VG Sigmaringen, Urteil vom 13.09.2016 - 3 K 5322/15
Fundstelle
openJur 2016, 9696
  • Rkr:

1. Der Ausländerbehörde obliegt im Verfahren der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Prüfung, ob das Bundesamt einen Asylantrag gemäß § 30 Abs. 3 Nrn. 1 bis 6 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und deshalb die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingreift; in einem Zweifelsfall, in dem die Auslegung des Bescheids dies nicht eindeutig ergibt, tritt die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht ein (Im Anschluss an VG Aachen, Urteil vom 24.02.2016 - 8 K 247/14 - juris).

2. Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist lediglich das Nichtvorliegen eines abstrakten Ausweisungserlasses; es ist unerheblich, ob die Ausländerbehörde nach Abwägung des Ausweisungs- und Bleibeinteresses eine Ausweisungsverfügung in rechtmäßiger Weise erlassen könnte.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der Bescheid der Beklagten vom 02.06.2015 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 04.12.2015 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte jeweils die Hälfte.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Er ist am … geboren, gambischer Staatsangehöriger und reiste vermutlich im Oktober 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 10.11.2009 beantragte er bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - seine Anerkennung als Asylberechtigter unter dem Aliasnamen P. J., geboren am …, wobei der Kläger auch einen anderen als den richtigen Geburtsort angab. Zur Begründung seines Asylgesuchs machte der Kläger geltend, er habe für das Aidsprojekt des gambischen Staatspräsidenten Kräuter gesammelt. Nachdem er die Wirkungslosigkeit dieser Medikation erkannt habe, habe der Kläger andere Leute auf seine Erkenntnis hingewiesen. Sicherheitskräfte hätten hiervon Kenntnis erlangt und ihn in der Folgezeit behelligt.

Mit Bescheid vom 30.06.2011 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Gambia angedroht. Zur Begründung führte das Bundesamt unter anderem aus, die Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet folge aus § 30 Abs. 3 AsylG. Die Angaben des Klägers seien in sich widersprüchlich und damit unglaubhaft. Diese Widersprüchlichkeiten zeigten sich bereits bei den persönlichen Umständen des Klägers, der sein Asylgesuch nach den Erkenntnissen des Bundesamtes unter einer Aliaspersonalie angebracht habe. Im Übrigen seien die Angaben des Klägers hinsichtlich des Einreisewegs nicht nachvollziehbar, da er entgegen seinen eigenen Einlassungen mit einem gültigen Schengen-Visum auf dem Luftwege in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Da die Angaben des Klägers zu seiner Identität und seinen persönlichen Lebensumständen als unglaubhaft anzusehen seien, müsse auch davon ausgegangen werden, dass er hinsichtlich der Fluchtgründe und der Vorfälle in seinem Heimatland die Unwahrheit sage. Zudem sei das Vorbringen des Klägers durchgehend blass und unsubstantiiert geblieben.

Die nachfolgende Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29.04.2013 - A 1 K 2254/11 - als unbegründet abgewiesen. In den Entscheidungsgründen führt das Verwaltungsgericht aus, der Kläger habe erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens eingeräumt, unter falscher Identität in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Zur weiteren Begründung nimmt das Verwaltungsgericht auf seinen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (A 1 K 2255/11) ergangenen Beschluss vom 22.12.2011 Bezug. Dort heißt es: Gemäß § 30 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 AsylG sei ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten nicht substantiiert ist und wenn der Ausländer über seine Identität im Asylverfahren täuscht. Dies sei hier nach den zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im angefochtenen Bescheid der Fall. Das Gericht sei mit dem Bundesamt davon überzeugt, dass der Kläger über seine wahre Identität zu täuschen versucht habe. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen ist mangels Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung in Rechtskraft erwachsen.

Nachdem die im Asylverfahren unter der Aliaspersonalie ausgestellte Aufenthaltsgestattung ihre Gültigkeit verlor, beantragte der Kläger die Erteilung einer Duldung. Anlässlich einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde am 27.02.2012 beharrte er nach Rücksprache mit seinem Anwalt darauf, dass er „P.“ heiße und am … geboren sei. Die Behörde erteilte aufgrund der ihr bekannt gewordenen Erkenntnisse des Bundesamts in der Folgezeit jedoch Duldungen unter den richtigen Personalien des Klägers. Seine geplante Abschiebung war nicht möglich, da er nicht über einen Pass oder entsprechende Ersatzpapiere verfügte.

Wegen wiederholter Zuwiderhandlungen gegen eine Aufenthaltsbeschränkung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen eine vollziehbare Auflage, mit der die Ausübung einer Erwerbstätigkeit verboten oder beschränkt worden ist, wurde der Antragsteller mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl des Amtsgerichts Biberach vom 07.10.2011 zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu jeweils 25 Euro verurteilt. Ein von der Staatsanwaltschaft am 24.04.2013 eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Erschleichens von Leistungen durch eine Schwarzfahrt mit einer Eisenbahn wurde mangels rechtzeitiger Stellung des Strafantrags durch den geschädigten Eisenbahnbetreiber gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Am 13.09.2013 erkannte der Kläger die Vaterschaft des von der deutschen Staatsangehörigen F. C. erwarteten Kindes an. Seit dem … ist der Kläger Vater des deutschen Kindes A. M. F. C., für das die elterliche Sorge allein von der Kindsmutter ausgeübt wird.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 27.08.2013 ließ der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 sowie § 28 AufenthG beantragen und suchte gleichzeitig um die Änderung seiner Wohnsitzauflage nach, damit er nach H. zu seinem Kind und dessen Mutter umziehen und mit diesen einen gemeinsamen Hausstand führen könne. Die Stadt H. stimmte diesem Antrag zwar zu; da der Kläger in H. jedoch keine Arbeit fand, verzichtete er auf den Umzug zu seinem Kind. Zur Begründung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trug der Kläger vor, er habe Kontakt zu seinem Kind und wolle durch einen Umzug seinen Arbeitsplatz nicht verlieren. Er bezahle für das Kind Unterhalt und habe deshalb einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Es könne nicht sein, dass er ausreisen müsse und das Kind für mehrere Monate nicht sehen könne.

Nach Anhörung des Klägers lehnte die aufgrund eines Umzugs örtlich zuständig gewordene Stadt B. mit Bescheid vom 02.06.2015 den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung führte die Stadt aus, nach § 10 Abs. 3 AufenthG dürfe einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden sei oder der seinen Asylantrag zurückgenommen habe, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG abgelehnt worden sei, dürfe vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Sätze 1 und 2 fänden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keine Anwendung; Satz 2 sei ferner nicht anzuwenden, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG erfülle. Der Asylantrag des Klägers sei nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt worden. Zwar vermittle § 28 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung der Personensorge gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sei jedoch nicht erfüllt, da die elterliche Sorge für das Kind allein von dessen Mutter ausgeübt werde. Das Jugendamt H. habe der Ausländerbehörde auf Anfrage mitgeteilt, dass keine Eintragungen im Sorgerechtsregister verzeichnet seien. Des Weiteren habe der Kläger durch die Begehung von Straftaten objektive Ausweisungsgründe nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Da er unter falscher Identität in die Bundesrepublik eingereist sei, habe der Kläger Falschangaben zur Erlangung der Aussetzung einer Abschiebung im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG getätigt. Damit liege die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht vor. Auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zur Ermöglichung des Umgangs mit dem deutschen Kind komme nicht in Betracht. Denn der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Bestimmung stehe ebenfalls § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG entgegen, da die Vorschrift keinen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels einräume. Der Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG stehe die strikte Erteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen. Diese Vorschrift gehe über § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hinaus, weil in ihrem Anwendungsbereich auch kein Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erteilt werden dürfe. Einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, welcher die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 AufenthG überwinden könne, habe der Kläger nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2015 wies das Regierungspräsidium Tübingen den Widerspruch zurück. Zur Begründung wird ausgeführt, § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen. Selbst wenn man bei Abwägung der relevanten Gesichtspunkte nach § 27 Abs. 3 AufenthG zu dem Ergebnis gelange, dass von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen sei, führe dies im Falle des Klägers nicht zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Es bestehe kein Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Gemäß § 10 Abs. 3 AufenthG dürfe dem Kläger vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden, da sein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG komme aufgrund von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht in Betracht, da kein gesetzlicher Anspruch auf Titelerteilung bestehe. Ferner lägen auch die Regelerteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 AufenthG für eine Aufenthaltserlaubnis auf humanitärer Grundlage nicht vor.

Der Kläger hat am 12.12.2015 Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Er macht geltend, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ermöglichung des Umganges mit einem deutschen Kind lägen vor. Er fahre immer an freien Tagen zu seiner Familie; dies könne die Mutter des Kindes bestätigen. Er sei selbstverständlich mit der Mutter des Kindes noch zusammen; aufgrund der Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes sei er noch nicht nach H. zur Familie umgezogen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Stadt B. vom 02.06.2015 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 04.12.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid und hebt hervor, der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stünde die Sperre des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen. Sowohl die Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG als auch § 25 Abs. 5 AufenthG vermittle keinen strikten Rechtsanspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, da gegen den Kläger ein Ausweisungsinteresse vorliege. Er erfülle die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung der elterlichen Sorge komme nicht in Betracht, nachdem dem Kläger kein Sorgerecht zustehe.

Der Kläger arbeitet in B. in einem Schnellrestaurant im Schichtdienst, womit er einen monatlichen Nettoverdienst von circa 1.000 Euro erzielt. Die Ausländerbehörde geht in einer in der Ausländerakte enthaltenen Berechnung bei Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen des Klägers davon aus, dass sein Lebensunterhalt gesichert ist.

Dem Gericht liegen die Ausländerakten sowie die Widerspruchsakte vor. Darauf sowie auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger hat zwar keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (1.). Indes steht ihm ein Anspruch auf Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zu (2.). Der angefochtene Bescheid der Stadt B. vom 02.06.2015 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 04.12.2015 sind in diesem Umfang rechtswidrig (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Dabei ist in sachgerechter Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung nicht von einer gestuften Antragstellung dahingehend auszugehen, dass der Kläger primär eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG und lediglich hilfsweise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt, sondern dass er letztlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten möchte, entweder nach der einen oder der anderen Vorschrift, also alternativ. Auch bei diesem Verständnis des Antrags hat der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weder aufgrund von § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG (1.1) noch aufgrund von § 25 Abs. 5 AufenthG (1.2).

1.1. Mögliche Anspruchsgrundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Umgangs des Klägers mit seiner deutschen Tochter ist § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG. Danach kann dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil - § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG kommt beim Kläger wegen des fehlenden Personensorgerechts nicht in Betracht - eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger insoweit vor, als er Vater eines am … geborenen deutschen Kindes ist, für das er kein Sorgerecht besitzt. Ob mit dem Kind eine enge Verbundenheit im Sinne einer familiären Gemeinschaft besteht, braucht aber in diesem Zusammenhang nicht geklärt zu werden, denn die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift scheitert aus anderen Gründen.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG steht § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, darf nämlich vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, die in Kapitel 2 Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes geregelt ist, ist damit ausgeschlossen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, wonach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung findet. Denn § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG beinhaltet keinen nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG erforderlichen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.12.2008 - 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382; und vom 17.12.2015 - 1 C 31.14 - NVwZ 2015, 458). Nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG steht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vielmehr im Ermessen der Behörde („kann…erteilt werden“). Es genügt auch nicht, dass dem Ausländer im Ermessenswege eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann und das behördliche Ermessen im Einzelfall zugunsten des Ausländers „auf Null“ reduziert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2008, a.a.O.). Danach liegt ein Fall eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG hier nicht vor.

1.2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Zwar steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG nicht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen (1.2.1). Auch sind die besonderen Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erfüllt (1.2.2). Indes erfüllt der Kläger die allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht vollständig (1.2.3).

1.2.1 Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist hier nicht durch § 10 Abs. 3 Satz 1 oder Satz 3 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen.

Anders als der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG steht § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Denn nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem unanfechtbar abgelehnten Asylbewerber wie dem Kläger ein Aufenthaltstitel nach Maßgabe von Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes und damit auch nach Maßgabe des in diesem Abschnitt enthaltenen § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG erteilt werden.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG steht hier auch nicht die strikte Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen. Zwar vermittelt die Sollvorschrift des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG keinen strikten Rechtsanspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 17.12.2015 - 1 C 31.14 - a.a.O.).

Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf einem Ausländer vor der Ausreise (überhaupt) kein Aufenthaltstitel erteilt werden, sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG abgelehnt worden ist. Ein solcher Fall liegt hier aber - anders als die Beklagte und die Widerspruchsbehörde meinen - nicht vor. Die Bestimmung des § 30 Abs. 3 AsylG erlaubt die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet, wenn bei der Asylantragstellung einer der unter den Nummern 1 bis 6 genannten Missbrauchstatbestände verwirklicht wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylG voraus, dass sich aus dem Bescheid des Bundesamts für den Betroffenen eindeutig ergibt, dass der Offensichtlichkeitsausspruch gerade auf diese Vorschrift gestützt wird. Die bloße Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet reicht hierfür nicht aus, weil das Gesetz nicht nur in den Fällen des § 30 Abs. 3 AsylG, sondern auch in anderen Fällen eine derartige Ablehnung vorsieht. So ist nach § 30 Abs. 1 AsylG ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter oder für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen, was in Abs. 2 der Vorschrift beispielhaft erläutert wird. Bei Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder § 3 Abs. 2 AsylG schreibt § 30 Abs. 4 AsylG ebenfalls die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet vor. Für eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylG ist es deshalb in der Regel erforderlich, dass die Vorschrift, wenn schon nicht im Tenor, so doch zumindest in der Begründung des Bescheides ausdrücklich genannt wird. Angesichts der gravierenden Rechtsfolgen, die § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG an eine solche qualifizierte Ablehnung knüpft und die nur durch Einlegung von Rechtsmitteln gegen diese Ablehnung vermieden werden können, ist es ein Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, dass die Rechtsgrundlage für den Offensichtlichkeitsausspruch für den Betroffenen insoweit eindeutig und klar erkennbar ist. Dies ist auch mit Blick auf die Ausländerbehörde geboten, die nach der gesetzlichen Konzeption im aufenthaltsrechtlichen Verfahren an den Bescheid des Bundesamts gebunden ist und ihm ohne eigene inhaltliche Prüfung eindeutig entnehmen können muss, dass der Offensichtlichkeitsausspruch auf einen der Missbrauchstatbestände des § 30 Abs. 3 AsylG gestützt ist. Der Gesetzgeber hat die Rechtsfolgen der Titelerteilungssperre bewusst an den formalen Offensichtlichkeitsausspruch des Bundesamts in dem Ablehnungsbescheid geknüpft und nicht, wie ursprünglich im Gesetzgebungsverfahren vorgesehen, materiell-rechtlich an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 AsylG, was zu einer Inzidenzprüfung dieser Voraussetzungen durch die Ausländerbehörde geführt hätte (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25.08.2009 - 1 C 30.08 - BVerwGE 134, 355; VG Aachen, Urteil vom 24.02.2016 - 8 K 247/14 - juris).

Diesen Anforderungen genügt der Bescheid des Bundesamts vom 30.06.2011 nicht. In der Begründung des Bescheids führt das Bundesamt auf Seite 2 aus:

„Der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

Ein unbegründeter Antrag ist gemäß § 30 Abs. 3 AsylVfG unter den dort genannten Voraussetzungen als offensichtlich unbegründet abzulehnen“.

Weitere Ausführungen zu § 30 Abs. 3 AsylG erhält der Bescheid im Rahmen der Ablehnung des Asylantrags nicht. Zwar nimmt das Bundesamt (anders als in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Sachverhalt) nicht ausdrücklich auf andere Rechtsgrundlagen des Asylgesetzes, die eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet rechtfertigen würden, Bezug. Die nur einmalige Nennung der Vorschrift, die nicht im Tenor des Bescheids, sondern in dessen Begründung erfolgt, lässt aber dennoch nicht den sicheren Schluss zu, dass das Bundesamt die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet auf diese Vorschrift stützen wollte. Denn der Bescheid ist - trotz der ausdrücklichen Nennung der Vorschrift - deshalb nicht eindeutig, da er weder die Ziffer (Nr. 1 bis 6) des § 30 Abs. 3 AsylG benennt, auf die die Ablehnung gestützt wird, noch die weiteren Ausführungen in dem Bescheid sich auch nur ansatzweise mit den Voraussetzungen von § 30 Abs. 3 AsylG auseinandersetzen.

Die vorstehend zitierten Sätze aus dem Bescheid des Bundesamts erschöpfen sich in einer bloßen (eingeschränkten) Wiedergabe des Gesetzestextes von § 30 Abs. 3 Asyl(Vf)G. An einer Subsumtion unter die Voraussetzungen der Vorschrift fehlt es hingegen vollständig. Das Bundesamt hat als Begründung für die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet angegeben, die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal seien in sich widersprüchlich und unglaubhaft, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, der Antragsteller berichte von tatsächlich Erlebtem, und er vor diesem Hintergrund selbst unglaubwürdig erscheine (Seite 4 der Bescheidbegründung). Im Anschluss daran hebt das Bundesamt hervor, dass sich diese Widersprüchlichkeiten bereits bei den persönlichen Umständen des Antragstellers, nämlich bei seinen Personalien äußerten. Da die Angaben des Klägers zu seiner Identität und seinen persönlichen Lebensumständen als unglaubhaft bewertet würden, werde davon ausgegangen, dass er auch zu den Gründen für die Flucht aus seinem Heimatland die Unwahrheit gesagt habe. Diesen Ausführungen lässt sich bereits nicht entnehmen, ob das Bundesamt sein Offensichtlichkeitsurteil auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 AsylG stützt. Offen bleibt insbesondere, ob dem Kläger entscheidungstragend eine Identitätstäuschung im Sinne von § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG vorgehalten wird, oder ob dieser Umstand nur für ein auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestütztes Offensichtlichkeitsverdikt herangezogen wird. Auch würden die vorstehend zitierten Ausführungen des Bundesamts die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 AsylG (Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen offensichtlich nicht vor) rechtfertigen. Gleiches gilt im Ergebnis für die Erwägungen, mit denen das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Zwar hat das Bundesamt in diesem Zusammenhang die Vorschriften des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG und des § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zitiert und deren Gesetzeswortlaut wiedergegeben. Indes fehlt es auch in diesem Zusammenhang an jeder Subsumption des Sachverhalts unter die Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen Normen des Asylgesetzes. Im Übrigen würden die vom Bundesamt an dieser Stelle angestellten Überlegungen („der vorliegende Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, weil das Vorbringen des Antragstellers durchgehend blass und unsubstantiiert ist und der Antragsteller zudem massiv über seine Identität täuscht“) eher zu einer Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 AsylG passen.

Etwas anderes folgt ferner nicht daraus, dass die Ausländerbehörde an das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts gebunden ist und nach der Entscheidung des Gesetzgebers gerade keine inhaltliche Überprüfung des Bescheids vornehmen soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.08.2009 - 1 C 30.08 - a.a.O.). Denn dies schließt nur die Möglichkeit bzw. Verpflichtung der Ausländerbehörde aus, im Fall der eindeutigen Ablehnung nach § 30 Abs. 3 AsylG diese Materie auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Soweit ein Asylsuchender sich gegen die Ablehnung seines Antrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 AsylG wehren will, muss er dieses Ziel mit einer Klage gegen den Bundesamtsbescheid verfolgen und kann diese gegebenenfalls auf die Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils beschränken. Von der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer auf § 30 Abs. 3 AsylG gestützten Entscheidung ist aber die Frage zu unterscheiden, ob das Bundesamt überhaupt eine Entscheidung auf der Grundlage dieser Vorschrift getroffen hat. Insofern obliegt der Ausländerbehörde, deren Entscheidung der vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist, eine Prüfung des Bescheids. In einem Zweifelsfall - wie hier -, in dem die Auslegung des Bescheids nicht eindeutig ergibt, dass das Bundesamt eine Entscheidung nach § 30 Abs. 3 AsylG getroffen hat, tritt die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht ein. An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass das Verwaltungsgericht Sigmaringen in seinem Urteil vom 29.04.2013 die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags auf § 30 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 AsylVfG gestützt und dies in den in Bezug genommenen Beschlussgründen näher dargelegt hat. Denn ausschlaggebend für die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist allein, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Offensichtlichkeitsanspruch auf eine der Fallgruppen nach § 30 Abs. 3 Nrn. 1 bis 6 AsylG gestützt hat. Ob es zu Recht darauf abgestellt hat, ist für die Anwendung von § 10 Abs. 3 AufenthG ebenso ohne Bedeutung wie, ob das Verwaltungsgericht die Klage nach § 78 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen hat (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 02.07.2007 - 4 Bf 290/06.7 - juris).

1.2.2 Die speziellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen liegen vor. Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Kläger ist als abgelehnter Asylbewerber vollziehbar ausreisepflichtig (1.2.2.1). Seine Ausreise ist aus rechtlichen Gründen unmöglich (1.2.2.2) und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses ist in absehbarer Zeit auch nicht zu rechnen (1.2.2.3). Schließlich hat der Kläger die Unmöglichkeit der Ausreise nicht zu vertreten (1.2.2.4).

1.2.2.1 Der Kläger ist seit Ablehnung seines Asylbegehrens durch Bescheid des Bundesamts und Ablehnung des auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gerichteten Begehrens mit Beschlusses des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 22.12.2011 vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 2 AufenthG, § 34 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 1 und 4, § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG).

1.2.2.2 Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzung des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, dass seine Ausreise aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Dies ist dann der Fall, wenn sowohl der Abschiebung als auch der freiwilligen Ausreise rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192). Derartige Ausreisehindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen unter anderem auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG. Bei dem Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.06.1997 - 1 C 9.95 - NVwZ 1997, 1114).

Dem Kläger ist die Abschiebung bzw. seine freiwillige Ausreise mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 8 EMRK unzumutbar.

Allerdings entfaltet Art. 6 GG nicht bereits aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen ausländerrechtliche Schutzwirkungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83 - juris RdNr. 87). Von einer familiären Gemeinschaft ist auch im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils mit seinem deutschen Kind, der dem auch sonst Üblichen entspricht, auszugehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris). Bei der Bewertung der familiären Beziehungen eines ausländischen Vaters zu seinem deutschen Kind, für das er kein Sorgerecht besitzt, aber regelmäßigen Umgang pflegt, geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung dieses Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht. Dabei sei auch in Rechnung zu stellen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird. Allerdings gewährt weder das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG noch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK einen unmittelbaren Anspruch eines Ausländers auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Jedoch verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris RdNr. 26). Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an die im Bundesgebiet lebenden Personen angemessen berücksichtigten. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten. Kann die bereits im Bundesgebiet gelebte Lebensgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind aber nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris).

Unter Zugrundelegung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben ist im Fall des Klägers von einer familiären Lebensgemeinschaft zwischen ihm und seiner Tochter auszugehen, die unter Berücksichtigung der Umstände dieses Einzelfalles die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Grundsatz gebietet. Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 VwGO) fest, dass es sich bei der familiären Beziehung zwischen dem Kläger und seiner deutschen, inzwischen zwei Jahre alten Tochter, mit der er nicht zusammenlebt und für die er auch das Sorgerecht nicht besitzt, um eine fragile und in besonderer Weise schützenswerte Beziehung handelt, die lediglich dann aufrecht erhalten werden kann, wenn dem Kläger der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt wird. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen und in der mündlichen Verhandlung überzeugend geschildert, dass er seine Tochter, wenn immer möglich, also regelmäßig mindestens alle zwei Wochen, sieht er und sich bei diesen Treffen auch in erheblichem Maße um sie kümmert. Die Kammer hat aufgrund der glaubhaften Einlassungen des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass er sich um das Wohl seiner Tochter sorgt, an ihrer Erziehung mitwirkt und dieser Erziehungsbeitrag für das Kindswohl förderlich ist, auch wenn der Kläger aufgrund seiner nur eingeschränkten deutschen Sprachkenntnisse das persönliche Umfeld seiner Tochter nicht näher kennt. Diese besondere Bindung des Klägers zu seiner Tochter zeigt sich auch daran, dass er seit ihrer Geburt trotz eingeschränkter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit freiwillig Unterhaltszahlungen leistet. Weiter hat der Kläger schlüssig dargelegt, dass einem beabsichtigten Umzug nach H. und der Aufnahme der Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin und dem Kind lediglich der dort fehlende Arbeitsplatz entgegensteht. Vor diesem Hintergrund überwiegt bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen der Belang des Klägers am Verbleib in der Bundesrepublik und der Aufrechterhaltung der familiären Gemeinschaft einwanderungspolitische Belange. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die hier streitgegenständliche Versagung der Aufenthaltserlaubnis möglicherweise letztlich die Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet zur Folge hätte, wodurch eine weitere Ausübung des Umganges des Klägers mit seiner Tochter zumindest stark eingeschränkt und ihm die Teilhabe an Erziehung und Betreuung seines Kindes erheblich erschwert würde. Der Kläger, der nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist, ist gemäß § 50 Abs. 1, 2 AufenthG unverzüglich zur Ausreise verpflichtet. Dies hätte die Trennung des ausländischen Klägers von seinem deutschen Kind über einen ungewissen Zeitraum zur Folge. Bei einem - wie hier die Tochter des Klägers - noch sehr kleinen Kind ist dann zu berücksichtigen, dass es den vorübergehenden Charakter der räumlichen Trennung nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt, so dass die Folge der Abbruch der Vater-Kind-Beziehung wäre, zumal in diesem Alter ein Verweis auf sonstige Möglichkeiten der Kommunikation (z.B. mittels Telefon) nicht ausreichend ist. Die Beziehung wäre dann nicht mehr zumutbar fortzusetzen. Daran ändert sich auch nichts aufgrund der Möglichkeit, nach § 60a Abs. 2 AufenthG gegebenenfalls eine Aussetzung der Abschiebung erreichen zu können.

1.2.2.3 Schließlich ist auch mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Der Umgangskontakt des Klägers mit seiner Tochter ist auf Dauer angelegt. Die Anfang 2014 geborene Tochter des Klägers ist gerade einmal zwei Jahre alt und wird noch einige Zeit den Umgang mit ihrem leiblichen Vater zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung benötigen. Ein Abbruch der Beziehung in den nächsten Jahren würde nach Überzeugung der Kammer dem Wohl des Kindes zu widerlaufen. Damit ist die Unzumutbarkeit der Ausreise nicht nur als vorübergehend anzusehen.

1.2.2.4 Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG kommt dann nicht in Betracht, wenn der Ausländer verschuldet an der Ausreise gehindert ist (vgl. § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Von einem derartigen Verschulden kann hier entgegen der Meinung der Beklagten keine Rede sein. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, dass der Kläger bereits in der Vergangenheit abgeschoben worden wäre, wenn er nicht über seine Identität getäuscht und damit ein Reisedokument zur Abschiebung hätte beschafft werden können. Der Umstand ist auch vom Kläger zu vertreten; die Identitätstäuschung ist gerade in der Absicht erfolgt, eine Abschiebung unmöglich zu machen. Indes ist dieser vom Kläger zu vertretende Umstand für die fehlende Möglichkeit der Ausreise und Abschiebung nicht mehr kausal. Dem Kläger kann sein Fehlverhalten in der Vergangenheit nur so lange entgegengehalten werden, wie es für die Unmöglichkeit der Ausreise und Abschiebung ursächlich ist. Das ist dann nicht mehr der Fall, wenn der zu vertretende Umstand durch andere Ursachen für ein Ausreisehindernis - in der Art einer überholenden Kausalität - überlagert wird, die der Ausländer nicht mehr zu vertreten hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.04.2011 - 1 C 3.10 - NVwZ 2011, 1277). So liegen die Dinge hier. Der Kläger kann nunmehr nicht mehr wegen ungeklärter Identität und fehlender Reisedokumente nicht abgeschoben werden, sondern nach dem oben Gesagten aufgrund eines rechtlichen Abschiebungshindernisses, nämlich der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten familiären Umgangskontakte mit seiner deutschen minderjährigen Tochter.

1.2.3 Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist auch bei § 25 Abs. 5 AufenthG das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG. Diese sind hier nicht vollständig erfüllt. Zwar erfüllt der Kläger die Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (1.2.3.1) und kann ihm der begangene Visumsverstoß nicht vorgehalten werden (1.2.3.2). Indes liegt bei dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor (1.2.3.3).

1.2.3.1 Der Kläger erfüllt wohl die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG. Unter Abzug der Unterhaltsobliegenheiten für seine Tochter und der freiwillig geleisteten Zahlungen sowie bei Berücksichtigung der aktuellen Unterkunftskosten dürfte sein durchschnittliches Monatseinkommen ausreichen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Hiervon ist auch die Beklagte nach einer durchgeführten Berechnung ausgegangen. Sollte dies geringfügig nicht der Fall sein, wäre von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen. Denn aufgrund des rechtlichen Ausreisehindernisses nach Art. 6 GG liegt insoweit ein atypischer Ausnahmefall vor. Ein Ausnahmefall von einer Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 AufenthG liegt nur bei besonderen, atypischen Umständen vor, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen. Dies gilt auch dann, wenn entweder aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geboten ist. Dies setzt eine umfassende grund- bzw. menschenrechtliche Prüfung voraus, in die alle relevanten Umstände des Einzelfalls einzustellen sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.06.2013 - 10 C 16.12 - NVwZ 2013, 1493; und vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239).

Gemessen hieran fällt die Abwägung zugunsten des Klägers aus. Denn nach dem oben Gesagten kann wegen der deutschen Staatsangehörigkeit seiner Tochter und deren Mutter die schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft nur in Deutschland hergestellt werden. Die etwa fehlende Sicherung des Lebensunterhalts kann dieses hohe Interesse des Klägers nicht überwiegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis nicht dazu führen würde, dass der Kläger das Bundesgebiet zwingend verlassen müsste. Er wäre vielmehr wohl wegen eines rechtlichen Ausreisehindernisses aus Art. 6 GG (fortdauernd) zu dulden. Auch in diesem Fall werden also (soweit der Lebensunterhalt weiter nicht gesichert wäre) öffentliche Kassen belastet.

1.2.3.2 Gleiches gilt im Ergebnis für den Visumsverstoß. Allerdings ist der Kläger nicht entsprechend § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mit dem erforderlichen Visum eingereist. Vielmehr ist der Ausländer ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet eingereist und hat das Visumsverfahren bislang auch nicht nachgeholt. Jedoch ist zumindest die Nachholung des Visumsverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls unzumutbar. Die bereits oben geschilderte fragile Beziehung des Klägers zu seiner Tochter würde schweren Schaden erleiden, wenn nicht gar beendet werden, wenn der Kläger nach Gambia ausreisen und von dort aus versuchen würde, im Wege des Visumsverfahrens wieder in das Bundesgebiet einzureisen. Dabei bedarf keiner Klärung, ob der Kläger hierzu überhaupt über die nötigen finanziellen Mittel verfügen würde, und zu welchem Zeitpunkt er bei der von der Ausländerbehörde in Aussicht gestellten Vorabzustimmung das erforderliche Visum von der deutschen Auslandsvertretung erhalten könnte. Auch wenn hier von einem relativ kurzen Zeitraum auszugehen sein sollte, dürfte im Falle der Ausreise bereits nach kurzer Zeit die Beziehung des Klägers zu seiner Tochter faktisch beendet sein. Die Beziehung zwischen ihm und seiner Tochter käme allein durch die Zeitdauer für die Ausreise, die Visumbeschaffung und die Wiedereinreise zum Erliegen. Wenn man von einem normalen Verlauf der Durchführung des Visumsverfahrens ausginge, wäre dazu ein Zeitraum von mindestens einigen Monaten zu veranschlagen. Auch mit Blick auf eine Zeit der Abwesenheit des Klägers vom Bundesgebiet für mehrere Monate ist unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles diesem und insbesondere seiner Tochter aber eine Trennung nicht zumutbar. In Übereinstimmung hiermit hat die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass dem Kläger der Visumsverstoß von der Ausländerbehörde nicht mehr vorgehalten wird.

1.2.3.3 Einem Rechtsanspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht jedoch das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Danach setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Ein Ausweisungsinteresse im Sinne dieser Vorschrift ist nicht erst dann zu bejahen, wenn auch eine Ausweisung im konkreten Fall zulässig wäre, also als Ergebnis der in § 53 Abs. 1 AufenthG vorgesehenen Abwägung die Ausweisung verfügt werden dürfte (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2015 - 11 S 1500/15 - juris; VG Aachen, Urteil vom 24.02.2016 - 8 K 247/14 - juris). § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wurde durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zu Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.2015 (BGBl. I, S. 1386) insoweit geändert, als der Begriff das „Ausweisungsgrundes“ durch den des „Ausweisungsinteresses“ ersetzt wurde. Hierbei handelt es sich nach der Begründung des Gesetzentwurfs „um eine Folgeänderung zur Neuordnung des Ausweisungsrechts in den §§ 53 ff“ (vgl. BT-Drs 18/4097, S. 35). Es ist nicht ersichtlich, dass damit eine materielle Änderung verbunden sein sollte. Im Übrigen entspricht es bislang allgemeinem Konsens, dass die Bejahung eines Ausweisungsgrundes nicht voraussetzt, dass etwa auch im konkreten Fall eine Ausweisungsverfügung rechtmäßig und ermessensfehlerfrei hätte erlassen werden dürfen. Entsprechendes gilt für die Bejahung des Ausweisungsinteresses (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2015 - 11 S 1500/15 - a.a.O.).

Dahingestellt kann hier bleiben, ob ein Ausweisungsinteresse bereits dann vorliegt, wenn ein Tatbestand des § 54 AufenthG erfüllt ist (vgl. Zeitler, HTK-AuslR / § 5 AufenthG / zu Abs. 1 Nr. 2 04/2016 Nr. 5; Samel, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 5 AufenthG RdNr. 50) oder ob darüber hinaus schon zur Bejahung des Ausweisungsinteresses (und nicht erst für die Frage, ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt) eine Gefahrenprognose anzustellen ist und ergeben muss, dass von dem Aufenthalt des Klägers aktuell noch eine Gefahr im Sinne des § 53 AufenthG für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik ausgeht (so wohl VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2015 - 11 S 150/15 - juris). Denn beide Anforderungen sind hier erfüllt.

Zwar dürfte hinsichtlich der mit einem Strafbefehl geahndeten ausländerrechtlichen Verstöße inzwischen Tilgungsreife eingetreten sein, so dass diese nicht mehr zur Begründung eines Ausweisungsinteresses herangezogen werden können. Gleiches gilt im Ergebnis auch in Ansehung einer in der Behördenakte enthaltenen staatsanwaltschaftlichen Verfügung über die Einstellung eines gegen den Kläger wegen Verdachts der Leistungserschleichung geführten Ermittlungsverfahrens. Zwar kann die diesem Verfahren etwa zugrunde liegende Straftat dem Kläger vorgehalten werden, obwohl das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Denn diese Einstellung ist allein im Hinblick auf das Verfahrenshindernis des nicht gestellten Strafantrags erfolgt. Ein fehlender Strafantrag beseitigt jedoch nicht die Strafbarkeit des Tuns, sondern stellt lediglich ein Verfolgungshindernis dar (vgl. BGH, Urteil vom 29.06.1994 - 2 StR 253/94 - BGHR StGB § 46 Nr. 2 Tatumstände 12). Indes vermag die Kammer mangels hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte nicht mit der gebotenen Sicherheit festzustellen, ob der Kläger diese Straftat tatsächlich begangen hat. Ein Ausweisungsinteresse folgt aber jedenfalls daraus, dass der Kläger lange Zeit über seine Identität getäuscht hat. Damit hat er den Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 8 a) AufenthG erfüllt. Nach dieser Vorschrift wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG schwer, wenn der Ausländer in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben unter anderem zur Erlangung der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat. Der Kläger hat auch noch nach Abschluss seines Asylverfahrens in Anträgen auf Erteilung einer Duldung (Aussetzung der Abschiebung) wiederholt falsche Personalien angegeben. Er hat auf diesen Aliaspersonalien in einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde sogar noch beharrt, als diese ihn auf die Unrichtigkeit der Angaben hingewiesen hat. Dass er mit diesem Verhalten seine Abschiebung unmöglich machen wollte, liegt auf der Hand. Dieses Verhalten ist auch noch vorhaltbar. Zwar muss es auch für die Verwertbarkeit von Taten, wegen derer keine Verurteilung erfolgt ist und die daher nicht von den Tilgungsvorschriften des Bundeszentralregistergesetzes erfasst sind, eine zeitliche Grenze geben. Da der Kläger die Identitätstäuschung gegenüber der Ausländerbehörde aber erst im Jahr 2013 aufgegeben hat, wäre auch im Falle einer Verurteilung die Mindesttilgungsfrist von fünf Jahren gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG noch nicht abgelaufen. Da die Identitätstäuschung über mehrere Jahre aufrecht erhalten wurde, besteht vorliegend auch kein Anlass, eine kürzere Frist anzusetzen.

Von dem Aufenthalt des Klägers geht immer noch eine Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG aus. Zwar bestehen keine spezialpräventiven Gründe mehr für eine Ausweisung. Nachdem der Kläger seine wahre Identität eingestanden hat, ist eine Wiederholung der Identitätstäuschung nicht mehr zu befürchten. Auch lebt der Kläger nunmehr in stabilen familiären Verhältnissen und hat zudem seit einiger Zeit einen Arbeitsplatz. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zukünftig erneut Straftaten begehen könnte, sind nicht erkennbar. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Jedenfalls liegen generalpräventive Gründe für eine Ausweisung vor. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und aus einwanderungspolitischen Gründen besteht ein erhebliches Interesse der Bundesrepublik Deutschland daran, dass vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer das Bundesgebiet verlassen und die Aufenthaltsbeendigung nicht durch falsche Angaben zu ihrer Identität verhindern. Es besteht daher ein Interesse an der Ausweisung des Klägers, um andere vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer von der Begehung vergleichbarer Taten abzuhalten. Die familiäre Situation des Klägers lässt die Gefahr, dass andere Ausländer vergleichbare Taten begehen, nicht entfallen. Denn erst die Verhinderung der Aufenthaltsbeendigung durch die Identitätstäuschung hat es dem Kläger ermöglicht, im Bundesgebiet eine Familie zu gründen und ohne vorherige Prüfung seines Rechts auf Familiennachzug im Wege des Visumsverfahrens den Umgangskontakt mit seiner Tochter zu pflegen. Ob der Kläger tatsächlich ausgewiesen werden könnte oder ob dem überwiegende Bleibeinteressen entgegenstehen, ist - wie ausgeführt - für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unerheblich.

Anders als hinsichtlich der oben dargestellten fehlenden Regelerteilungsvoraussetzungen der Sicherung des Lebensunterhalts und der Durchführung des Visumsverfahrens liegt hinsichtlich des verwirklichten Ausweisungsinteresses kein atypischer Ausnahmefall von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Auch die familiären Bindungen des Klägers und der schützenswerte Umgangskontakt mit seiner Tochter stellen keine atypischen Umstände von solchem Gewicht dar, dass das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigt wird.

2. Ausgehend von den obigen Darlegungen steht dem Kläger jedoch ein Recht auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung der Ausländerbehörde über ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu. Nach dieser Bestimmung kann die Ausländerbehörde bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 von der Anwendung der Absätze 1 und 2 im Ermessenswege absehen. Eine derartige Ermessensausübung hat die Beklagte bisher - auf der Grundlage ihrer Rechtsüberzeugung konsequent - bisher unterlassen. Die Beklagte hat die Ermessensentscheidung deshalb unter Beachtung der in diesem Urteil angestellten Erwägungen nachzuholen. Sie wird dabei insbesondere zu beachten haben, dass nach den vorstehenden Ausführungen der Kläger zwar ein Ausweisungsinteresse verwirklicht hat, eine Ausweisung jedoch jedenfalls aus spezialpräventiven Gründen nicht mehr in Betracht kommt, da von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Vielmehr besteht ein Ausweisungsinteresse allein aus generalpräventiven Gründen. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang deshalb in den Blick zu nehmen, dass generalpräventive Gründe eine Ausweisung des Klägers nicht zu rechtfertigen vermögen. Zwar kann eine Ausweisung auch nach neuem Recht auf generalpräventive Gründe gestützt werden und bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ausweisung aus Gründen (allein) der Generalprävention. Allerdings sind an die Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen besonders hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.10.2012 - 11 S 1470/11 - juris). Derartige Gründe, die eine Ausweisung des Klägers aus generalpräventiven Gründen zu rechtfertigen vermögen, liegen hier nicht vor. Daher steht hier eine Ausweisung des Klägers nicht im Raum. Des Weiteren sind die gegen die Verfügung einer Ausweisung sprechenden Gründe auch im Rahmen der Klärung der Frage maßgeblich, ob ein Absehen von Regelerteilungsvoraussetzungen im Ermessensweg geboten ist.

Nach alldem hat die Klage lediglich insoweit Erfolg, als der Kläger die Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen anstrebt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 ,155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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