ArbG Iserlohn, Urteil vom 04.12.2008 - 4 Ca 1874/08
Fundstelle
openJur 2016, 4807
  • Rkr:
Tenor

Es wird festgestellt, dass das Ausbildungsverhältnis durch die Kündigung vom 18.08.2008 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert wird auf 1.710,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.

Die 1988 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.2007 für die Beklagte in deren Filiale in Iserlohn tätig. Die Arbeitsaufnahme erfolgte zunächst als geringfügig Beschäftigte/Packerin mit befristetem Arbeitsvertrag für die Zeit vom 01.09. bis 31.10.2007 für eine Vergütung von 4,50 € je Stunde. Durch Vereinbarung vom 12.10.2007 wurde dieses Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2008 verlängert. Die Klägerin trat dann an die Beklagte heran mit dem Wunsch, in ihrem Betrieb eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel zu absolvieren. Die Beklagte verwies darauf, dass das Ausbildungsjahr grundsätzlich am 01.08. eines jeden Jahres beginnen würde, entsprechend dem Schuljahr der Berufsschule. Schließlich einigten sich die Parteien darauf, dass die Klägerin zunächst ein Praktikum absolvieren sollte, um dann zu Beginn des nächsten Ausbildungsjahres eine Ausbildung anzutreten. In dem Praktikumsvertrag vom 07.11.2007 heißt es u.a.:

§ 1 Beginn und Dauer des Praktikums

Der/die Arbeitnehmer/-in wird mit Wirkung vom 01.12.2007 als Praktikant/-in in

unser Unternehmen eingestellt. Der Praktikumsvertrag ist bis zum 31.07.2008

befristet und endet an diesem Tag, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Die

Praktikumstätigkeit begründet keine Übernahme in ein festes Anstellungsverhält-

nis.

...

§ 3 Vergütung

Der/die Praktikant/-in erhält für seine Tätigkeit eine monatliche Bruttovergütung

von € 570,00.

...

§ 5 Probezeit und Kündigung

Die ersten vier Monate gelten als Probezeit.

Während der ersten 4 Beschäftigungsmonate (Probezeit) kann das Arbeitsver-

hältnis mit einer Frist von 2 Wochen gekündigt werden. Ab dem 5. Beschäftigungs-

monat gilt für beide Vertragsparteien eine Kündigungsfrist von einem Monat zum

Monatsende.

...

§ 6 Arbeitszeit

Die regelmäßige Arbeitszeit entspricht der für vergleichbare Arbeitnehmer/-innen

üblichen Arbeitszeit, wobei deren Verteilung nach betrieblichen Notwendigkeiten

erfolgt. Dies bedeutet, dass sich die Arbeitszeiten flexibel gemäß der Ladenöffnungs-

zeiten gestalten.

...

Soweit Mehrarbeit über den Rahmen dringender Vor- und Abschlussarbeiten, Auf-

räumungsarbeiten und Kassenschluss notwendig werden, sind diese im gesetzlichen

Rahmen zulässig.

...

§ 9 Allgemeine Pflichten

Der/die Praktikant/-in verpflichtet sich, alle ihm/ihr übertragenen Aufgaben sorgfältig

und gewissenhaft durchzuführen. Die Firma beschäftigt den/die Praktikant/-in mit

allen in der Filiale anfallenden Arbeiten, einschließlich Reinigungs- und Inventurar-

beiten nach näherer Anweisung der Firma bzw. seines/ihres Vorgesetzten.

Der/die Praktikant/-in verpflichtet sich, seine/ihre ganze Kraft in den Dienst der Firma

zu stellen. Nebenbeschäftigungen des/der Praktikant/-in für andere Unternehmen, mit

denen die Firma im Wettbewerb steht, sind untersagt. Eine anderweitige entgeltliche

Tätigkeit bedarf der Zustimmung der Geschäftsleitung.

...

§ 10 Vertragsstrafe

Für den Fall, dass der/die Arbeitnehmer/-in den Praktikumsvertrag nicht einhält,

indem er/sie die Tätigkeit unter Verletzung der Kündigungsfrist beendet, verpflichtet

sich der/die Arbeitnehmer/-in zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe eines Brutto-

monatsgehalts, ohne dass die Firma einen Schaden nachzuweisen hat.

...

Wegen der weiteren Einzelheiten des Praktikumsvertrags wird auf die Anlage zur Klageschrift verwiesen.

Ab dem 01.11.2007 wurde die Klägerin in alle Tätigkeiten in der Filiale eingewiesen. Sie bearbeitete Retouren und nahm Inventuren vor. Bei Abwesenheit der Filialleiterin vertrat sie diese und war Ansprechpartnerin für die Aushilfen.

Am 08.07.2008 schlossen die Parteien mit Wirkung ab dem 01.08.2008 einen Ausbildungsvertrag (wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zur Klageschrift verwiesen). Eine Änderung der Tätigkeit ab dem 01.08.2008 erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 18.08.2008 kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis unter Hinweis auf die vereinbarte Probezeit zum 19.08.2008.

Mit ihrer am 01.09.2008 bei Gericht eingegangenen Klage wehrt sich die Klägerin gegen diese Kündigung. Am 15.09.2008 entschied der Schlichtungsausschuss der SIHK, dass die Kündigung unwirksam sei (wegen der Einzelheiten des Beschlusses wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 19.08.2008 verwiesen). Die Beklagte hat diesen Spruch nicht akzeptiert.

Die Klägerin weist darauf hin, dass sie bereits während des Praktikums wie eine Auszubildende behandelt worden und an die Lerninhalte zur Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel herangeführt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Berufsausbildungsver-

hältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18.08.2008 aufgelöst ist, son-

dern ungekündigt fortbesteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Feststellung.

Die Kündigung der Beklagten vom 18.08.2008 hat das Ausbildungsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Die Kündigung ist nicht als Probezeitkündigung nach § 22 Abs. 1 BBiG gerechtfertigt. Für eine außerordentliche Kündigung nach § 22 Abs. 2 Ziffer 1 BBiG liegen keine Anhaltspunkte vor, insofern fehlt es auch an dem Formerfordernis der Begründung der Kündigung gemäß § 22 Abs. 3 BBiG.

1.

Gemäß § 20 BBiG beginnt das Ausbildungsverhältnis mit einer Probezeit von mindestens einem und längstens 4 Monaten. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, sicher zu stellen, dass der Ausbildende den Auszubildenden dahingehend überprüfen kann, ob dieser für den zu erlernenden Beruf geeignet ist und sich in das betriebliche Geschehen mit seinen Lernpflichten einordnen kann. Andererseits muss die Prüfung, ob der gewählte Beruf seinen Vorstellungen und Anlagen entspricht, auch dem Auszubildenden möglich sein. Diese Prüfungspflicht beider Parteien entfällt nicht aufgrund einer Vorbeschäftigung des Auszubildenden im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung, eines Praktikums oder einer anderweitigen Tätigkeit für den Arbeitgeber (vgl. z.B. BAG vom 15.05.2001 - 2 AZR 10/00 -; vom 16.12.2004- 6 AZR 127/04; LAG Berlin vom 12.10.1998 - 9 Sa 73/98 -).

2.

Der Beklagten ist es gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf die im Ausbildungsvertrag vereinbarte Probezeit zu berufen.

a.

Ein Verhalten ist als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn durch das Verhalten der einen Vertragspartei für die andere Vertragspartei ein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand des bisherigen geschaffen worden ist (vgl. BAG vom 26.06.2008 - 2 AZR 23/07). Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist dann in Betracht zu ziehen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers berechtigterweise darauf vertrauen durfte, das Arbeitsverhältnis werde z.B. nach Ablauf einer vereinbarten Befristung fortgesetzt. Der Arbeitgeber muss dann bei Vertragsabschluss oder während des Beschäftigungsverhältnisses objektiv einen entsprechenden Vertrauenstatbestand geschaffen haben (vgl. BAG v. 24.10.2001 - 7 AZR 620/00 -).

b.

Die Berufung der Beklagten auf die vereinbarte Probezeit ist rechtsmissbräuchlich im Sinne dieser Rechtsprechung.

Das von der Klägerin in der Zeit vom 01.11.2007 bis zum 31.07.2008 absolvierte Praktikum war de facto bereits Ausbildungszeit und erfüllte alle Bedingungen an eine Probezeit im Sinne des § 20 BBiG.

Gemäß § 13 BBiG hat sich der Auszubildende zu bemühen, die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die erforderlich sind, um das Ausbildungsziel zu erreichen. Ein Praktikum ist dagegen im Regelfall dadurch gekennzeichnet, dass der Praktikant sich ein Bild vom Arbeitsleben verschafft. Ein Praktikum beschränkt sich darauf, dem Arbeitgeber und seinen Mitarbeitern "über die Schulter zu schauen" und ein bestimmtes Berufsbild kennenzulernen. Eine Arbeitsleistung wird nicht geschuldet, es besteht keine Arbeitspflicht und grundsätzlich keine Weisungsgebundenheit hinsichtlich der Arbeitszeit. In der Regel ist ein Praktikum teil einer - schulischen oder akademischen - Ausbildung.

Die Klägerin hat bei der Beklagten jedoch kein Praktikum in diesem Sinne absolviert. Sie wurde vielmehr wie eine Auszubildende eingesetzt und mit allen Arbeiten des Berufsbildes der Kauffrau im Einzelhandel vertraut gemacht. Sie war hinsichtlich Zeit, Ort und Art ihrer Arbeitsleistung weisungsgebunden. Die entsprechenden Formulierungen im Praktikumsvertrag sprechen hierzu eine deutliche Sprache. Die Klägerin war verantwortlich in die Betriebsabläufe eingebunden. Das ist als unstreitig anzusehen. Angesichts des ausführlichen Vortrags der Klägerin genügt das einfache Bestreiten der Beklagten nicht. Diese hätte vielmehr aufgrund ihrer Kenntnis aus eigenem Erleben qualifiziert bestreiten müssen, um den Vortrag der Klägerin streitig zu stellen.

Aufgrund dieser Tätigkeit während des Praktikums konnten sich die Parteien gegenseitig in der Art und Weise kennenlernen, die Sinn und Zweck der Probezeit gemäß § 20 BBiG ist (vgl. Arbeitsgericht Wetzlar vom 24.10.1989 - 1 Ca 317/89 - in ARSt 90, 85). Trotz des vorausgegangenen Aushilfsarbeitsverhältnises hatten die Parteien im Praktikumsvertrag eine neue Probezeit vereinbart. Dass das Praktikum bereits als Ausbildungszeit zu sehen war, ergibt sich auch daraus, dass eigentlich beide Seiten im Oktober 2007 ein Ausbildungsverhältnis beginnen wollten, davon lediglich im Hinblick auf das fortgeschrittene Schuljahr abgesehen haben. Ansonsten hätte zunächst das Aushilfsarbeitsverhältnis fortgesetzt werden können, in dem die Klägerin bei erheblich geringerer Arbeitsleistung annähernd den gleichen Verdienst erzielt hätte. Demgegenüber hat die Beklagte während des Praktikums die volle Arbeitsleistung der Klägerin gegen eine Vergütung in Höhe der Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr erhalten. Nachdem die im Praktikumsvertrag vereinbarte Probezeit verstrichen war und die Beklagte mit der Klägerin bereits im Juli einen Ausbildungsvertrag mit Wirkung ab 01.08.2008 abgeschlossen hatte, konnte die Klägerin darauf vertrauen, dass dieser Ausbildungsvertrag auch erfüllt wurde und die Beklagte nicht von ihrem formalen Kündigungsrecht innerhalb der Probezeit zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses Gebrauch macht.

3.

Eine außerordentliche Kündigung hat die Beklagte nach dem Wortlaut des Kündigungsschreibens nicht aussprechen wollen. Diese wäre auch bereits mangels Angabe der Kündigungsgründe § 22 Abs. 3 BBiG unwirksam.

II.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert wurde gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 4 GKG in Höhe der dreifachen Ausbildungsvergütung festgesetzt.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte