VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.08.2016 - 5 S 852/16
Fundstelle
openJur 2016, 9664
  • Rkr:

1. Bei summarischer Prüfung im Eilverfahren ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Höchstaltersgrenze von 70 Jahren für Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure nach § 13 Abs 1 Nr 2 VermG mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz unvereinbar ist.

2. Zur Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen das Erlöschen des Amtes eines Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs wegen Vollendung des 70. Lebensjahres.

Orientierungssatz1. VermG BW § 13 Abs 1 Nr 2 ist, soweit es um die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf geht, in erster Linie an den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen und nicht (mehr) an denjenigen der EGRL 78/2000 des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

2. Zu Leitsatz 2: Der Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die vorläufige Zulassung über die Höchstaltersgrenze von 70 Jahren hinaus, kommt wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Betracht.

Verfahrensgangvorgehend VG Stuttgart 12. Kammer, 31. März 2016, Az: 12 K 1708/16, BeschlussTenorDie Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. März 2016 - 12 K 1708/16 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 45.000,-- EUR festgesetzt.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. März 2016 - 12 K 1708/16 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 45.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde ist mit ihren zuletzt gestellten Anträgen,

„1. den Antragsgegner zu verpflichten, die Antragsteller zu 1 und 2 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig als Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure für das Land Baden-Württemberg zu bestellen und in die vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung geführte Liste der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure aufzunehmen,

2. die Fortdauer der Bestellung des Antragstellers zu 3 als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur im Land Baden-Württemberg über den 31.08.2016 hinaus bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache anzuordnen,

3. hilfsweise in Bezug auf den Antragsteller zu 3 für den Fall einer gerichtlichen Entscheidung nach dem 31.08.2016 den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller zu 3 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur für das Land Baden-Württemberg zu bestellen und den Antragsteller zu 3 in die vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung geführte Liste der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure aufzunehmen,“

zulässig. Insbesondere steht die Bestimmung des § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO, nach dem die Beschwerde einen bestimmten Antrag enthalten muss und vom Beschwerdegericht nur auf die dargelegten Gründe geprüft wird, den im Laufe des Beschwerdeverfahrens geänderten Anträgen nicht entgegen. Mit dieser der Entlastung der Oberverwaltungsgerichte dienenden Qualifizierung der Beschwerdebegründung einerseits und der Beschränkung des Prüfungsumfangs andererseits in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine Antragsänderung oder -erweiterung in der Beschwerdeinstanz regelmäßig nicht vereinbar (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Oktober 2010 - 1 S 2029/10 -, VBlBW 2011, 95, und vom 18.01.2006 - 11 S 1455/05 -, VBlBW 2006, 285 m. w. N.). Im vorliegenden Fall führt die Änderung der Anträge nicht zu einem anderen Prüfungsumfang mit der Gefahr einer zusätzlichen Belastung des Beschwerdegerichts, da die in Bezug auf die Antragsteller zu 1 und zu 2 umgestellten Anträge lediglich dazu dienen, das Sicherungsmittel in Form der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO an die mittlerweile geänderten tatsächlichen Bedingungen anzupassen. Denn beide haben zwischenzeitlich die in § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG normierte Altersgrenze überschritten und möchten durch die beantragte einstweilige Anordnung nunmehr erreichen, dass das im Gesetz vorgesehene Erlöschen ihrer Bestellung zum Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur (ÖbV) rückgängig gemacht wird. Der Streitgegenstand in der zwischenzeitlich anhängig gemachten Hauptsache, der auf die gerichtliche Feststellung zielt, dass ihre Bestellung zum ÖbV über den Zeitpunkt des Ablaufs des Monats, in dem sie das 70. Lebensjahr vollendet haben, fort gilt, verändert sich durch das Überschreiten der maßgeblichen Altersgrenze hingegen nicht. Damit bliebt auch das Antragsbegehren im vorläufigen Rechtsschutz unverändert.

II.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Aus den von der Beschwerde dargelegten Gründen ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt hat. Insbesondere ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung offen, ob der von den Antragstellern behauptete Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO vorliegt (dazu unter 1.). Zudem haben sie keine Umstände vorgebracht, die auf irreparable Nachteile oder ihre existentielle Betroffenheit schließen lassen könnten, um eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache annehmen zu können (dazu unter 2.).

1. § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG sieht vor, dass das Amt des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs mit Ablauf des Monats erlischt, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet. Ob - wovon die Antragsteller ausgehen - diese Bestimmung mit höherrangigem Recht, insbesondere dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), nicht vereinbar ist, steht nicht ohne Weiteres fest.

a) In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG, soweit es um die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf geht, in erster Linie an den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen ist und nicht (mehr) an denjenigen der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat diese Richtlinie in nationales Recht umgesetzt, sodass für die unmittelbare Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Sekundärvorschrift kein Raum mehr besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2011 - 8 C 46.09 -, BVerwGE 139, 1, Rn. 43). Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur unmittelbaren Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG auf die Höchstaltersgrenze bei Notaren, in der dieses Gericht die Frage aufwirft, ob eine Übertragung der Zuständigkeit zur Regelung des Berufsrechts der Notare auf die Europäische Union im Wege der begrenzten Einzelermächtigung überhaupt erfolgt ist (vgl. nur Beschluss vom 22. März 2010 - NotZ 16/09 -, BGHZ 185, 30, und 17. März 2014 - NotZ (Brfg) 21/13 -, MDR 2014, 553), ebenfalls nicht mehr bedenkenlos auf den vorliegenden Fall übertragbar. Gleiches gilt im Übrigen für den Hinweis des Antragsgegners auf den Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2000/78/EG, nach dem die Richtlinie nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung von Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand berührt. Insoweit ist aber ohnehin geklärt, dass dieser Erwägungsgrund sich auf die Klarstellung beschränkt, dass die Richtlinie nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tangiert, das Alter für den Eintritt in den Ruhestand zu bestimmen, und in keiner Weise der Anwendung der Richtlinie auf nationale Maßnahmen entgegensteht, mit denen die Bedingungen geregelt werden, unter denen ein Arbeitsvertrag endet, wenn das auf diese Weise festgesetzte Ruhestandsalter erreicht wird (vgl. EuGH, Urteil vom 5. März 2009 - C-388/07 -, „Age Concern England“, Slg. 2009, I-1569, Ls. 2 und Rn. 25).

2. Der von den Antragstellern begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil er auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausliefe. Sie ist aber im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. September 2011 - 2 BvR 1206/11 -, NJW 2011, 3706; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2008 - 13 S 418/08 -, VBlBW 2009, 149). Eine Ausnahme kommt vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG nur dann in Betracht, wenn die Vorwegnahme zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, mithin wenn der Verweis auf die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens mit unzumutbaren oder gar irreparablen, die Existenz der Antragsteller bedrohenden Nachteilen verbunden wäre (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. April 1994 - 6 S 745/94 -, juris). Derartige Nachteile haben die Antragsteller jedoch nicht behauptet.

Sie haben insoweit erstinstanzlich geltend gemacht, ihnen würde die „Ausübung ihres ÖbV-Berufs mit dem Eingreifen der Altersgrenze […] unmöglich gemacht“, da „[b]ei der Entwicklung und Realisierung von Bauvorhaben […] die anfallenden Vermessungsleistungen in aller Regel ‚im Paket‘ in der Weise vergeben [werden], dass hoheitliche und nicht-hoheitliche Messungen bei ein und derselben Vermessungsstelle beauftragt“ würden. Eine Trennung der hoheitlichen von den nicht hoheitlichen Messungen erfolge dabei regelmäßig nicht, sodass den Antragstellern nur noch eine Bewerbung um solche Aufträge verbliebe, die ausschließlich Ingenieurvermessungen zum Gegenstand hätten. Zudem müsse eine Interessenabwägung erfolgen, in die einzustellen sei, dass sich potentielle Auftraggeber angesichts der Dauer eines Hauptsacheverfahrens anderweitig orientieren würden.

Die Antragsteller räumen demnach ein, dass die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit irreparablen oder gar ihre Existenz gefährdenden Nachteilen einhergeht. Denn in finanzieller Hinsicht mag das Erlöschen ihrer Bestellung zum ÖbV zwar mit - von den Antragstellern nicht näher substantiierten - Nachteilen verbunden sein. Die hohe Schwelle für die Zulassung einer Vorwegnahme der Hauptsache wird aber nicht erreicht, da die Antragsteller gleichwohl ihre Tätigkeit als Vermessungsingenieure weiter ausüben und so einen finanziellen Ausgleich erzielen können. Auch der Hinweis auf den Bekanntheitsverlust als ÖbV ist jedenfalls nicht von irreparabler Natur. Denn ein Obsiegen in der Hauptsache unterstellt, sind die Antragsteller auf die vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung geführte Liste wieder aufzunehmen und damit für potentielle Auftraggeber ohne Weiteres wieder greifbar.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 159 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 52 Abs. 1 GKG (3 x 15.000,-- Euro; in Anlehnung an Nr. 14.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen).

Der Beschluss ist unanfechtbar.