FG Hamburg, Urteil vom 04.02.2016 - 3 K 298/15
Fundstelle
openJur 2016, 10099
  • Rkr:
Tatbestand

A. Die Klage betrifft die Schenkungsteuer und Abrechnung der Schenkungsteuer für die Grundstücksschenkung vom (...)

Gründe

B. Die Klage ist unzulässig (I - II) und unbegründet (III).

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(II 1 c)

cc) Entgegenstehende Rechtshängigkeit

Im Übrigen fehlt es der vorliegenden am 11. November 2015 eingereichten Nichtigkeitsklage - zumindest bis zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung am 4. Februar 2016 - am Rechtsschutzbedürfnis wegen doppelter Rechtshängigkeit gemäß § 70 FGO i. V. m. § 17 Abs. 1 GVG bzw. § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO (sog. negative Sachurteilsvoraussetzung, vgl. BFH-Beschluss vom 27.04.2001 XI S 9/01, Juris, nachgehend BVerfG-Beschluss vom 30.07.2001, Juris).

Über die vorgehend vom Kläger unter dem 25. Juni 2015 mit Eingang 7. Juli 2015 erhobene Parallelklage 3 K 200/15 auf Feststellung der Nichtigkeit der Schenkungsteuerbescheide ist noch nicht rechtskräftig entschieden; gegen das Urteil vom 25. August 2015 hat der Kläger nach dessen Zustellung beim BFH Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision unter dem Aktenzeichen II B 12/16 eingelegt .

aaa) Identität des Streitgegenstands besteht hinsichtlich der angestrebten Nichtigkeitsfeststellung, ohne dass sich die Klageart unterscheidet, wie etwa gegenüber einer Anfechtungsklage (vgl. FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.09.2015, EFG 2015, 2223, Juris Rz. 25 f.).

bbb) Die gesetzlich angeordnete Klagesperre vermeidet Mehrfachbelastungen des Gerichts und des Beklagten sowie sich möglicherweise widersprechende Entscheidungen (BAG-Urteil vom 16.07.2015 2 AZR 15/15, NJW 2016, 588).

Dem Klägerinteresse am effektiven Rechtsschutz wird durch die Entscheidung im zuerst eingeleiteten Verfahren entsprochen (FG München, Urteil vom 27.11.2008 14 K 3842/07, Juris).

ccc) Nach Verkündung der die Instanz beendenden Entscheidung im ersten Verfahren scheidet eine Verbindung gemäß § 73 FGO mit der später eingegangenen - vorliegenden - Klage von vornherein aus, auch wenn sonst die doppelte Rechtshängigkeit bei Identität von Streitgegenstand und Beteiligten vor demselben Spruchkörper durch Verbindung beseitigt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 18.11.2015 XI R 24-25/14, Juris; FG München, Beschluss vom 18.12.2006 13 K 1356/02, 13 K 1042/04, Juris); u. U. sogar mittels Verweisung von einem unzuständigen FG an das parallel befasste zuständige FG (vgl. BFH-Beschluss vom 26.05.2006 IV B 151/04, DStRE 2007, 130, BFH/NV 2006, 2086).

ddd) Nach instanzbeendender Urteilsverkündung im vorliegenden zweiten Verfahren kommt es nicht mehr darauf an, unter welchen Umständen dieses im Fall einer vorherigen Entscheidung des BFH im vorgehenden Parallelverfahren in die Zulässigkeit hätte hineinwachsen können oder letzterer stattdessen dann die Rechtskraft der vorgehenden Rechtsmittel-Entscheidung entgegenstünde (vgl. BSG-Urteil vom 12.12.2013 B 4 AS 17/13 R, NZS 2014, 276).

eee) Davon abgesehen hätte die - vorliegende - zweite Klage auch nicht auf Vorrat für den Fall der Erfolglosigkeit des ersten Verfahrens zulässig erhoben werden können (vgl. FG Düsseldorf, Beschluss vom 14.01.1983 VI 554/82 A (G), EFG 1983, 418).

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2. Unzulässigkeit der Klage auf Abrechnungsbescheid

Die Klage auf Verpflichtung des FA zur Erteilung eines aktuellen Abrechnungsbescheids aus § 218 Abs. 2 AO ist ebenfalls unzulässig.

a) Für die jetzige Verpflichtungsklage gemäß § 101 Satz 1 FGO fehlt es an der Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens, das heißt eines Einspruchs-Verfahrens nach § 44 FGO.

b) Die Klage kann auch nicht als Untätigkeitsklage im Sinne von § 46 FGO zulässig sein oder werden, sondern bleibt unheilbar unzulässig, weil es bereits an einem Ablehnungsbescheid fehlt oder zumindest an einem auf Bescheid-Erteilung gerichteten Untätigkeitseinspruchs-Verfahren gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO (vgl. BFH, Beschlüsse vom 04.06.2014 VII B 180/13, BFH/NV 2014, 1723; vom 09.07.2007 I R 60/04, BFH/NV 2007, 2238; Urteil vom 03.08.2005 I R 74/02, BFH/NV 2006, 19, nachgehend BVerfG-Beschluss vom 16.01.2007 1 BvR 2412/05, HFR 2007, 1023; insbes. BFH-Urteil vom 19.05.2004 III R 18/02 BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980, zu II 3, Juris Orientierungssatz 6-7, Rz. 35 ff.; FG Hamburg, Urteile vom 17.08.2004 III 369/02, StE 2004, 795; vom 18.03.1997 II 115/96, EFG 1997, 1404).

Als jetziger Ablehnungsbescheid ist auch nicht das Hinweisschreiben des FA vom 12. Oktober 2015 auszulegen, mit dem es ausdrücklich mangels neuen Vortrags auf seine Ablehnungsbescheide vom 15. November 2011 verweist (...).

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IV. Keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO aufgrund nach Schluss der Verhandlung eingereichter Schriftsätze kommt nicht in Betracht. Die Wiedereröffnung wäre ebenso unzulässig wie die zuvor beantragte Wiedereröffnung vorangegangener Verfahren und deren Verbindung (oben II 1 c dd). Insbesondere nach Urteilsverkündung scheidet eine Wiedereröffnung aus (BFH, Beschlüsse vom 12.12.2012 VI B 50/12, BFH/NV 2013, 1618; vom 09.06.2011 XI B 67/10, BFH/NV 2011, 1714; vom 23.06.1994 I B 211/93, BFH/NV 1995, 183, Juris Rz. 10).

1. Dementsprechend konnte die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet werden aufgrund des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 4. Februar 2016 mit Fax-Absendevermerk 11.28 Uhr abgesandten und erst nach Urteilsverkündung von 12.12 Uhr um 12.36 Uhr zur Akte gelangten und vorgelegten Faxschriftsatzes des Klägers.

Im Übrigen ist das Grundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 119 Nr. 3 FGO (vgl. § 115 Abs. 3 FGO) nicht dadurch verletzt worden, dass das Fax erst nach Urteilsverkündung vorgelegt worden ist und daher eine Wiedereröffnung der Verhandlung ausgeschlossen war.

a) Zum einen enthält dieser Faxschriftsatz keinen neuen oder gar erheblichen Vortrag zum Klagebegehren.

b) Zum anderen bestand bereits keine Verpflichtung des Gerichts, nach Schluss der Verhandlung auf einen Schriftsatz oder ein Fax zu warten (vgl. BFH, Beschluss vom 30.05.2005 VII B 293/04, BFH/NV 2005, 1874, Juris).

c) Davon abgesehen ist das rechtliche Gehör nicht verletzt, wenn - wie hier - ein Beteiligter trotz seiner Prozessverantwortung in Kenntnis des Verhandlungstermins oder einer Frist sein Vorbringen zeitlich so knapp mitteilt, dass im ordnungsgemäßen Geschäftsgang eine rechtzeitige Vorlage an den zur Entscheidung berufenen Spruchkörper bzw. Richter problematisch erscheint und der Beteiligte damit rechnen muss, nicht mehr gehört zu werden (BFH, Beschluss vom 27.06.1985 I B 28/85, BFHE 144, 139, BStBl II 1985, 626; OLG Köln, Beschluss vom 11.11.1994 2 W 152/94, Juris); ebenso wie bei einer im ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht mehr möglichen Weiterleitung an das zuständige Gericht (vgl. Beschlüsse BGH vom 12.10.2011 IV ZB 17/10, NJW 2012, 78; BSG vom 23.07.2012 B 13 R 280/12 B, Juris; vom 20.12.2011 B 4 AS 161/11 B, Juris; vom 14.12.2010 B 10 EG 4/10 R, Juris; LSG Baden-Württemberg vom 16.04.2013 L 9 AS 4755/12, Juris; OLG Karlsruhe vom 11.08.2003 5 UF 162/03, FamRZ 2004, 831; OLG Köln vom 03.01.2000 2 W 270/99, ZIP 2000, 195).

aa) Zwar hätte auf rechtzeitige Vorlage u. U. vertraut werden dürfen bei Einreichung zum Beispielaaa) am Vortag (Bay. VerfGH, Entscheidung vom 16.12.1994 Vf. 5-VI-94, BayVBl 1995, 444),bbb) nach frühzeitig vorheriger Ankündigung (BAG, Urteil vom 19.06.1973 1 AZR 521/72, BAGE 25, 226) oderccc) am selben Tag bei persönlicher Übergabe an einen Wachtmeister im Gerichtsgebäude mit Bitte um sofortige Weiterleitung unter Hinweis auf Termin oder Fristablauf (BGH, Beschluss vom 23.03.2006 IX ZB 56/05, AnwBl 2006, 491).

bb) Dagegen ist das rechtliche Gehör dann nicht verletzt, wenn ein unberücksichtigter (Fax-)Schriftsatz so spät eingegangen ist, dass er selbst ohne Sorgfaltspflichtverstoß, sondern bei umgehender Kenntnisnahme und Weiterleitung den zuständigen Richter vor der Urteilsverkündung nicht mehr erreicht hat; nämlich bei Eingang erstaaa) weniger als eine Stunde vorher (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.1985 12 RK 63/84, NJW 1987, 919),bbb) 40 Minuten vorher (BVerwG, Beschluss vom 03.07.2001 6 B 13/01, Juris),ccc) rund eine halbe Stunde vorher (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.07.1996 1 Ss 161/96, Juris) oderddd) bei Eingang außerhalb der Bürozeit oder kurz vor deren Unterbrechung bzw. kurz vor deren Ende (vgl. Thüringer OVG, Beschluss vom 03.05.1995 3 ZO 501/94, NVwZ-RR 1996, 545).

cc) So liegt der Fall hier bei Faxeingang weniger als eine halbe Stunde vor der Urteilsverkündung und außerdem noch während der flexiblen Mittagszeit.

dd) Bei vorstehenden Grundsätzen bleibt es für den ordnungsgemäßen Geschäftsgang auch nach Umstellung des Faxeingangs im FG von der Papierform in die digitale Form über den Fax-Server-Dienst bei der - für verschiedene Bundesländer tätigen - Dataport AöR (Allgemeinverfügung der Behörde für Justiz und Gleichstellung, Hmb. JVBl 2013, 87); in praktischer Anlehnung an den work flow im sukzessiv eingeführten elektronischen Rechtsverkehr (vgl. § 52a FGO i. V. m. VO über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg).

Dementsprechend kann für den Verkündungstermin "am Schluss der Vormittagssitzung" oder die tatsächliche Verkündung um 12.12 Uhr nach digitalem Faxeingang bei Dataport um 11.47 Uhr und im elektronischen Postfach der FG-Poststelle um 11.51 Uhr während der flexiblen Mittagszeit nicht mehr erwartet werden als die (elektronische) Weiterleitung an die Geschäftsstelle des zuständigen Senats um 12.15 Uhr und dortige Zuordnung zur Akte nebst Ausdruck und Vorlage an den Richter um 12.36 Uhr.

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4. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht zugelassen.