AG Kehl, Gerichtsbescheid vom 22.03.2016 - 2 Cs 206 Js 10658/15
Fundstelle
openJur 2016, 5987
  • Rkr:
Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist das Recht der Europäischen Union, insbesondere Art. 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein (in der Folge: 3. Führerscheinrichtlinie) oder Art. 18, 21, 45, 49 und 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (in der Folge: AEUV), dahin auszulegen, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis verweigert, insbesondere wenn diese Fahrerlaubnis nach den Vorgaben der 3. Führerscheinrichtlinie erworben wurde?

2. Ist das Recht der Europäischen Union, insbesondere Art. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie oder Art. 18, 21, 45, 49 und 56 AEUV, dahin auszulegen, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Anerkennung eines Legitimationspapiers, welches einem Inhaber einer in einem anderen Mitgliedstaat nach den Vorgaben der 3. Führerscheinrichtlinie erworbenen Fahrerlaubnis von diesem Mitgliedstaat ausgestellt wurde, verweigert, auch wenn dieser Mitgliedstaat die Geltung dieses Legitimationspapiers zeitlich und auf das eigene Hoheitsgebiet beschränkt hat und dieses Legitimationspapier darüber hinaus nicht die Vorgaben des Führerscheinmusters der 3. Führerscheinrichtlinie erfüllt?

3. Für den Fall der Verneinung der Frage 1: Ist das Recht der Europäischen Union, insbesondere Art. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie oder Art. 18, 21, 45, 49 und 56 AEUV, dahin auszulegen, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die das Führen eines Kraftfahrzeugs wegen eines Vergehens mit einer Kriminalstrafe bedroht, weil der Fahrzeugführer nicht über das Recht zum Fahren verfüge, obwohl dieser Fahrzeugführer in einem anderen Mitgliedstaat eine Fahrerlaubnis nach den Vorgaben der 3. Führerscheinrichtlinie erworben hat, ohne darüber jedoch durch ein Legitimationspapier, welches dem Führerscheinmuster der 3. Führerscheinrichtlinie entspricht, Nachweis führen zu können?

4. Für den Fall der Verneinung der Frage 2: Ist das Recht der Europäischen Union, insbesondere Art. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie oder Art. 18, 21, 45, 49 und 56 AEUV, dahin auszulegen, dass es einer Regelung eines Mitgliedstaats, in dem einem Führerscheinbewerber regelmäßig unmittelbar nach Bestehen der praktischen Fahrprüfung der endgültige Führerschein ausgehändigt wird, entgegensteht, die das Führen eines Kraftfahrzeugs wegen einer Ordnungswidrigkeit mit einer Polizeistrafe bedroht, weil der Fahrzeugführer, der in einem anderen Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis entsprechend der Vorgaben der 3. Führerscheinrichtlinie erworben hat, bei der Fahrt keinen endgültigen Führerschein zum Nachweis seiner Fahrberechtigung mit sich führt, weil ihm ein solcher Führerschein wegen der Besonderheiten des Verfahrens über die Ausstellung des endgültigen Führerscheins in diesem Mitgliedstaat, auf die der Fahrzeugführer keinen Einfluss hat, noch nicht ausgestellt wurde, er stattdessen aber eine amtliche Bescheinigung über das Vorliegen der für den Erwerb der Fahrerlaubnis notwendigen Voraussetzungen bei der Fahrt mit sich führt?

II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefragen ausgesetzt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht - Strafrichter - Kehl (im Folgenden: das Gericht) hat über einen Antrag der Staatsanwaltschaft Offenburg zu entscheiden, im Wege eines Strafbefehls gegen den Angeschuldigten eine Geldstrafe wegen eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu verhängen.

1. Nach dem bisherigen Stand der Untersuchung ist im Vorabentscheidungsverfahren folgender Sachverhalt zu Grunde zu legen:

Der in Frankreich ansässige Angeschuldigte fuhr am 15.05.2015 als Fahrzeugführer eines Personenkraftwagens (in der Folge: Pkw) auf öffentlichen Straßen in Kehl (Deutschland). Im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis war der Angeschuldigte dabei nicht. Der Angeschuldigte hatte aber in Frankreich bereits erfolgreich die theoretische und praktische Prüfung für die Erteilung der Fahrerlaubnisklasse B bestanden, worüber ihm am 17.04.2015 die dafür in Frankreich vorgesehene Bescheinigung (Certificat d’Examen du Permis de Conduire - im Folgenden: CEPC) erteilt wurde, die er bei der Fahrt in Deutschland nebst einem gültigen Personalausweis mit sich führte. Der endgültige französische Führerschein wurde ihm erst am 09.07.2015 ausgestellt.

2. In rechtlicher Hinsicht geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass sich der Angeschuldigte wegen eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Straßenverkehrsgesetz (in der Folge: StVG) strafbar gemacht hat. Nach § 21 StVG wird derjenige bestraft, der - unter anderem - ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat. Die Erforderlichkeit einer Fahrerlaubnis, im vorliegend Fall der Klasse B, zum Führen eines Pkws ergibt sich aus den §§ 1, 4, 6 Fahrerlaubnisverordnung (in der Folge: FeV). Diese Fahrerlaubnis kann grundsätzlich nur auf Antrag durch die dafür in Deutschland zuständige Behörde erteilt werden (§§ 21 ff. FeV). Unter bestimmten Bedingungen kann eine von einer ausländischen Behörde erteilte Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigen (§§ 28 ff. FeV). Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft verfügte der Angeschuldigte zur Tatzeit nicht über eine solche ausländische Fahrerlaubnis, was sich bereits daraus ergebe, dass die Gültigkeit des CEPC auf das Staatsgebiet Frankreichs beschränkt sei.II.

Das Gericht hält die Beantwortung der Vorlagefragen zur Entscheidung für erforderlich, um entscheiden zu können, ob sich der Angeschuldigte nach dem vorgeworfenen Sachverhalt strafbar gemacht hat oder die Tat zumindest als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Es legt sie deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: der Gerichtshof) gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 AEUV zur Vorabentscheidung vor.

Bei der Entscheidung über den Erlass des beantragten Strafbefehls hat das Gericht zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfüllt sind, insbesondere ob der Angeschuldigte bei der Fahrt über eine Fahrerlaubnis verfügte, die ihn zum Führen des von ihm benutzten Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigte, oder ob andere Gründe einer Strafbarkeit entgegenstehen. Darüber hinaus hat das Gericht zu prüfen, ob die Tat auch als Ordnungswidrigkeit zu ahnden ist, falls die Strafbarkeit verneint wird. Entscheidungserheblich ist dabei die Rechtslage in Frankreich über die Erlangung einer Fahrerlaubnis und die Wirkung des CEPC (1.), die Anerkennung dieser Fahrerlaubnis und des CEPC in Deutschland (2.) und die Wirkung der Rechtsnormen der Europäischen Union darauf (3.).

1. Soweit für das Gericht ersichtlich hat der Angeschuldigte seit der Ausstellung des CEPC am 17.04.2015 die Erlaubnis, Kraftfahrzeuge der Klasse B im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, worüber er bis zur Ausstellung des Führerscheins am 09.07.2015 durch das CEPC in Verbindung mit einem Identitätspapier auf dem Staatsgebiet der französischen Republik Nachweis führen konnte.

a. In Frankreich ist gemäß Art. R221-1 I. des Straßenverkehrsgesetzbuchs (Code de la route, nachfolgend: CdR, abrufbar im Internet auf der Seite www.legifrance.gouv.fr) - wie in Deutschland - für das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr grundsätzlich eine Fahrerlaubnis erforderlich, konkret für Pkw die Klasse B (Art. R221-4). Die Fahrerlaubnis wird auf Nachweis der entsprechenden Voraussetzungen auf Antrag durch den örtlich zuständigen Präfekten erteilt (Art. R221-1 II. CdR), wobei die Einzelheiten der Beantragung und des Erwerbs der Fahrerlaubnis sowie die Ausstellung des Führerscheins Art. R221-19 CdR durch die Verordnung des Ministers des Innern der französischen Republik vom 20.04.2012 (Arrêté du 20 avril 2012 fixant les conditions d'établissement, de délivrance et de validité du permis de conduire, NOR des Gesetz- und Verkündungsblatts der französischen Republik [Journal Officiel]: IOCS1221841, abrufbar im Internet auf der Seite www.legifrance.gouv.fr in der Folge: FeV-Frankreich), zuletzt geändert durch den Erlass vom 31.12.2014, geregelt werden. Die für den Erwerb der Fahrerlaubnis gestellten Anforderungen an den Führerscheinbewerber richten sich dabei nach den Vorgaben der 3. Führerscheinrichtlinie.

b. Art. 4 I. FeV-Frankreich bestimmt, dass der staatlich zugelassene Fahrprüfer (expert) dem Fahrschüler (candidat) nach erfolgreichem Bestehen der theoretischen und praktischen Prüfung grundsätzlich eine Prüfbescheinigung (CEPC) erteilt. Besteht für den Fahrschüler noch eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, wird vom Fahrprüfer auf der Prüfbescheinigung vermerkt, ab wann diese gilt (Art. 4 I. 2° FeV-Frankreich). Die Prüfbescheinigung wird trotz bestandener Prüfung nur dann nicht erteilt, wenn zuvor noch eine medizinische Untersuchung des Fahrschülers erfolgen muss (Art. 4 I. 3° FeV-Frankreich) oder der Erwerb der Fahrerlaubnis an ein Mindestalter geknüpft ist (Art. 4 I. 1° 4° bis 6° FeV-Frankreich).

c. Mit der Erteilung des CEPC entsteht das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs der entsprechenden Klasse (Art. 4 I. 1° Satz 3 FeV-Frankreich). Eine Beschränkung dieses Rechts zum Führen eines Kraftfahrzeugs auf das Staatsgebiet der Republik Frankreich ist nicht ersichtlich. Art. 4 I. 2° S. 4 FeV-Frankreich, wonach das CEPC gegenüber der Polizei als „permis de conduire“ gilt, betrifft nur die Funktion des CEPC als Nachweis der Fahrberechtigung (Legitimationspapier) und nicht diese selbst. Denn das französische Recht unterscheidet - wie das deutsche - zwischen dem Recht zum Fahren (Fahrerlaubnis) und dem Legitimationspapier (Führerschein), auch wenn die französische Sprache für beides denselben Term (permis de conduire), benutzt. Dies ergibt sich aus der unterschiedlichen Sanktionierung des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und des Fahrens ohne Führerschein. Das Fahren ohne Fahrerlaubnis wird gemäß Art. L221-2 CdR als Vergehen mit einer Kriminalstrafe und das Fahren ohne Führerschein gemäß Art. R233-1 III. CdR als Ordnungswidrigkeit mit einer Polizeistrafe geahndet.

d. Die Gültigkeit des CEPC als Legitimationspapier ist auf vier Monate beschränkt (Art. 4 I. 2° Satz 4 FeV-Frankreich). In der Regel wird dem Führerscheinbewerber in dieser Zeit der endgültige Führerschein ausgestellt. Erhält der Führerscheinbewerber in dieser Frist den endgültigen Führerschein hingegen nicht, verliert zwar das CEPC seine Funktion als Legitimationspapier, die Fahrberechtigung erlischt aber nicht. Somit fährt jemand, der nicht rechtzeitig einen ordnungsgemäßen Antrag auf Ausstellung eines Führerscheins gestellt hat und dessen CEPC nach vier Monaten die Gültigkeit als Legitimationspapier verliert, nicht ohne Fahrerlaubnis im Sinne des Art. L221-2 CdR, sondern ohne Führerschein im Sinne des Art. L233-1 III. CdR, und begeht damit lediglich eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat.

e. Nach Ausstellung eines uneingeschränkten CEPC hängt die Ausstellung des Führerscheins der Klasse B nur noch davon ab, dass der Führerscheinbewerber einen ordnungsgemäßen Antrag stellt; weitere tatsächliche oder rechtliche Voraussetzungen werden vom Präfekten nicht geprüft (Art. 1 und 7 FeV-Frankreich). Der Führerschein wird dann quasi automatisch ausgestellt. Der Führerscheinbewerber hat keinen Einfluss darauf, wie viel Zeit die Ausstellung des Führerscheins in Anspruch nimmt.

2. Der Erwerb einer Fahrerlaubnis erfolgt in Deutschland im Wesentlichen unter denselben Voraussetzungen wie in Frankreich. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber im Verfahren der Ausstellung des endgültigen Führerscheins als Nachweis der Fahrberechtigung (a.). Das deutsche Recht sieht zudem die Anerkennung von ausländischen Fahrberechtigungen und Führerscheinen vor, die allerdings nicht uneingeschränkt gilt (b.). Ein Verstoß gegen die Fahrerlaubnis- bzw. Führerscheinpflicht ist strafbewehrt (c.).

a. Einem Führerscheinbewerber mit Wohnsitz in Deutschland (§ 7 FeV), der die allgemeinen Voraussetzungen, beispielsweise das erforderlich Alter, die körperliche und geistige Eignung usw., erfüllt, wird die Fahrerlaubnis erteilt, sobald er die theoretische und praktische Prüfung bestanden hat. Nach § 22 Abs. 4 FeV wird ihm der endgültige Führerschein vom Fahrprüfer grundsätzlich unmittelbar nach der praktischen Fahrprüfung ausgehändigt, d.h. der Führerscheinbewerber muss, anders als in Frankreich, in der Regel nicht auf die Ausstellung des endgültigen Führerscheins durch die zuständige Behörde warten. Nur wenn der Führerschein ausnahmsweise noch nicht vorliegt, erhält der Führerscheinbewerber eine befristete Prüfbescheinigung, die in Deutschland zum Nachweis der Fahrberechtigung dient (§ 22 Abs. 4 Satz 6 FeV).

b. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen im Ausland ansässige Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis grundsätzlich im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge in Deutschland führen. Diese Fahrerlaubnis ist gemäß § 29 Abs. 2 FeV durch einen entsprechenden Führerschein nachzuweisen. Verfügt der Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis über keinen Führerschein, der den Anforderungen des § 29 Abs. 2 FeV genügt, entfällt seine Fahrberechtigung deswegen nicht (Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage 2009, FeV, § 29, Rn. 12). Allerdings kann dies als Ordnungswidrigkeit geahndet werden (siehe dazu unten c.). Die Anerkennung der ausländischen Fahrerlaubnis nach § 29 Abs. 1 FeV wird jedoch insbesondere dann versagt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins ist (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 FeV). Um welche konkreten Dokumente es sich dabei handelt, ist in Deutschland, soweit das Gericht dies überblickt, weder gesetzlich noch durch die Rechtsprechung geklärt. Allerdings vertritt die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung vom 23.08.2002 zu Auslegungsfragen über den Führerschein (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 2002/C 077/03) die Ansicht, dass keine Anerkennungspflicht hinsichtlich einer Bescheinigung über eine bestandene Prüfung, worunter das CEPC fallen dürfte, oder eines Führerscheins, der nur vorläufig als Teil der Fahrausbildung ausgestellt wird, bestehe (B.9. der Mitteilung). Zur Anerkennung einer tatsächlich bestehenden Fahrberechtigung verhält sich diese Mitteilung der Kommission allerdings nicht.

c. Verfügt ein Fahrzeugführer nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis, d.h. ihm fehlt das erforderliche Recht zum Fahren, macht er sich nach § 21 Abs. 1 StVG wegen eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig, was mit einer Kriminalstrafe von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft werden kann, wobei daneben ein Fahrverbot von bis zu drei Monaten (§ 44 des Strafgesetzbuchs, in der Folge: StGB), die Einziehung des benutzten Kraftfahrzeugs (§ 21 Abs. 3 StVG) sowie die Verhängung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§ 69a Abs. 1 Satz 3 StGB) in Betracht kommen. Führt er bei der Fahrt hingegen nur keinen Führerschein als Nachweis über seine tatsächlich bestehende Fahrberechtigung mit, begeht er lediglich eine Ordnungswidrigkeit (§ 75 Abs. 1 Nr. 4 FeV), die mit einer Polizeistrafe von bis zu 2000 EUR (§ 24 Abs. 2 StVG), im Regelfall 10 EUR (Nr. 168 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der Bußgeldkatalog-Verordnung), geahndet werden kann.

3. Da die Europäische Union zuletzt mit der 3. Führerscheinrichtlinie eine umfassende Regelung zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen und Harmonisierung der Voraussetzungen für den Erwerb einer Fahrerlaubnis getroffen hat, sind für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts die Vorgaben der 3. Führerscheinrichtlinie zu beachten (a.). Darüber hinaus kommt wegen der praktischen Bedeutung der Nutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs in Betracht, dass die Versagung der Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis oder des dazugehörigen Legitimationspapiers eine unzulässige Beeinträchtigung der durch das Recht der Europäischen Union gewährten individuellen Freiheiten darstellt (b.).

a. Art. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie bestimmt, dass „die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine […] gegenseitig anerkannt“ werden. Fraglich ist für das Gericht, ob mit dem Wort „Führerscheine“ gemeint ist, dass eine Anerkennung der Fahrberechtigung nur dann von Art. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie verlangt wird, wenn ein endgültiger Führerschein als Legitimationspapier ausgestellt wurde, oder ob die Anerkennungspflicht bereits das Recht zum Fahren, also die Fahrerlaubnis, unabhängig vom Vorliegen eines endgültigen Führerscheins erfasst. Diese Unklarheit ergibt sich nach Auffassung des Gerichts zum einen aus dem Bedürfnis der 3. Führerscheinrichtlinie wegen des Fehlens eines einheitlichen europäischen Fahrerlaubnisrechts für eine grundsätzliche Anerkennung einer Fahrberechtigung in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu sorgen. Zum anderen ist zu bemerken, dass sowohl das französische und deutsche Recht als auch die 3. Führerscheinrichtlinie zwischen der Fahrberechtigung und dem Legitimationspapier unterscheidet, die deutsche und französische Sprachfassung der 3. Führerscheinrichtlinie aber die Begriffe „Führerschein“ und „Fahrerlaubnis“ bzw. „Recht zum Fahren“ sowie „permis de conduire“, „permis“ und „droit de conduire“ nicht in unmittelbarer Übersetzung und teilweise unterschiedlichen Bedeutungen verwenden (siehe Ziffern 8, 15 der Erwägungen, Art. 4 Nr. 4 b) und Abs. 3 Art. 7 Nr. 5 sowie Nr. 9 bis 11 des Anhangs I), so dass nicht eindeutig scheint, dass die Begriffe „Führerschein“ bzw. „permis de conduire“ in jedem Fall nur das Legitimationspapier und die Begriffe „Fahrerlaubnis“ bzw. „droit de conduire“ nur das Recht zum Fahren bezeichnen.

b. Die Versagung der Anerkennung der Fahrerlaubnis des Angeschuldigten oder des CEPC als Legitimationspapier und die damit verbundene Sanktionierung eines Verstoßes mit einer Kriminal- oder Polizeistrafe erscheinen geeignet, das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV und die Grundfreiheiten nach Art. 21, 45, 49 und 56 AEUV zu verletzen. Denn ein in Frankreich ansässiger Führerscheinbewerber kann aufgrund des Wohnsitzprinzips nur dort die Fahrerlaubnis erwerben, wobei er das in Frankreich geltende Verfahren der nachträglichen Ausstellung des Führerscheins und den damit verbundenen, von ihm nicht beeinflussbaren erheblichen zeitlichen Verzug hinnehmen muss, während der in Deutschland ansässige Führerscheinbewerber sofort uneingeschränkt Fahrzeuge führen darf, für die er seine Fahreignung nachgewiesen hat. Konkret hätte dies beispielsweise zur Folge, dass es für einen in Frankreich ansässigen Führerscheinbewerber unmöglich wäre, unmittelbar nach Bestehen der praktischen Fahrprüfung eine Arbeitsstelle in Deutschland anzutreten, die er nur unter Nutzung eines eigenen Pkws erreichen kann, während der in Deutschland ansässige Führerscheinbewerber dieser Einschränkung nicht unterliegen würde. Obwohl beide die Erfüllung der nach der 3. Führerscheinrichtlinie harmonisierten Voraussetzungen für den Erwerb einer Fahrerlaubnis nachgewiesen haben, hätten sie damit nicht die gleichen Rechte. Unter diesen Umständen scheint im Ergebnis eine Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat zu bestehen.III.

Das Gericht ersucht den Gerichtshof anzuordnen, dass über das Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union mit Vorrang entschieden wird. Die Vorabentscheidungsfragen sind in einem schwebenden Strafverfahren entscheidungserheblich, für das in besonderem Maße der aus Art. 6 Abs. 1 MRK resultierende Anspruch des Angeschuldigten gilt, dass über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen öffentlichen Klage in angemessener Zeit entschieden wird.IV.

Weiterhin ersucht das Gericht den Gerichtshof nach Art. 95 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union, den Namen des Angeschuldigten des Ausgangsverfahrens zu anonymisieren.

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