LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16.02.2016 - L 6 KR 46/12
Fundstelle
openJur 2016, 5458
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 02.12.2011 wird zurückgewiesen.

Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um wechselseitige Erstattungsansprüche.

Die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung hat dem bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten S. M. (nachfolgend: Versicherter) Leistungen wegen eines angenommenen Arbeitsunfalles vom 15. April 2002 erbracht. Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin die hierfür aufgewendeten Kosten, welche sie auf 31.575,35 Euro beziffert, zu erstatten hat, weil es sich tatsächlich nicht um einen versicherten Arbeitsunfall gehandelt hat. Die Beklagte wiederum hat dem Versicherten nach Leistungseinstellung seitens der Klägerin ihrerseits Leistungen wegen der Unfallfolgen erbracht, welche sie auf insgesamt 5.119,17 € beziffert und widerklagend gegenüber der Klägerin geltend macht.

Der 1979 geborene Versicherte absolvierte seit August 1999 eine Berufsausbildung zum Kommunikationselektroniker bei der Bundeswehr (Ausbildungswerkstatt des Heeres) in B. bei S.. Er erlitt am Montag, 15. April 2002, gegen 06:15 Uhr auf dem Weg von der Wohnung seiner damaligen Freundin in U. zur Berufsschule in N. einen Verkehrsunfall, wobei er sich schwere Verletzungen zuzog.

Nach Eingang einer Unfallanzeige der Berufsschule und eines D-Arzt-Berichts des DBK N. übernahm die Beklagte zunächst die Kosten für die stationäre Behandlung des Versicherten, Verletztengeld etc. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Klägerin Bezug genommen. Sie ging hierbei von einem versicherten Wegeunfall aus, wobei sie der Tatsache, dass der Versicherte seinen Weg nicht von der Wohnung der Eltern in B. bei L., sondern von der Wohnung der Freundin in U. aus angetreten hatte, zunächst unter dem Gesichtspunkt des sog. „Dritten Ortes“ und der einhergehenden Verkürzung der Strecke zunächst keine Bedeutung beimaß. Nach Akteneinsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft gelangte sie zu der Auffassung, dass sich der Versicherte durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten von der versicherten Tätigkeit gelöst habe. Der Unfall hatte sich nach den Feststellungen der Polizei im Zuge eines Überholvorgangs trotz Sperrlinie in einem Kurvenbereich der Landesstraße L28 ereignet, bei welchem der Kläger die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hatte.

Mit dieser Begründung lehnte es die Klägerin mit Bescheid vom 24. September 2002 gegenüber dem Versicherten ab, das Ereignis vom 15. April 2002 als Arbeitsunfall anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Mit Schreiben vom 01. Oktober 2002 teilte sie dies auch der Beklagten mit und machte Erstattung der (bis dahin) verauslagten Kosten in Höhe von 28.987,44 € geltend, weitere Beträge in Höhe von insgesamt 1.447,00 € für bereits zuvor begonnene und erst später abgerechnete Heilmittelbehandlungen mit Schreiben vom 10. Oktober 2002.

Nach Widerspruch des Versicherten gegen den Ablehnungsbescheid lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 24. Oktober 2002 die Erstattung vorerst ab und machte ihrerseits Erstattungsansprüche gegen die Klägerin geltend.

Auf den Widerspruch des Versicherten hin, den dieser mit der Einstellung sowohl des strafrechtlichen als auch des OWI-Verfahrens begründete, stellte die Klägerin weitere Ermittlungen zur Frage der Versicherungsschutzes bei der Zurücklegung des zum Unfall führenden Weges an. Insbesondere fragte sie beim Versicherten an, ob er den Weg nach N. täglich zurückgelegt habe, da in einem ärztlichen Entlassungsbericht die Rede von einem Wohnheim war, welches der Versicherte „unter der Woche“ bewohnt habe. Anhand der Angaben des Versicherten in einem Schreiben vom 09. Juni 2003 und einem Fragebogen von September 2004 stellte sich folgender Sachverhalt heraus:

Das Wochenende verbrachte der Versicherte entweder bei der Freundin oder in der elterlichen Wohnung, wo er über ein eingerichtetes Zimmer verfügte, seine persönlichen Dinge verwahrte und wo auch seine Wäsche gewaschen wurde. Die elterliche Wohnung, in der er seinerzeit auch gemeldet war, bezeichnete er als Nachfrage ausdrücklich als seinen Lebensmittelpunkt, von wo aus er auch geschäftliche und Behördendinge erledigt hat. In der Wohnung der Freundin, die er seit etwa fünf Jahren kannte und mit der er keinen gemeinsamen Haushalt führte, verfügte er hingegen nicht über ein eigenes Zimmer. An Wochentagen wohnte der Versicherte in einem Wohnheim in S. (wenige Kilometer von der Lehrwerkstatt). Montags begab er sich regelmäßig unmittelbar zur Berufsschule nach N. (etwa 35 km vom Wohnheim entfernt), wobei er diese Fahrten teilweise (wie am Unfalltag) von der Wohnung der Freundin aus, teilweise von der elterlichen Wohnung aus angetreten hat.

Die Klägerin wies den Widerspruch des Versicherten mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2003 als unbegründet zurück. Seine zunächst vor dem Sozialgericht Neubrandenburg erhobene Klage nahm der Versicherte am 02. März 2004 zurück.

Mit Schreiben vom 11. März 2004 forderte die Klägerin die Beklagte auf, einen Betrag in Höhe von 31.575,35 € zu erstatten. Zur Begründung führte sie in weiteren Schreiben vom 06. Mai 2004 und 03. Januar 2005 aus, der Weg sei weder nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 noch nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII versichert gewesen. Da es sich bei der Wohnung seiner damaligen Freundin in U. nicht um die ständige Familienwohnung des Versicherten gehandelt, er seinen Lebensmittelpunkt vielmehr noch bei seinen Eltern in B. gehabt habe, liege kein Fall des § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII vor. Auch unter dem Gesichtspunkt des „dritten Ortes“ habe kein Versicherungsschutz bestanden, da der Weg von U. zum Ort der Tätigkeit in keinem angemessenen Verhältnis zum üblichen versicherten Weg vom Wohnheim aus gestanden habe. Auf den Vergleich der Strecken von B. einerseits und U. andererseits nach N. komme es hingegen nicht an. Mithin sei die Beklagte gemäß § 105 SGB X verpflichtet, der Klägerin die zu Unrecht erbrachten Sozialleistungen zu erstatten.

Die Beklagte hat sich mit mehreren Schreiben unter Wiedergabe verschiedener Fundstellen aus Rechtsprechung und Literatur zwar der Auffassung angeschlossen, dass nicht von einem versicherten Weg im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII auszugehen sei, gleichwohl von keinem unangemessenen Verhältnis der Wege von der Freundin zur Berufsschule einerseits und vom Wohnheim zur Berufsschule andererseits auszugehen sei.

Die Klägerin hat am 05. Dezember 2007 bei dem Sozialgericht Schwerin Klage erhoben und unter Aufrechterhaltung ihres Rechtsstandpunkts beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr € 31.575,35 aus Anlass des Ereignisses vom 15. April 2002 (Unfall des S. M.) zu erstatten und der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat weiterhin die Auffassung vertreten, der Versicherte habe einen Arbeitsunfall erlitten.

Das Sozialgericht (Unfallkammer) hat die Beklagte mit Urteil vom 08. September 2011 antragsgemäß verurteilt und zur Begründung ausgeführt:

Die nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zulässige Leistungsklage sei auch begründet, da der Klägerin der geltend gemachte Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten nach den §§ 102 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - zustehe. Die Klägerin könne die Erstattung der von ihr erbrachten Leistungen geltend machen, da sie materiell-rechtlich nicht zur Erbringung der Leistungen verpflichtet gewesen sei. Bei dem Unfall habe der Versicherte weder nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII noch nach Nr. 4 a.a.O. unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Ausgangspunkt des unfallbringenden Weges sei nicht die ständige Familienwohnung des Versicherten, im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII gewesen. Als solche sei noch die elterliche Wohnung anzusehen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherte seine ständige Familienwohnung zu seiner Freundin nach U. verlegt habe, lägen nicht vor.

Der Kläger habe auch nicht nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Wenn nicht der häusliche Bereich, sondern ein "dritter Ort" den Ausgangs- bzw. Endpunkt des nach oder von dem Ort der Tätigkeit angetretenen Weges bilde, sei für den inneren Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit maßgeblich, ob dieser Weg noch von dem Vorhaben des Versicherten, sich zur Arbeit bzw. Ausbildung zu begeben oder hiervon zurückzukehren oder davon rechtlich wesentlich geprägt sei, einen eigenwirtschaftlichen Besuch am "dritten Ort" abzuschließen. Es sei dann zu verlangen, dass ein nicht von oder nach der Wohnung angetretener Weg unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls nach der Verkehrsanschauung in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stehen muss. Dabei sei nicht ausschließlich auf die unterschiedliche Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einerseits und "drittem Ort" und Arbeitsstätte andererseits abzustellen, sondern auch andere Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere, ob am "dritten Ort" Verrichtungen des täglichen Lebens mit keinerlei Bezug zur versicherten Tätigkeit erledigt wurden oder solche, die zumindest mittelbar auch dem Betrieb zugute kommen sollen. Dabei müssten solche Verrichtungen am "dritten Ort" ausscheiden, die nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht primär zur Wiederherstellung, Aufrechterhaltung oder Verbesserung der für die versicherte Tätigkeit benötigten körperlichen und/oder geistigen Leistungsfähigkeit, sondern lediglich der geistigen Anregung, der Entspannung oder etwa der Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher Beziehungen dienen, mögen diese auch mittelbar das körperliche bzw. geistige Wohlbefinden heben und so auch die Leistungsfähigkeit verbessern.

Hiernach könne ein innerer Zusammenhang vorliegend im Unfallzeitpunkt nicht angenommen werden. Beim Vergleich der Entfernungen sei einerseits von der Entfernung der Wohnung der Freundin in U. nach N. zur Berufsschule (ca. 63 km) und andererseits von der Unterkunft während seines Berufsschulaufenthaltes in S. nach N. (ca. 32 km) auszugehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei als Ausgangspunkt des üblichen Weges zur Berufsschule das Internat in S. zu berücksichtigen, weil der übliche, also regelmäßig benutzte Weg zur Berufsschule des Versicherten dort und nicht in U. oder B. angetreten worden sei.

Die so zu beurteilenden Entfernungen stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Ob nach der Verkehrsanschauung die Grenze zur Unangemessenheit allein wegen der Verdoppelung der üblichen Fahrstrecke schon überschritten sei, könne dahinstehen, da der Aufenthalt des Versicherten am "dritten Ort" (Besuch der Freundin) nicht betriebsbezogen, sondern ausschließlich eigenwirtschaftlich geprägt gewesen sei.

Da der Anspruch der Höhe nach von der Beklagten nicht bestritten worden sei, sei der Klage stattzugeben gewesen.

Gegen das ihr am 07. November 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 02. Dezember 2011. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass die Verlängerung der Wegstrecke um ca. 30km bei einer PKW-Fahrt in ländlicher Umgebung noch als angemessen anzusehen sei, ferner dass der Versicherte die Wohnung der Freundin an Wochenenden häufig, vor Wochen mit Berufsschule sogar regelmäßig zum Ausgangsort seiner Fahrt gewählt habe, was anders zu beurteilen sei als etwa eine Fahrt von einem beliebigen anderen Ort, bspw. von einer Party.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 08. September 2011 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Widerklagend beantragt sie darüber hinaus:

Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 5.119,17 € zu zahlen.

Zur Begründung ihrer Widerklage verweist sie auf die Aufschlüsselung der von ihr erbrachten Leistungen in Abrechnungen vom 18. Februar 2005 und 10. April 2007.

Die Klägerin beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen und die Widerklage abgewiesen.

Sie verweist auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, welche die Argumente der Beklagten aus der Berufungsbegründung bereits berücksichtigten.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten und ihre den gleichen Sachverhalt betreffende, gemäß § 100 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ebenso zulässige Widerklage sind unbegründet.

Einer Beiladung des Versicherten nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG bedurfte es nicht (BSG, Urteil vom 16. März 2010 – B 2 U 4/09 R).

Der Versicherte der Beklagten stand im Zeitpunkt des Unfalls vom 15. April 2002 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin hat daher dem Versicherten in der Annahme eigener Zuständigkeit Leistungen (Heilbehandlung, Verletztengeld) erbracht, ohne tatsächlich hierfür zuständig zu sein, sodass ihr die Beklagte als tatsächlich zuständige gesetzliche Krankenkasse des Versicherten gemäß § 105 SGB X erstattungspflichtig ist. Der im Wege der Widerklage geltend gemachte Anspruch der Beklagten gemäß § 102 SGB X (Anspruch des vorläufig leistenden gegen den endgültig verpflichteten Leistungsträger) scheidet aus dem gleichen Grund aus; die Beklagte leistete nach Leistungseinstellung seitens der Klägerin als nicht nur vorläufig „zur Leistung verpflichteter Leistungsträger im Sinne dieser Vorschrift.

Die Leistungspflicht der Beklagten für die wegen der Folgen des Unfalls des Versicherten erbrachten Leistungen folgt grundsätzlich aus §§ 27 ff. (Krankenbehandlung, insbes. § 39 SGB V Krankenhausbehandlung) sowie §§ 44 ff. SGB V (Krankengeld). Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls schlösse hingegen einen Anspruch des Versicherten gegen die Klägerin aus, § 11 Abs. 5 SGB V (seinerzeit noch Abs. 4); zugleich ergäbe sich die Leistungspflicht der Klägerin aus §§ 26 ff. (Behandlung insbes. § 33 SGB VII, Krankenhaus) und §§ 45 ff. SGB VII (Verletztengeld).

Es handelt sich (anders als noch nach der RVO) mithin nicht um ein Vor-/Nachrangverhältnis der Leistungsansprüche gegen den Krankenversicherungsträger einerseits und den Unfallversicherungsträger andererseits, sondern um sich gegenseitig ausschließende Ansprüche, weshalb § 104 SGB X nicht anwendbar ist. Der mit der Widerklage geltend gemachte Erstattungsanspruch basiert auf Leistungen der Beklagten nach der ausdrücklich auf das Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls gestützten Leistungseinstellung seitens der Klägerin; sie wären, die tatsächliche Eintrittspflicht der Klägerin unterstellt, als vorläufige Leistungen im Sinne von § 43 SGB I und § 102 SGB X anzusehen.

Die Zuständigkeit der Beklagten folgt allerdings nicht bereits aus der Bindungswirkung des Bescheides der Klägerin gegenüber dem Versicherten über das Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls (§ 77 SGG). Eine Bindungswirkung von Bescheiden aus dem Leistungsverhältnis auch im Erstattungs-Verhältnis, wie sie das BSG etwa für Bescheide über den Zeitpunkt des Rentenbeginns im Erstattungsstreit zwischen Krankenkasse und Rentenversicherungsträger annimmt (Urteil vom 01. September 1999 – B 13 RJ 49/98 R), ist jedenfalls in der vorliegenden Konstellation zu verneinen, vgl. die ausführliche Darstellung im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 21. Juli 2015 – L 11 KR 1601/14.

Richtigerweise hat ferner bereits die Klägerin im Widerspruchsverfahren festgestellt, dass das (wohl grob) verkehrswidrige Verhalten des Versicherten einen zunächst bestehenden Versicherungsschutz nicht entfallen ließe, da dieser vom Versicherten selbst geschaffenen Gefahr jedenfalls keine (bewiesenen) betriebsfremden Motive zugrunde lagen, vgl. BSG, Urteil vom 02. November 1988 – 2 RU 7/88.

In Ergebnis und Begründung zutreffend hat jedoch das Sozialgericht das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gleichwohl verneint, sodass in materiell rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Bezug genommen werden kann.

Zutreffend hat das Sozialgericht insbesondere die elterliche Wohnung in B. anhand der widerspruchsfreien und erkennbar nicht interessengeleiteten Angaben des Versicherten als ständige Familienwohnung im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII angesehen. Dieser Würdigung schließt sich der Senat auf Grund des Gesamtergebnisses des Verfahrens an, § 128 Abs. 1 SGG. Mit der ständigen Familienwohnung wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass nicht selten Tätigkeitsort und Lebensmittelpunkt so weit auseinander liegen, dass der Weg zur Arbeitsstätte nicht bzw. nicht ohne unzumutbaren Aufwand täglich bewältigt werden kann (Keller in: Hauck/Noftz, § 8 SGB VII, Rn. 212). Ständige Familienwohnung i. S. v. Abs. 2 Nr. 4 ist eine Wohnung, die für längere Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildet (BSG vom 31.05.1996, 2 RU 28/95; Keller, a.a.O., Rn. 213). Ein Lediger behält seine Familienwohnung bei den Eltern, wenn er regelmäßig einen erheblichen Teil der Freizeit bei ihnen verbringt, die Bindung zu ihnen nicht gelockert ist und er an dem Beschäftigungsort oder anderswo keinen neuen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gefunden hat. Dabei ist eine Gesamtschau aller Umstände vorzunehmen. Zu beachten sind u. a.: zeitlicher Abstand, in dem die elterliche Wohnung aufgesucht wird; Ausstattung der Wohnung am Ort der Tätigkeit; Vorhandensein eines eigenen Zimmers bei den Eltern; Reinigen der Wäsche durch diese; aktive Teilnahme am Vereinsleben am Ort der Wohnung der Eltern. Liegen solche Umstände vor, befindet sich der Lebensmittelpunkt noch bei den Eltern, auch wenn der Versicherte regelmäßig an Wochenenden bei der Freundin übernachtet (Urteil des Senats vom 15.02.2001, L 5 U 125/99, HVBG- Info 2001, S. 1972 ff.; Keller, a.a.O., Rn. 215b).

Auch die Beklagte geht vorliegend davon aus, dass der Versicherte durch seine wenn auch regelmäßigen Übernachtungsbesuche bei der Freundin seine ständige Familienwohnung im Zeitpunkt des Unfalls nicht von der elterlichen Wohnung verlegt hatte, wo er nach wie vor seinen Lebensmittelpunkt hatte.

Im Zeitpunkt des Unfallereignisses befand sich der Versicherte mithin nicht auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII versicherten Weg. Der zum Unfall führende Weg wäre allerdings auch dann versichert gewesen, wenn er - ausgehend von einem anderen Startpunkt (Wohnung der Freundin anstatt der Familie) – spätestens am Unfallort wieder auf den kürzesten oder üblichen Weg von der ständigen Familienwohnung zur Arbeitsstelle geführt hätte, vgl. Ricke in KassKomm, § 8 SGB VII, Rn. 216. Eine Route von B. über die Unfallstelle nach N. wäre allerdings mit einer Verlängerung um etwa 16 km/30 Min. im Vergleich zum kürzesten und schnellsten Weg (weiter südlich über Pasewalk und die A20) verbunden und zudem nicht der übliche gewesen, wie sich aus einem Schreiben des Vaters im Strafverfahren ergibt („er ist die Strecke selten gefahren“).

Unerheblich ist ferner, dass die tatsächlich beabsichtigte Strecke im Verhältnis zum Weg von der ständigen Familienwohnung zum Ort der Tätigkeit kürzer gewesen wäre (ca. 64 km statt ca. 75 km). Der Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII gebietet eine enge Auslegung, weshalb insbesondere die von der Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des sog. Dritten Ortes entwickelten Grundsätze insoweit keine Anwendung finden können, so auch Leube in Kater/Leube Gesetzliche Unfallversicherung, § 8, Rn. 227.

Entscheidend ist mithin allein, ob im Unfallzeitpunkt Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII bestand, was das Sozialgericht und bereits die Klägerin im Widerspruchsbescheid mit zutreffender Begründung verneint haben.

Nach der gebotenen Gesamtschau aller Umstände ist vorliegend ein unangemessenes Verhältnis des gewählten Weges vom dritten Ort (Wohnung der Freundin) im Vergleich zum regelmäßigen Weg vom häuslichen Bereich (hier: Wohnheim) zum Ort der Tätigkeit festzustellen. Eine betriebliche (Mit)veranlassung der Aufnahme des Arbeitsweges vom dritten Ort anstatt von der Wohnung aus. ist bei dem seinerzeit 22jährigen Kläger in keiner Weise erkennbar, sodass letztlich wesentlich auf das Verhältnis der Wegstrecken und Fahrzeiten zueinander (jeweils ca. 2 zu 1) und der einhergehenden absoluten Verlängerung des Weges (mehr als 30 km, ca. 30 Minuten) abzustellen ist. Eine derartige Verlängerung ist aber mit einer nicht unerheblichen Steigerung der mit der Zurücklegung des Weges einhergehenden Unfallgefahr verbunden und deshalb als nicht mehr angemessen anzusehen.

Diese Einschätzung wird noch dadurch unterstützt, dass der übliche Weg (S. – N.) fast ausschließlich auf einer gut ausgebauten Bundesstraße verlief, während der gewählte Weg von U. längere, auch kurvige Abschnitte auf weniger gut ausgebauten Landesstraßen beinhaltete, womit eine zusätzliche Risikoerhöhung verbunden war, die vorliegend sogar tatsächlich unfallursächlich geworden sein dürfte, ohne dass es hierauf ankäme.

Die von der Beklagten bemühte Rechtsprechung (LSG Niedersachsen, Urteil vom 17. Januar 2002 – L 6 U 429/99), die selbst bei einer Verzehnfachung der Strecke noch von einem angemessenen Verhältnis ausgehe, ist zum einen durch das BSG (Urteil vom 03. Dezember 2002 – B 2 U 18/02 R) nicht bestätigt worden. Sie hatte zum anderen hier nicht erkennbare besondere Gesichtspunkte (Anwesenheit im Familienverband fördere die emotionale Stabilität des noch jugendlichen Klägers und diene der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit) in den Vordergrund ihrer Erwägungen gestellt.

Eine Zuständigkeit der Klägerin für die Folgen des Unfalls des Versicherten lag mithin nicht vor, da es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

Anders als im Rahmen von § 102 SGB X, in welchem es zur Höhe des Anspruchs grundsätzlich keiner näheren Prüfung bedarf, da der auf den vorleistenden Träger anzuwendende Maßstab auch im Erstattungsverhältnis maßgeblich ist, kommt es bei § 105 SGB X grundsätzlich auf die für den zuständigen Leistungsträger (hier die Beklagte) geltenden Rechtsvorschriften an, hier also auf die Vorschriften des SGB V. Nachdem jedoch die Klägerin die einzelnen Positionen ihres Erstattungsbegehrens gegenüber der Beklagten offengelegt und ihr mithin Gelegenheit gegeben hat, für einzelne dieser Positionen geringere Kosten zu veranschlagen, geht auch der Senat davon aus, dass der Erstattungsforderung der Klägerin auch der Höhe nach keine Bedenken begegnen. Mangels konkreter Einwendungen der Beklagten zur Anspruchshöhe ist somit auch im Verhältnis Verletzten- zu Krankengeld und bei der Vergütung von Heilmittelerbringern nicht erkennbar, dass bei Anwendung des SGB V keine geringeren Beträge angefallen wären.

Schließlich ist von der Klägerin die Jahresfrist des § 111 SGB X durch „Anmeldung“ der Erstattungsansprüche eingehalten worden; die teilweise erst später erfolgte abschließende Bezifferung und Benennung der im Einzelnen erbrachten Leistungen ist unschädlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO. Danach trägt derjenige die Kosten, der unterliegt.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.