OLG Hamm, Urteil vom 18.03.2002 - 6 U 115/01
Fundstelle
openJur 2011, 21082
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 13 O 5/00
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 13. März 2001 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Klägerin (zugleich Streitwert der Berufung):

9.789,91 EUR.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine damals 25-jährige Bankkauffrau, wurde am 15.10.1996 als Beifahrerin im VW Polo ihres Freundes in einen Verkehrsunfall in F verwickelt, bei dem ein vorausfahrender Mazda mit dem entgegenkommenden, linksabbiegenden Fiat Uno der Beklagten zu 2), haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 1), kollidierte, sodann der VW Polo auf den Mazda prallte und schließlich noch der Fiat Uno leicht gegen den linken Kotflügel des VW Polo stieß.

Die Klägerin hat behauptet, ein HWS-Schleudertrauma erlitten zu haben und seither unter fortwährenden Beschwerden zu leiden.

Die Beklagten haben eine unfallbedingte Verletzung bestritten. Vorprozessual sind von der Beklagten zu 1) allerdings 2.000,00 DM Schmerzensgeld und 1.296,00 DM Haushaltsführungsschaden gezahlt worden.

Mit der Klage hat die Klägerin einen weiteren Haushaltsführungsschaden von 11.147,39 DM, ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld (Vorstellung: 6.000,00 DM insgesamt) sowie die Feststellung der weiteren materiellen und immateriellen Ersatzpflicht begehrt.

Das Landgericht hat nach Einholung eines verkehrsanalytischen und medizinischen Gutachtens die Klage abgewiesen. Eine Verletzung der Klägerin durch den Unfall sei nicht bewiesen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Da sie vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei, müsse das seither vorhandene Beschwerdebild unfallbedingt sein. Die Beurteilung des fortwährenden Spannungskopfschmerzes obliege einem Neurologen, so daß ein entsprechendes Gutachten eingeholt werden müßte. Die Haftung der Beklagten folge schließlich auch aus der Rechtsprechung zu psychisch bedingten Folgeschäden.

II.

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin hat den ihr obliegenden Nachweis nicht erbracht, daß sie durch den Unfall vom 15.10.1996 eine Gesundheitsbeeinträchtigung erlitten hat, die den Tatbestand der Körper- oder Gesundheitsverletzung im Sinne der §§ 823 BGB, 7 StVG erfüllt.

Aufgrund des erstinstanzlich eingeholten interdisziplinären Gutachtens steht fest, daß die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung durch den Frontalaufprall und die dadurch bedingte biomechanische Belastung der Halswirbelsäule lediglich in einem Bereich gelegen haben, in dem eine Verletzung der Halswirbelsäule ganz unwahrscheinlich ist. Da hier die Frage einer Primärverletzung zu klären ist, gilt der Beweismaßstab des § 286 ZPO. Es müßte also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, daß die Klägerin bei dem Unfall die behauptete Verletzung erlitten hat. Auch wenn zugrunde gelegt wird, daß vorher keine Beschwerden bestanden haben und die erstbehandelnden Ärzte von einer HWS-Distorsion ausgegangen sind, ist dieser Nachweis hier angesichts des Ergebnisses des interdisziplinären Gutachtens nicht geführt.

Der technische Sachverständige C hat nachvollziehbar eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des VW Polo in Längsrichtung von 13 bis 16 km/h und in Querrichtung von etwa 3 km/h ermittelt. Einwendungen gegen die Berechnung des Sachverständigen werden auch von der Berufung nicht erhoben. Der orthopädische Sachverständige Prof. Dr. D hat überzeugend darauf hingewiesen, daß die Belastbarkeit der Halswirbelsäule bei Frontalkollisionen größer ist als bei Heckkollisionen. Da die Nackenmuskulatur beim Menschen wesentlich stärker ausgeprägt ist als die vordere Halsmuskulatur, ist bei einer Vorwärtsbewegung des Kopfes, wie sie bei einer Frontalkollision auftritt, eine höhere biomechanische Toleranzgrenze anzusetzen. Der Sachverständige D hat zu der bei der technischen Analyse ermittelten kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung im vorliegenden Fall ausgeführt, daß die Klägerin bei dieser Belastung am ehesten keine Verletzung der Halswirbelsäule erlitten haben kann. Der Sachverständige hat weiter angegeben, daß die von der Klägerin geklagten Beschwerden in der orthopädischen Praxis häufig sind und in der Regel ohne Zusammenhang mit einem Unfall berichtet werden. Bei dieser Sachlage ist der Senat nicht davon überzeugt, daß die Klägerin bei dem Unfall vom 15.10.1996 verletzt worden ist, auch wenn davon ausgegangen wird, daß vorher keine Beschwerden vorhanden waren. Der in der Berufungsbegründung beantragten Ladung des Sachverständigen D zur Anhörung bedurfte es nicht. Konkrete Einwendungen gegen sein Gutachten sind nicht erhoben, zu stellende Ergänzungsfragen nicht mitgeteilt worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Die zusätzliche Einholung eines neurologischen Gutachtens ist nicht geboten. Die Klägerin ist nach den vorgelegten ärztlichen Unterlagen seit dem Unfall durchgängig in ambulanter orthopädischer Behandlung bei Dr. Q gewesen. Dieser erwähnt in seinem ärztlichen Bericht vom 30.09.1998 auch eine Vorstellung bei einem Neurologen. Dort ist jedoch offensichtlich kein normabweichender Befund erhoben worden, denn insoweit ist nichts vorgetragen. Die unmittelbar nach dem Unfall von der Klägerin geklagten leichten Kribbelparästhesien waren nach dem Bericht des Krankenhauses M, in dem die Klägerin eine Nacht geblieben ist, rasch rückläufig. In der Folgezeit sind dann, soweit ersichtlich, keine weiteren Behandlungen bei einem Neurologen erfolgt. Die geklagten Halswirbelsäulen-Beschwerden fallen jedenfalls auch in das Fachgebiet der Orthopädie. Aus den vorgelegten Unterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine neurologische Störung.

Soweit die Berufungsbegründung eine Haftung aus dem Gesichtspunkt der psychischen Fehlverarbeitung anspricht, ist dem entgegen zu halten, daß die zitierte Rechtsprechung (BGH, NJW 1996, 2425 und BGH NJW 1998, 810) die Fallgruppe eines Folgeschadens bei feststehender Primärverletzung betrifft. Hier dagegen ist ein Primärschaden gerade nicht festzustellen. Eine psychisch vermittelte unfallbedingte Gesundheitsstörung von Krankheitswert ist nicht substantiiert dargelegt. Im übrigen würde insoweit auch der haftungsrechtliche Zusammenhang fehlen (vgl. dazu im einzelnen Senat, r + s 2001, 62; ferner OLG Hamm NZV 01, 468). Eine Haftung für Unfallfolgen, die sich ohne organische Primärverletzung allein aufgrund des Unfallerlebnisses infolge psychisch vermittelter Kausalität entwickeln, setzen ein Ereignis von hinreichender Schwere und Intensität voraus, zudem müssen Unfall und Verletzung nicht nur in einem äußeren, sondern auch in einem inneren Zusammenhang stehen. An diesen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Fall. Es handelt sich um ein nicht ungewöhnliches Unfallereignis, das keinen verständlichen Anlaß gibt, psychische Reaktionen mit Krankheitswert hervorzurufen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 713 ZPO.