OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.02.2004 - 19 B 1077/02
Fundstelle
openJur 2011, 28453
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 8 L 330/02
Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde und die Beschwerde werden verworfen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der mit Schriftsatz der früheren Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 4. Juni 2002 nach seinem klaren Wortlaut und auch nach der auf Zulassungsgründe bezogenen Begründung nur gestellte Antrag auf Zulassung der Beschwerde wird als unzulässig verworfen, weil gemäß § 146 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO in der Fassung der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987, gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80 a und 123 VwGO) allein das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Eine Umdeutung des unstatthaften Antrags auf Zulassung der Beschwerde in das zulässige Rechtsmittel der Beschwerde kommt zumindest bei anwaltlich vertretenen Rechtsmittelführern - wie hier - nicht in Betracht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1998 - 4 B 30.98 -, NVwZ 1998, 1297.

Die mit Schriftsatz des jetzigen Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 13. Februar 2003 - nicht nur klarstellend, sondern erstmalig - eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 2002 ist unzulässig, weil sie nach der Zustellung des mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen angefochtenen Beschlusses am 21. Mai 2002 nicht innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung, § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO, eingelegt worden ist. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO, also dafür, dass die Antragsteller ohne Verschulden verhindert waren, die Beschwerdefrist einzuhalten, sind nicht geltend gemacht oder sonst ersichtlich; es spricht nichts dafür, dass die früheren Prozessbevollmächtigten anstelle des fristgerechten Antrags auf Zulassung der Beschwerde nicht innerhalb der Frist die Beschwerde einlegen konnten. Ein Verschulden der früheren Prozessbevollmächtigten müssen sich die Antragsteller gemäß § 173 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Die Beschwerde kann aber - ihre Zulässigkeit unterstellt - auch in der Sache keinen Erfolg haben.

Entgegen der Annahme der Antragsteller, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 69 AuslG seien verfehlt, hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint, dass eine Abschiebung des Antragstellers zu 1. im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG deshalb aus rechtlichen Gründen unmöglich ist, weil sein Aufenthalt auf Grund des Antrags vom 11. Januar 2002 nach § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG als geduldet oder nach § 69 Abs. 3 Satz 1 als erlaubt gelte. Der Antragsteller zu 1. ist am 3. Juli 2001 mit einem für die Zeit vom 1. bis 30. Juli 2001 gültigen Besuchsvisum (Schengen-Visum) in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist und sein bei der Ausländerbehörde in Frankfurt am Main gestellter Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung vom 25. Juli 2001 ist mit seit dem 19. November 2001 bestandskräftiger Verfügung vom 12. Oktober 2001 unter Androhung der Abschiebung abgelehnt worden; nach Eheschließung mit der Antragstellerin zu 2., einer deutschen Staatsangehörigen, am 13. Dezember 2001 hat er unter dem 11. Januar 2002 erneut einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Eine Fiktionswirkung wegen der erneuten Antragstellung ist ungeachtet sonstiger Ausschlussgründe schon nach § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 69 Abs. 3 Satz 3 AuslG deshalb nicht eingetreten, weil der Antragsteller zu 1. auf Grund eines sonstigen Verwaltungsakts, nämlich der Verfügung der Ausländerbehörde in Frankfurt am Main vom 12. Oktober 2001, ausreisepflichtig und noch nicht ausgereist ist.

Der Einwand der Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Antragsteller zu 1. einen gebundenen Rechtsanspruch auf Erteilung einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis habe, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sei nach seiner Einreise möglich, so dass seine Ausreise nicht verlangt werden könne, geht fehl. Allein das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - hier nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 17 Abs. 1 AuslG wegen der am 13. Dezember 2001 erfolgten Eheschließung - begründet grundsätzlich noch keinen Duldungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG. Zudem steht entgegen der Ansicht der Antragsteller der Erteilung der zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 17 Abs. 1 AuslG) beantragten Aufenthaltserlaubnis vor der Ausreise des Antragstellers zu 1. (jedenfalls) der besondere Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG entgegen, wonach die Aufenthaltsgenehmigung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz versagt wird, wenn der Ausländer mit einem Visum eingereist ist, das auf Grund seiner Angaben im Visumsantrag ohne erforderliche Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde erteilt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der nach § 3 Abs. 1 AuslG, § 1 DVAuslG uneingeschränkt visumspflichtige Antragsteller zu 1. ist am 3. Juli 2001 mit einem von der Botschaft Ankara der Bundesrepublik Deutschland am 19. Juni 2001 erteilten, vom 1. bis 30. Juli 2001 gültigen Besuchsvisum eingereist. Auf Grund der Beschränkung des Visums auf einen Besuchsaufenthalt für maximal 30 Tage ist davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1. bei der Beantragung des Visums entsprechende Angaben gemacht hat, zumal er unwidersprochen gelassen hat, dass nach den Ausführungen in der Verfügung der Ausländerbehörde in Frankfurt am Main vom 12. Oktober 2001 "Schengen-Visa" durch die Auslandsvertretungen nach den entsprechenden Angaben der Antragsteller erteilt werden sollen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu 1. im Visumsantrag weitergehende Angaben zu Dauer und Zweck seines beabsichtigten Aufenthalts in Deutschland gemacht hat, sind nicht angeführt worden und nicht ersichtlich. Auf Grund der Angaben im Visumsantrag ist das Visum vom 19. Juni 2001 ohne die vorherige Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde erteilt worden, die nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG erforderlich ist, wenn der Ausländer sich länger als 3 Monate im Bundesgebiet aufhalten will. Der Antragsteller zu 1. bedurfte aber einer nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AuslG vor der Einreise einzuholenden Aufenthaltsgenehmigung in der Form des Sichtvermerks (Visum), für die nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG die vorherige Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde erforderlich war, weil er sich entgegen seinen Angaben im Visumsverfahren von vornherein länger als 3 Monate im Bundesgebiet aufhalten wollte. Er hat damit, wie nach dem Zweck des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an einen Ausländer zu verhindern, der sich den Aufenthalt durch Täuschung über seine wahren Absichten erschleichen will, für die Anwendung der Vorschrift zu verlangen ist,

vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1996 - 1 C 41.93 -, NVwZ 1997, 189 (190),

unzutreffende Angaben über Zweck bzw. Dauer des beabsichtigten Aufenthalts im Bundesgebiet gemacht. Hierfür spricht die gesetzliche Vermutung nach § 71 Abs. 2 Satz 2 AuslG, dass schon im Zeitpunkt der Einreise das Visum zustimmungspflichtig war. Diese gesetzliche Vermutung haben die Antragsteller nicht mit der in der Begründung vom 4. Juni 2002 angesprochenen, im erstinstanzlichen Verfahren im Einzelnen vorgetragenen Behauptung und ihrer hierzu abgegebenen eidesstattlichen Versicherung vom 18. April 2002 widerlegt, sie hätten sich erst nach der Einreise des Antragstellers zu 1. entschlossen zu heiraten, vorher sei eine Heirat überhaupt nicht geplant gewesen, zumal sie nicht gewusst hätten, dass es für sie möglich sei, in Deutschland zu heiraten. Die gesetzliche Vermutung nach § 71 Abs. 2 Satz 2 AuslG ist nur dann widerlegt, wenn der Ausländer einen nach der Einreise eingetretenen Sinneswandel zu Dauer bzw. Zweck des Aufenthalts unter Darlegung plausibler Umstände glaubhaft macht. Dafür reicht die bloße, nicht durch objektiv fassbare und überprüfbare äußere - besondere - Umstände gestützte Behauptung eines Sinneswandels nicht aus.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. November 2001 - 18 B 242/01 -, NWVBl 2002, 183 (184) und 14. Dezember 1993 - 18 B 628/93 -, InfAuslR 1994, 138 (138 f.); VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. Februar 1992 - 13 S 2608/91 -, InfAuslR 1992, 352 (354), jeweils m.w.N.

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Antragsteller auch in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 18. April 2002 nicht. Sie haben keine besonderen objektiv fassbaren und plausiblen Umstände angeführt, die ihre Behauptung, sie hätten sich erst nach der Einreise des Antragstellers zu 1. entschlossen zu heiraten, stützen könnten. Lebensfremd und damit unplausibel ist die Behauptung, sie hätten von der Möglichkeit, in Deutschland die Ehe zu schließen, nicht gewusst, weshalb sich die Antragstellerin zu 2. zunächst unverbindlich beim Standesamt B. -F. hierzu erkundigt habe. Denn dass eine deutsche Staatsangehörige vor einem deutschen Standesamt einen Ausländer ehelichen kann, ist als allgemein - und damit auch zumindest bei der Antragstellerin zu 2. - bekannt vorauszusetzen; besondere Anhaltspunkte dafür, dass dies bei der Antragstellerin zu 2. nicht der Fall war, sind nicht aufgezeigt worden, zumal sie nach ihrem Vorbringen den Antragsteller zu 1. vor der Einreise am 3. Juli 2001 seit längerem kannte und von ihm besucht worden war. Zudem haben die Antragsteller nicht dargelegt, wann genau sich die Antragstellerin zu 2. angeblich beim Standesamt nach der Möglichkeit der Eheschließung erkundigte. Insbesondere ist nichts dafür angeführt worden, das dies vor dem 25. Juli 2001 geschehen sein soll. Zu diesem Zeitpunkt war der Heiratsentschluss bereits gefasst; hiervon ist deshalb auszugehen, weil der Antragsteller zu 1., wie in der erstinstanzlichen Antragsschrift vorgetragen, unter dem 25. Juli 2001 - und damit bereits etwa 3 Wochen nach der Einreise - bei der Ausländerbehörde in Frankfurt am Main die "Verlängerung des Visums zwecks Eheschließung mit der Antragstellerin zu 2." beantragte. Dieser Umstand verstärkt die gesetzliche Vermutung, dass das Visum zustimmungspflichtig war, weil der Antragsteller zu 1. von vornherein einen Daueraufenthalt anstrebte. Die sonstigen Angaben in der eidesstattlichen Versicherung vermögen Gegenteiliges nicht glaubhaft zu machen. Soweit sie den Eindruck erwecken sollen, dass Klärung und Vorbereitung der Eheschließung etwa ab November 2001 erfolgt seien und erst in diesem Zusammenhang der Entschluss zur Eheschließung gereift sei, widersprechen sie dem Zweck des Antrags vom 25. Juli 2001, sind sie also gänzlich unplausibel. Unzutreffend ist schließlich die Behauptung der Antragsteller, im Zusammenhang mit der beabsichtigten Eheschließung hätten sie das Visum durch Rechtsanwalt X. am 16. November 2001 verlängern lassen. Es kann ausgeschlossen werden, dass die Ausländerbehörde nach Erlass der Verfügung vom 12. Oktober 2001 das Visum des Antragstellers noch verlängert hat. Im Übrigen ist das Visum auch zuvor nicht bis zum 16. November 2001 verlängert worden; vielmehr hat die Ausländerbehörde in Frankfurt am Main am 17. August 2001 durch Eintrag im Pass des Antragstellers zu 1. auf dessen Antrag vom 25. Juli 2001 mit Gültigkeit bis zum 16. November 2001 lediglich bescheinigt, dass dessen Aufenthalt gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG vorläufig als geduldet gelte.

Insofern trifft auch der im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Einwand der Antragsteller nicht zu, wegen der Verlängerung des Visums greife der Versagungsgrund nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht ein. Auch aus der Bescheinigung der Duldungsfiktion vom 17. August 2001 kann nicht hergeleitet werden, dass damit die Rechtsfolge des § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG ausgeschlossen und abschließend festgestellt worden ist, dass der Antragsteller zu 1. nicht unerlaubt, also nicht ohne das erforderliche Visum im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG in das Bundesgebiet eingereist sei. Die Bescheinigung der Duldungsfiktion hat nämlich keine konstitutive rechtliche, sondern nur tatsächliche Bedeutung.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Oktober 1994 - 18 B 4561/92 -.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist der besondere Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht durch die auf Ansprüche aus § 23 Abs. 1 AuslG nach Abs. 3 entsprechend anwendbare Vorschrift des § 17 Abs. 5 AuslG ausgeschlossen, wonach die Aufenthaltserlaubnis auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz versagt werden kann, wenn u. a. ein Ausweisungsgrund vorliegt. Entgegen der Auffassung des

OVG M.-V., Beschluss vom 20. September 1996 - 2 M 11/96 -, NVwZ-RR 1997, 256, und des VG Gera, Gerichtsbescheid vom 20. November 1997 - 4 K 1179/97 GE -, InfAuslR 1998, 107,

normiert § 17 Abs. 5 AuslG keine generelle, auch § 8 AuslG erfassende Beschränkung der Versagungsgründe. Weder nach Wortlaut, systematischer Stellung im Gesetz noch nach Sinn und Zweck kommt der speziell auf Familiennachzugsfälle bezogenen Vorschrift eine derart weit reichende, die allgemeinen Versagungsgründe des § 8 AuslG verdrängende Wirkung dahin zu, dass eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft (§ 17 Abs. 1 AuslG) nur bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach Ermessen versagt werden dürfte. Im Gegenteil gilt § 8 AuslG nach Wortlaut und systematischer Stellung für alle Arten der Aufenthaltsgenehmigung; die besonderen Versagungsgründe des § 8 Abs. 1 AuslG finden danach auch auf Ansprüche ausländischer Ehegatten von Deutschen Anwendung. § 17 Abs. 5 AuslG trifft nur eine die gesetzlichen Versagungsgründe ergänzende Regelung. Der Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 GG verlangt auch in den hier interessierenden Fällen des Verstoßes gegen die Visumspflicht die angesprochene weit reichende Auslegung des § 17 Abs. 5 AuslG nicht. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG und damit die Verweisung auf die Einholung des erforderlichen Visums vom Heimatstaat aus ist, wie noch ausgeführt wird, mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar. Zudem kann nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG, § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG die Aufenthaltserlaubnis unter den dort geregelten Voraussetzungen nach der Einreise ohne Verweisung auf das Sichtvermerksverfahren erteilt werden. Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 6. Januar 2003 - 13 ME 28/03 -, NVwZ-Beilage I 6/2003, 43 (44); Thür. OVG, Beschluss vom 5. November 1998 - 3 ZEO 954/98 -, im Ergebnis auch Sächs. OVG, Beschluss vom 24. September 2001 - 3 BS 115/01 - und OVG Berlin, Beschluss vom 13. Februar 1996 - 7 S 5.95 -; ferner Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländer- recht,§ 17 AuslG, Rdnr. 62.

Der Einwand, der Antragsteller zu 1. habe einen auf eine Duldung führenden gebundenen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, dringt danach nicht durch. Auch ist für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens - hier des mit Antrag vom 11. Januar 2002 eingeleiteten Verfahrens - die Erteilung einer Duldung zur Durchsetzung des geltend gemachten Genehmigungsanspruchs im Interesse der Vermeidung einer Umgehung des gesetzlichen Ausschlusses der Fiktionswirkung prinzipiell ausgeschlossen, wenn - wie hier - ein vorläufiges Bleiberecht auf Grund der Duldungs- oder Erlaubnisfiktion des § 69 AuslG nicht eingetreten ist. Etwas anderes gilt jedoch zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), wenn nur mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung ihrem Sinn und Zweck nach dem begünstigten Personenkreis zugute kommt.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Januar 2004 - 19 B 1394/02 -, 26. November 2001, a.a.O. und 20. April 1999 - 18 B 1338/97 -, InfAuslR 1999, 449 (450); ferner VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10. März 2000 - 13 S 1026/99 -, InfAuslR 2000, 378 (379 f.).

Als ausländerrechtliche Regelungen, die hier eine dem Antragsteller zu 1. günstige, vom Bundesgebiet aus vor einer Ausreise durchsetzbare und durch eine Abschiebung vereitelte Rechtsposition im Hinblick auf die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis begründen könnten, kommen § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG und § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG in Betracht. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG kann ein Ausländer die Aufenthaltserlaubnis zu dem in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck nach der Einreise einholen, wenn er sich rechtmäßig, geduldet oder gestattet nach § 55 Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet aufhält und nach seiner Einreise u. a. durch Eheschließung im Bundesgebiet einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erworden hat. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG kann die Aufenthaltsgenehmigung abweichend von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung nach diesem Gesetz offensichtlich erfüllt sind. Zur Sicherung der Rechte in Bezug auf die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis vor Verlassen des Bundesgebiets bedarf es im vorliegenden Fall nicht des Erlasses einer einstweiligen Anordnung; die genannten Vorschriften kommen nämlich dem Antragsteller zu 1. nicht zugute, weil die Voraussetzungen nicht vorliegen oder im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht werden können.

Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG liegen im Zeitpunkt dieser Beschlussfassung,

vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2001, a.a.O.,

nicht vor, weil sich der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller zu 1., was hier allein in Betracht kommen könnte, nicht geduldet im Bundesgebiet aufhält. Der Antragsgegner hat ihm eine Duldung nicht erteilt; das zeitweilige Nichtdurchsetzen der Ausreisepflicht ist, wovon nach Aktenlage auszugehen ist, aus Anlass des vorliegenden Rechtsschutzverfahrens erfolgt und endet prinzipiell mit dessen Abschluss in Folge dieser Entscheidung des Senats. Sein Aufenthalt ist auch nicht nach § 9 Abs. 2 Satz 2 DVAuslG als geduldet zu behandeln, weil sowohl die Ausreisepflicht jedenfalls in Folge der Verfügung vom 12. Oktober 2001 (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AuslG) als auch darin enthaltene Abschiebungsandrohung vollziehbar sind.

Zu § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG kann dahin stehen, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG offensichtlich erfüllt sind. Auf diese Anspruchsnorm kann sich der Antragsteller zu 1. nach § 71 Abs. 2 Satz 1 AuslG im Rahmen von Rechtsbehelfen vor der Ausreise und daher nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch im vorliegenden Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2001, a.a.O., S. 185; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 12. März 1992 - 4 M 25/92 -, InfAuslR 1992, 125 (126); Renner, Ausländerrecht, 7. A., § 71 AuslG, Rdnr. 8,

nicht berufen. Gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 AuslG können gegen die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung u. a. nach § 8 AuslG vor der Ausreise des Ausländers Rechtsbehelfe nur darauf gestützt werden, dass der Versagungsgrund nicht vorliegt. Die Vorschrift dient der effektiven Durchsetzung der Visumspflicht als dem gesetzlichen Instrument der Zuwanderungskontrolle, die im Wesentlichen darauf beruht, die materiellen Fragen des Aufenthaltsrechts vor der Einreise des Ausländers zu prüfen und zu entscheiden, ferner der rechtlichen Gleichbehandlung aller visumspflichtigen Ausländer und der Straffung und Beschleunigung der Widerspruchs- und Gerichtsverfahren durch Konzentration der Prüfung auf die allein entscheidungserhebliche Frage nach dem Vorliegen des Versagungsgrundes. In Fällen der vorliegenden Art schließt der Verstoß gegen die Visumspflicht durch Täuschung der Einreisebehörde über Aufenthaltszweck und -dauer auch bei offensichtlichem Vorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen im Rechtsbehelfsverfahren vor der Ausreise den Einwand des Ausländers aus, er könne die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung nach der Einreise abweichend von dem gesetzlichen Versagungsgrund beanspruchen. Die darin liegende Erschwerung des Rechtsschutzes ist aus den vorgenannten Gründen sachlich gerechtfertigt und mit Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Dem Schutz von Ehe und Familie gegenüber der Durchsetzung der Ausreisepflicht zur Durchführung des Visumsverfahrens kann, soweit erforderlich, durch Gewährung von Abschiebungsschutz in Form einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG Rechnung getragen werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2001, a.a.O., S. 185 f., m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. Juli 1992 - 1 S 881/92 -, InfAuslR 1993, 14 (15); ferner Begründung zum Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts, BT-Drs. 11/6321, S. 81.

Dem Antragsteller zu 1. steht aus den im Schriftsatz vom 4. Juni 2002 dargelegten Gründen Abschiebungsschutz nach Art. 6 GG nicht zu. Diese ergeben nicht, dass seine Abschiebung mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG) im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG rechtlich unmöglich sei.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,

vgl. nur Beschluss vom 22. Dezember 2003 - 2 BvR 2108/00 -, m. w. N.,

gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Dies gilt auch bei Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer/einem deutschen Staatsangehörigen. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die ehelichen und familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den (weiteren) Aufenthalt des Ausländers seine ehelichen und familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Bei der erforderlichen Abwägung aller im Einzelfall für und gegen den weiteren Aufenthalt sprechenden Gesichtspunkte kommt es unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter anderem darauf an, ob die Folgen der Beendigung des Aufenthalts im Hinblick auf die schutzwürdigen ehelichen und familiären Verhältnisse nicht hinnehmbar sind.

Vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 21. Mai 2003 - 1 BvR 90/03 -, NJW 2003, 3547 (3547), und 25. Oktober 1995 - 2 BvR 901/95 -, DVBl 1996, 195 (195); BVerwG, Urteil vom 27. August 1996 - 1 C 8.94 -, BVerwGE 102, 12 (16 ff.); OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2000 - 19 B 1685/99 -, jeweils m. w. N.

Im vorliegenden Fall ist aus den im Schriftsatz vom 4. Juni 2002 dargelegten Gründen die Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers zu 1. mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nicht unvereinbar und damit seine Abschiebung nicht im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG rechtlich unmöglich.

Der Antragsteller zu 1. ist aus den vorstehenden Gründen ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet eingereist. Der Grundrechtsschutz aus Art. 6 GG verpflichtet grundsätzlich nicht - ebenso wenig wie Art. 8 EMRK - dazu, sichtvermerkspflichtige Ausländer von den gesetzlich vorgeschriebenen, verfassungsrechtlich unbedenklichen Erfordernissen für Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet freizustellen, und hindert daher grundsätzlich nicht, ohne das erforderliche Visum eingereiste Ausländer im Wege der Durchsetzung der Ausreisepflicht darauf zu verweisen, zur Herstellung der ehelichen oder der familiären Lebensgemeinschaft in Deutschland vom Heimatstaat aus ein Visum zu beantragen.

Vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 1. Juli 2002 - 2 BvR 843/02 - und 7. November 1984 - 2 BvR 1299/84 -, NVwZ 1985, 260; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19.96 -, InfAuslR 1998, 213 (217) und Beschlüsse vom 18. Dezember 1995 - 1 B 152.95 -, InfAuslR 1996, 137 und 31. August 1984 - 1 B 99.84 -, BverwGE 70, 54 (56).

Dem Antragsteller zu 1. ist danach auch in Abwägung mit dem Grundrechtsschutz aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG grundsätzlich zumutbar, auszureisen und den gesetzlichen Vorschriften entsprechend vom Ausland aus das erforderliche Visum für eine Wiedereinreise in das Bundesgebiet einzuholen. Für eine Ausnahme davon bestehen unter Berücksichtigung der Darlegungen im Schriftsatz vom 4. Juni 2002 schon deshalb keine hinreichenden Anhaltspunkte, weil die Antragsteller, wie ausgeführt, bereits vor der Einreise des Antragstellers zu 1. die Absicht hatten zu heiraten. Der Antragsteller zu 1. hätte deshalb ohne Weiteres auf diesen Gesichtspunkt im damaligen Sichtvermerksverfahren hinweisen können.

Allerdings kann im Einzelfall ein der Abschiebung entgegen stehendes rechtliches Hindernis vorliegen, wenn auf Grund besonderer Umstände schon eine kurzfristige Trennung der Eheleute unverhältnismäßig wäre. Anhaltspunkte dafür, dass solche besonderen Umstände vorliegen, haben die Antragsteller zwar durch die mit Schriftsätzen vom 22. Juli und 22. August 2002 sowie vom 22. Januar und 3. Juli 2003 vorgelegten Bescheinigungen von Ärzten u. a. für Psychiatrie vorgetragen, wonach - so die Bescheinigungen vom 21. Januar und 30. Juni 2003 - die Antragstellerin zu 2. unter einer schweren psychischen Erkrankung leidet, der ständigen Anwesenheit des Antragstellers zu 1. bedarf und bei einer auch nur vorübergehenden Trennung in die große Gefahr einer plötzlichen akuten depressiven Krise und einer akuten Suizidalität geraten würde. Diese fachärztlichen Aussagen werden durch das Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung gemäß der Stellungnahme vom 26. November 2002 nicht erschüttert. Die Antragsteller sind aber, wenn sie wegen der nach Ablauf der Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgetragenen Erkrankung der Antragstellerin zu 2. gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, auf einen Abänderungsantrag an das Verwaltungsgericht verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).