Keine Zukunft für frei dokumentierte Rechtsprechung?

In wenigen Monaten wird die gemeinnützige Rechtsprechungsdatenbank openJur 15 Jahre alt und trotzdem könnte dies der letzte Jahrestag von openJur werden. Am 11.08.2023 wurde uns eine Klage zugestellt - die erste gerichtliche Auseinandersetzung seit der Gründung von openJur - und sie dürfte nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft von openJur haben, sondern auch über die generelle Möglichkeit zur freien Dokumentation von Rechtsprechung in Deutschland und Nutzung amtlicher Informationen entscheiden.

Grundsätzlich muss man dafür verstehen wie wir Rechtsprechung dokumentieren: Wir erhalten Entscheidungen sowohl aus den amtlichen Datenbanken der Länder, direkt von den Gerichten und von Verfahrensbeteiligten oder Dritten. Der jetzige Streit betrifft einzig die bereits in amtlichen Datenbanken veröffentlichten Entscheidungen, also solche Entscheidungen, die das Gericht selbst anonymisiert und die in der Regel von einem Dienstleister für die Justiz des Landes in die amtliche (oft vom jeweiligen Justizministerium verantwortete) Datenbank eingestellt wurden.

Worum geht es?

Der streitgegenständliche Beschluss eines Verwaltungsgerichts, der zuerst in der amtlichen Datenbank des Bundeslandes veröffentlicht und dann in openJur übernommen wurde, betraf den Streit mit einem Versorgungswerk und enthielt innerhalb der Begründung den Namen der betroffenen Person. Im Auftrag dieser Person, vertreten von Lambsdorff Rechtsanwälte aus Berlin, wurde die Betreiberin der Datenbank zuerst abgemahnt und nun vor dem Landgericht Hamburg verklagt (324 O 278/23).

Im Kern geht es um die Frage, ob openJur für diese durch die Gerichte veröffentlichten Entscheidungen haftet und openJur insoweit eine proaktive Prüfungspflicht auf etwaige Anonymisierungsfehler obliegt.

Im konkreten Fall hatte der jetzige Kläger vorgerichtlich nicht nur Beseitigung, sondern auch Unterlassung, Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 und 2 DSGVO und Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nach einem Streitwert von 25.000€ verlangt.

Die Beseitigung der Namensnennung hat die Betreiberin binnen 20 Minuten nach Eingang der Abmahnung vom 5.5.2023 um 18:07 Uhr vorgenommen. Am selben Abend erfolgte noch eine Antwort sowie der Verweis auf die Datenschutzinformationen hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Rechtsprechungsdokumentation (https://openjur.de/i/infp_daten.html). Die weiteren Ansprüche hat die Betreiberin zurückgewiesen, da aus ihrer Sicht keine Erstbegehungs- und/oder Wiederholungsgefahr für einen entsprechenden Unterlassungsanspruch besteht und ein Kostenerstattungsanspruch ebenfalls nicht besteht.

Im Gerichtsverfahren fordert der Kläger nunmehr Unterlassung, Auskunft, Schadensersatz in Höhe von mehreren Tausend Euro sowie Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Alleine dieses Verfahren birgt für openJur in erster Instanz ein finanzielles Risiko von nahezu 13.000€, damit könnte der technische Betrieb der Datenbank mehr als fünf Jahre gewährleistet werden.

Was sind die Risiken?

Würde das Landgericht im Ergebnis dazu kommen, dass openJur für diese amtlichen Veröffentlichungen haftet oder openJur für amtliche Veröffentlichungen eine proaktive Prüfungspflicht obliegt, so wäre der weitere Betrieb von openJur nicht nur mit einem nicht mehr aufzubringenden Prüfungsaufwand (bei einem jährlichen Entscheidungsvolumen im fünfstelligen Bereich), sondern auch mit nicht kalkulierbaren finanziellen Risiken verbunden. Insoweit wäre der weitere Betrieb der Datenbank aus heutiger Sicht unmöglich.

Helfen Sie uns Rechtsprechung zu dokumentieren!

Wenn Sie uns in diesem Verfahren unterstützen möchten, können Sie uns gerne eine Spende zukommen lassen. Wir freuen uns über jede Form der Unterstützung!

Bei Fragen wenden Sie sich gerne an post@openjur.de.