BGH, Urteil vom 29.06.2016 - IV ZR 387/15
Fundstelle
openJur 2016, 7787
  • Rkr:
Verfahrensgang

Auch nach der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 1. Januar 2010 kann ein zur Anfechtung der Annahme einer Erbschaft berechtigender Irrtum vorliegen, wenn der mit Beschwerungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. Juli 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte Miterbin der am 25. Januar 2012 verstorbenen Erblasserin geworden oder ob sie pflichtteilsberechtigt ist, weil sie nach Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist die Erbschaft wirksam ausgeschlagen hat.

Die Erblasserin, deren Ehemann 1998 vorverstorben war, hatte vier Kinder, darunter die Beklagte. Zwei Kinder waren vorverstorben. Der Kläger ist ein Enkel der Erblasserin. Sie hinterließ drei Testamente vom 14. September 1994, 18. April 2007 und vom 18. August 2008, die am 5. März 2012 vom Nachlassgericht eröffnet wurden. Im Testament vom 18. April 2007 setzte die Erblasserin die Beklagte zur Miterbin zu 1/4 ein und zugunsten des Klägers sowie seiner zwei Geschwister ein Vorausvermächtnis hinsichtlich des Hausgrundstücks Kelterweg 29 in H. aus, welches sie in ihrem Testament vom 18. August 2008 wiederum mit einem Untervermächtnis unter anderem zugunsten der Beklagten in Höhe von 15.000 € belastete. Der Kläger wurde von der Erblasserin zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Die Beklagte erhielt im März 2012 Kenntnis von den letztwilligen Verfügungen.

Mit Schreiben vom 12. Juni 2012 erklärte die Beklagte die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist und gleichzeitig die Erbausschlagung. In dem Schreiben heißt es unter anderem:

"Ich wollte die Erbschaft in Wirklichkeit nicht annehmen, sondern habe die Frist zur Ausschlagung versäumt, weil ich in dem Glauben war, dass ich im Falle einer Ausschlagung vollumfänglich vom Nachlass ausgeschlossen wäre und zwar auch bzgl. von Pflichtteilsansprüchen und des zu meinen Gunsten eingeräumten Untervermächtnisses. Ich habe mich also über den rechtlichen Regelungsgehalt des § 2306 BGB geirrt, der zu einem Irrtum über die Rechtsfolgen der Nichtausschlagung führte."

In der Folgezeit forderte die Beklagte den Kläger unter Berufung auf ihren Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses auf. Dies lehnte der Kläger ab.

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - beantragt festzustellen, dass er in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker die Beklagte als Miterbin zu einem Anteil von 1/4 anzusehen und für den aufzustellenden Teilungsplan entsprechend zu berücksichtigen hat. Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat ihrerseits Widerklage mit dem Antrag erhoben, den Kläger zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung wegen der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß der zugleich erhobenen Drittwiderstufenklage gegen die Drittwiderbeklagten zu 2 bis 12 in den Nachlass zu dulden. Mit der Drittwiderstufenklage begehrt die Beklagte von den Erben sowie Beschenkten der Erblasserin in der ersten Stufe Auskunft und Wertermittlung.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage sowie die Drittwiderklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt sie ihre Anträge zur Klagabweisung, Widerklage und Drittwiderklage weiter.

Gründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte sei Erbin zu 1/4 geworden. Sie habe die unstreitig erfolgte Versäumung der Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB nicht wirksam angefochten. Der Bundesgerichtshof habe zu § 2306 Abs. 1 BGB a.F. entschieden, dass ein Erbe die Annahme der belasteten Erbschaft anfechten könne, wenn sie auf der irrigen Vorstellung des Erben beruht habe, er dürfe sie nicht ausschlagen, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren. Zwar werde die Frage, ob diese Rechtsprechung gemäß § 2306 BGB in der seit dem 1. Januar 2010 gültigen Fassung weiterhin Geltung beanspruche, im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Diese Frage brauche aber nicht entschieden zu werden, da die grundlegende Vorschrift des § 119 BGB, nach der sich die Frage des Vorliegens eines rechtlich erheblichen Irrtums im konkreten Einzelfall beurteile, im Zuge der Gesetzesnovelle nicht geändert worden sei. Nach den zutreffenden tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts habe der Irrtum der Beklagten darin gelegen, dass sie irrtümlich davon ausgegangen sei, im Falle einer Ausschlagung keine Teilhabe am Nachlass, insbesondere keinen Pflichtteilsanspruch zu haben. Sie habe gedacht, durch die Nichtausschlagung wenigstens das Untervermächtnis von 15.000 € zu erhalten. Auf die Frage, was sie sich gedacht habe, wenn sie die Erbschaft ausschlage, habe sie erklärt: "Dass ich nichts bekomme." Dem stehe jedoch bereits der Wortlaut des § 2306 Abs. 1 BGB n.F. entgegen. Außerdem sei die Beklagte vor Ablauf der Ausschlagungsfrist in dem ihr übermittelten Merkblatt des Nachlassgerichts ausdrücklich auf die Ausschlagungsmöglichkeit und darauf hingewiesen worden, dass Pflichtteilsrechte unter Umständen auch von der Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses abhängig sein könnten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte durch zwei verschiedene Rechtsanwälte beraten worden sei, wobei sie im Termin vor dem Landgericht am 14. November 2012 eingeräumt habe, dass auch bei der ersten Beratung im April 2012 bereits "von Pflichtteil" die "Rede" gewesen sei. Nach alledem habe lediglich ein nicht schützenswerter Rechtsfolgenirrtum vorgelegen. Die von der Beklagten erhobene Widerklage sei zulässig, aber unbegründet. Denn mangels wirksamer Ausschlagung der Erbschaft stehe der Beklagten als Miterbin kein Pflichtteilsanspruch zu. Aus denselben Gründen sei auch die Drittwiderstufenklage unbegründet.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht das Vorliegen eines rechtlich erheblichen Irrtums der Beklagten.

a) Der Anfechtungsgrund ergibt sich hier aus § 119 Abs. 1 BGB. Die Sonderregeln der §§ 1954, 1955, 1957 BGB für Frist, Form und Wirkung der Anfechtung ändern oder erweitern die Anfechtungsgründe nicht (Senatsbeschluss vom 5. Juli 2006 - IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 Rn. 19). Ein Inhaltsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB kann auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt nach ständiger Rechtsprechung nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (Senatsbeschluss aaO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. November 1996 - BLw 16/96, BGHZ 134, 152, 156).

Nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts lag der Irrtum der Beklagten darin, dass sie fälschlich davon ausging, im Falle einer Ausschlagung keine Teilhabe am Nachlass, insbesondere keinen Pflichtteilsanspruch zu haben. Vielmehr habe sie gedacht, durch die Nichtausschlagung wenigstens das Untervermächtnis von 15.000 € zu erhalten.

b) Auf dieser Grundlage liegt ein beachtlicher Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB i.V.m. § 2306 Abs. 1 BGB vor. § 2306 Abs. 1 BGB in der - hier anwendbaren (vgl. Art. 229 § 23 Abs. 4 Satz 2 EGBGB) - Fassung ab dem 1. Januar 2010 lautet wie folgt:

"Ist ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt oder ist er mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert, so kann er den Pflichtteil verlangen, wenn er den Erbteil ausschlägt; die Ausschlagungsfrist beginnt erst, wenn der Pflichtteilsberechtigte von der Beschränkung oder der Beschwerung Kenntnis erlangt."

§ 2306 Abs. 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung hatte demgegenüber folgenden Wortlaut:

"Ist ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt oder ist er mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert, so gilt die Beschränkung oder die Beschwerung als nicht angeordnet, wenn der ihm hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt. Ist der hinterlassene Erbteil größer, so kann der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil verlangen, wenn er den Erbteil ausschlägt; die Ausschlagungsfrist beginnt erst, wenn der Pflichtteilsberechtigte von der Beschränkung oder der Beschwerung Kenntnis erlangt."

Der Senat hat zu § 2306 Abs. 1 BGB a.F. entschieden, die irrige Vorstellung des unter Beschwerungen als Erbe eingesetzten Pflichtteilsberechtigten, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren, rechtfertige die Anfechtung einer auf dieser Vorstellung beruhenden Annahme einer Erbschaft (Senatsbeschluss vom 5. Juli 2006 aaO Rn. 22). Man könne die unmittelbaren und wesentlichen Rechtsfolgen schon einer ausdrücklich erklärten Annahme der Erbschaft nicht generell darauf beschränken, dass der Erklärende die sich aus der letztwilligen Verfügung ergebende Rechtsstellung des Erben einnehmen wolle. Wenn der zugedachte Erbteil zwar größer als der Pflichtteil sei, dem Erben aber Beschränkungen oder Beschwerungen auferlegt seien, gehöre zu den unmittelbaren und wesentlichen Wirkungen der Erklärung einer Annahme der Erbschaft keineswegs nur, dass der Erbe die ihm zugedachte Rechtsstellung einnehme, sondern ebenso, dass er das von § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. eröffnete Wahlrecht verliere, sich für den möglicherweise dem Werte nach günstigeren Pflichtteilsanspruch zu entscheiden. Für die Annahme durch Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist könne nichts anderes gelten, gleich ob die Ausschlagungsfrist bewusst oder unbewusst nicht genutzt worden sei. Der Verlust des Pflichtteilsrechts als Rechtsfolge solchen Verhaltens präge dessen Charakter nicht weniger als das Einrücken in die Rechtsstellung des Erben; beide Folgen seien zwei Seiten derselben Medaille (Senatsbeschluss aaO).

c) Mit der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber die Differenzierung, ob der mit Beschränkungen oder Beschwerungen belastete Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils übersteigt oder nicht, aufgegeben. Nunmehr muss der Erbe, wenn er den Pflichtteil verlangen will, in jedem Fall den Erbteil ausschlagen (vgl. BT-Drucks. 16/8954 S. 20). Unterschiedlich wird die Frage beurteilt, ob die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Irrtumsanfechtung zu § 2306 Abs. 1 BGB a.F. auch auf die Neuregelung übertragen werden kann.

aa) Im Schrifttum wird vielfach angenommen, dass sich durch die Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB inhaltlich keine Änderungen zur bisherigen Rechtslage ergeben haben und der Erbe weiterhin dem beachtlichen Irrtum unterliegen könne, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren (so etwa MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 1954 Rn. 10; Staudinger/Otte, BGB (2015) § 2306 Rn. 7; Palandt/Weidlich, BGB 75. Aufl. § 1954 Rn. 4; FA-Komm-ErbR/Lindner, § 2306 Rn. 15; Keim ZEV 2008, 161, 163; ders. MittBayNot 2010, 85, 87; Herzog/Lindner, ZFE 2010, 219, 222).

bb) Demgegenüber vertritt ein anderer Teil des Schrifttums die Auffassung, an der bisherigen Rechtsprechung könne nicht festgehalten werden und ein Irrtum über die Annahme und/oder die unterlassene Ausschlagung rechtfertige keine Anfechtung mehr (Damrau/Riedel, Erbrecht 3. Aufl. § 2306 Rn. 46; Lange, DNotZ 2009, 732, 736; zweifelnd an der Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung ferner MünchKomm-BGB/Lange, 6. Aufl. § 2306 Rn. 28; Bamberger/Mayer, BGB 3. Aufl. § 2306 Rn. 8; Bock in Kroiß/Ann/Meyer, Erbrecht 4. Aufl. § 2306 Rn. 24; Horn in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht § 29 Rn. 110; Birkenheier in juris PK-BGB Bd. 5 § 2306 Rn. 104). Der Erbe könne nunmehr dem Gesetzestext hinreichend klar entnehmen, dass er, um den Pflichtteil verlangen zu können, zwingend ausschlagen müsse. Auf die Differenzierung nach der Größe des hinterlassenen Erbteils komme es nicht mehr an. Unterliege der Erbe hierzu einem Irrtum, so handele es sich um einen unbeachtlichen Motiv- oder Rechtsfolgenirrtum.

cc) Die erstgenannte Auffassung trifft zu. Auch nach der Neuregelung des § 2306 Abs. 1 BGB können sich zur Anfechtung wegen Inhaltsirrtums berechtigende Sachverhaltskonstellationen ergeben, auf die die Grundsätze des Senatsbeschlusses vom 5. Juli 2006 (IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210) entsprechende Anwendung finden. Der mit Beschränkungen und Beschwerungen belastete Erbe - wie hier die Beklagte - wird im Regelfall nicht wissen, dass er die Erbschaft ausschlagen muss, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren (Senatsbeschluss aaO Rn. 21 f.; Keim, MittBayNot 2010, 85, 87). Der Regelungsgehalt des § 2306 Abs. 1 BGB steht gerade im Gegensatz zu dem sonstigen Grundsatz, dass die Erbausschlagung zum Verlust jeder Nachlassbeteiligung führt (vgl. § 1953 Abs. 1 und 2 BGB). Vielmehr kommt es in derartigen Fällen - wie auch hier bei der Beklagten - in Betracht, dass ein mit Belastungen und Beschwerungen eingesetzter Erbe die Erbschaft nur deshalb nicht ausschlägt, weil er davon ausgeht, ansonsten keinen Pflichtteilsanspruch zu haben.

In diesem Fall spielt es auch keine Rolle, ob der Erbe die Erbschaft ausdrücklich annimmt oder lediglich durch Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist. Zu einem Irrtum über die Folgen der bewussten oder unbewussten Annahme der Erbschaft kann es nach neuem Recht umso mehr kommen, als der Erbe nunmehr unabhängig von der Größe des hinterlassenen Erbteils die Erbschaft immer ausschlagen muss, um den Pflichtteil verlangen zu können. Nach früherem Recht war eine derartige Ausschlagung nicht erforderlich, wenn die Höhe des hinterlassenen Erbteils die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt.

Jedenfalls ist die Gefahr eines derartigen Irrtums durch die Neuregelung nicht verringert worden. So liegt es auch im Streitfall. Hier ist der Beklagten ein Erbteil von 1/4 hinterlassen, so dass auf diese Konstellation nach bisherigem Recht § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. Anwendung fände, die Beklagte mithin die Erbschaft ausschlagen müsste, um den Pflichtteil zu verlangen. Eine derartige Fallkonstellation lag auch der Senatsentscheidung vom 5. Juli 2006 zugrunde (IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 Rn. 1, 22). Nach neuem Recht muss die Beklagte nunmehr ohnehin die Erbschaft ausschlagen, um den Pflichtteil verlangen zu können. Inhaltliche Unterschiede haben sich für die Beklagte durch die Gesetzesänderung jedenfalls nicht ergeben. Maßgebend ist wie bisher, dass die Beklagte durch die bewusste oder unbewusste Annahme der Erbschaft das ihr eröffnete Wahlrecht verliert und den möglicherweise günstigeren Pflichtteilsanspruch nicht mehr geltend machen kann. Dieser Verlust des Pflichtteilsrechts als Rechtsfolge solchen Verhaltens ist zwingende Folge des Einrückens in die Erbenstellung durch Annahme der Erbschaft.

Der Gesetzgeber hat zwar durch die Änderung des § 2306 Abs. 1 BGB mit der Aufgabe der Differenzierung nach der Größe des hinterlassenen Erbteils für mehr Rechtsklarheit gesorgt (vgl. BT-Drucks. 16/8954 S. 20). Dies ändert aber - anders als die Revisionserwiderung meint - nichts daran, dass der mit Beschränkungen und Belastungen beschwerte Erbe auch weiterhin eine wirtschaftliche Abwägung dahin treffen muss, ob er den mit Beschränkungen oder Beschwerungen belasteten Erbteil annimmt oder diesen ausschlägt und den Pflichtteil verlangt. Um einen bloßen Kalkulationsirrtum handelt es sich hierbei entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht. Da es sich bei dieser Entscheidung - wie der Senat in seinem Beschluss vom 5. Juli 2006 ausgeführt hat - um zwei Seiten derselben Medaille handelt, ist eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums vielmehr weiterhin möglich, wenn der Erbe - wie hier die Beklagte - irrig annimmt, im Falle einer Ausschlagung keinerlei Teilhabe am Nachlass, insbesondere keinen Pflichtteilsanspruch, mehr zu haben.

2. Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht demgegenüber an, die unter 1. dargestellte Fragestellung müsse hier nicht entschieden werden, da die grundlegende Vorschrift des § 119 BGB im Zuge der Gesetzesnovelle nicht geändert worden sei. Letzteres ist zwar richtig, beantwortet aber die Frage nicht, ob der Erbe auch nach der Änderung des § 2306 Abs. 1 BGB einem Inhaltsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB unterliegen kann, weil er irrig annimmt, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren. Ein derartiger Irrtum kommt - wie oben im Einzelnen gezeigt - auch unter Geltung des neuen Rechts weiterhin in Betracht. Der Wortlaut des § 2306 Abs. 1 BGB n.F. steht der Möglichkeit eines derartigen Irrtums jedenfalls nicht entgegen.

III. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.

1. Weder das Nichtvorliegen eines Irrtums noch eine Versäumung der Anfechtungsfrist des § 1954 Abs. 1 BGB kann hier ohne weitere Sachverhaltsaufklärung festgestellt werden. Soweit das Berufungsgericht darauf hinweist, die Beklagte sei bereits vor Ablauf der Ausschlagungsfrist in dem ihr übermittelten Merkblatt des Nachlassgerichts ausdrücklich auf die Ausschlagungsmöglichkeit und außerdem darauf hingewiesen worden, dass Pflichtteilsrechte unter Umständen auch von der Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses abhängig sein könnten, ist bereits nicht ersichtlich, auf welche tatsächlichen Feststellungen das Berufungsgericht seine Entscheidung stützt (Verstoß gegen § 286 ZPO). Zum genauen Inhalt des Merkblatts hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Darüber hinaus hat die Beklagte vorgetragen, die Formblattbelehrungshinweise im Rahmen der Eröffnung der Erbschaft nicht durchgelesen zu haben. In ihrer Anhörung vom 8. Oktober 2014 hat sie erklärt, sie wisse nicht genau, ob sie die Hinweise des Nachlassgerichts bekommen habe. Auf dieser Grundlage durfte das Berufungsgericht nicht davon ausgehen, dass die Beklagte das Merkblatt des Nachlassgerichts tatsächlich erhalten und zur Kenntnis genommen hat.

Sollte nach den noch zu treffenden Feststellungen eine Anfechtung in Betracht kommen, so beginnt die Anfechtungsfrist gemäß § 1954 Abs. 2 Satz 1 BGB erst mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Diese Kenntnis setzt ein zuverlässiges Erfahren der in Betracht kommenden Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln von ihm erwartet werden kann. Ebenso wie ein Irrtum im Tatsachenbereich kann auch eine irrige rechtliche Beurteilung verhindern, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe diejenige Kenntnis erlangt, die ihm eine richtige Abwägung des Für und Wider der zu treffenden Entscheidung, ihrer Tragweite und Auswirkung ermöglicht (BGH, Urteil vom 19. Februar 1968 - III ZR 196/65, WM 1968, 542 unter II 2). Ob eine Kenntnis früher hätte erlangt werden können und ob diese fehlende Kenntniserlangung verschuldet ist, spielt demgegenüber keine Rolle (BGH aaO; ferner OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 447, 448; RGZ 62, 201, 205).

2. Ebenso wenig kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen beurteilt werden, ob die Beklagte auf andere Weise Kenntnis von ihrem durch das Berufungsgericht festgestellten Irrtum, sei es vor Ablauf der Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB, sei es vor Ablauf der sechswöchigen Anfechtungsfrist des § 1954 Abs. 1 BGB erlangt hatte. Das Berufungsgericht stellt darauf ab, die Beklagte sei durch zwei verschiedene Rechtsanwälte beraten worden, wobei sie in ihrer Anhörung vor dem Landgericht eingeräumt habe, dass auch bei der ersten Beratung im April 2012 bereits "von Pflichtteil" die "Rede" gewesen sei. Diese Feststellungen des Berufungsgerichts vermögen eine Kenntnis der Beklagten nicht zu vermitteln. Vielmehr hat das Berufungsgericht entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beklagten übergangen. Die Beklagte hat in ihrer Anhörung vor dem Landgericht am 14. November 2012 angegeben, bei der ersten Beratung bei einer Anwältin im April 2012 sei von Ausschlagung nicht die Rede gewesen, dagegen von Pflichtteil. Die Rechtsanwältin habe ihr gesagt, dass sie die Erbschaft annehmen oder nicht annehmen könne. Auf ihre Frage, was sie machen könne, habe diese erwidert, wenn sie etwas wolle, müsse sie rechtliche Schritte einleiten. Sie müsse dann das Geld einklagen, solle sich einen Rechtsanwalt nehmen und sich beraten lassen. Angesichts dieses unter Beweisantritt gehaltenen Vortrags der Beklagten kann bisher nicht festgestellt werden, dass sie bereits im April 2012 sichere Kenntnis von ihrem Irrtum hatte. Ebenso wenig ist nach den bisher getroffenen Feststellungen ersichtlich, dass die Beklagte die Rechtsanwältin zu diesem Zeitpunkt mit der Erklärung der Irrtumsanfechtung bevollmächtigt hätte und sich daher deren Wissen zurechnen lassen müsste (vgl. Senatsurteil vom 17. Februar 1965 - IV ZR 74/64, MDR 1965, 646; BPatG vom 24. März 2016 - 7 W (pat) 31/15, juris Rn. 28).

Auch bezüglich der Einschaltung des zweiten Rechtsanwalts hat die Beklagte unter Beweisantritt vorgetragen, sie habe erst anlässlich eines Telefonats vom 1. Juni 2012 erfahren, dass ihr im Falle einer Ausschlagung ein Pflichtteilsanspruch zustünde, wodurch erst ihr Irrtum beseitigt worden sei. Es steht daher aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht fest, dass die Beklagte Kenntnis von ihrem Irrtum bereits vor dem 1. Juni 2012 erlangt hätte. Ob sich ihr der Irrtum zu einem früheren Zeitpunkt aufdrängen musste oder sie an der fehlenden Kenntnis Verschulden traf, ist demgegenüber unerheblich.

IV. Nach Zurückverweisung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag der Parteien, die erforderlichen Feststellungen dazu zu treffen, ob die Beklagte vor Ablauf der Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB einem Irrtum unterlegen ist, sowie ob sie bereits Kenntnis von ihrem Irrtum vor Ablauf der Anfechtungsfrist des § 1954 Abs. 1 BGB hatte. Darlegungs- und beweispflichtig für den Irrtum ist die Beklagte, für den Verlust des Anfechtungsrechts infolge Fristablaufs derjenige, der sich darauf beruft, hier also der Kläger (vgl. MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 1954 Rn. 24). Sollte sich ergeben, dass die Beklagte rechtzeitig angefochten hat, so gilt gemäß § 1957 Abs. 1 BGB die Anfechtung der Annahme als Ausschlagung mit der Folge, dass die Erbschaft der Beklagten gemäß § 1953 Abs. 1 BGB nicht angefallen ist. In diesem Fall wäre die Klage unbegründet und das Berufungsgericht hätte über die von der Beklagten erhobene Wider- und Drittwiderklage zu entscheiden.

Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski Lehmann Dr. Brockmöller Vorinstanzen:

LG Heilbronn, Entscheidung vom 29.10.2014 - 5 O 247/12 -

OLG Stuttgart, Entscheidung vom 16.07.2015 - 19 U 18/15 -