Grundstücksbereich eine Schreinereiwerkstatt mit 91 qm Grundfläche zu errichten. Die Schreinerei wurde entsprechend der im Einverständnis mit allen drei Grundstücksnachbarn erteilten Baugenehmigung grenzständig an der rückwärtigen Grundstücksgrenze und zugleich auf jeweils 6,50 m Grundstückslänge grenzständig auch zu den Grundstücken der Klägerin und des gegenüberliegenden Nachbargrundstücks errichtet. Die Belichtung des zu etwa zwei Dritteln unterkellerten Gebäudes erfolgte über sechs Fenster in der nordwestlichen Gebäudeaußenwand. Die Erdgeschossdecke lag in etwa auf Höhe der natürlichen Geländeoberfläche. Ein etwa 1 m tiefer Lichtschacht sollte vor die Kelleraußenwand 0,80 m vortreten. Das Satteldach mit einer Neigung von 350 wurde über drei schmale Gauben belichtet. Zur Grenze des Grundstücks der Klägerin sollte das nächstgelegene Fenster 1,20 m Abstand halten.

Das Grundstück des Beigeladenen liegt wie die Nachbargrundstücke im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 1 - "Baunutzungsplan" - der Stadt Q. . Dieser setzte in der am 24. Juli 1963 als Satzung beschlossenen Fassung für die nähere Umgebung ein allgemeines Wohngebiet fest. Er gab eine zulässige Bebauungstiefe von 13 m vor. Zur Bauweise trifft er selbst keine weitergehenden Festsetzungen. In der nunmehr geltenden Fassung der zweiten Änderung des Bebauungsplans Nr. 1, die am 24. Mai 1982 bekannt gemacht worden ist, ist für die allgemeinen Wohngebiete die Festsetzung über die Bebauungstiefe entfallen; Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche sieht der Bebauungsplan für diese Gebiete nicht vor.

Im Straßengeviert N. straße /X. straße /K. -T. -Straße/R. weg stehen mit Ausnahme eines freistehenden Wohnhauses ausschließlich Doppelhäuser straßennah. Rückwärtig finden sich mit Ausnahme des (früheren) Werkstattgebäudes im Übrigen nur (grenzständige) Garagen und Gartenhäuschen.

Anlässlich einer auf Beschwerden von Nachbarn durchgeführten Kontrolle stellte der Beklagte 1994 fest, "dass die Werkstatt zu Wohnzwecken umfunktioniert" und an die Werkstatt ein (nicht grenzständiger) Büroraum angebaut worden war. Am 20. November 1995 beantragte der Beigeladene die "Nutzungsänderung einer Tischlereiwerkstatt (EG) in bewohnbare Räume". Die antragsgemäß erteilte Baugenehmigung vom 1. Februar 1996 nahm der Beklagte auf den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 16. Juni 1997 zurück. Den Widerspruch des Beigeladenen gegen die Rücknahme wies der Oberkreisdirektor des Kreises Q. mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1998 als unbegründet zurück. Im anschließenden Klageverfahren - 1 K 448/98 VG Minden - wies das Verwaltungsgericht in der Sitzung vom 16. November 1999 auf Bedenken an der Ermessensausübung des Beklagten sowie ferner darauf hin, dass § 6 der Bauordnung um einen neuen Abs. 15 ergänzt werden solle, der Nutzungsänderungen begünstige. Der Beklagte hob den Rücknahmebescheid auf den Hinweis des Verwaltungsgerichts auf.

Am 20. März 2000 stellte der Beigeladene einen neuerlichen, in Details geänderten Antrag auf Genehmigung der "Nutzungsänderung einer Tischlereiwerkstatt (EG) in bewohnbare Räume". Gegenüber der Baugenehmigung aus dem Jahre 1947 sind u.a. folgende bauliche Veränderungen vorgesehen: Der vollständig unterkellerte Erdgeschossbereich, das Souterrain, soll nach den Bauvorlagen einen "Versorgungsraum", ein WC nebst Dusche und eine Küche (mit einem der drei Souterrainfenster) sowie einen Abstellraum aufnehmen. Das Gelände soll vor der Nordwestwand derart abgeböscht werden, dass über drei Fenster das "Souterrain" belichtet und von dort über die vom Erdgeschoss in das Souterrain verlegte Eingangstür das Gebäude betreten werden kann. Die ebenfalls verlegte Kellertreppe dient zugleich als Zugang zum Erdgeschoss. Der 1994 durch den Beklagten festgestellte Büroraum ist als "Gartenlaube" zur Genehmigung gestellt, die nur vom Garten aus zugänglich ist. Die Belichtung des Erdgeschosses erfolgt über fünf statt früher sechs Fenster, die versetzt und in der Größe verändert worden sind. Das dem Grundstück der Klägerin nächstgelegene Fenster hat einen Abstand zur Grenze von 1 m. Im Erdgeschoss sind durch Zwischenwände neben einer Dusche nebst WC drei von einem Flur abzweigende Räume (zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit zwei Eingangstüren) dargestellt. Das Dach sollte unter Beibehaltung der bisherigen Dachneigung und unter Fortfall der drei Dachgauben neu erstellt werden. Tatsächlich hat der Beigeladene etwa mittig des Daches eine Dachgaube errichtet.

Gegen die antragsgemäß erteilte Baugenehmigung vom 17. April 2000 erhob die Klägerin Widerspruch, den der Landrat des Kreises Q. mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2001 als unbegründet zurückwies.

Die Klägerin hat am 25. Mai 2001 Klage erhoben und beantragt,

die dem Beigeladenen unter dem 17. April 2000 erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer ehemaligen Tischlereiwerkstatt in bewohnbare Räume in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises Q. vom 7. Mai 2001 aufzuheben.

Der Beklagte und der Beigeladene haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen; es hat die Berufung zugelassen.

Auf das ihr am 24. Oktober 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. November 2002 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2002 begründet.

Die Klägerin trägt vor: Sie habe der Umnutzung von Anfang an die Zustimmung verweigert. Das Vorhaben füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Der Bebauungsplan Nr. 1 der Stadt Q. treffe keine Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche. Abzustellen sei daher auf den sich aus der Umgebungsbebauung abzuleitenden Rahmen. In diesen Rahmen füge sich das Vorhaben nicht ein, denn es sei im Quartier der erste Fall einer Hinterlandbebauung. Die Tischlereinutzung sei 1986 aufgegeben worden, denn nur bis 1986 sei der Tischlermeister X. X. in der Handwerksrolle eingetragen gewesen. Die nachfolgend bis 1991 oder auch Februar 1992 vom Beigeladenen für seinen ehemaligen Chef durchgeführten Reparaturarbeiten seien nicht im Rahmen eines Handwerksbetriebs ausgeführt worden und schon gar nicht die nach 1991 durchgeführten Gefälligkeitsarbeiten. Gegen Entgelt hätte keine legale Tätigkeit ausgeübt werden dürfen; die Nutzung der Werkstatt als Tischlerei sei deshalb baurechtswidrig gewesen. Ohne Vergütung ausgeführte Arbeiten seien als Gefälligkeitsarbeiten nicht geeignet, über sieben Jahre den Bestandsschutz für die Tischlerei aufrecht zu erhalten. Als Beginn der Wohnnutzung dürfe nicht auf den Einzug der Mieter 1994 abgestellt werden, sondern allerfrühestens auf die Erteilung der ersten Baugenehmigung im Frühjahr 1996 oder richtiger auf die Baugenehmigung aus April 2000. Zwischen der Aufgabe einer handwerksmäßig betriebenen Tischlerei und der berücksichtigungsfähigen Aufnahme von Wohnnutzung sei im rückwärtigen Grundstücksbereich eine schutzwürdige Ruhezone entstanden. Unabhängig von der Frage, wann die Tischlereinutzung eingestellt worden sei, habe diese keine Vorbildwirkung. Das Vorhaben halte ferner nicht den erforderlichen Grenzabstand ein. Komme der früheren Nutzung kein Bestandsschutz mehr zu, müsse das neue Vorhaben dem geltenden Abstandrecht genügen. Erst wenn Bestandsschutz bejaht werden könne, stelle sich die Frage, ob die Nutzungsänderung auf der Grundlage des § 6 Abs. 15 BauO NRW genehmigt werden könne. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 15 BauO NRW seien hier jedoch schon deshalb nicht gegeben, weil die baulichen Änderungen (Einziehen von Zwischenwänden, Herstellung einer vollständigen Elektroinstallation sowie der Sanitäreinrichtungen, Einbau anderer Fenster) nicht geringfügig seien. Darüber hinaus wirke sich die Wohnnutzung nachteiliger auf die nachbarlichen Belange aus als die jahrelange Nichtnutzung der früheren Tischlereiwerkstatt. Auch im Vergleich zur Tischlereinutzung sei die Wohnnutzung nachteiliger; die Tischlerei sei nur werktags von 7.00 Uhr bis höchstens 17.00 Uhr, gelegentlich auch samstags vormittags genutzt worden und sei deshalb weniger beeinträchtigend gewesen als die Immissionen der Wohnnutzung, die rund um die Uhr auftreten würden. Jedenfalls sei die Wohnnutzung auf Grund ihrer Nähe zu ihrem, der Klägerin, Wohnhaus unzumutbar.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach ihrem Schlussantrag erster Instanz zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert: Die gute Gebäudesubstanz habe keinen Anlass für die Vermutung gegeben, sie werde keiner Nutzung mehr zugeführt. Die Wohnnutzung sei der Klägerin zumutbar. Ebenso wie über Jahrzehnte eine Tischlerei im Wohngebiet hingenommen worden sei, sollte nunmehr die Wohnnutzung akzeptiert werden.

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert: Er bzw. sein Rechtsvorgänger habe das Gebäude bis in das dritte Quartal 1993 (Schriftsatz vom 17. Dezember 2002) bzw. bis 1994 (Schriftsatz vom 1. April 2003) hinein gewerblich genutzt, wenn auch in den letzten Monaten im Sinne einer auslaufenden Nutzung. Mit dem Gebäudeumbau einschließlich des Versetzens der Innenwände und der Fenster habe er unmittelbar nach Erteilung des Erbscheins (im Januar 1994) begonnen. Die Klägerin sei über Sinn und Zweck des Umbaus schon nach dem Erbfall informiert worden. Er habe zuletzt für seinen früheren Arbeitgeber Reparaturarbeiten durchgeführt und hierbei immissionsverursachende Maschinen eingesetzt. Er habe als gelernter Tischler mit Meisterprüfung im Angestelltenverhältnis für die Firma G. Einrichtungsgegenstände aus ausgebauten Friseursalons aufgearbeitet und so verändert, dass sie in neue Friseursalons eingebaut werden konnten. Auf die gewerberechtliche Qualifizierung der Arbeiten komme es nicht an. In einer innerstädtischen Grundstückslage sei der Zeitraum zwischen Aufgabe der gewerblichen Nutzung und der Aufnahme der Wohnnutzung zu kurz gewesen, um annehmen zu können, die aufgegebene Nutzung werde nicht wieder aufgenommen oder nicht jedenfalls durch eine andere Nutzung ersetzt. Die Wohnnutzung sei der Klägerin zumutbar. Es gebe keine Lebenserfahrung, Wohnnutzung durch Studenten sei der Wohnruhe besonders abträglich. Die Nutzungsänderung sei auch abstandrechtlich nicht zu beanstanden, denn sie wirke sich auf die durch die Abstandflächenvorschriften geschützten Belange nicht nachteilig aus. Wohnnutzung sei in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig. Die Beeinträchtigungen seien nicht größer als die der Tischlerei, in der bis zu fünf Mitarbeiter beschäftigt worden seien. Oftmals sei die Schreinerei auch noch in den Abendstunden genutzt worden. Die Wohnnutzung finde zudem in gewisser Entfernung zum Wohnhaus der Klägerin statt; die Klägerin sei im Übrigen schon derzeit durch die grenzständig aneinandergebauten Wohnhäuser unmittelbaren Einwirkungen der Wohnnutzung im Nachbarbereich ausgesetzt. Zu berücksichtigen seien ohnehin nur solche Auswirkungen, vor denen die Abstandvorschriften schützen wollten. Nicht erfasst werde der Schutz vor Lärm. Zu berücksichtigen sei allenfalls eine Einsichtsmöglichkeit in den klägerischen Garten, die jedoch tatsächlich nicht gegeben sei. Das innerhalb der Abstandfläche liegende Fenster des strittigen Vorhabens sei beim Umbau verkleinert und dadurch seien die Einsichtsmöglichkeiten verringert worden. Die baulichen Änderungen seien geringfügig. Bauliche Änderungen im Inneren eines Gebäudes seien ohnehin unerheblich, denn sie hätten auf das Äußere des Gebäudes keine Auswirkungen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit am 24. März 2004 in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Im Einvernehmen mit den Beteiligten entscheidet der Senat über die Berufung ohne mündliche Verhandlung, §§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Klage ist zulässig.

Die Klägerin hat ihre Abwehrrechte nicht verwirkt. Der Beigeladene mag die Klägerin über seine Umbau- und Umnutzungsabsichten informiert haben. Er stellt jedoch deren Behauptung nicht in Abrede, sie habe dem Vorhaben von Anfang an die Zustimmung verweigert. Auch aus den Akten ergibt sich kein Anhalt für die Annahme, der Beigeladene hätte das Vorhaben im Vertrauen auf seine Akzeptanz durch die Klägerin verwirklicht.

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 17. April 2000 zur Nutzungsänderung einer ehemaligen Tischlereiwerkstatt in bewohnbare Räume und der Widerspruchsbescheid des Landrates des Kreises Q. vom 7. Mai 2001 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts. Ob die genehmigte Nutzung zum Nachteil der Klägerin auch mit dem von § 34 Abs. 1 BauGB umfassten Gebot der Rücksichtnahme nicht vereinbar ist, bedarf daher keiner Entscheidung.

Das Vorhaben des Beigeladenen ist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW baugenehmigungspflichtig. Eine Nutzungsänderung ist gemäß § 63 Abs. 1 BauO NRW baugenehmigungspflichtig, soweit in den § 65 bis 67, 79 und 80 BauO NRW - wie hier - nichts anderes bestimmt ist. Eine Nutzungsänderung liegt vor, wenn die der bisher genehmigten Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird und durch die Veränderung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1988 - 4 C 21.85 -, BRS 48 Nr. 138; OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 1997 - 10 B 3206/96 -, BRS 59 Nr. 146.

Maßgebend ist, ob sich die neue Nutzung von der bisherigen dergestalt unterscheidet, dass sie andere oder weitergehende Anforderungen bauordnungs- oder bauplanungsrechtlicher Art unterworfen ist oder unterworfen sein kann, d.h. schon dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Zulässigkeit des geänderten Vorhabens nach den Bauvorschriften anders beurteilt werden kann als das ursprüngliche Vorhaben.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juni 2001 - 7 A 2024/01 -; Böddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, § 63 Rdnr. 64.

Ob die bisherige Nutzung bestandsgeschützt ist, ist hingegen für die Genehmigungspflichtigkeit der Nutzungsänderung ohne Belang.

Das Vorhaben des Beigelandenen kann in bauordnungs- und bauplanungsrechtlicher Hinsicht schon im Hinblick auf die Nutzungsänderung anderen als den bei Genehmigung der Tischlerei geltenden rechtlichen Anforderungen unterliegen. Prüfungserheblich ist insbesondere, ob die Wohnnutzung in dem rückwärtigen Grundstücksbereich mit dem vom Tatbestandsmerkmal des Einfügens im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB (hier in Verbindung mit § 30 Abs. 3 BauGB) umfassten Gebot der Rücksichtnahme vereinbar ist (vgl. §§ 30 Abs. 3, 34 Abs. 1 BauGB) und ob das Vorhaben den sich aus § 6 BauO NRW ergebenden Abstandanforderungen genügt. Weitere Ausführungen sind hierzu entbehrlich, da auch die Beteiligten die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung nicht in Frage stellen. Es kommt daher auch nicht darauf an, dass von der Nutzungsänderungsgenehmigung auch die baulichen Änderungen der Anlage umfasst werden, die die Bauvorlagen zur Baugenehmigung darstellen und die über den Tenor der Baugenehmigung hinaus nicht nur die veränderte Nutzung zum Gegenstand haben, sondern auch bauliche Veränderungen umfassen.

Die Nutzungsänderungsgenehmigung ist bereits mit den bauordnungsrechtlichen Abstandregelungen nicht vereinbar.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind vor Außenwänden von Gebäuden Flächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten (Abstandflächen). Einer der in § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BauO NRW geregelten Fälle, in denen eine Abstandfläche nicht eingehalten werden muss, ist nicht gegeben. Die nähere Umgebung, auf die gemäß §§ 30 Abs. 3, 34 Abs. 1 BauGB abzustellen ist, ist durch die offene Bauweise bestimmt. Es ist öffentlichrechtlich nicht gesichert, dass auf dem Nachbargrundstück ohne Grenzabstand gebaut wird (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW). Auf dem Nachbargrundstück ist kein Gebäude ohne Grenzabstand vorhanden (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW).

Die Verpflichtung, die im Zeitpunkt der genehmigungsbedürftigen Nutzungsänderung geltenden Abstandanforderungen einzuhalten, gilt grundsätzlich auch für bereits vorhandene bauliche Anlagen, die jedoch nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 6 Abs. 15 BauO NRW gegenüber neu errichteten baulichen Anlagen abstandrechtlich privilegiert werden. Gemäß § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW können bei Nutzungsänderungen sowie bei geringfügigen baulichen Änderungen bestehender Gebäude ohne Veränderung von Länge und Höhe der den Nachbargrenzen zugekehrten Wände unter Würdigung nachbarlicher Belange geringere Tiefen der Abstandflächen gestattet werden, wenn Gründe des Brandschutzes nicht entgegenstehen. Satz 1 gilt nicht für Gebäude nach Abs. 11 Nr. 1 (Satz 2). Die im vorliegenden Verfahren zur Genehmigung gestellte Nutzungsänderung ist ungeachtet der Frage, ob die von der Nutzungsänderungsgenehmigung umfassten baulichen Änderungen noch geringfügig im Sinne der Vorschrift sind, schon deshalb nicht gemäß § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW abstandrechtlich privilegiert, weil die zu würdigenden nachbarlichen Belange - hier der Klägerin - der Gestattung einer geringeren als der sich aus § 6 Abs. 1, 4 und 5 ergebenden Tiefe der Abstandfläche entgegenstehen.

Welches Gewicht den nachbarlichen Belangen bei der Prüfung zukommt, ob eine Nutzungsänderung oder eine geringfügige bauliche Änderung gestattet werden kann, obwohl die sich nach geltendem Recht ergebenden Abstandflächen für das Vorhaben nicht zur Verfügung stehen, ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Abstandregelungen sind auf den Ausgleich der schutzwürdigen und schutzbedürftigen Interessen der benachbarten Grundstückseigentümer unter Berücksichtigung der mit den Abstandregelungen verfolgten öffentlichen Interessen gerichtet und bestimmen damit den Inhalt des Grundeigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 17.90 -, BVerwGE 88, 191 = BRS 52 Nr. 157.

Die mit § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW verfolgte Verpflichtung, vor Außenwänden von (nicht gemäß § 6 Abs. 11 BauO NRW abstandrechtlich begünstigten) Gebäuden Abstandflächen einzuhalten, soll dem Nachbarn im Hinblick auf die Belichtung, Belüftung, Brandsicherheit und den Sozialabstand ein Mindestmaß an Schutz garantieren und zugleich festlegen, was der Nachbar an Bebauung in welchem Abstand hinzunehmen hat. Werden die durch die Bauordnung in der zur Zeit der Errichtung einer baulichen Anlage geltenden Fassung vorgeschriebenen Grenzabstände, die für den Nachbarn die Zumutbarkeitsschwelle markieren, durch eine bauliche Anlage unterschritten, kann der Betroffene grundsätzlich die Beseitigung dieser baulichen Anlage verlangen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Juni 2001 - 10 B 574/01 -.

Allerdings trifft die Festlegung einer Mindestabstandfläche den Grundeigentümer, der sein Grundstück erstmals durch die Errichtung eines Gebäudes nutzen will, anders als jenen, der eine vorhandene Gebäudesubstanz lediglich anderweitig nutzen will. Während dem ersteren regelmäßig die Möglichkeit der freien Disposition verbleibt, kann der letztere vor die Entscheidung gestellt sein, ob er eine bisherige Nutzung nur fortsetzen kann, weil jede andere Nutzung ausgeschlossen ist, oder ob er die an sich verwertbare Gebäudesubstanz abreißen und unter Berücksichtigung des neuen Abstandflächenrechts durch eine neue ersetzen soll. In jedem Fall der Nutzungsänderung (oder der geringfügigen baulichen Änderung) dennoch die Einhaltung der gegenüber der früheren Sach- oder Rechtslage vergrößerten Abstandflächen zu fordern, würde den berechtigten Interessen des Eigentümers an der Nutzung verwertbarer Gebäudesubstanz jedoch nicht gerecht. Aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt sich vielmehr die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine sozial gerechte Eigentumsordnung zu gewährleisten, die die Nutzung einer vorhandenen und verwertbaren Gebäudesubstanz nicht verhindert, wenn dem berechtigte und mehr als geringfügige Belange des Allgemeinwohls oder eines Nachbarn nicht entgegenstehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 17.90 -, a.a.O..

Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Abstandregelungen hat der Gesetzgeber mit dem durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung vom 9. November 1999, GV NRW 1999, 622 in § 6 eingefügten neuen Abs. 15 den verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich herbeigeführt. Er hat unter Berücksichtigung öffentlicher Belange den Ausgleich der Interessen der benachbarten Grundstückseigentümer für den Fall geregelt, dass vor den Außenwänden eines bestehenden Gebäudes die im Zeitpunkt der Nutzungsänderung (oder der geringfügigen baulichen Änderung) nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Satz 1 geforderten Abstandflächen nicht zur Verfügung stehen. Das Interesse des Grundeigentümers an einer wirtschaftlich sinnvollen Nutzung einer vorhandenen verwertbaren Gebäudesubstanz und das Interesse des Nachbarn an der Beachtung der Abstände, die aus der Sicht der Bauordnung bei der erstmaligen Errichtung der (in ihrer Nutzung) geänderten baulichen Anlage eingehalten werden müssten, um nicht zumutbare Beeinträchtigungen durch zu dicht an der Nachbargrenze stehende bauliche Anlagen auszuschließen, sind in die Regelung eingegangen.

Am dargelegten Zweck der Regelung ist ihre Anwendung im jeweiligen Einzelfall auszurichten. Der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 1. Februar 2000 - 10 B 2092/99 -, BRS 63 Nr. 139 = NWVBl. 2001, 138 die Auffassung vertreten, Bezugspunkt der Würdigung nachbarlicher Belange im Sinne des § 6 Abs. 15 BauO NRW sei der verringerte Abstand gegenüber demjenigen, den das Vorhaben sonst einhalten müsste, und die Zumutbarkeit dieser Verringerung angesichts der veränderten Nutzung. Der 7. Senat hat demgegenüber für die Abwägung nachbarlicher Belange allein darauf abgestellt, ob die geänderte Nutzung im Vergleich zur bisherigen Nutzung nachteiligere Auswirkungen auf zumindest einen der durch die Abstandvorschriften geschützten nachbarlichen Belange hat. Wenn dies der Fall sei, müsse die Baugenehmigung in der Regel versagt werden (vgl. Beschluss vom 24. April 2001 - 7 B 1473/00 -, BauR 2001, 1407 = BRS 64 Nr. 128). Nach Rücksprache halten die Bausenate des Oberverwaltungsgerichts weder an der einen noch der anderen Rechtsansicht fest.

Maßgebend für die Prüfung, ob geringere Tiefen der Abstandflächen unter Würdigung nachbarlicher Belange gestattet werden können, ist eine letztlich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Abwägung der Interessen des Bauherrn an der geänderten Nutzung seines Vorhabens mit der Schutzbedürftigkeit der nachbarlichen Belange. In die Abwägung sind die im Einzelfall betroffenen Belange einzustellen und ist zu berücksichtigen, in welchen Maß die nachbarlichen Belange durch eine neue Nutzung beeinträchtigt werden und wie berechtigt das Interesse des Bauherrn daran ist, die Nutzungsänderung vorzunehmen, obwohl sie zu gewissen tatsächlichen Nachbarbeeinträchtigungen beiträgt. Für die Abwägung von Belang ist namentlich, ob der Nachbar mit einer vergleichbaren Nutzung rechnen oder ob sich umgekehrt der Bauherr darauf einstellen musste, dass der beabsichtigten Nutzungsänderung gewichtige Nachbarinteressen oder andere öffentlichrechtliche Vorschriften als die des Abstandflächenrechts entgegenstehen. Zusätzliche Faktoren können für die Abwägung nach Maßgabe des ihnen im Einzelfall zukommenden Gewichts von Bedeutung sein. Beispielsweise kann von Belang sein, in welchem Ausmaß die vorhandene Bausubstanz noch verwertbar ist, ob die beabsichtigte Nutzungsänderung einen städtebaulichen Missstand verfestigt oder ob eine Veränderung der Bausubstanz dergestalt möglich und zumutbar ist, dass den Anforderungen des Abstandflächenrechts genügt werden kann.

Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 17.90 -, a.a.O. (S. 385f.).

Dem Interesse des Beigeladenen an der genehmigten Nutzungsänderung stehen überwiegende Belange der Klägerin entgegen. Für die Interessenbewertung ist allerdings ohne Belang, ob die Nutzung. die geändert werden soll, noch "Bestandsschutz" genießt. § 6 Abs. 15 stellt darauf ab, dass ein Gebäude "besteht", also tatsächlich vorhanden ist, und nicht darauf, ob die früher einmal genehmigte Nutzung, die allerdings formell oder materiell legal aufgenommen worden sein muss,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2002 - 7 B 1603/01 -; Beschluss vom 24. März 2003 - 10 A 4687/02 -,

weiterhin ausgeübt wird. Ebenso wenig ist von Belang, dass das Gebäude grenzständig errichtet ist. Die Rechtsfolge des § 6 Abs. 15 BauO NRW ist auf eine im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde stehende Gestattung "geringerer Tiefen der Abstandflächen" gerichtet, ohne den Gestattungsspielraum auf eine Abstandfläche größer Null zu beschränken.

Zu Gunsten des Beigeladenen ist in die von § 6 Abs. 15 BauO NRW geforderte Abwägung einzustellen, dass die vorhandene Gebäudesubstanz - durch verhältnismäßig geringfügige bauliche Maßnahmen - geeignet ist, eine andere als die genehmigte Tischlereinutzung zu ermöglichen. Die Nachbarn konnten zudem nicht damit rechnen, dass die Gebäudesubstanz nach Aufgabe der Tischlerei keiner Nutzung mehr zugeführt werden würde. Ist eine Gebäudenutzung in nachbarverträglicher Weise möglich und gibt die Gebäudesubstanz eine Nutzungsänderung her, liegt die Annahme durchaus fern, der Bauherr werde nicht um eine wirtschaftlich mögliche Folgenutzung auch dann weiterhin bemüht bleiben, wenn die bisherige Nutzung seit Jahren eingestellt war (was hier einmal zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden kann). Zudem ist das Gebäude mit Zustimmung aller angrenzenden Nachbarn und zwar auch mit Zustimmung des Rechtsvorgängers der Klägerin im Grundeigentum, die sich die Klägerin zurechnen lassen muss, errichtet worden. Die Beeinträchtigung abstandflächenrechtlich relevanter Belange durch die in ihrem Ausmaß im Detail streitige Tischlereinutzung ist schließlich jahrzehntelang von den Nachbarn hingenommen worden.

Zum Nachteil des Beigeladenen ist zu berücksichtigen, dass er mit einer Folgenutzung der Tischlerei zu Wohnzwecken schon bei Errichtung des Gebäudes nicht rechnen konnte. Gemäß § 26 Abs. II b der Baupolizeiverordnung für die Stadt Q. vom 11. August 1928 war die Nordlage einer Wohnung in allen ihren Teilen verboten. Die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen hat an dieser Regelung der Sache nach festgehalten (vgl. § 60 Abs. 3 Satz 2 BauO NRW 1962; nunmehr § 49 Abs. 3 Satz 2 BauO NRW). Die Fenster des hier strittigen Gebäudes weisen nach Nordwesten. Eine Wohnung hat eine reine Nordlage, wenn die Außenwand der Wohnung zwischen Nordost und Nordwest ausgerichtet ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2001 - 7 A 815/01 -.

Ferner spricht die bauplanungsrechtliche Situation gegen die Fortsetzung einer Hauptnutzung im rückwärtigen Grundstücksbereich. In der maßgebenden näheren Umgebung, die durch das Straßengeviert N. straße /X. straße /K. -T. - Straße/R. weg gebildet wird, sind Hauptnutzungen ausschließlich straßennah vorhanden. Die rückwärtigen Grundstücksbereiche sind durch die Bebauung der näheren Umgebung nicht als überbaubare Grundstücksfläche geprägt. Die (frühere) Tischlerei ist relativ geringen Bauvolumens und daher nicht geeignet, ihrerseits die Umgebungsbebauung mit zu prägen. Auch ist der maßgebende Bereich nicht durch eine bauliche Hauptnutzung geprägt. Auf die frühere Tischlerei kommt es nicht an. Wird eine neue Nutzung (wie hier die Wohnnutzung) erkennbar nicht nur vorübergehend ausgeübt, ist der Bestandsschutz für die frühere Nutzung erloschen. Die frühere Nutzung hat in einem solchen Fall keinen Einfluss mehr auf den Gebietscharakter der Umgebung.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 1991 - 4 B 52.91 -, NVwZ 1991, 1075.

Erheblich ist aus Sicht des Senats letztlich Folgendes: Die Klägerin hat nicht damit rechnen müssen, dass die Nutzungsänderung der Tischlerei sich in nach außen bemerkbarer Weise auf solche Bereiche des Gebäudes erstreckt, die bei der erstmaligen Errichtung eines Gebäudes aus abstandrechtlichen Gründen von einer Überbauung freizuhalten wäre, obwohl es dem Beigeladenen durch verhältnismäßig geringfügige Änderungen seines Konzeptes möglich (gewesen) ist, diesen Bereich von einer nach außen bemerkbaren Nutzungsänderung auszunehmen. In einem Abstand von etwa 1 m zum Grundstück der Klägerin sieht die Baugenehmigung ein Fenster vor, dass der Belichtung eines Schlafzimmers dienen soll. Ohne weiteres ist es dem Beigeladenen auch möglich (gewesen), den doppelt so großen Wohnraum, der nach den von der Baugenehmigung umfassten Bauvorlagen in dem der Grenze zum Grundstück der Klägerin abgewandten Gebäudebereich eingerichtet werden soll, in den nordöstlichen Gebäudebereich zu verlegen und über ein Fenster außerhalb des abstandrelevanten Bereichs zu belichten. Dass dem Beigeladenen eine solche Anordnung möglich (gewesen) ist, ergibt sich bereits daraus, dass er selbst alle Fensteröffnungen des Gebäudes verändert, die Fensterzahl von sechs auf fünf reduziert und den Hauseingang in das Souterrain verlegt hat.

Die Gewichtung nachbarlicher Belange fällt zum Nachteil des Beigeladenen aus, obwohl die über das Fenster im grenznahen Bereich möglichen Einwirkungen auf das Grundstück der Klägerin verhältnismäßig geringfügig sind. Der Beigeladene weist zwar zu Recht darauf hin, dass zugunsten der Klägerin nur solche Beeinträchtigungen in die Interessenbewertung, ob eine Nutzungsänderung nach § 6 Abs. 15 BauO NRW genehmigt werden kann, einzustellen sind, deren Schutz mit den bauordnungsrechtlichen Abstandbestimmungen bezweckt ist. Nichts anderes ist hier der Fall, denn es geht hier um das von den Abstandbestimmungen geschützte Interesse an der Wahrung eines gewissen Sozialabstandes. Dieses Interesse wird berührt durch die Einwirkungen, die sich aus einer sichtbaren Wohnnutzung hinter dem über ein Fenster belichteten Schlafzimmer, die von dort ausgehenden Lichtimmissionen und auch aus den Einsichtnahmemöglichkeiten von einem Grundstücksbereich her ergeben, von dem aus mit derartigen Einwirkungen bislang nicht gerechnet werden musste. Das die Einsichtnahmemöglichkeiten derzeit im Hinblick auf die an der Grenze errichtete Thujahecke beschränkt sind, mindert das schutzwürdige Interesse der Klägerin, schließt es jedoch nicht aus. Der relativ geringfügigen Beeinträchtigung der Klägerin entspricht auf der anderen Seite, dass es der Beigeladene durch ebenso verhältnismäßig geringfügige Maßnahmen in der Hand (gehabt) hat, die Beeinträchtigungen der Klägerin auszuschließen und dies auch von vornherein berücksichtigt haben dürfte, hätte er die Nutzungsänderung erst nach Einholung der Baugenehmigung verwirklicht.

Erweist sich hier, dass dem Vorhaben des Beigeladenen entgegenstehende Belange der Klägerin im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung überwiegen, ist eine Ermessensentscheidung des Beklagten, dennoch geringere Tiefen der Abstandflächen zu gestatten, ausgeschlossen. Ob er dem Vorhaben andere, rechtlich geschützte Interessen der Klägerin nicht berührende öffentliche Belange entgegenhalten könnte, ist schon deshalb nicht zu prüfen.

Ferner bedarf keiner Entscheidung, ob die vom Beigeladenen durchgeführten baulichen Änderungen noch als geringfügig im Sinne von § 6 Abs. 15 BauO NRW anzusehen sind und ob sich die Klägerin gegenüber mehr als geringfügigen baulichen Änderungen auch dann auf eine Verletzung bauordnungsrechtlicher Abstandbestimmungen berufen könnte, wenn sie durch die baulichen Änderungen nicht in nachbarlichen Belangen berührt wird.

Für das Vorhaben des Beigeladenen kann keine Abweichung gemäß § 73 BauO NRW erteilt werden. § 6 BauO NRW erfasst in seinen Absätzen 13 bis 16 die Fallgruppen, die eine Abweichung rechtfertigen können, und stellt daher ein geschlossenen Regelungssystem dar, das einen Rückgriff auf § 73 BauO NRW ausschließt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Februar 2003 - 10 A 3666/99 -; Beschluss vom 23. Dezember 2003 - 7 B 223/04 -.

Eine atypische Grundstückssituation, die dennoch ausnahmsweise eine Abweichung erfordern könnte, ist nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 711 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.