SG Berlin, Urteil vom 22.06.2016 - S 211 KR 492/13
Fundstelle
openJur 2016, 7978
  • Rkr:

Eine Vollversorgung mit Arzneimitteln ohne Begrenzung auf den hierfür festgesetzten Festbetrag hat auch dann zu erfolgen, wenn die allergische Unverträglichkeit von Generika nicht objektiv feststellbar ist, da selbst eine Austestung unter stationären Bedingungen aufgrund der möglichen vitalen Gefährdung nicht möglich ist, seitens eines Gutachters die anamnestische Beschreibung eines anaphylaktischen Schocks jedoch als plausibel bewertet wird.

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Februar 2013 verurteilt, die Klägerin abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung gegen Vorlage einer ärztlichen Verordnung mit dem Arzneimittel Nexium Mups 40 mg ohne Beschränkung auf den Festbetrag zu versorgen sowie der Klägerin für die seit dem 10. Juli 2012 durch auf ärztliche Verordnung erfolgten Erwerb des Arzneimittels Nexium MUPS 40 mg durch Beschränkung auf den Festbetrag, über den Eigenanteil entstandenen Kosten in Höhe von 1.664,63 € zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in Höhe von 93 %. Im Übrigen trägt die Klägerin ihre Kosten selbst.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten für das Medikament Nexium MUPS 40 mg ohne Begrenzung auf den Festbetrag.

Die Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Sie leidet an einer Vielzahl von Erkrankungen und multiplen Allergien sowie Asthma.

Ausweislich des Allergiepasses der Klägerin leidet Sie an einer Überempfindlichkeit gegen die Stoffe Gatrografin, Xylozitin, Xylocain, Bupivacani, Roxithromyin, Gelonida, Faustan (Diazepam), Remergil, Movicol, Metamizol und Targin. Daneben besteht eine Vielzahl weiterer Unverträglichkeiten. Aufgrund chronischer Magen-Darm-Probleme wurde der Klägerin von den behandelnden Ärztin das Medikament Nexium MUPS 40 mg verordnet, welches die Klägerin seit Oktober 2004 einnimmt.

Einen Antrag der Klägerin auf Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten für das Medikament Nexium MUPS lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. April 2011 ab und verwies die Klägerin auf Generika.

Der Klägerin wurde seitens einer Ärztin, auf die die Klägerin von der Beklagten anstelle der Hausärztin wegen Alternativen zu Nexium MUPS verwiesen worden war, nach der Anamnese, dass sie auf Omeprazol allergisch reagiert habe, am 26. April 2011 Lansoprazol 1A Pharma 15 mg verordnet. Nach Erwerb des Medikaments am 27. April 2011 erfolgte am 28. April 2011 eine Behandlung der Klägerin in der Rettungsstelle des U.Krankenhauses Berlin. Nach der Anamnese lag eine allergische Reaktion der Klägerin nach der erstmaligen Einnahme von Lansoprazol vor. Bei Einlieferung in der Rettungsstelle war die Klägerin, die zuvor Loratadin und Predni genommen hatte, beschwerdefrei. Im Befundbericht wurde die Absetzung des verdächtigen Lansoprazol und Verordnung einer Alternative empfohlen.

Am 2. Juli 2012 beantragte die Klägerin erneut eine Übernahme der Kosten für Nexium MUPS. Sie erklärte, dass alle Versuche mit Austauschpräparaten jedes Mal in der Notaufnahme endeten. In den Kliniken vorgenommene Medikamentengabe der Austauschprodukte u. a. Lansoprazol und Omeprazol hätten ebenfalls mit allergischen Reaktionen geendet. Sie verwies dabei auf den ärztlichen Befundbericht der Notaufnahme vom 28. April 2011.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Juli 2012 ab und verwies die Klägerin auf die Alternativpräparate Esomeprazol Heumann und Esomeprazol ABZ (die den gleichen Wirkstoff — Esomeprazol 40 mg, aber eine andere Galenik aufweisen).

Im Oktober 2012 befand sich die Klägerin für zwei Tage in stationärer Behandlung zur Abklärung von Bauchschmerzen. Es wurden bei der Klägerin neben einer chronischen Gastritis und einer Vielzahl weiterer Erkrankungen multiple Allergien mit Zustand nach anaphylaktischen Schocks diagnostiziert.

Mit Schreiben vom 4. und 13. November 2012 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnung der Übernahme der Kosten ein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2013 zurückgewiesen.

Mit ihrer am 13. März 2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

In der Zeit vom 1. November 2011 bis zum Tag der Entscheidung erwarb die Klägerin das Medikament Nexium MUPS 40 mg unter Zahlung der folgenden Festpreisdifferenzen:

1. November 2011:93,27 €24, Januar 2012:94,93 €23. April 201294,93 €6. August 2012124,95 €5. November 2012124,95 €11, Februar 2013124,95 €18. Juni 2013124,95 €19, Dezember 2013124,95 €11. April 2014124,95 €14. Oktober 2014144,95 €16. Januar 2015144,95 €29. April 2015144,95 €31. Juli 2015144,95 €1. Oktober 2015144,95 €29. Januar 2016144,95 €1. Juni 2016170,18 €Die Klägerin behauptet, Alternativpräparate zu Nexium Mups aufgrund allergischer Reaktionen nicht zu vertragen. Sie habe am '14. Juli 2015 für drei Tage die Einnahme von Nexium Mups gestoppt, uni eine ph-Metrie zum Beweis dessen, das sie auf das Medikament angewiesen sei, zu ermöglichen. In der Folge sei jedoch hoher Blutdruck, Schüttelfrost und Übelkeit aufgetreten, so dass die Klägerin am Abend des 17. Juli wieder mit der Medikamenteneinnahme begonnen habe. Die Rettungsstelle habe sie nicht aufgesucht, da die Beschwerden ja bekannt seien.

Sie meint, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Vollversorgung mit Nexium Mups besteht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 10. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung mit dem Arzneimittel Nexium Mups 40 mg ohne Beschränkung auf den Festbetrag zu versorgen sowie ihr die den Festbetrag übersteigenden Eigenanteile für die Beschaffung des Arzneimittels Nexium Mups 40 mg in Höhe von 2.072,71 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet im Wesentlichen, dass eine belastbare Diagnose einer Unverträglichkeit von Generika zu Nexium Mups nicht vorläge, Sie meint, dass die Voraussetzungen für eine Vollversorgung mangels Nachweises nicht vorlägen. Es sei bereits zweifelhaft, ob eine Einnahme des Medikaments tatsächlich indiziert sei.

Das Gericht hat Befundberichte der Ärzte Dr. B. (1) vom 8. Dezember 2013 und 10. September 2015, Dr. D. vom 7. Dezember 2013. PD. Dr. S. vom 27. Februar 2014, Dr. B. (2) vom 28. März 2014 und Prof. Dr. P. vom 13. April 2015 eingeholt.

Weitere von der Klägerin eingereichte, bzw. mit Befundberichten übersandte oder seitens des Gerichts angeforderte Arztbriefe, Befundberichte bzw. Epikrisen bezüglich der Klägerin vom 30. Januar 1998, 3., 5. und 8. Oktober 2004, 28. Mai, 19. Juni und 18. Juli 2006, 4. März, 4. und 5. Mai und 12. Juli 2007, 10. Februar, 11. Juni, 2. und 10. August sowie 27. September 2008, 5., 8., 11. und 19. Februar sowie 11. März 2009, 15. Januar, 1. Februar, 17. April, 31. Mai, 19. Juli, 13. September, 13. November und 3. Dezember 2010, 8. Januar, 7. April, 28. April, 28. Juni, 16. September, 14. und 18. November und 6. Dezember 2011, vom 1. Mai, 16. Juli, 19. und 26. September, 16. und 17. Oktober und 29. November 2012, vom 22. Januar, 12. Februar, 5., 11., und 28. März, 24. April, 12., 17. und 26. Mai, 14. und 19 Juni, 3. und 12. Juli, 26. September, 18. und 23. Oktober, 4., 14., 18,. 25. und 26. November und 10. Dezember 2013 sowie 4. Juni 2014, vom 25. und 27.Januar, 16. Februar, 18. und 24. März sowie 24. August 2015 lagen vor.

Die Beklagte hat sozialmedizinische Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg e.V. vom 27. September und 24. Oktober 2013, 26. Mai 2014 sowie 17. März 2015 und eine fachliche Stellungnahme des Bereichs Arzneimittel der Beklagten zu den Akten gereicht.

Das Gericht hat durch die Gutachten der Gutachter Dr. K. vom 16. Dezember 2014 und Prof. Dr. Z. vom 2. März 2016 Beweis erhoben.

Das Verfahren wurde mit den Beteiligten am 24. August 2015 in Anwesenheit des Zeugen Dr. B. (1) erörtert. Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die in der Gerichtsakte befindlichen Schriftsätze, Befundberichte und Gutachten sowie das Sitzungsprotokoll des Erörterungstermins am 24. August 2015 verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

1. Die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig. Beruft sich ein Versicherter auf einen atypischen Einzelfall, in welchem er trotz genereller Achtung der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben für Festbeträge keine hinreichende Arzneimittelversorgung zum Festbetrag erhält, kann er die konkrete Leistung eines Arzneimittels gesondert auf dem dafür regelhaft vorgesehenen Weg eines Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens gegen die Krankenkasse geltend machen. Dementsprechend kann die Klägerin, die die Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel mit Esomeprazol als Wirkstoff nicht in Zweifel zieht, die Vollversorgung mit dem Festbetragsarzneimittel Nexium MUPS 40 mg im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage als Sachleistung für die Zukunft und als sachleistungsersetzende Kostenerstattung für die Vergangenheit (§ 13 Abs. 3 S. 1 SGB V) einfordern (BSG, Urteil vom 03. Juli 2012 - B 1 KR 22/11 R, Rn. 10).

2. Die zulässige Klage ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Rechtsgrundlage des Anspruchs ist §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 31 SGB V und § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V.

a) Der Anspruch auf eine festbetragsfreie Arzneimittelversorgung mit Nexium MUPS 40 mg als Naturalleistung ergibt sich aus § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 31 SGB V.

Hinsichtlich der seitens der Beklagten in Zweifel gezogenen medizinische Notwendigkeit der Behandlung mit dem begehrten Medikament bzw. Generika, folgt die Kammer den Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. Z., dass aufgrund der internen Steroidtherapie ein Magenschutz mit einem Protonenpumpenhemmer oder adäquatem Säureschutz indiziert ist.

Die Voraussetzungen für eine Vollversorgung mit Arzneimitteln ohne Begrenzung auf den hierfür festgesetzten Festbetrag hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 3. Juli 2012 konkretisiert:

Versicherte erhalten grundsätzlich die krankheitsbedingt notwendigen, nicht der Eigenverantwortung (§ 2 Abs. 1 S 1 SGB V) zugeordneten Arzneimittel (§ 27 Abs. 1 S 2 Nr. 3 SGB V) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund vertragsärztlicher Verordnung. Ist für ein Arzneimittel wirksam ein Festbetrag festgesetzt, trägt die Beklagte grundsätzlich - abgesehen von der Zuzahlung (§ 31 Abs. 3 SGB V) - die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags. Die Festbetragsregelung ist Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V), Arzneimittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen oder unwirtschaftlich sind, weil sie gegenüber gleich geeigneten, ausreichenden und erforderlichen Mitteln teurer sind, sind aus dem Leistungskatalog der GKV grundsätzlich ausgeschlossen. Die Beurteilung der Verursachung richtet sich nach der im Sozialrecht maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen muss in Gerichtsverfahren grundsätzlich zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Lediglich für die zu prüfenden Kausalzusammenhänge genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Nach allgemeinen Grundsätzen tragen die Versicherten hierfür die objektive Beweislast.

Der Anspruch eines Versicherten auf eigenanteilsfreie Versorgung mit einem nur oberhalb des Festbetrags erhältlichen Festbetragsarzneimittel hängt davon ab, dass bei ihm zumindest objektiv nachweisbar eine zusätzliche behandlungsbedürftige Krankheit oder eine behandlungsbedürftige Verschlimmerung einer bereits vorliegenden Krankheit nach indikationsgerechter Nutzung aller anwendbaren, preislich den Festbetrag unterschreitenden Arzneimittel eintritt (dazu a, c) dass die zusätzliche Erkrankung/Krankheitsverschlimmerung zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit jeweils wesentlich durch die Anwendung der den Festbetrag im Preis unterschreitenden Arzneimittel bedingt ist (dazu b, c) und dass die Anwendung des nicht zum Festbetrag verfügbaren Festbetragsarzneimittels dagegen ohne Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit bleibt und in diesem Sinne alternativlos ist (dazu d).

Bei den dergestalt zu qualifizierenden Nebenwirkungen kann es sich um solche handeln, die nach Art, Ausmaß und Ausgang noch nicht Gegenstand der arzneimittelrechtlichen Zulassung gewesen sind (sog unerwartete Nebenwirkungen, vgl. § 4 Abs. 13 S 3 Arzneimittelgesetz <AMG>; hierzu Rehmann, AMG, 3. Aufl. 2008, § 4 RdNr. 12). Der Atypik entsprechend sind aber auch solche Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen, die bereits Gegenstand des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens (§§ 21, 22 Abs. 1 Nr. 8 AMG) und der Festbetragsgruppenbildung und -festsetzung (§ 35 SGB V) gewesen sind, wenn diese den Besonderheiten des Falles nicht ausreichend Rechnung tragen.

a) Das objektivierbar gesicherte Hinzutreten einer neuen Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit nach der Verabreichung eines Festbetragsarzneimittels in einem Behandlungsbedürftigkeit begründenden Ausmaß ist erste Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Anspruch auf Vollkostenübernahme eines anderen, in die Festbetragsgruppe einbezogenen Arzneimittels in Betracht kommt. Diese Umstände müssen im Sinne des Vollbeweises nach den Regeln der ärztlichen Kunst gesichert sein. Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete (hier zusätzliche) Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs. 1 S 3, § 28 Abs. 1 S 1 SGB V; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 20 RdNr 14; vgl. zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr. 23 mwN) und die danach zur Verfügung stehenden Methoden, um Beschwerden zu objektivieren.

b) Ist zumindest eine neu hinzugetretene Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit vollbeweislich gesichert, muss diese mit Wahrscheinlichkeit wesentlich jeweils durch die Anwendung des Festbetragsarzneimittels bedingt sein. Der Senat folgt insoweit der Theorie der wesentlichen Bedingung, wie sie insbesondere der 2. und 9. BSG-Senat bei der Feststellung der Kausalität im Unfallversicherungs- und sozialen Entschädigungsrecht zugrunde legen, sie aber auch der erkennende Senat ua im Zusammenhang mit Kostenerstattungsansprüchen anstelle des Vollbeweises hat ausreichen lassen (vgl hierzu BSGE 79, 125, 127 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 52). Als kausal und rechtserheblich werden danach nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zur konkreten Krankheitsentstehung zum Eintritt des Erfolgs wesentlich mitgewirkt haben. Bei der rein rechtlichen Zurechnungsprüfung der "Wesentlichkeit" einer Bedingung für die Entstehung (oder wesentliche Verschlimmerung) der Krankheit sind also nicht alle Bedingungen zu berücksichtigen, sondern nur jene, die nach den - im jeweiligen Entscheidungszeitpunkt über die Behandlung - anerkannten wissenschaftlichen Erfahrungssätzen notwendige oder hinreichende Bedingungen für den Eintritt einer Krankheit dieser Art sind (vgl. BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - RdNr 31 mwN; BSG SozR 4-3200 § 81 Nr. 5 RdNr 21 mwN).

Insoweit sind die tatsächlichen Lebensumstände des Versicherten, die als (Mit-)Ursache der objektivierten Krankheit in Betracht kommen, umfassend abzuklären. Um die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Anwendung des Festbetragsarzneimittels und festgestellter behandlungsbedürftiger Erkrankung bejahen zu können, ist auch der Hersteller des angewendeten, vermeintlich der Nebenwirkungen verdächtigen Arzneimittels hierzu zu befragen. Ein gewichtiges, stets zu überprüfendes Indiz stellt in diesem Zusammenhang auch der Umstand dar, dass der Vertragsarzt die bei dem Versicherten im Rahmen der Behandlung mit dem Festbetragsarzneimittel aufgetretenen, objektiv festgestellten behandlungsbedürftigen Krankheitserscheinungen zumindest als vermutete Nebenwirkungen gemeldet hat. ...

c) Der erforderliche kausale Zusammenhang zwischen Arzneimittelanwendung und unerwünschter Nebenwirkung im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit oder einer Verschlimmerung muss auch - abgesehen vom beanspruchten - hinsichtlich aller anderen Festbetragsarzneimittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehen. Notwendige Bedingung dafür, dass die Festbetragsgrenze im Einzelfall infolge der inneren Begrenzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V) entfällt, ist nämlich grundsätzlich, dass der Arzt unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst dem Versicherten die in Betracht kommenden, zum Festbetrag erhältlichen und nach ihrer Wirkungsweise therapeutisch geeigneten Arzneimittel verordnet und der Versicherte die verordneten Arzneimittel über einen therapeutisch relevanten Zeitraum hinweg auch tatsächlich in vorgeschriebener Weise anwendet.

d) Bei Krankheiten von behandlungsbedürftigem Ausmaß als Folgen unerwünschter Arzneimittelwirkungen besteht aber nicht bereits dann ein dauerhafter Anspruch auf das Nicht-Festbetragsarzneimittel, wenn alle Festbetragsarzneimittel im konkret-individuellen Behandlungsfall eines Versicherten nachweisbar nach dem Maßstab der Theorie der wesentlichen Bedingung gleichermaßen nebenwirkungsbehaftet sind. Vielmehr besteht der Anspruch auf das begehrte Festbetragsarzneimittel ohne Zahlung des über der Festbetragsgrenze liegenden Anteils zunächst nur während eines Heilversuchs im Rahmen eines aussagekräftigen indikationsbezogenen Therapiezeitraums. Dort muss der Wegfall oder der deutliche Rückgang der nebenwirkungsbedingten behandlungsbedürftigen Krankheiten vollbeweislich gesichert sein. Ist dies der Fall, muss die Nebenwirkungsfreiheit bzw. -armut nach dem oben aufgezeigten Kausalitätsmaßstab mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wesentlich auf der Therapie mit dem preislich über dem Festbetrag liegenden Arzneimittel beruhen. Zugleich dürfen keine anderen, ähnlich belastenden neuen Nebenwirkungen wie bei den bisher angewendeten Festbetragsarzneimitteln auftreten. Hierüber hat die Krankenkasse vor Ablauf des Heilversuchs unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse erneut zu entscheiden (BSG, Urteil vom 03. Juli 2012, Az. B 1 KR 22/11 R).

Die Kammer hatte zu entscheiden, wie diese Rechtsprechung des BSG auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist.

41Nach dem Urteil des BSG muss das Hinzutreten einer neuen Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit nach der Verabreichung eines Festbetragsarzneimittels in einem Behandlungsbedürftigkeit begründenden Ausmaß im Sinne des Vollbeweises nach den Regeln der ärztlichen Kunst gesichert sein. Maßgeblich sind objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse und die danach zur Verfügung stehenden Methoden, um Beschwerden zu objektivieren. Eine eigene unmittelbare Feststellung der Unverträglichkeit eines Festbetragsarzneimittels durch einen Arzt liegt nicht vor, Jedoch hat der Gutachter Prof. Dr. Z. die anamnestisch beschriebene allergische Reaktion bei der Einnahme von Lansoprazol als schwer bewertet und die anamnestische Schilderung als plausibel beurteilt, so dass demnach das Hinzutreten einer neuen Krankheit in einem behandlungsbedürftigen Ausmaß in Betracht kommt. Eine weitere objektivierbare Beweisführung ist vorliegend nicht möglich, da nach den Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. Z., welchen die Kammer folgt und die sich insofern auch mit den Ausführungen der Ärztin Dr. S. vom 5. März 2013 decken, selbst eine stationäre Testung der Verträglichkeit eines anderen Medikaments medizinisch absolut kontraindiziert ist und eine vitale Gefährdung bei einem Wechsel des Medikaments bestehen kann. Die Kammer folgt diesbezüglich nicht der Vermutung des als Gastroenterologe bestellten Gutachters Dr. K., dass das Risiko einer allergischen Austestung zumutbar sein dürfte. Entgegen der von dem Gutachter Dr. K. angestellten Vermutung folgt die Kammer den Ausführungen des für die Austestung bestellten Gutachters Prof. Dr. Z., Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, der unter umfangreiche Bezugnahme auf die einschlägigen Leitlinien eine Austestung als absolut kontraindiziert abgelehnt.

Zwar kann die Klägerin vorliegend einen Vollbeweis, also das Hinzutreten der Erkrankung bei der Benutzung von Generika, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit führen. Dies ist ihr jedoch, da dies das Eingehen des Risikos einer vitalen Gefährdung voraussetzen würde, nicht zuzumuten. In einem solchen Fall kommt nach Ansicht der Kammer auch eine Beweisführung durch eine seitens eines Arztes kritisch gewürdigte Anamnese in Betracht, welche grundsätzlich eine gängige methodische Herangehensweise zur Bestimmung von Symptomen und nachfolgend Erkrankungen darstellt. Entsprechend ist vorliegend von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Kausalität zwischen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung bei Anwendung eines anderen Arzneimittels auszugehen.

Hinsichtlich der seitens des BSG geforderten Alternativlosigkeit der Behandlung bestehen die Voraussetzung eines Anspruchs auf Versorgung mit Nexium MUPS 40 mg nur solange, bis eine leitliniengetreue Einstellung des Asthmas der Klägerin vorliegt und eine Austestung von Nebenwirkungen erfolgt ist.

b) Soweit die Klägerin eine Kostenerstattung für die Vergangenheit begehrt, ist Anspruchsgrundlage § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Der Anspruch auf Kostenerstattung für die Vergangenheit reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr. vgl. BSG, Urteil vom 24. September 1996, Az. 1 RK 33/95, Rn. 10, juris). Wie dargelegt bestand grundsätzlich ein Naturalleistungsanspruch.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG muss jedoch zwischen der Ablehnung durch den Leistungsträger und der Kostenlast des Versicherten ein Ursachenzusammenhang bestehen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht. Damit kommt ein Anspruch auf Kostenerstattung von vornherein nicht in Betracht, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme einer vom Versicherten selbst beschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr., vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, Az.: B 1 KR 5/09 R, Rn. 15, zitiert nach juris).

(1) Soweit die Klägerin eine Erstattung der geleisteten Zuzahlungen über dem Festbetrag für die Arzneimittelkäufe vom 1. November 2011, 24. Januar und 23. April 2012 (insgesamt 408,08 €) begehrt, beruht die Beschaffung nicht auf der hier streitgegenständlichen Ablehnung vom 10. Juli 2012, so dass die Klägerin diesbezüglich den Beschaffungsweg nicht eingehalten hat. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte bereits mit Bescheid vom 21. April 2011 die Vollversorgung mit Nexium MUPS 40 mg abgelehnt hat, da sie gegen diesen Bescheid keinen Widerspruch eingelegt hat. Zwar enthielt der Bescheid fehlerhaft keine Rechtsbehelfsbelehrung, die Klägerin hat jedoch nicht innerhalb der insofern gern. § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG maßgeblichen einjährigen Rechtsmittelfrist Widerspruch eingelegt.

(2) Hinsichtlich der übrigen Zuzahlungen in Höhe von 1.664,63 € besteht die Kausalität zwischen Ablehnung und Kostenanfall, da die Beschaffung des Nexium MUPS 40 mg nach der Ablehnungsentscheidung der Beklagten erfolgte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Entsprechend § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG wurde hinsichtlich der Verurteilung zu zukünftigen Leistungen eine Einnahme von 2 Tabletten des Medikaments zugrunde gelegt und die erforderlichen Zuzahlungen anhand der Festbetragsdifferenz für das Jahr 2016 für die nächsten 3 Jahre berechnet. Unter Hinzurechnung des Betrages, zu dessen Erstattung die Beklagte verurteilt wurde, beträgt der abgewiesene Teil des Kostenerstattungsanspruchs gerundet 7 % was entsprechend in der Kostenentscheidung zu berücksichtigen war.

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