OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.03.2016 - 4 Ss 700/15
Fundstelle
openJur 2016, 6042
  • Rkr:

Bei der Frage, ob wegen Zeitablaufs von der Verhängung eines Fahrverbots gemäß § 44 StGB abzusehen ist, ist die zwischen der angefochtenen Entscheidung und der Entscheidung des Revisionsgerichts verstrichene Zeit nicht zu berücksichtigen.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 16. Juli 2015 wird als unbegründet

verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Rottenburg am Neckar hat den Angeklagten am 5. Februar 2015 wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 250 EUR verurteilt. Dem Angeklagten wurde für die Dauer von drei Monaten verboten, im öffentlichen Straßenverkehr Kraftfahrzeuge aller Art zu führen. Die Berufung des Angeklagten wurde durch Urteil des Landgerichts Tübingen vom 16. Juli 2015 verworfen.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und sowohl Verfahrensrügen als auch die Sachrüge erhoben. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten als unzulässig, hilfsweise als unbegründet, höchst hilfsweise mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass die Verhängung des Fahrverbots entfällt.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig, jedoch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Revision ist zulässig, da sie insbesondere wirksam durch den Unterbevollmächtigten begründet (§ 344 StPO) wurde.

Der Verteidiger hat dem die Revisionsbegründungsschrift fertigenden Rechtsanwalt wirksam Untervollmacht für die Abfassung der Revisionsbegründungsschrift erteilt. Es ist unschädlich, dass dies erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nachgewiesen wurde (vgl. OLG Nürnberg, NJW 2007, 1767; Brandenburgisches Oberlandesgericht, NStZ 1995, 52; Thüringer Oberlandesgericht, NStZ-RR 2012, 320). Zudem ist trotz undatierter Untervollmacht davon auszugehen, dass der Unterbevollmächtigte bereits zu dem Zeitpunkt bevollmächtigt war, als er die Revisionsbegründungsschrift fertigte, da der Verteidiger dies in seinem Schriftsatz vom 10. November 2015 anwaltlich versichert hat.

Des Weiteren ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Erteilung der Untervollmacht im Einverständnis mit dem Angeklagten als tragender Grundlage der Unterbevollmächtigung (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, aaO) erfolgt ist, zumal die Einwilligung nur die Beziehung zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger berührt und dem Gericht – wie die Hauptvollmacht – nicht in einer bestimmten Form nachzuweisen ist (Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 38 Rn. 20).

Schließlich ist auch hinreichend ersichtlich, dass der die Revisionsbegründungsschrift fertigende Rechtsanwalt in Untervollmacht handelte. Ein Unterbevollmächtigter muss bei der Unterzeichnung das Vertretungsverhältnis zum Ausdruck bringen, da der Unterzeichner die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt; eine Vertretung bei der Unterzeichnung der Revisionsbegründungsschrift ist unzulässig (KG Berlin, JR 1974, 207; Thüringer Oberlandesgericht, aaO; Franke in Löwe-Rosenberg, aaO, § 345 Rn. 23). Unterzeichnet ein Rechtsanwalt in Untervollmacht, ist in der Regel von der Übernahme dieser Verantwortung auszugehen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Einl. Rn. 129). Im vorliegenden Fall hat der Unterbevollmächtigte zwar nicht ausdrücklich kenntlich gemacht, dass er in Untervollmacht für den Verteidiger handelte. Das Handeln in Untervollmacht ist aber auch ohne entsprechenden Vertretungszusatz unproblematisch aus der Revisionsbegründungsschrift ersichtlich, da sie mit dem Briefkopf des Verteidigers versehen ist und die eindeutig erkennbare Unterschrift des Unterbevollmächtigten trägt. Es besteht daher vorliegend kein Zweifel, dass sich der Unterbevollmächtigte den Inhalt der Revisionsbegründungsschrift zu eigen gemacht und dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernommen hat.

2. Die Revision ist jedoch nicht begründet, da das Urteil des Landgerichts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt.

a) Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sind bereits unzulässig. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im Antrag der Generalstaatsanwaltschaft verwiesen.

b) Auch die erhobene Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

aa) Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen versuchter Nötigung gemäß § 240 Abs. 1, 3, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB und wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 3 Nr. 1 StGB; die fehlerhafte Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses beschwert den Angeklagten nicht.

Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte mit einem Pkw mit hoher Geschwindigkeit auf dem linken Fahrstreifen einer Autobahn und bedrängte den ihm vorausfahrenden Zeugen T. durch dichtes Auffahren, um ihn zur Freigabe der Überholspur zu veranlassen. Dabei verkürzte er auf einer Strecke von vier bis fünf Kilometern den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, das mit einer Geschwindigkeit von 180 km/h fuhr, auf weniger als fünf Meter und betätigte mehrfach die Lichthupe. Wegen des sich verlangsamenden vorausfahrenden Verkehrs auf dem linken Fahrstreifen reduzierte auch der Zeuge T. seine Geschwindigkeit auf etwa 150 km/h, sah sich aber wegen des etwas langsamer fließenden dichten Verkehrs auf dem rechten Fahrstreifen gehindert, die Überholspur für den Angeklagten freizugeben. Der Angeklagte nutzte eine sich zeitweilig ergebende Lücke auf dem rechten Fahrstreifen, um trotz des von ihm erkannten hohen Risikos den Zeugen T. rechts zu überholen, um schneller voranzukommen. Beim Wiedereinscheren auf den linken Fahrstreifen streifte der Angeklagte für ihn vorhersehbar und vermeidbar den Pkw des Zeugen T., wodurch ein Sachschanden von etwa 1.900 EUR entstand.

Der Angeklagte ist, indem er von seinem Vorhaben, den Zeugen T. durch dichtes Auffahren zur Freigabe des linken Fahrstreifens zu veranlassen, abließ und ihn auf dem rechten Fahrstreifen überholte, nicht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB strafbefreiend vom Versuch der Nötigung zurückgetreten, weil der Versuch fehlgeschlagen war. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe geht hervor, dass aus der Sicht des Angeklagten dieser den Taterfolg mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr erreichen konnte. Danach war für ihn absehbar, dass der Zeuge T. aufgrund des dichten Verkehrs die Überholspur auch weiterhin nicht freigeben würde. Des Weiteren führt das Landgericht in den Urteilsgründen aus, der Angeklagte habe die Normverletzung aufgrund der im Straßenverkehr erlebten Frustration begangen (UA S. 16). Wie insbesondere diese Wertungen zeigen, hat das Landgericht seinen Feststellungen zugrunde gelegt, dass der Angeklagte erkannt hat, durch sein dichtes Auffahren das von ihm erstrebte schnellere Fortkommen nicht mehr erreichen zu können.

Wegen des fehlgeschlagenen Versuchs der Nötigung und des neu gefassten Tatentschlusses zum Rechtsüberholen steht die versuchte Nötigung zu der nachfolgend verwirklichten vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs zwar in Tatmehrheit (§ 53 StGB). Dass das Landgericht das Konkurrenzverhältnis der verwirklichten Delikte fehlerhaft als Tateinheit statt als Tatmehrheit bewertet hat, beschwert den Angeklagten aber nicht.

bb) Im Hinblick auf die erhobenen Rügen der fehlerhaften Beweiswürdigung und des Verstoßes gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“ wird ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen im Antrag der Generalstaatsanwaltschaft verwiesen.

cc) Schließlich deckt die Sachrüge auch im Rechtsfolgenausspruch keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insbesondere ist die Verhängung des Fahrverbots rechtsfehlerfrei erfolgt. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, aus welchen Gründen das Gericht die – fakultative – Verhängung eines Fahrverbots für notwendig erachtete. Die Feststellungen im Urteil tragen den Ausspruch eines Fahrverbots nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. hierzu auch Thüringer Oberlandesgericht, VRS 112, 351), zumal sogar ein Regelbeispiel gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB vorliegt. Auch berücksichtigt das Urteil das Bestehen einer Wechselwirkung zwischen der Höhe der Hauptstrafe und der Nebenstrafe des Fahrverbots und kommt zu dem Ergebnis, dass der angestrebte (spezialpräventive) Zweck des Fahrverbots nicht durch eine höher bemessene Hauptstrafe erreicht werden kann (vgl. dazu OLG Hamm, StV 2004, 489; OLG Köln, DAR 2005, 697).

Der Verhängung eines Fahrverbots steht im vorliegenden Fall auch nicht der Zeitablauf seit der Tatbegehung entgegen. Zwar kann es grundsätzlich gerechtfertigt sein, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, wenn die Tat lange zurückliegt und der Täter sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat. Denn das Fahrverbot hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt und kann als solche seinen Sinn verloren haben, wenn die zu ahnende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Angeklagten liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten des Angeklagten im Straßenverkehr festgestellt worden ist. Dabei wird der Sinn des Fahrverbotes nach einer in Rechtsprechung und Literatur erkennbaren Tendenz in Frage gestellt, wenn der zu ahnende Verkehrsverstoß jedenfalls ein Jahr und neun Monate zurückliegt (so insbesondere BGH, wistra 2002, 57; vgl. auch Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 44 Rn. 15 mwN).

Diese Voraussetzung war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Landgericht am 16. Juli 2015 noch nicht gegeben (Tatzeit: 8. Dezember 2013), weshalb für das Landgericht keine Veranlassung bestanden hat, in den Urteilsgründen die Frage des Absehens von der Verhängung des Fahrverbotes wegen des Zeitablaufs seit der Tat zu erörtern.

Die Zeit zwischen dem angefochtenen Urteil und der Entscheidung des Revisionsgerichts ist bei der Prüfung der Frage, ob wegen Zeitablaufs von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen ist, jedenfalls für das strafrechtliche Fahrverbot gemäß § 44 StGB nicht zu berücksichtigen (anders OLG Hamm, StV 2004, 489, wobei dort das tatrichterliche Urteil mangels Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Haupt- und Nebenstrafe einen Rechtsfehler enthielt; anders wohl auch Thüringer OLG, VRS 112, 351). Der in der Rechtsprechung zum Fahrverbot gemäß § 25 StVG teilweise vertretenen Auffassung, dass in jedem Fall auch der Zeitraum bis zur Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in die Beurteilung einzustellen sei (so OLG Zweibrücken, DAR 2011, 649; KG Berlin, VRS 113, 69; implizit auch OLG Köln, StraFo 2004, 287 und BayObLG, ZfSch 2004, 91; a.A. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 25 StVG Rn. 24; OLG Oldenburg, NStZ-RR 2011, 385; OLG Hamm, DAR 2011, 409; OLG Celle, VD 2013, 200), kann jedenfalls für die Nebenstrafe gemäß § 44 StGB nicht gefolgt werden. Denn das Revisionsgericht hat auf die Sachrüge hin lediglich zu prüfen, ob das Urteil des Tatrichters – auch was den Rechtsfolgenausspruch und insbesondere die Verhängung und Begründung eines Fahrverbotes betrifft – Rechtsfehler aufweist. Aufgrund der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten kann das Revisionsgericht auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen und daher für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen in dem angefochtenen Urteil auch nur für den Zeitraum bis zur letzten tatrichterlichen Verhandlung prüfen, ob der Betroffene nach der abgeurteilten Tat noch in anderer Weise strafrechtlich bzw. straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist; ihm ist es jedoch verwehrt, hierüber eigene Feststellungen zu treffen (so zum Fahrverbot gemäß § 25 StVG auch Saarländisches Oberlandesgericht, VRS 126, 203).