Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.09.2016 - 13 PA 151/16
Fundstelle
openJur 2016, 9301
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 1. Kammer (Einzelrichterin) - vom 4. Juli 2016 geändert.

Den Antragstellern wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B. aus B-Stadt zur Vertretung beigeordnet.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 04.07.2016, in dem dieses es neben der Ablehnung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Aussetzung der Abschiebung zugleich abgelehnt hat, für das erstinstanzliche Eilverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ist zulässig und begründet.

1. Die Beschwerde ist nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaft. Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz können zwar nach § 80 AsylG vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stellt der Beschluss vom 04.07.2016 jedoch keine derartige Entscheidung dar.

Die Antragstellerin zu 1., der nach erfolglosem Asylverfahren die Abschiebung angedroht worden ist, hat beantragt, den Antragsgegner durch eine einstweilige Anordnung zu verpflichten, sie wegen Reiseunfähigkeit bis zur Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache (Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) zu dulden und die Abschiebung auszusetzen. Dieser Antrag begründet keine asylrechtliche, sondern eine ausländerrechtliche Streitigkeit.

Eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz liegt nur dann vor, wenn die vom Ausländer angefochtene oder begehrte Maßnahme ihre rechtliche Grundlage im Asylverfahrensgesetz (jetzt: AsylG) findet (BVerwG, Urt. v. 25.9.1997 - 1 C 6/97 -, NVwZ 1998 S. 299).

Überwiegend wird die Auffassung vertreten‚ dass dafür ausschlaggebend ist‚ auf welche Rechtsgrundlage die angefochtene oder begehrte Maßnahme oder Entscheidung gestützt wird. Im Fall der von der Ausländerbehörde begehrten Aussetzung der Abschiebung (Duldung) liege keine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylgesetz vor (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 26.4.2016 - 11 S 432/16 -, juris Rn. 1; BayVGH, Beschl. v. 4.1.2016 - 10 C 15.2105 -, juris Rn. 18; OVG NRW‚ Beschl. v. 15.8.2006 - 18 B 1704/06 -, juris; HessVGH‚ Beschl. v. 25.8.2006 - 8 TG 1617/06 -, juris; HambOVG, Beschl. v. 16.2.2005 - 4 Bs. 488/04 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschl. v. 12.11.2003 - 8 ME 189/03 -, juris Rn. 4; Müller, in: Hofmann [Hrsg], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 80 AsylG Rn. 5; a. A. Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz‚ § 80‚ Rn. 17 m.w.N.). Auch wenn das Bundesamt für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2‚ 3, 5 und 7 AufenthG zuständig ist und somit Kompetenzen des Bundesamtes nicht nur im Asylgesetz, sondern auch im Aufenthaltsgesetz geregelt sind, hat das nicht zur Folge, dass das Bundesamt auch für die Prüfung von im Aufenthaltsgesetz geregelten Vollstreckungshindernissen bei asylrechtlichen Abschiebungsandrohungen zuständig ist (so aber Funke-Kaiser, a.a.O., Rn. 18; anders bei Abschiebungsanordnungen nach § 34a AsylG, Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/12 -, juris Rn. 27). In den genannten Fällen wird im Asylgesetz bzw. AufenthG ausdrücklich auf die entsprechenden Befugnisse des Bundesamtes verwiesen (§ 31 AsylG, § 60 Abs. 1 und 2 AufenthG). In diesem Fall wird auch ausdrücklich geregelt, dass Rechtsschutz nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes erfolgt (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Umgekehrt ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes gebunden (§ 42 AsylG) bzw. hat gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG das Bundesamt zu beteiligen. Demgegenüber entscheidet die Ausländerbehörde über Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG (sog. inlandsbezogene Abschiebungshindernisse) in eigener Zuständigkeit ohne Beteiligung des Bundesamtes. Rechtsschutz erfolgt deshalb nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung.

Dieser überwiegenden Auffassung schließt sich der Senat ausdrücklich an.

Die Antragstellerin zu 1. macht mit ihrer Reiseunfähigkeit einen Duldungsgrund nach § 60a AufenthG geltend, so dass ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Streitigkeit nach dem AsylG begründet.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Denn das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren versagt. Nachdem sich der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren bereit erklärt hat, die Antragstellerin zu 1. für sechs Monate zu dulden und vorerst auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu verzichten, bestehen nämlich nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinreichende Erfolgsaussichten.

Die Entscheidung über die Beiordnung beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO.

Gerichtskosten sind nicht entstanden. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).