OLG Celle, Beschluss vom 13.06.2016 - 21 WF 118/16
Fundstelle
openJur 2016, 7457
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 42 F 441/15
Kosten- und Gebührenrecht
§§ 45, 48 RVG; Nr. 3201, 3202 RVG-VV

Bei Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen über den Verfahrensgegenstand hinausgehenden Vergleich sind - auch außerhalb des Anwendungsbereiches des § 48 Abs. 3 RVG - neben der Vergleichsgebühr auch die auf den verglichenen Gegenstand anfallende Verfahrensdifferenzgebühr und die nach dem zusammengerechneten Wert des anhängigen und des verglichenen Gegenstandes berechnete Terminsgebühr aus der Staatskasse zu erstatten (entgegen OLG Celle, 26. Februar 2015,10 WF 28/15, OLG Koblenz, 19. Mai 2014, 13 WF 369/14, OLG Dresden, 7. Februar 2014, 23 WF 1209/13; Anschluss: OLG Celle, 8. Mai 2014, 15 UF 166/13; OLG Stuttgart, 18. Februar 2016, 8 WF 339/15).

(Leitsätze: 21. Zivilsenat des OLG Celle)

Tenor

Auf die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Stade vom 6. Mai 2015 geändert. Die aus der Staatskasse an den Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter zu zahlende Vergütung wird auf (€ 873,20 zzgl. € 165,91 Umsatzsteuer) € 1.039,11 festgesetzt.

Gerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter (im Folgenden: Beschwerdeführer) wendet sich gegen einen Beschluss, durch den seine Erinnerung gegen die Festsetzung der Gebühren, die ihm aufgrund bewilligter Verfahrenskostenhilfe aus der Staatskasse zu zahlen sind, zurückgewiesen worden ist.

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und war in einem sorgerechtlichen Verfahren der Kindesmutter, der Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden war, als Verfahrensbevollmächtigter zweiter Instanz beigeordnet. Unter seiner Mitwirkung einigten sich die beteiligten Kindeseltern im einstweiligen Anordnungsverfahren über die Verteilung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, gleichzeitig schlossen die Beteiligten einen Vergleich zur einstweiligen Gestaltung des zuvor nicht gerichtlich anhängigen Umganges des Kindesvaters mit dem Kind. Mit Beschluss vom 26. November 2015 stellte der Senat den schriftlich geschlossenen Vergleich fest, billigte die Umgangsregelung und erstreckte die der Kindesmutter bewilligte Verfahrenskostenhilfe auch auf den Abschluss des Vergleiches. In diesem Beschluss bestimmte der Senat den Wert des Verfahrens auf € 1.500,-, den des Vergleichs (infolge der gleichfalls enthaltenen einstweiligen Umgangsregelung) auf insgesamt € 3.000,-.

Auf den Erstattungsantrag des Beschwerdeführers hin hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts – Familiengericht – Stade den aus der Landeskasse zu erstattenden Betrag für die Tätigkeit in der zweiten Instanz zunächst auf € 1.039,11 festgesetzt. Auf die Erinnerung des Bezirksrevisors hat sie die Berechnung geändert und nunmehr den erhöhten Verfahrenswert nur bei Bemessung der Vergleichsgebühr, nicht aber der Terminsgebühr, berücksichtigt; auch die ursprünglich erstattete Verfahrensdifferenzgebühr für die im Vergleich enthaltene Umgangsregelung hat sie von der Erstattung ausgenommen. Im Ergebnis hat die Urkundsbeamtin einen Erstattungsbetrag in Höhe von € 765,75 festgesetzt. Die dagegen eingelegte Erinnerung hat das Amtsgericht – Familiengericht – Stade durch Beschluss vom 6. Mai 2015 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers, der eine erhöhte Vergütung begehrt.

II.

Die nach den §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde ist begründet. Das Amtsgericht hat die Verfahrensdifferenzgebühr nach Nr. 3201 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (im Folgenden: RVG-VV) zu Unrecht von der Erstattung ausgenommen und hat unzutreffend bei der Bemessung der Terminsgebühr nur den Wert des anhängigen Verfahrens, nicht aber des vergleichsweise geregelten Umganges zugrunde gelegt.

Ob die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen über den anhängigen Verfahrensgegenstand hinausgehenden Vergleich dazu führt, dass neben der im Wert erhöhten Einigungsgebühr auch die darauf entfallende Termins- und Verfarhrensdifferenzgebühr nach Nr. 3201 und 3202 RVG-VV zu der nach § 55 Abs. 1 RVG festzusetzenden Vergütung des beigeordneten Rechtsanwaltes gehört, ist in der Rechtsprechung umstritten. Während nach einer Ansicht ohne ausdrückliche Anordnung, wonach sich die für den Vergleich bewilligte Verfahrenskostenhilfe auch auf Verfahrens- und Terminsgebühr für den nicht anhängigen Teil des Vergleiches erstrecken soll, nur eine erhöhte Vergleichsgebühr zu vergüten ist (vgl. etwa. OLG Celle, AGS 2015, 236 ff.; OLG Koblenz FamRZ 2014, 1877 f.; OLG Dresden MDR 2014, 686 f.; OLG Köln FamRZ 2015, 1825 f., jew. m. w. N.), umfassen die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren nach anderer Auffassung neben der Vergleichsgebühr stets auch sämtliche mit dem Abschluss des Vergleiches zusammenhängenden sonstigen Gebühren (vgl. etwa OLG Celle FamRZ 2014, 1878 f.; OLG Stuttgart Jur. Büro 2016, 246 f.), jedenfalls soweit zwischen Verfahrens- und Regelungsgegenstand des Vergleiches ein enger Zusammenhang besteht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Juli 2015, Az. 6  WF 123/15, juris).

Der Senat folgt der Auffassung, wonach sich der Anspruch auf Erstattung aus der Staatskasse auch ohne ausdrückliche Anordnung auf sämtliche im Zusammenhang mit dem Vergleichsschluss entstandene Gebühren erstreckt. Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe richtet sich stets auf eine bestimmte Rechtsverfolgung, deren Kosten von der Staatskasse in dem von § 45 RVG bestimmten Umfang zu tragen sind. Eine auf bestimmte Gebührentatbestände beschränkte Beiordnung und Bewilligung sieht das Recht zur Verfahrens- und Prozesskostenhilfe nicht vor, sie ist deshalb auch im Wege der Auslegung einem unbeschränkten Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss nicht beizulegen (entgegen OLG Koblenz FamRZ 2014, 1877 f.).

Nach den §§ 45 RVG; 122 Abs. 1 ZPO sind bei bewilligter Verfahrenskostenhilfe die Kosten eines beigeordneten Verfahrensbevollmächtigten von der Staatskasse zu übernehmen. Maßgeblich für den Umfang der staatlichen Erstattungspflicht sind daher die gesetzlich vorgegebenen, für die vom Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss umfasste Rechtsverfolgung entstandenen anwaltlichen Gebühren (vgl. § 48 Abs. 1 RVG). Ohne eine besondere gesetzliche Regelung (die der Gesetzgeber in § 49 RVG für die Höhe der einzelnen Gebühren im Rahmen der Beiordnung, nicht aber für die Anzahl entstehender Gebühren getroffen hat) ist es deshalb nicht gerechtfertigt, zwischen dem Gebührenanspruch, den der Bevollmächtigte eines bemittelten Beteiligten für dieselbe Tätigkeit gegen den von ihm Vertretenen hat, und dem Erstattungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwaltes gegen die Staatskasse zu unterscheiden – kann der Anwalt des bemittelten Beteiligten für den Abschluss eines (Mehr-) Vergleiches die Verfahrensdifferenz- und die erhöhte Terminsgebühr verlangen, so sind diese Gebühren bei Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den (Mehr-) Vergleich auch aus der Staatskasse zu vergüten.

Erstreckte sich der Anspruch gegen die Staatskasse nur auf einen Teil der durch die im Bewilligungsbeschluss bezeichnete Rechtsverfolgung, so wäre der beigeordnete Rechtsanwalt letztlich durch die Beiordnung gehindert, gesetzlich entstandene Gebühren abzurechnen. Denn nach der Vorschrift des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hat er aufgrund der von der Bewilligung umfassten Rechtsverfolgung keinen Anspruch gegen den von ihm vertretenen Beteiligten. Angesichts dessen würde das Gericht mit der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe letztlich über den Bestand gesetzlich ausdrücklich geregelter Gebühren des (jedenfalls am Bewilligungsverfahren gar nicht selbst beteiligten) Rechtsanwalts befinden und diese beschränken. Eine solche Befugnis des Gerichts ist der gesetzlichen Regelung zur Verfahrens- bzw. Prozesskostenhilfe nicht zu entnehmen (a. A. OLG Koblenz FamRZ 2014, 1877 f.).

Auch § 48 Abs. 3 RVG rechtfertigt (entgegen etwa OLG Celle AGS 2015, 236 ff.; OLG Dresden MDR 2014, 686 f.) keine andere Beurteilung. Es ist allerdings zutreffend, dass die Regelung des § 48 Abs. 3 RVG zur Beiordnung keinen verallgemeinerungsfähigen Grundsatz enthält, sondern der Anwendungsbereich der Vorschrift auf die darin genannten Scheidungsverfahren beschränkt ist (ebenso OLG Celle AGS 2015, 236 ff.). Daraus folgt aber nicht, dass nur in den in § 48 Abs. 3 RVG betroffenen Fällen die Verfahrensdifferenz- und erhöhte Terminsgebühr bei Vergleichsschluss erstattungsfähig wäre. Denn mit der Frage, welche Gebühren der beigeordnete Rechtsanwalt aufgrund seiner Tätigkeit erhält, beschäftigt sich die Vorschrift nicht unmittelbar. § 48 Abs. 3 RVG verzichtet in Abweichung von § 48 Abs. 5 RVG lediglich auf eine ausdrückliche Beiordnung für Herbeiführung und Abschluss des Vergleiches – anders als in anderen Angelegenheiten kann der in einer Ehesache beigeordnete Rechtsanwalt auch ohne ausdrückliche Bewilligung und Beiordnung für den Vergleich die gesetzlichen Gebühren begehren, soweit der Vergleich die dort genannten Gegenstände betrifft. Ist aber in einer anderen Angelegenheit Verfahrenskostenhilfe für den Vergleich bewilligt, so folgt aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 48 Abs. 3 RVG kein geringerer Gebührenanspruch des beigeordneten Anwaltes, der vielmehr alle Gebühren, die mit der für das Entstehen der Vergleichsgebühr erforderlichen Tätigkeit notwendig verbunden sind, verlangen kann (ebenso OLG Stuttgart JurBüro 2016, 246 f.).

Bei Neufassung des § 48 Abs. 3 RVG hat der Gesetzgeber allerdings die Beiordnung ausdrücklich auf „alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten“ erstreckt und wollte damit unter Bezugnahme auf die Streitigkeiten über den Umfang der von der Verfahrenskostenhilfe umfassten Gebühren klarstellen, „dass im Falle eine Vertragsabschlusses alle in diesem Zusammenhang anfallenden Gebühren zu erstatten sind“ (vgl. BT-Drs. 17/11471, S. 270). Ob der Gesetzgeber durch diese Fassung des § 48 Abs. 3 RVG den Streit insgesamt, auch außerhalb der geregelten Scheidungsverfahren, entscheiden wollte (so OLG Celle FamRZ 2014, 1878 f., OLG Stuttgart JurBüro 2016, 246 f.) mag dahinstehen. Jedenfalls ist der Regelung, die sich lediglich auf den Umfang der Beiordnung in Scheidungsverfahren bezieht, auch nicht der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, die Erstattungspflicht außerhalb der in § 48 Abs. 3 RVG genannten Scheidungsverfahren zu beschränken (a. A.: OLG Dresden MDR 2014, 686 f.; OLG Koblenz FamRZ 2014, 1877 f.). Auch die Formulierung der Gesetzesbegründung spricht an keiner Stelle für eine solche Absicht, die für die nicht in § 48 Abs. 3 RVG genannten Verfahren den Gegenschluss zuließe.

Daran ändert auch die bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen Vergleich durch das Gericht kaum überprüfbare Erfolgsaussicht (vgl. OLG Köln FamRZ 2015, 1825 f.; OLG Koblenz FamRZ 2014, 348 ff.) nichts. Ist nicht zu erkennen, dass die Voraussetzungen einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die nicht anhängige Angelegenheit vorliegen, ist die für den (Mehr-) Vergleich nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe gegebenenfalls zu versagen. Die Bewilligung einer eingeschränkten Form der Verfahrenskostenhilfe, in der nur Teile entstandener Gebühren vergütet werden, ist aber gesetzlich nicht vorgesehen und kommt nicht in Betracht.

Der hier einschlägige Abschluss eines Mehrvergleiches bei bewilligter Verfahrenskostenhilfe unterscheidet sich auch vom Abschluss eines Vergleiches während des Verfahrens zur Verfahrenskostenhilfe (a. A.: OLG Dresden MDR 2014, 686 f., OLG Köln FamRZ 2015, 1825 f.), bei der die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Vergleich nur dazu führt, dass die Vergleichsgebühr zu erstatten ist (vgl. noch zur BRAGO: BGH FamRZ 2004, 1707 ff.). Denn bei Vergleichsschluss vor Zustellung ist noch gar kein Verfahren anhängig, so dass über die Verfahrenskostenhilfe über den Vergleichsschluss hinaus allenfalls Gebühren für dem Verfahren vorgelagerte Tätigkeiten abzurechnen wären. Auch der bemittelte Beteiligte müsste nur Gebühren für vorgerichtliche Tätigkeiten an seinen Bevollmächtigten entrichten. Angesichts dessen verstieße eine (die Vergleichsgebühr übersteigende) Erstattungspflicht der Staatskasse für diese Gebühren gegen den Grundsatz, dass Verfahrenskostenhilfe für das Bewilligungsverfahren nicht in Betracht kommt (und daher auch nicht über den Umweg über den Vergleich ermöglicht werden soll, vgl. BGH FamRZ 2004, 1707 ff.).

Anders liegt es bei Abschluss eines Mehrvergleiches: Zwar ist auch der nicht anhängige Gegenstand noch nicht Gegenstand eines Verfahrens. Infolge der ausdrücklichen Regelung in Nr. 3201 Abs. 1 Nr. 2 RGV-VV wird dieser aber Teil der für das gerichtliche Verfahren anfallenden Gebühren. Angesichts dessen kann der Anwalt des bemittelten Beteiligten diese Gebühr abrechnen. Es besteht kein Grund dafür, den beigeordneten Verfahrensbevollmächtigten anders zu behandeln.

Trägt der Anwalt zum Abschluss des gerichtlichen Vergleiches bei, so entsteht hinsichtlich des über den anhängigen Verfahrensgegenstand hinausgehenden Teil der Vereinbarung nach der ausdrücklichen Regelung der Nr. 3201 RVG-VV die Verfahrensdifferenzgebühr. Die (auch bei schriftlichem Vergleichsschluss und anschließender gerichtlicher Feststellung entstehende, vgl. dazu etwa BGH FamRZ 2006, 1441; OLG Saarbrücken MDR 2010, 720) Terminsgebühr umfasst dadurch ebenso notwendig auch den nicht anhängigen Verfahrensgegenstand (a. A.: LAG München NZA-RR 2015, 328 f.). Vor diesem Hintergrund kann der Beschwerdeführer folgende Gebühren aus der Staatskasse verlangen, die auch ein nicht beigeordneter Rechtsanwalt bei dem von ihm vertretenen Beteiligten abrechnen könnte (vgl. zur Berechnung: Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, Nr. 3201 VV Rz. 42):

Abrechenbare Gebühr Wert Einfache Gebühr Abzurechnen
1,6 Verfahrensgebühr (3200 RVG-VV) 1.500,00 115,00 184,00
1,1 Verfahrensdifferenzgebühr (3201 RVG-VV) 1.500,00 115,00 126,50
Höchstens (1,6 auf € 3.000,-, § 15 Abs. 3 RVG) 3.000,00 201,00 321,60
Höchstbetrag daher nicht erreicht.
1,2 Terminsgebühr (3202 RVG-VV) 3.000,00 201,00 241,20
1,5 Einigungsgebühr (1000 RVG-VV) 3.000,00 201,00 301,50
Postpauschale (7002 RVG-VV) - - 20,00
Ergibt 873,20
19% Umsatzsteuer 165,91
Daher Ergebnis 1039,11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 RVG.