LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.01.2003 - L 5 KR 159/02
Fundstelle
openJur 2011, 26875
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 8 KR 199/01
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.07.2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einer wasserfesten Prothese (Schwimmprothese).

Der 1963 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Bei ihm musste im September 1999 der rechte Unterschenkel amputiert werden. Im Zusammenhang mit der orthopädischen Versorgung mit einer Prothese beantragte er zusätzlich die Gewährung einer Schwimmprothese. Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), der in seiner Stellungnahme vom 21.12.1999 der vorgeschlagenen Versorgung mit der Unterschenkelprothese zustimmte, eine Schwimmprothese dagegen unter Hinweis auf eine Stellungnahme der Orthopädischen Versorgungsstelle beim Versorgungsamt Dortmund ablehnte. Der Kläger hatte sich anlässlich des Sprechtages am 15.12.1999 bei der Orthopädischen Versorgungsstelle vorgestellt. Dr. K ... führte insoweit unter dem 17.12.1999 aus, eine Schwimmprothese sei nicht indiziert. Für Duschvorgänge oder beim Schwimmen empfehle er den Xero-Sox-Beinschutz. Dabei handelt es sich um einen Beinschutz, der wie ein Strumpf über die betroffene Stelle gezogen wird und durch ein sodann erzeugtes Vakuum absolut wasserdicht abschließt. Mit Schreiben vom 03.01.2000 teilte die Beklagte unter Hinweis auf diese Stellungnahme dem Kläger mit, die Notwendigkeit einer wasserfesten Unterschenkelprothese sei nicht erkennbar, zur Versorgung mit einem Xero-Sox-Beinschutz werde um Übersendung einer entsprechenden ärztlichen Verordnung gebeten.

Unter Vorlage einer erneuten Verordnung einer Schwimmprothese durch den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B ... sowie eines Kostenvoranschlages eines Sanitätshauses (Kosten insgesamt 3.809,39 DM) beantragte der Kläger im November 2000 erneut die Versorgung mit einer Schwimmprothese. In der von der Beklagten eingeholten Stellungnahme wies der MDK (Dr. B ...) auf die Ausführungen der Orthopädischen Versorgungsstelle vom 17.12.1999 hin. Mit Bescheid vom 23.11.2000 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe die Versorgung mit Xero-Sox schon versucht, in der Praxis habe sich herausgestellt, dass dieses Mittel für ihn ungeeignet sei. Es sei für ihn außerordentlich entwürdigend, in der Schwimmhalle den Schutz an- und wieder auszuziehen. Er werde dabei von anderen Besuchern "begafft", insoweit drohten vor dem Hintergrund seiner psychischen Erkrankung psychosomatische Beschwerden. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger unter Hinweis auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren geltend gemacht, die Versorgung mit einem Xero-Sox sei für ihn unzumutbar. Die begehrte Versorgung stelle keine Überversorgung dar und verstoße auch nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsverbot. Vielmehr sei die Ausstattung mit der Badeprothese eine notwendige Maßnahme zur Sicherung der Körperpflege, denn bei der Benutzung der Dusche sei er auf eine wasserfeste Prothese angewiesen. Im Übrigen sei der MDK nicht befugt, in die ärztliche Behandlung des Dr. B ... einzugreifen.

Mit Urteil vom 22.07.2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zwar komme auch eine Schwimmprothese als Hilfsmittel i.S.d. Krankenversicherungsrechts in Betracht. Mit dem Xero-Sox stehe dem Kläger aber ein Hilfsmittel zur Verfügung, das eine ausreichende und zweckmäßige Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleiste. Etwaige psychische Folgen seien nicht geeignet, die Versorgung mit einer Schwimmprothese zu begründen; insofern erscheine eher eine ärztliche Behandlung angezeigt. Zudem sei nicht nachvollziehbar, dass die psychische Belastung bei schon vorhandener prothetischer Versorgung durch die Verwendung der Xero-Sox sich vergrößere.

Gegen das ihm am 09.08.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.08.2002 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er seinen bisherigen Vortrag und meint weiterhin, die alternative Versorgung mit einem Xero-Sox stelle keinen ausreichenden Ausgleich seiner Behinderung dar.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.07.2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2001 zu verurteilen, ihm eine Schwimmprothese zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Versorgung mit einer Schwimmprothese.

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ((SGB V) in der seit 01.07.2001 geltenden Fassung) haben Versicherte Anspruch u.a. auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Die letztgenannten Ausschlussgründe liegen nicht vor. Eine Schwimmprothese ist kein in der nach § 34 Abs. 2 SGB V erlassenen Verordnung vom 13.12.1989 (BGBl. I, 2237) ausgeschlossenes Hilfsmittel. Sie ist auch - was keiner näheren Begründung bedarf - speziell für die Bedürfnisse behinderter Personen konstruiert und wird auch nur von diesem Personenkreis benutzt, so dass es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 33).

Die Schwimmprothese ist aber nicht erforderlich, um die Behinderung des Klägers auszugleichen. Er benötigt wegen der Unterschenkelamputation rechts zwar eine Unterschenkelprothese, nicht aber die beantragte Schwimmprothese.

Soweit - wie hier - ein Hilfsmittel die ausgefallene oder beeinträchtige Organfunktion nur mittelbar ersetzt, erstreckt sich die Leistungspflicht der Krankenkasse nur auf solche Mittel, deren Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 32; zuletzt BSG Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R -). Nach dieser Rechtsprechung gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums.

Soweit es um den Einsatz der Schwimmprothese (als wasserfester Gehhilfe) beim Duschen geht, ist zwar ein Grundbedürfnis - die Körperpflege - berührt. Insoweit ist jedoch der vorhandene Xero-Sox-Beinschutz das kostengünstigere und damit wirtschaftlichere Mittel, eine Schwimmprothese ist daher nicht erforderlich. Der Beinschutz ist nach der Herstellerangabe mit einem Antirutschbelag versehen, so dass die erforderliche Standsicherheit unter der Dusche gewährleistet ist. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass die vom Kläger genannten Gründe für die behauptete Unzumutbarkeit des Einsatzes des Xero-Sox im häuslichen Bereich nicht gelten.

Soweit der Kläger die Schwimmprothese für den Besuch von Badeanstalten fordert, erscheint fraglich, ob insoweit ein Grundbedürfnis i.S.d. zitierten Rechtsprechung berührt ist. Das hier in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" hat die neuere Rechtsprechung nur i.S. eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht i.S.d. vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 31; BSG, Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 3/02 R -). Zwar hat das BSG im Urteil vom 10.10.1979 (USK 79 189) eine Schwimmprothese als Hilfsmittel i.S.d. Krankenversicherungsrechts angesehen, weil das Schwimmen zur Befriedigung von Grundbedürfnissen diene, die dem gesundheitlichmedizinischen Bereich zuzuordnen seien. In dieser Entscheidung geht das BSG allerdings davon aus, dass das Schwimmen zu den Grundbedürfnissen zähle, weil Beinamputierten körperliche Betätigungen, die zur Vermeidung einer Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse erforderlich seien wie z.B. das Wandern, verschlossen seien. Dieser Begründung liegt also die Annahme zugrunde, dass auch nicht gezielt der Krankenbehandlung dienende Maßnahmen, sondern der allgemeinen Gesundheitserhaltung ("Fitness") zuzurechnende Aktivitäten wie das Wandern (oder Schwimmen) zu den im Rahmen der Krankenversicherung relevanten Grundbedürfnissen zählen. Von dieser Auffassung hat sich aber die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung gelöst. Das BSG weist vielmehr in seiner Entscheidung vom 21.11.2002 (a.a.O.) nochmals ausdrücklich darauf hin, dass ebensowenig wie das Radfahren Freizeitbeschäftigungen wie Wandern, Dauerlauf, Ausflüge und ähnliches zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zählen. Gleiches gilt für eine sportliche Aktivität wie das Schwimmen, so dass kein Anspruch eines Behinderten auf ein Hilfsmittel besteht, um diese Aktivität zu ermöglichen.

Unabhängig davon wäre eine Schwimmprothese auch nicht erforderlich, weil auch insoweit der Xero-Sox-Beinschutz als wirtschaftlichere Alternative in Betracht kommt. Aus körperlichen Gründen ist eine Schwimmprothese nicht erforderlich, wie Dr. K ... festgestellt hat. Auch gegen die grundsätzliche Eignung des Xero-Sox hat der Kläger keine substantiierten Einwände vorgebracht. Für die vom Kläger behaupteten psychischen Belastungen beim Gebrauch des Xero-Sox gibt es keine objektiven Anhaltspunkte. Der Kläger hat den Beinschutz nach eigenem Bekunden nur ein einziges Mal getragen. Das Sozialgericht hat auch zu Recht darauf hingewiesen, es sei nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass die psychische Belastung durch den Xero-Sox über die ohnehin aufgrund der prothetischen Versorgung bestehende Belastung hinausgehe. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger den Beinschutz auch in dem vor Einblicken weitgehend geschützten Umkleide- oder Duschbereich eines Schwimmbades an- und ausziehen kann, so dass sich das Problem des "Gaffens" anderer Schwimmbadbesucher insoweit nicht stellen würde. Dass der Kläger unterschenkelmaputiert ist, fällt auch beim Tragen einer wasserfesten Gehhilfe auf, so dass nicht erkennbar ist, inwiefern der Xero-Sox-Beinschutz eine zusätzliche Belastung darstellen soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.