VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19.02.2016 - 1 K 2017/14
Fundstelle
openJur 2016, 3741
  • Rkr:

1. Aus der Begründung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12 -, juris Rdnr. 93, folgt, dass auch § 8 Abs. 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 28. Januar 2014 (GV. NRW. S. 22, ber. S. 203) mit Art. 33 Abs. 2 GG unvereinbar ist.

2. Einem Beamtenbewerber kann ein Überschreiten der in § 15a LBG NRW normierten Höchstaltersgrenze, die mit Gesetz vom 17. Dezember 2015 (GV. NRW vom 30. Dezember 2015, S. 938) in das LBG NRW eingefügt wurde, nicht entgegengehalten werden, wenn seine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe vor der Entscheidung des BVerfG vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12 - auf der Grundlage von § 8 LVO NRW in der Fassung vom 28. Januar 2014 abgelehnt wurde und diese Entscheidung noch nicht bestandskräftig ist. Dem Beklagten obliegt in einem solchen Fall eine Folgenbeseitigungslast gegenüber dem Beamtenbewerber (Anschluss an OVG NRW, Urteile vom 27. Juli 2010 - 6 A 858/07, 6 A 282/08 und 6 A 3302/08 -).

3. Für eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des dem Dienstherrn nach § 15a Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW eingeräumten Ermessens, mithin eine faktische Verpflichtung des Dienstherrn auf Übernahme eines Beamtenbewerbers in ein Beamtenverhältnis auf Probe, ist zu fordern, dass sämtliche sonstige Einstellungsvoraussetzungen wie etwa seine Eignung für das angestrebte Amt im Zeitpunkt seiner Bewerbung erfüllt waren bzw. nunmehr sind.

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung N°°°°° vom 2. April 2014 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die 1967 geborene Klägerin ist als Lehrerin im Tarifbeschäftigtenverhältnis an der Städtischen Realschule N.-----straße in H°°°°° im öffentlichen Schuldienst des beklagten Landes tätig.

Ausweislich eines am 22. Januar 2008 ausgestellten unbefristeten Ausweises ist die Klägerin als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt.

In der Zeit vom 1989 bis 1997 absolvierte die Klägerin ein Studium der Rechtswissenschaften an der S. -Universität C. und schloss dieses mit Bestehen des ersten Staatsexamens am 10. September 1997 ab. Anschließend leistete sie in der Zeit vom 1998 bis 2003 den juristischen Vorbereitungsdienst ab. Den ersten Versuch der zweiten juristischen Staatsprüfung im Dezember 1999 bestand sie nicht. Während des (verlängerten) Vorbereitungsdienstes gebar sie am 3. Dezember 2000 ihre Tochter T. -N1. . Den zweiten Versuch der zweiten juristischen Staatsprüfung bestand sie ebenfalls nicht.

Von 2005 bis 2010 absolvierte die Klägerin ein Studium der Fächer Geschichte und evangelische Religion für das Lehramt an der Universität F. und schloss dieses mit dem ersten Staatsexamen ab. Anschließend leistete sie in der Zeit vom 23. August 2010 bis zum 4. Juni 2013 als Beamtin auf Widerruf den Vorbereitungsdienst für das Lehramt ab. Am 4. Juli 2013 bestand sie die zweite Staatsprüfung für das Lehramt.

In der Folge bewarb sich die Klägerin um die Einstellung in den Schuldienst des beklagten Landes. Dieses teilte ihr unter dem 14. Januar 2014 mit, es habe in Aussicht genommen, sie zum 1. Februar 2014 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe in den öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen einzustellen, sofern sie die laufbahn- und sonstigen dienstrechtlichen Voraussetzungen zur Übernahme in das Beamtenverhältnis insgesamt erfülle. Für den Fall, dass sie diese Voraussetzungen nicht erfülle, sei eine unbefristete Beschäftigung im Beschäftigtenverhältnis nach den Vorschriften des Tarifvertrags der Länder (TV-L) vorgesehen. Sie werde der städtischen Realschule N.-----straße in H°°°°° zugewiesen.

Das unter dem 22. Januar 2014 erstellte erweiterte Führungszeugnis über die Klägerin enthielt keine Eintragung.

Am 21. Januar 2014 wurde die Klägerin im Gesundheitsamt der Stadt H°°°°° amtsärztlich untersucht. Der Amtsarzt führte im Zeugnis vom 31. Januar 2014 aus, die Klägerin sei aufgrund der aktuellen gesundheitlichen Situation tauglich für die Tätigkeit im Lehramt. Sie leide an einer entzündlichen Erkrankung des Nervensystems. Gesundheitliche Einschränkungen, die hierdurch die vorgesehene Tätigkeit einschränken würden, seien nicht festzustellen. Der weitere gesundheitliche Verlauf lasse sich nicht mit ausreichender Sicherheit vorzeichnen. Bei der Untersuchten sei ein Grad der Behinderung von 50% mit den Voraussetzungen für das Merkzeichen G festgestellt, so dass eine Stellungnahme zur vorzeitigen Dienstunfähigkeit entfalle.

Die Klägerin und das beklagte Land schlossen einen unbefristeten Arbeitsvertrag, nach dem die Klägerin mit Wirkung vom 1. Februar 2014 als Lehrkraft im Angestelltenverhältnis beschäftigt wurde.

Mit Schreiben vom 5. März 2014, welches in der Betreffzeile die Eintragung "Antrag auf Verbeamtung" enthielt, teilte die Klägerin der Bezirksregierung N°°°°° mit, dass sie ihre Mutter nach einem Krankenhausaufenthalt und einem erlittenen Herzinfarkt betreut habe. Ihren Vater habe sie auch nach einem Krankenhausaufenthalt und schwerer Operation mit anschließender Verwirrtheit und Bewegungseinschränkung betreut. Es sei eine leichte Demenz gefolgt. Nach einer anliegenden Bescheinigung der behandelnden Ärztin Frau H. aus H°°°°° vom 27. Februar 2014 habe die Betreuung und Pflege des Vaters vom 10. April 2012 bis zum 4. August 2012 und die der Mutter vom 30. August 2011 bis zum 27. Januar 2012 gedauert.

Mit weiterem Schreiben vom 31. März 2014, welches in der Betreffzeile die Eintragung "Widerspruch gegen eine Einstellung als Angestellte" enthielt, erklärte die Klägerin gegenüber der Bezirksregierung, dass sie aufgrund ihrer Betreuungszeiten ihrer Tochter - sie sei seit 2005 alleinerziehend - und der Betreuungszeiten ihrer Eltern die Voraussetzungen einer Verbeamtung erfülle. Sie beantrage hiermit, den Widerspruch positiv zu bescheiden.

Mit Bescheid vom 2. April 2014 lehnte die Bezirksregierung N°°°°° den Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe ab. Zur Begründung führte sie aus, nach § 8 Abs. 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Laufbahnverordnung - LVO) in der derzeit geltenden Fassung vom 28. Januar 2014 dürfe als Laufbahnbewerber in das Beamtenverhältnis auf Probe eingestellt oder übernommen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 LVO dürfe die jeweilige Altersgrenze überschritten werden, wenn sich die Einstellung wegen der Geburt eines Kindes oder der tatsächlichen Betreuung eines Kindes unter 18 Jahren sowie wegen der tatsächlichen Pflege eines nach einem Gutachten pflegebedürftigen näheren Angehörigen verzögert habe, und zwar im Umfang der Verzögerung, insgesamt aber um höchstens sechs Jahre. Zum Zeitpunkt der unbefristeten Einstellung der Klägerin in den öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen am 1. Februar 2014 habe sie die Höchstaltersgrenze bereits um sechs Jahre und vier Monate überschritten. Es sei nach Aktenlage nicht ersichtlich, ob sich die Klägerin während ihres Vorbereitungsdienstes überwiegend der Kindererziehung gewidmet habe. In dem vorgelegten ärztlichen Attest würden Betreuungszeiten vom 30. August 2011 bis zum 27. Januar 2012 (4 Monate und 29 Tage) für ihre Mutter und vom 10. April 2012 bis zum 4. August 2012 (3 Monate und 25 Tage) für ihren Vater bescheinigt. Unabhängig davon, dass sie eine Pflegebedürftigkeit ihrer Eltern nicht durch ein Gutachten nachgewiesen habe, bestünden erhebliche Zweifel, dass sie ihre Eltern tatsächlich (im Sinne der Rechtsprechung) gepflegt habe, da sie während der ganzen Zeit Lehramtsanwärterin gewesen sei. Unterlagen über eine Unterbrechung dieses Ausbildungsverhältnisses oder eine unterhälftige Teilzeit zur Pflege ihrer Eltern lägen nicht vor. Es könne dahingestellt bleiben, ob die o. g. Zeiten tatsächlich als Kinderbetreuungszeiten und Pflegezeiten im Sinne der Rechtsprechung gelten und auch ursächlich für Ihre verspätete unbefristete Einstellung in den Schuldienst gewesen seien, weil die individuelle Höchstaltersgrenze für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auch bei Anerkennung und Ursächlichkeit nur im Umfang der Verzögerung (in ihrem Fall 3 Jahre, 8 Monate und 24 Tage) und grundsätzlich nicht um mehr als 6 Jahre hinausgeschoben werden könne. Die maximal mögliche Höchstaltersgrenze liege demnach bei Vollendung des 46. Lebensjahres. Dieser Zeitpunkt sei bereits bei Aufnahme ihrer unbefristeten Beschäftigung am 1. Februar 2014 um 4 Monate überschritten gewesen, so dass eine Übernahme in das Beamtenverhältnis schon damals nicht möglich gewesen sei. Des Weiteren sei die Klägerin nachweislich schwerbehindert im Sinne des 9. Sozialgesetzbuches. Schwerbehinderte Menschen dürften gem. § 8 Abs. 3 LVO auch dann eingestellt werden, wenn Sie das 43. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Allerdings könne die Schwerbehinderung nicht neben den Tatbeständen der Kinderbetreuung und der Pflege der Eltern Anwendung finden, sondern nur anstatt dessen. Dies sei ausdrücklich in § 8 Abs. 2 letzter Satz LVO normiert.

Die Klägerin hat am 28. April 2014 Klage erhoben.

Mit Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die durch die Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen vom 23. November 1995 (GVBl. 1996 S. 1) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 2009 des Landes Nordrhein-Westfalen (GVBl. S. 381, im Folgenden LVO 2009) auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW festgelegten Höchstaltersgrenzen in §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009 mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind.

Durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in ein Beamtenverhältnis im Land Nordrhein-Westfalen und zur Entfristung der Altersteilzeitregelung vom 17. Dezember 2015 (GV. NRW vom 30. Dezember 2015, S. 938) ist u.a. § 15a ("Höchstaltersgrenze für die Einstellung in ein Beamtenverhältnis") in das Landesbeamtengesetz Nordrhein-Westfalen neu eingefügt worden.

Zur Begründung der Klage zeichnet die Klägerin ihren beruflichen Werdegang nach. Der Berufswunsch, Lehrerin zu werden, sei bei ihr schon unmittelbar nach Abschluss ihres Ersten Staatsexamens im Fach Rechtswissenschaft entstanden.

In rechtlicher Hinsicht macht sie bezüglich der in § 8 LVO in der seit 2009 geltenden Fassung normierten Höchstaltersgrenze geltend, bei den darin normierten Ausnahmetatbeständen sei entgegen der Vorgängerfassung dieser Norm keine alternative, sondern eine kumulative Anwendung geboten. Bezüglich der Pflegezeiten ihrer Eltern sei anzumerken, dass sie diese jeweils nach Krankenhausaufenthalten vorübergehend körperlich gepflegt und u.a. für ihre Nahrungs- und Medikamentenaufnahme gesorgt habe. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass ihre Eltern pflegebedürftig gewesen seien.

Bei ihrer Tochter habe sie sich von 2000 bis 2005 der Kinderbetreuung gewidmet. Pro Kind sei ein Betreuungszeitraum von drei Jahren anzuerkennen, so dass sie die Anhebung der Höchstaltersgrenze von 43 auf 46 Jahre beanspruchen könne. Da sie sich ab dem 1. Februar 2014 in einem Dauerbeschäftigungsverhältnis befinde, sei der Zeitraum vom 1. Oktober 2013 bis 31. Januar 2014, also ein Zeitraum von vier Monaten, noch auszufüllen. Da die Betreuungszeiten ihrer Eltern länger als vier Monate gewährt hätten und - wie aufgezeigt - die Ausnahmetatbestände kumulativ anzuwenden seien, erreiche sie somit die Altersgrenze. Im Übrigen sei die von der Bezirksregierung aufgestellte Kausalitätsforderung rechtlich zweifelhaft und fragwürdig. Wenn ihr im Übrigen vorgehalten werde, sie hätte nicht von Anfang an ein Lehramtsstudium beabsichtigt, sei dies möglicherweise zutreffend, rechtlich aber ohne Belang.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - die bisherigen Normen in der LVO zur Regelung der Höchstaltersgrenzen für verfassungswidrig erklärt habe, verweise sie auf die Urteile des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 8. Juli 2015 - 2 K 574/13 - und des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. September 2015 - 2 K 2376/15 -, die den Beklagten jeweils zur Neubescheidung des Antrags der dortigen Kläger auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe verpflichtet hätten.

Außerdem beziehe sie sich auf das Urteil des OVG NRW vom 27. Juli 2010 - 6 A 858/07 -. In dieser Entscheidung habe das OVG zum Ausdruck gebracht, dass selbst dann, wenn durch eine gesetzliche Neuregelung der Altersgrenze der Einstellungsanspruch nicht mehr aufgrund dieser neuen gesetzlichen Regelung gegeben sei, ein Einstellungsanspruch bestünde, wenn bereits der Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis gestellt worden sei, bevor die höchstrichterliche Rechtsprechung die Altersgrenze als unwirksam aufgehoben habe. Die Bestimmung des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW a. F. sei in einem solchen Fall einschlägig. Der betroffene Beamtenbewerber habe gegenüber dem Dienstherrn in der Form der Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe einen Folgenbeseitigungsanspruch. Die Regelung des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW finde sich nahezu wortlautgleich in der neu geschaffenen Norm des § 15a Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW wieder.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung N°°°°° vom 2. April 2014 zu verpflichten, über ihren Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht im Hinblick auf § 8 LVO geltend, im vorliegenden Fall scheitere ein Anspruch auf Übernahme ins Beamtenverhältnis bereits daran, dass im Falle der Klägerin keine Kinderbetreuung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorliege. Zudem müsse nach der Rechtsprechung des OVG NRW hinzukommen, dass die Geburt und die anschließende Betreuung des Kindes ursächlich für die verspätete Einstellung in den Schuldienst gewesen seien. Ursächlich für die verspätete Einstellung der Klägerin sei jedoch nicht die Geburt oder die Betreuung ihrer Tochter, sondern eine nicht auf den Lehrerberuf ausgerichtete anderweitige Berufsausbildung bzw. Ausübung. Der Kausalzusammenhang sei somit unterbrochen.

Bezüglich der Betreuungszeit ihrer Eltern sei darüber hinaus zweifelhaft, ob die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen die Erfordernisse an ein "Gutachten über die Pflegebedürftigkeit" im Sinne der LVO erfüllten.

Ungeachtet dessen könne es aber dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Fall überhaupt Kinderbetreuungs- und Pflegezeiten im Rechtssinne vorlägen und ob diese ursächlich für die verspätete unbefristete Einstellung in den Schuldienst gewesen seien, weil die individuelle Höchstaltersgrenze für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auch bei Anerkennung und Ursächlichkeit nur im Umfang der Verzögerung und grundsätzlich nicht um mehr als 6 Jahre hinausgeschoben werden könne, die Klägerin aber bei Einstellung bereits das 46. Lebensjahr um 4 Monate überschritten gehabt habe.

Auch die nachgewiesene Schwerbehinderteneigenschaft ändere nichts an der Tatsache, dass eine Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe nicht möglich gewesen sei. Diese Ausnahme könne nicht zusammen mit den anderen Ausnahmetatbeständen angewendet werden. Eine Kumulation sei durch die Rechtsprechung verneint worden.

Eine Ausnahme nach § 15a Abs. 8 LBG NRW sei der Klägerin nicht zu bewilligen, da sie bereits bei Antragstellung die Höchstaltersgrenze - selbst unter Berücksichtigung von Hinausschiebenstatbeständen - überschritten habe. Die Klägerin gehöre insbesondere nicht der Fallgruppe an, in der das OVG NRW (vgl. Urteil vom 27. Juli 2010 - 6 A 858/07 -, juris) eine Folgenbeseitigungslast angenommen habe. Im Übrigen werde in diesem Zusammenhang auf einen Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW vom 4. Januar 2016 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Personalakte der Klägerin Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.

Die als Verpflichtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 VwGO zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe durch den Bescheid der Bezirksregierung N°°°°° vom 2. April 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2 VwGO. Der Beklagte ist verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Dem Anspruch steht insbesondere nicht entgegen, dass die Klägerin zwischenzeitlich ihr 48. Lebensjahr vollendet und damit die vom Beklagten inzwischen neu geregelte Höchstaltersgrenze von 42 Jahren überschritten hat. Das beklagte Land ist verpflichtet, eine Ausnahme vom Höchstalter zuzulassen.

Die Weigerung des beklagten Landes, die Klägerin in das Beamtenverhältnis zu übernehmen, ist rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten. Daraus ergibt sich der mit der Klage verfolgte Neubescheidungsanspruch. Dieser ist aufgrund der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu beurteilen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 2012 - 2 C 76.10 und 2 C 2.11 -, jeweils juris Rdnr. 11 f.; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2014 - 6 A 1842/13 -, juris Rdnr. 5.

Ein Anspruch der Klägerin auf Neubescheidung ihres Antrags auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe ergibt sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und den zur Konkretisierung dieser Norm ergangenen einfachgesetzlichen Vorschriften. Hiernach hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Zwar ergibt sich hieraus kein unmittelbarer Anspruch auf Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Vielmehr steht die Entscheidung über die Einstellung nach § 9 BeamtStG und § 15 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Das beklagte Land hat die Ablehnung auf § 8 LVO NRW in der Fassung vom 28. Januar 2014 (LVO NRW a.F.), gestützt, wonach in die Lehrerlaufbahnen als Laufbahnbewerber in das Beamtenverhältnis auf Probe nur eingestellt oder übernommen werden durfte, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Dem Begehren der Klägerin kann diese Regelung jedoch nicht entgegen gehalten werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 -, juris, entschieden, dass die durch die Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen vom 23. November 1995 (GVBl. 1996 S. 1) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften vom 30. Juni 2009 des Landes Nordrhein-Westfalen (GVBl. S. 381, im Folgenden LVO 2009) auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW festgelegten Höchstaltersgrenzen in §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009 mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Im Kern hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die pauschale Ermächtigung zur Regelung des Laufbahnwesens der Beamten in § 5 Abs. 1 LBG NRW nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage genüge. Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot verpflichteten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Dies gelte auch für die Einstellungshöchstaltersgrenzen, die einen schwerwiegenden Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG und grundsätzlich auch in Art. 33 Abs. 2 GG darstellten, weil sie ältere Bewerber regelmäßig ohne Rücksicht auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung vom Beamtenverhältnis ausschlössen. Insoweit fehle es an der erforderlichen parlamentarischen Leitentscheidung, da nicht ersichtlich sei, dass sich der Gesetzgeber Gedanken über die Einführung einer Einstellungshöchstaltersgrenze und ihre grundrechtliche Eingriffsrelevanz gemacht habe.

Die Entscheidungsformel des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 2015 hat gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft. Sie betrifft zwar lediglich § 6 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO i. d. F. vom 30. Juni 2009 (im Folgenden: LVO a. F.). Hinsichtlich der für den vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmung des § 8 Abs. 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2014 (GV. NRW. S. 22, ber. S. 203; im Folgenden: LVO n. F.), deren Regelungen, soweit sie im vorliegenden Zusammenhang von Interesse sind, denen der §§ 6 Abs. 1 und 52 Abs. 1 LVO a. F. entsprechen und bezüglich derer das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nicht gilt, sondern den Verwaltungsgerichten eine eigene Prüfungs- und Verwerfungskompetenz zusteht,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12 -, juris Rdnr. 93,

folgt aus der zitierten Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 2015, der sich das erkennende Gericht anschließt, jedoch, dass § 8 Abs. 1 LVO n. F. ebenfalls mit Art. 33 Abs. 2 GG unvereinbar ist. Mit Blick darauf fehlt es auch im vorliegenden Fall an einer wirksamen Einstellungshöchstaltersgrenze. Der Beklagte hätte der Klägerin die Überschreitung dieser laufbahnrechtlichen Altersgrenze mithin nicht entgegenhalten dürfen. Die Ablehnung der Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe war damit rechtswidrig.

Die Klägerin kann sowohl im Falle der Wirksamkeit der Neuregelungen zur Höchstaltersgrenze als auch im Falle der Unwirksamkeit dieser Regelungen eine Neubescheidung beanspruchen. Es kann daher offenbleiben, ob die Neuregelungen wirksam sind.

Durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in ein Beamtenverhältnis im Land Nordrhein-Westfalen und zur Entfristung der Altersteilzeitregelung vom 17. Dezember 2015 (GV. NRW vom 30. Dezember 2015, S. 938) ist u.a. § 15a ("Höchstaltersgrenze für die Einstellung in ein Beamtenverhältnis") in das Landesbeamtengesetz Nordrhein-Westfalen neu eingefügt worden. Der Gesetzgeber hat insoweit keine Übergangsregelungen getroffen.

Die Klägerin, die inzwischen das 48. Lebensjahr vollendet hat, erfüllt im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die nunmehr in § 15a LBG NRW normierte Höchstaltersvoraussetzung für die angestrebte Verbeamtung im Grundsatz nicht.

Gemäß § 15a Abs. 1 LBG NRW darf als Laufbahnbewerberin oder Laufbahnbewerber in das Beamtenverhältnis auf Probe eingestellt werden, wer das 42. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

Auch § 15a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4 LBG NRW, der eine Überschreitung der Altersgrenze von 42 Jahren wegen zwingend zu beachtender Verzögerungsgründe ermöglicht, greift nicht zu Gunsten der Klägerin ein. Selbst wenn man annähme, die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe hätte sich wegen der Geburt oder der tatsächlichen Betreuung ihrer Tochter sowie der tatsächlichen Pflege ihrer Eltern verzögert, ergäbe sich hiernach höchstens eine zulässige Überschreitung der Altersgrenze um zusammengenommen 3 Jahre, 8 Monate und 14 Tage. Die Regelung in § 15a Abs. 4 LBG NRW, wonach schwerbehinderte Menschen und ihnen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellte behinderte Menschen auch eingestellt werden dürfen, wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist aufgrund der Regelung in § 15a Abs. 4 LBG NRW a.E., wonach Abs. 3 in diesen Fällen keine Anwendung findet, nicht kumulativ zu den Ausnahmetatbeständen der Kinderbetreuung und Pflegezeiten anzuwenden.

Die Klägerin ist mittlerweile 48 Jahre alt und erfüllt somit die derzeitige Höchstaltersgrenze nicht. Gleichwohl kann ihr dies unter den besonderen Umständen des Streitfalles nicht entgegengehalten werden.

Die Ausnahmevorschrift des § 15a Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW ist vorliegend einschlägig. Danach können weitere Ausnahmen von der jeweiligen Höchstaltersgrenze für einzelne Fälle zugelassen werden, wenn sich nachweislich der berufliche Werdegang aus von der Bewerberin oder dem Bewerber nicht zu vertretenden Gründen in einem Maße verzögert hat, das die Anwendung der Höchstaltersgrenze unbillig erscheinen ließe.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat bezüglich der weitestgehend gleichlautenden Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW in der Fassung vom 30. Juni 2009 in Urteilen vom 27. Juli 2010 - 6 A 858/07 (Rn. 55 -69), 6 A 282/08 (Rn. 72 - 90) und 6 A 3302/08 (Rn. 57 - 71) - (jeweils juris unter den angegebenen Rn.) Folgendes ausgeführt:

"Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt. Dies ergibt sich bei einer Auslegung des § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. mit Hilfe der allgemeinen methodischen Kriterien, d.h. durch Ermittlung des objektiven Willens des Verordnungsgebers, der dem Wortlaut der Norm, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck zu entnehmen ist.

Der in der Vorschrift verwendete Begriff des "beruflichen Werdegangs" eines Bewerbers um die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe wird nicht nur durch sein berufliches Fortkommen vor der Anbahnung des beamtenrechtlichen Bewerbungsverhältnisses bestimmt. Von mindestens ebensolcher Bedeutung für den Werdegang ist die Behandlung des Antrags auf Begründung des von ihm angestrebten Beamtenverhältnisses auf Probe. Sein so verstandener beruflicher Werdegang kann sich dabei insbesondere dann im Sinne der Verordnung aus "von ihm nicht zu vertretenden Gründen verzögern", wenn sein Antrag rechtswidrig abgelehnt wird mit der Folge, dass er letztlich Klage erheben muss, um sein Begehren weiterzuverfolgen. Schreitet darüber die Zeit in einem Maße voran, dass bei der gerichtlichen Entscheidung die Altersgrenze für eine Verbeamtung überschritten ist, so darf dies dem Bewerber nicht zum Nachteil gereichen; denn ein solcher Geschehensablauf ließe im Sinne der Verordnung "die Anwendung der Altersgrenze unbillig erscheinen".

Dieses schon aus dem Wortlaut abzuleitende Verständnis der Norm wird durch ihre Entstehungsgeschichte sowie die Intention des Verordnungsgebers zusätzlich erhärtet.

Der Verordnungsgeber ging bei der Neufassung der Norm von der im Rahmen des § 84 Abs. 1 Satz 1 LVO NRW a.F. geübten Praxis und von dem von der Rechtsprechung,

vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 18. Juni 1998 - 2 C 6.98 -, ZBR 1998, 419, und vom 20. Januar 2000 - 2 C 13.99 -, ZBR 2000, 305; OVG NRW, Urteile vom 23. Juni 2006 - 6 A 77/04 -, juris, vom 31. August 2007 - 6 A 4527/05 -, juris, und vom 24. September 2008 - 6 A 1586/07 -, juris,

vorausgesetzten Verständnis dieser Vorgängernorm aus.

Die Rechtsprechung betraf - ausgehend vom früheren Recht - ebensolche Fallgestaltungen, in denen die Einstellung des jeweiligen Klägers in das Beamtenverhältnis auf Probe rechtswidrig abgelehnt worden war und seinem Begehren im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an sich die zwischenzeitlich überschrittene Höchstaltersgrenze entgegenstand. Für derartige Fälle ließ die Rechtsprechung, wenn auch ohne nähere Begründung, keinen Zweifel, dass hieran der Erfolg des Klagebegehrens nicht scheitern durfte, vielmehr der Dienstherr sein nach § 84 Abs. 1 Satz 1 LVO NRW a.F. bestehendes Ermessen im Sinne der Zubilligung einer Ausnahme von der Höchstaltersgrenze ausüben müsse.

An dieser Rechtslage hat sich mit der Neuregelung nichts geändert. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 -, a.a.O., beanstandet, dass der Verordnungsgeber alle über § 6 LVO NRW a.F. hinausgehenden Ausnahmen von der Höchstaltersgrenze in § 84 Abs. 1 Satz 1 LVO NRW a.F. in das Ermessen der Verwaltung gestellt hatte, ohne sie an Tatbestandsvoraussetzungen zu knüpfen. Mit der hier interessierenden speziellen Problematik hat es sich dabei nicht beschäftigt, dementsprechend auch nicht die vorgenannte Rechtsprechung in Frage gestellt. Mit der anschließenden Neuregelung hat der Verordnungsgeber den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 enthaltenen Maßgaben Rechnung tragen wollen. Darüber hinausgehende Änderungen, insbesondere eine anderslautende Regelung der hier bedeutsamen Fragen, hat er nicht beabsichtigt. Im Gegenteil wollte er an der bisherigen Praxis in solchen Fallgestaltungen gerade festhalten. Das ergibt sich aus dem im engen zeitlichen Zusammenhang mit den Neuregelungen zur Höchstaltersgrenze ergangenen Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 30. Juli 2009 - 211 - 1.12.03.03 - 973 -. Darin heißt es u.a.:

" I. Mit offenen Anträgen ist wie folgt zu verfahren: (...) Liegt die Antragstellung in diesen Fällen, in denen im Antragszeitpunkt das 40. Lebensjahr (...) noch nicht vollendet ist, bereits länger als ein Jahr zurück, ist im Wege einer Einzelfallausnahme analog § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO zu verbeamten (Ermessensreduzierung auf Null). (...) Es handelt sich insoweit um eine Billigkeitsregelung, die sicherstellen soll, dass ein unverschuldetes Überschreiten der Höchstaltersgrenze der Bewerberin oder dem Bewerber nicht entgegengehalten wird, sofern bei der Antragstellung die Voraussetzungen zur Verbeamtung noch vorlagen. (...) II. Zum Umgang mit den ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteilen gebe ich folgende Hinweise: 1. Bescheidungsurteile (...) Liegt die Antragstellung bereits länger als ein Jahr zurück, ist im Wege einer Einzelfallausnahme analog § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO zu verbeamten (Ermessensreduzierung auf Null)."

Das in der praktischen Rechtsanwendung nach den langjährigen Erfahrungen des Senats nahezu ausschließlich mit der laufbahnrechtlichen Höchstaltersgrenze befasste Schulministerium versteht § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. folglich als eine Billigkeitsregelung, die auch auf die Fallgestaltung Anwendung finden kann, in der die Übernahme des Bewerbers in das Beamtenverhältnis auf Probe rechtswidrig abgelehnt wurde und zwischenzeitlich die neue Höchstaltersgrenze überschritten ist. Dass der Erlass dabei hinter dem oben näher erläuterten wörtlichen Verständnis der Vorschrift zurückbleibt und sich für eine analoge Anwendung ausspricht, ändert dabei am Ergebnis nichts.

Das beklagte Land ist verpflichtet, eine Ausnahme vom Höchstalter zuzulassen. Bei der Ausübung des in § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO NRW n.F. eingeräumten Ermessens muss die Behörde den Umstand, dass der Klägerin damals nicht die Höchstaltersgrenze hätte entgegengehalten werden dürfen, nunmehr zu ihren Gunsten berücksichtigen. Die vorausgegangene rechtswidrige Behandlung des Verbeamtungsantrages wirkt sich im Sinne einer Rechtspflicht des Landes zur Beseitigung der Rechtsnachteile aus, die der Betroffene infolge der fehlerhaften Sachbehandlung hat hinnehmen müssen. In dem so verstandenen Sinne kann von einer im Rahmen des behördlichen Ermessens zu berücksichtigenden Folgenbeseitigungslast gesprochen werden.

Eine solche Folgenbeseitigungslast ist in Fällen anerkannt, in denen die Rechte des Betroffenen durch die Ablehnung des Erlasses eines begünstigenden Verwaltungsaktes verletzt worden sind und die Rechtslage sich anschließend, insbesondere während des Rechtsmittelverfahrens, zu seinen Lasten geändert hat.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Mai 1968 - 4 C 56.65 -, NJW 1968, 2350, und vom 19. August 1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399, sowie Urteile vom 17. Dezember 1968 - 2 C 40.65 -, ZBR 1969, 349, und vom 20. August 1992 - 4 C 54.89 - , NVwZ-RR 1993, 65; OVG NRW, Urteile vom 15. Juni 1999 - 8 A 4522/98 -, juris, und vom 27. April 2001 - 7 A 69/00 -; VGH BW, Beschluss vom 3. Juni 2003 - 10 S 2112/02 -, juris; Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl., § 44 VII 3; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 114 Rdnr. 186; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 113 Rdnr. 181.

Eine Folgenbeseitigungslast ist im Grundsatz nur dann berücksichtigungsfähig, wenn die durch hoheitliches Handeln verursachte Rechtsbeeinträchtigung bei einer späteren Ermessensentscheidung kompensiert werden kann, ohne die gesetzlichen Grenzen der Ermessensermächtigung zu überschreiten. Dies muss mit dem Zweck dieser Ermächtigung vereinbar sein. Das rechtswidrige Vorgehen und die nachfolgende Ermessensentscheidung müssen in der Weise in einem Sachzusammenhang stehen, dass der Folgenbeseitigungsgedanke sich konkret in den Ermessensrahmen einfügen lässt.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 6. März 1987 - 8 C 65.84 -, NVwZ 1988, 155; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblattslg., Stand: Nov. 2009, § 114 Rdnr. 21; Wolff, a.a.O., Rdnr. 186."

Die vorstehenden Erwägungen sind im Ergebnis auch auf die weitestgehend wortlautgleiche Regelung in § 15a Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW zu übertragen. Dabei kann dahinstehen, ob der Rechtsgedanke einer Folgenbeseitigungslast des Beklagten mit dem Wortlaut des § 15a Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW trotz gewisser diesbezüglicher Bedenken vereinbar ist. Denn selbst im Falle einer Verneinung dieser Frage würde ein Folgenbeseitigungsanspruch jedenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG folgen.

Dass die zitierte Rechtsprechung des OVG NRW entgegen der Auffassung des Beklagten nicht lediglich Fallgruppen betrifft, in denen die Betroffenen die nunmehr gültige Altersgrenze im Zeitpunkt ihres Verbeamtungsantrages erfüllten, mithin lediglich die Verzögerungen durch das Verwaltungs- und Gerichtsverfahren irrelevant sein sollen, sondern darüber hinaus auch Fallgruppen wie die vorliegende mit umfasst, wird insbesondere aus dem Urteil vom 27. Juli 2010 im Verfahren 6 A 282/08 deutlich. In diesem Verfahren hatte der dortige Kläger ohne Geltendmachung von Ausnahmetatbeständen die neue, als wirksam angesehene Altersgrenze bereits im Zeitpunkt seines Verbeamtungsantrages überschritten. Gleichwohl hat das OVG NRW auch in seinem Falle die oben dargestellte Folgenbeseitigungslast des Beklagten angenommen.

Die Voraussetzungen eines Folgenbeseitigungsanspruchs sind vorliegend gegeben. Durch die rechtswidrige Ablehnung der Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe ist ihr Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG beeinträchtigt worden. § 8 LVO NRW in der Fassung vom 28. Januar 2014 war von Anfang an unwirksam, so dass der Beklagte dem Begehren der Klägerin die dort geregelte Altersgrenze nicht hätte entgegenhalten dürfen. Mit Inkrafttreten des § 15a Abs. 1 LBG NRW hat sich die Rechtslage zu Lasten der Klägerin verändert. Die dort geregelte Altersgrenze steht nunmehr ihrem Begehren auf Übernahme in das Beamtenverhältnis entgegen. § 15a Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW eröffnet die Möglichkeit, eine Ausnahme vom Höchstalter zuzulassen. Mit einer solchen Zulassung können die Folgen des rechtswidrigen Vorgehens des beklagten Landes zumindest mit Wirkung für die Zukunft ausgeglichen werden. Eine darüber hinausgehende Kompensation lassen die gesetzlichen Regelungen nicht zu. Eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe mit Wirkung für die Vergangenheit kommt ohnehin nicht in Betracht (vgl. § 8 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG).

Die Kompensation der Folgen des rechtswidrigen Vorgehens des Dienstherrn ist mit dem Zweck des § 15a Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW vereinbar. Der Sachzusammenhang zwischen der Rechtsbeeinträchtigung der Klägerin und der auf der Grundlage des § 15a Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW zu treffenden Ermessensentscheidung über die Zulassung einer Ausnahme vom Höchstalter ist gegeben. Die Rechtsbeeinträchtigung beruht gerade darauf, dass das beklagte Land der Klägerin zu Unrecht die Überschreitung einer Höchstaltersgrenze entgegengehalten hat.

Die oberste Dienstbehörde hat damit im Einvernehmen mit dem Innenministerium und dem Finanzministerium unter Berücksichtigung der Folgenbeseitigungslast über die Zulassung einer Ausnahme vom Höchstalter zu entscheiden (vgl. § 15a Abs. 9 Nr. 1 LBG NRW).

Angemerkt sei, dass vorstehende Erwägungen mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG (erst recht) auch im Falle der Unwirksamkeit der Neuregelungen in § 15a LBG NRW - wofür jedoch nichts ersichtlich ist - gelten würden.

Bei der bisher nicht herbeigeführten Entscheidung über die Zulassung einer Ausnahme vom Höchstalter ist das Ermessen des Beklagten entgegen der diesbezüglichen Ausführungen im Urteil des OVG NRW vom 27. Juli 2010 - 6 A 858/07 - aufgrund der Besonderheiten im vorliegenden Fall jedoch nicht auf Null reduziert

Zwar führt die Folgenbeseitigungslast, sofern keine durchgreifenden Gegengründe ersichtlich sind, zu einer Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Betroffenen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 1968 - 4 C 56.65 -, a.a.O., und Urteil vom 20. August 1992 - 4 C 54.89 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteile vom 15. Juni 1999 - 8 A 4522/98 -, a.a.O., und vom 27. April 2001 - 7 A 69/00 -.

Die Behörde muss von ihrem Ermessen grundsätzlich im Sinne einer Kompensation Gebrauch machen.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 27. Juli 2010 - 6 A 858/07,6 A 282/08 und 6 A 3302/08 - jeweils juris.

Dem Beklagten dürfte zwar nicht vorzuhalten sein, dass es die Rechte der Klägerin durch die rechtswidrige Ablehnung ihrer Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe schuldhaft verletzt hat. Denn die damalige höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung hatte hinsichtlich der Rechtsgültigkeit der vormaligen laufbahnrechtlichen Höchstaltersgrenzenregelung keine (durchgreifenden) Bedenken erhoben. Ein fehlendes Verschulden berührt indes die hier in Rede stehende Folgenbeseitigungslast des Beklagten nicht. Von Relevanz wäre die Frage des Verschuldens, wenn das Begehren der Klägerin darauf gerichtet wäre, dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so gestellt zu werden, als ob sie ohne Verzögerung in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen worden wäre, was aber nicht Gegenstand des Verfahrens ist.

Der Beklagte kann eine Ermessensausübung zu Lasten der Klägerin auch nicht mit dem Hinweis rechtfertigen, ihr wäre im Falle einer früheren Entscheidung der Kammer bzw. des Bundesverfassungsgerichts kein Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis zuerkannt worden. Die Folgenbeseitigungslast knüpft allein an das rechtswidrige Vorgehen der Verwaltung an und wird nicht dadurch relativiert, dass die Regelung der Höchstaltersgrenze in einer Rechtsverordnung vom Bundesverfassungsgericht erstmals im Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - beanstandet worden ist.

Unerheblich ist weiter, dass der Beklagte zahlreiche Anträge von Bewerbern um die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe auf der Grundlage der verfassungswidrigen Regelungen zur Höchstaltersgrenze in der LVO NRW bestandskräftig abgelehnt hat. Dass derjenige, der seine Rechtsmittel ausschöpft, im Erfolgsfalle besser dasteht, als diejenigen, die hiervon abgesehen haben, versteht sich von selbst.

Allerdings ist für eine Ermessensreduzierung auf Null, mithin eine faktische Verpflichtung des Beklagten auf Übernahme der Klägerin in ein Beamtenverhältnis auf Probe, zu fordern, dass sie sämtliche sonstige Einstellungsvoraussetzungen wie etwa ihre Eignung für das angestrebte Amt im Zeitpunkt ihrer Bewerbung erfüllt waren bzw. nunmehr sind. Vorliegend ist die gesundheitliche Eignung der Klägerin für die Einstellung in das Beamtenverhältnis weder positiv noch negativ festgestellt.

Der die Klägerin untersuchende Amtsarzt führt in seinem Gutachten vom 31. Januar 2014 lediglich Folgendes aus: "Frau Q. -L. ist aufgrund der aktuellen gesundheitlichen Situation tauglich für die Tätigkeit im Lehramt. Sie leidet an einer entzündlichen Erkrankung des Nervensystems. Gesundheitliche Einschränkungen, die hierdurch die vorgesehene Tätigkeit einschränken würden, sind nicht festzustellen. Der weitere gesundheitliche Verlauf lässt sich nicht mit ausreichender Sicherheit vorzeichnen. Bei der Untersuchten wurde ein Grad der Behinderung von 50% mit den Voraussetzungen für das Merkzeichen G (Hervorhebung so auch im Gutachten, Anm. der Kammer) festgestellt, so dass eine Stellungnahme zur vorzeitigen Dienstunfähigkeit entfällt."

Diese Ausführungen reichen für die positive Feststellung der bei einer Einstellung in ein Beamtenverhältnis zu fordernden gesundheitlichen Eignung nicht aus, so dass auch eine Ermessensreduzierung auf Null hier nicht in Betracht kommt.

Der Beklagte wird bei der im Rahmen der Neubescheidung des Antrages der Klägerin vorzunehmenden Prüfung ihrer gesundheitlichen Eignung wegen der bei ihr bestehenden Schwerbehinderung jedoch Folgendes zu beachten haben:

Nach § 128 Abs. 1 SGB IX sind die besonderen Vorschriften und Grundsätze für die Besetzung der Beamtenstellen so zu gestalten, dass die Einstellung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen gefördert und ein angemessener Anteil schwerbehinderter Menschen unter den Beamten erreicht wird. Dieser Gesetzgebungsauftrag ist von den Beamtengesetzgebern in Bund (vgl. § 9 Satz 2 BBG, § 5 Abs. 1 BLV) und Ländern aufgegriffen und in den Laufbahnverordnungen umgesetzt worden. So darf nach § 17 Abs. 1 LVO NRW bei der Einstellung von schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen nur das für die Laufbahn erforderliche Mindestmaß körperlicher Eignung verlangt werden.

Während grundsätzlich bei der Einstellung von Beamten die körperliche Eignung für die gesamte Laufbahn mit allen zu ihr gehörenden Ämtern und den diesen zugeordneten Dienstposten zu verlangen ist, gilt dies bei Schwerbehinderten daher nicht. Hier wird nur das Mindestmaß körperlicher Eignung vorausgesetzt, so dass der Schwerbehinderte nicht für alle Dienstposten geeignet sein muss. Zu prüfen ist vielmehr, ob die körperliche Eignung ausreicht, um dem Bewerber irgendeine amtsangemessene Beschäftigung zuweisen zu können, die mit den dienstlichen Bedürfnissen in Einklang steht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 18.12 -, juris, Rdnr. 33 m.w.N.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.