VG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.2016 - 1 K 389/15
Fundstelle
openJur 2016, 3600
  • Rkr:

§ 50 Abs. 2 Satz 1 GO NRW, wonach Wahlen im Rat einer Gemeinde, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt oder wenn niemand widerspricht, durch offene Abstimmung, sonst durch Abgabe von Stimmzetteln vollzogen werden, gilt auch für die Wahl der Mitglieder eines Ausschusses (§ 50 Abs. 3 Sätze 2-6 GO NRW) und die Wahl von Vertretern oder Mitgliedern in Gremien (§ 50 Abs. 4 Satz 1 GO NRW).

Tenor

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Es wird festgestellt, dass die in der Sitzung des Beklagten am 25. September 2014 unter TOP 17, 19, 22, 23, 25 und 26.2, Ziffern 1.2 und 1.4 durchgeführten Wahlen ungültig sind.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 1/5 und der Beklagte zu 4/5.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Mit der Klage beanstandet die Klägerin die Wahl der Mitglieder verschiedener Ausschüsse und Gremien in der Sitzung des beklagten Rates am 25. September 2014.

Die Klägerin ist eine Ratsgruppe, die von zwei Ratsmitgliedern, die der Partei C.------- Q. O. angehörten, gebildet wurde und die Bezeichnung "Ratsgruppe Q. O." trug. Nachdem die beiden Mitglieder der Ratsgruppe aus der Partei Q. O. ausgetreten und der Partei Q E. beigetreten waren, beschlossen sie am 6. August 2015, die Ratsgruppe werde in "Ratsgruppe Q. E. im Rat der Stadt S. " umbenannt. Dies wurde dem Oberbürgermeister der Stadt S. mit Schreiben gleichen Datums mitgeteilt.

In der Sitzung des beklagten Rates am 25. September 2014 wurden die Mitglieder einiger Ausschüsse und Vertreter der Stadt S. in mehreren Gremien gewählt. Vorab nahm der Beklagte unter Tagesordnungspunkt 5.1 eine Stellungnahme der Bezirksregierung E1. vom 11. August 2014 zu einer Eingabe der Klägerin zur Kenntnis. Darin vertrat die Bezirksregierung die Auffassung, bei Ausschusswahlen nach § 50 Abs. 3 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) und Gremienwahlen gemäß § 50 Abs. 4 GO NRW sei eine geheime Wahl - anders als in § 50 Abs. 2 GO NRW ? nicht vorgesehen. Abs. 3 der Vorschrift sei als spezielle Regelung anzusehen, die es ausschließe, Abs. 2 Satz 1 insoweit ergänzend heranzuziehen. Diese Auslegung werde dadurch bestätigt, dass § 67 Abs. 2 Satz 7 GO NRW - im Gegensatz zu § 50 Abs. 3 GO NRW - einen ausdrücklichen Hinweis auf die geheime Wahl enthalte. Hierzu führte Ratsmitglied I. , der Sprecher der Klägerin, in der Ratssitzung aus, er teile die Auffassung der Bezirksregierung nicht, und kündigte eine Klage der Klägerin vor dem Verwaltungsgericht an, falls bei den anstehenden Wahlen die geheime Wahl ausgeschlossen würde.

Bei den nachfolgend aufgeführten Wahlen, zu denen die Klägerin (mit Ausnahme der Wahlen unter Tagesordnungspunkt 26.2, Ziffern 1.1, 1.3, 1.5, 2. und 3.) eigene Wahlvorschläge vorgelegt hatte, beantragte sie jeweils geheime Abstimmung:

TOP 17: Bestellung von Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern für den Integrationsrat

TOP 18: Bildung des Kommunalwahlausschusses für die 15. Wahlperiode (2014-2020)

TOP 19: Bildung des Kreiswahlausschusses für die Landtagswahl 2017

TOP 22: Konferenz der Ratsmitglieder beim Städtetag Nordrhein-Westfalen, hier: Benennung von Ratsmitgliedern

TOP 23: Wahl von Vertretern der Stadt S. in den Polizeibeirat bei der Kreispolizeibehörde

TOP 25: C1. Symphoniker - Orchester der Städte S. und T. GmbH - Vertreter der Stadt S. in der Gesellschafterversammlung und im Aufsichtsrat

TOP 26.2: Stadtsparkasse S. - Neuwahl des Verwaltungsrates

Der Oberbürgermeister lehnte die geheime Wahl jeweils unter Bezugnahme auf die von der Bezirksregierung dargelegte Rechtsauffassung ab. Ratsmitglied I. gab hiergegen jeweils seinen Protest zu Protokoll. Die Wahlen wurden in offener Abstimmung durchgeführt. Fast alle Wahlvorschläge der Klägerin blieben erfolglos. Lediglich unter Tagesordnungspunkt 18 wurden die beiden von der Klägerin als Beisitzer des Kommunalwahlausschusses und Stellvertreter benannten Kandidaten gewählt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 1. Oktober 2014 forderte die Klägerin den Oberbürgermeister auf, die genannten Wahlen zu beanstanden und wiederholen zu lassen. Mit Antwortschreiben vom 24. November 2014 bekräftigte der Oberbürgermeister seine Rechtsauffassung.

Die Klägerin hat am 20. Januar 2015 Klage erhoben, mit der sie die Feststellung erstrebt hat, dass die in der Ratssitzung am 25. September 2014 unter Tagesordnungspunkten 17, 18, 19, 22, 23, 25 und 26.2 durchgeführten Wahlen ungültig sind. In der mündlichen Verhandlung hat sie die Klage hinsichtlich der Wahlen unter Tagesordnungspunkten 18 und 26.2, Ziffern 1.1, 1.3, 1.5, 2. und 3. zurückgenommen.

Sie macht geltend: Die Wahlen hätten geheim, d.h. durch die Abgabe von Stimmzetteln, durchgeführt werden müssen, da sie - die Klägerin - durch ihren Sprecher der offenen Abstimmung widersprochen bzw. geheime Wahl beantragt habe. Dies ergebe sich aus Ziffer 14.1 der Geschäftsordnung des Rates und aus § 50 Abs. 2 Satz 1 GO NRW. Diese Vorschrift sei als allgemeinere Regelung hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung einer Wahl in den Fällen des § 50 Abs. 3, 4 GO NRW ergänzend heranzuziehen, da diese Absätze keine Regelung zur Frage der geheimen oder offenen Wahl enthielten.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

festzustellen, dass die in der Sitzung des Beklagten am 25. September 2014 unter TOP 17, 19, 22, 23, 25 und 26.2, Unterpunkte 1.2 und 1.4 durchgeführten Wahlen ungültig sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt ergänzend zu seinem außergerichtlichen Vorbringen aus:

Es bestünden bereits Zweifel an der Klagebefugnis der Klägerin. Die Partei Q. O. existiere weiterhin; Q. E. sei nicht deren Rechtsnachfolgerin. Da die beiden ehemaligen Mitglieder der Gruppe Q. O. ihr Mandat im Rat nach ihrem Austritt aus der Partei Q. O. nicht mehr für diese Partei wahrnähmen und keine weiteren Ratsmitglieder dieser Partei angehörten, sei die Ratsgruppe Q. O. erloschen. Die Partei Q. E. habe bei der letzten Kommunalwahl nicht zur Wahl gestanden und könne deshalb keine Ratsgruppe bilden. Eine Ratsgruppe Q. E. existiere nicht.

Der Oberbürgermeister habe die Anträge auf geheime Wahl zu Recht zurückgewiesen. § 50 Abs. 3, 4 GO NRW sehe die Möglichkeit einer geheimen Wahl nicht vor. Aus Ziffern 14.1, 14.2 der Geschäftsordnung des Rates ergebe sich nichts anderes; diese Vorschriften verwiesen auf § 50 GO NRW. Auch wenn man annähme, dass die Wahlen durch Abgabe von Stimmzetteln hätten durchgeführt werden müssen, sei fraglich, ob dieser Fehler zur Ungültigkeit aller in Rede stehenden Wahlen führe. Denn die Relevanz für das Wahlergebnis hänge von der Zahl der zu wählenden Personen ab, die bei den einzelnen Wahlen unterschiedlich gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten (ein Heft) ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, d.h. bezüglich der Wahlen unter Tagesordnungspunkten 18 und 26.2, Ziffern 1.1, 1.3, 1.5, 2. und 3., war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.

Sie ist als im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits erhobene Feststellungsklage statthaft (§ 43 Abs. 1 VwGO).

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen, dass die beiden Mitglieder der Klägerin nach Klageerhebung aus der Partei Q. O. ausgetreten und der Partei Q. E. beigetreten sind, und die Klägerin von "Ratsgruppe Q. O." in "Ratsgruppe Q. E. im Rat der Stadt S. " umbenannt worden ist. Zwar kommt Parteien eine wichtige Rolle bei der Wahl des Rates einer Gemeinde zu. Insbesondere sind sie berechtigt, Wahlvorschläge einzureichen (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Kommunalwahlen im Lande Nordrhein-Westfalen - Kommunalwahlgesetz, KWahlG NRW). Das Mandat der gewählten Ratsmitglieder ist aber von der Parteizugehörigkeit unabhängig. Der Austritt aus einer Partei und ggf. Eintritt in eine andere Partei lässt das Mandat unberührt.

Vgl. Wansleben, in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Stand: Dezember 2015, § 43 Anm. 1.2; von Lennep, in: Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Stand: Juni 2015, § 43 Anm. II.2.

Damit korrespondierend werden Fraktionen und Gruppen nicht von Parteien, sondern von Ratsmitgliedern gebildet, die - unabhängig davon, dass der Parteizugehörigkeit große praktische Bedeutung zukommt - nicht derselben Partei oder überhaupt einer Partei angehören müssen. Es genügt vielmehr, dass sich die Ratsmitglieder auf der Grundlage grundsätzlicher politischer Übereinstimmung zu möglichst gleichgerichtetem Wirken zusammengeschlossen haben (§ 56 Abs. 1 Sätze 1, 3 GO NRW). Unter diesen Voraussetzungen können auch Ratsmitglieder unterschiedlicher Parteizugehörigkeit eine Fraktion oder Gruppe bilden.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 24. Januar 2005 - 15 B 2713/04 -, juris, Rn. 12; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 29. Oktober 2014 - 1 K 4415/14 -, juris, Rn. 40, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 15 A 2439/14 -, juris.

Vor diesem Hintergrund ist die klagende Ratsgruppe nicht erloschen, sondern besteht unter neuem Namen fort. Der Übertritt von Mitgliedern einer Ratsgruppe von einer Partei in eine andere Partei und die darauf beruhende Umbenennung der Gruppe lässt deren Bestand jedenfalls dann unberührt, wenn die Mitglieder der Gruppe - wie hier - unverändert bleiben und die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Sätze 1, 3 GO NRW fortbestehen. Der Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die Zweifel daran begründen würden, dass diese Voraussetzungen weiterhin vorliegen. Solche Umstände sind auch im Übrigen nicht ersichtlich; die Mitglieder der Klägerin sind beide in dieselbe Partei gewechselt.

Das Rubrum wurde von Amts wegen entsprechend geändert.

Das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO) folgt daraus, dass die Wahlen im Falle der Ungültigkeit zu wiederholen sind, was der Klägerin eine Chance eröffnen würde, ihre Wahlvorschläge durchzusetzen. Zudem besteht das Feststellungsinteresse auch unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Die Frage, ob eine Wahl nach § 50 Abs. 3 oder 4 GO NRW durch Abgabe von Stimmzetteln durchzuführen ist, wenn jemand widerspricht, kann sich jederzeit erneut stellen.

Soweit die Klägerin die Klage aufrecht erhalten hat, hat diese auch in der Sache Erfolg.

Die Durchführung der Wahlen unter Tagesordnungspunkten 17, 19, 22, 23, 25 und 26.2, Ziffern 1.2 und 1.4 in der Sitzung des Beklagten am 25. September 2014 in offener Abstimmung war rechtswidrig.

Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 GO NRW werden Wahlen, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt oder wenn niemand widerspricht, durch offene Abstimmung, sonst durch Abgabe von Stimmzetteln, vollzogen. Entgegen der Auffassung des Beklagten und der Bezirksregierung E1. gilt diese Bestimmung auch für die Wahl der Mitglieder eines Ausschusses (§ 50 Abs. 3 Sätze 2-6 GO NRW) und die Wahl von Vertretern oder Mitgliedern in Gremien (§ 50 Abs. 4 Satz 1 GO NRW), die vorliegend durchgeführt wurden. Dies ergibt sich aus der gestuften Systematik des § 50 GO NRW. Absatz 1 der Vorschrift enthält allgemeine Bestimmungen für Beschlüsse. Absatz 2 regelt Näheres zu Wahlen, die als Beschlüsse mit personellem Gegenstand einzuordnen sind, und geht insoweit als speziellere Vorschrift Absatz 1 vor. Absatz 3 sind spezielle Regelungen für die Wahl der Mitglieder von Ausschüssen zu entnehmen, und Absatz 4 erklärt die Bestimmungen des Absatzes 3 für auf die Wahl von Vertretern und Mitgliedern in bestimmten Gremien entsprechend anwendbar.

Dieser Struktur folgend verdrängen § 50 Abs. 3, 4 GO NRW als speziellere Regelungen Absatz 2 der Vorschrift, soweit sie spezifische Regelungen für die Wahl der Mitglieder der Ausschüsse sowie von Vertretern und Mitgliedern in Gremien enthalten. Als speziellere Regelungen in diesem Sinne sind die Bestimmungen über das Wahlsystem bei Ausschusswahlen anzusehen, die es ermöglichen, durch einstimmige Annahme eines einheitlichen Wahlvorschlages zu entscheiden (Satz 1), und für den Fall, dass davon kein Gebrauch gemacht wird, Verhältniswahl anordnen (Sätze 2 bis 6). Diese Regelungen gehen dem in Absatz 2 Satz 2 niedergelegten Grundsatz der Mehrheitswahl vor. Absatz 2 ist indes ergänzend heranzuziehen, soweit die Absätze 3 und 4 keine Regelungen enthalten, insbesondere hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung der Wahl, d.h. der Frage, ob die Wahl offen oder geheim durch Abgabe von Stimmzetteln durchgeführt wird (Absatz 2 Satz 1). Aus dem Gesetz ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Auffassung des Beklagten und der Bezirksregierung E1. , Absatz 3 sei auch insoweit als abschließende Regelung anzusehen. Diese Auslegung kann auch nicht auf einen Vergleich mit der Regelung in § 67 Abs. 2 Sätze 1, 7 GO NRW gestützt werden, wonach die Stellvertreter des Bürgermeisters in geheimer Wahl zu bestimmen sind. Darin liegt eine in § 50 Abs. 2 Satz 1 GO NRW ausdrücklich zugelassene gesetzliche Abweichung ("wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt") von dem Grundsatz der offenen Abstimmung. Aus dem Fehlen eines entsprechenden Zusatzes in § 50 Abs. 3 Sätze 2 bis 6 GO NRW folgt lediglich, dass die Mitglieder der Ausschüsse nicht zwingend in geheimer Wahl zu wählen sind. Daraus kann nicht abgeleitet werden, die Ausschusswahlen seien stets in offener Abstimmung durchzuführen.

Im Ergebnis ebenso Faber, in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Stand: Dezember 2015, § 50 Anm. 6.3.2.

Ziffer 14.1 der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt S. , die Bezirksvertretungen und die Ausschüsse vom 17. Februar 2009, zuletzt geändert mit Wirkung vom 4. Juli 2014, auf die sich die Beteiligten beziehen, kann kein eigenständiger Regelungsgehalt entnommen werden. Die Vorschrift wiederholt fast wörtlich § 50 Abs. 2 Satz 1 GO NRW und verweist im Übrigen auf § 50 GO NRW.

Nach alledem hätten die vorliegend verfahrensgegenständlichen Wahlen auf den jeweils von (den Mitgliedern) der Klägerin gestellten Antrag durch Abgabe von Stimmzetteln vollzogen werden müssen.

Anlässlich des vorliegenden Verfahrens bedarf es keiner Entscheidung, ob § 50 Abs. 2 Satz 1 GO NRW auch in den Fällen des § 50 Abs. 3 Satz 1 (einheitlicher Wahlvorschlag), Abs. 3 Satz 7 (Wahl eines Nachfolgers bei Ausscheiden eines Ausschussmitglieds) und Abs. 4 Sätze 2, 3 GO NRW (Wahl von Nachfolgern bei Ausscheiden von Vertretern in Gremien) Anwendung findet.

Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt zur Ungültigkeit der im Tenor bezeichneten Wahlen. Diese sind zu wiederholen.

Die Gemeindeordnung NRW enthält keine Regelung zur Rechtsfolge eines Verfahrensfehlers bei einer Wahl nach § 50 Abs. 2 bis 4 GO NRW. Insoweit kann aber auf die zum Kommunalwahlrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Ein Verfahrensfehler, der für das Wahlergebnis ohne Bedeutung geblieben ist, kann die Ungültigkeit und die Wiederholung einer Wahl nicht rechtfertigen. Eine Wahl muss dann wiederholt werden, wenn bei ordnungsgemäßem Verlauf die "reale Möglichkeit" eines anderen Wahlergebnisses bestanden hätte. Daran fehlt es nur dann, wenn nach der Lebenserfahrung und den konkreten Fallumständen Auswirkungen der Unregelmäßigkeit auf das Wahlergebnis praktisch so gut wie auszuschließen sind, ganz fernliegen, höchst unwahrscheinlich erscheinen oder sich gar als lebensfremd darstellen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. November 1991 - 15 B 3521/91 -, juris, Rn. 16 ff. m.w.N.

Nach diesen Grundsätzen ist bei den vorliegend in Rede stehenden Wahlen die "reale Möglichkeit" eines anderen Wahlergebnisses anzunehmen. Bei den durchgeführten Wahlen entfielen - entsprechend der Stärke der Klägerin - jeweils zwei Stimmen auf ihren Wahlvorschlag. Soweit sich die Fraktion Die Linke mit einem eigenen Wahlvorschlag beteiligte hatte, entfielen - ebenfalls entsprechend ihrer Stärke - drei Stimmen auf diesen Vorschlag. Alle übrigen Stimmen vereinigte der jeweilige gemeinsame Vorschlag mehrerer Fraktionen und Gruppen auf sich. Zwar mag es nicht wahrscheinlich erscheinen, dass die Ratsmitglieder bei geheimer Wahl in nennenswerter Anzahl anders gewählt, d.h. gegen den Vorschlag der eigenen Fraktion oder Gruppe gestimmt hätten. Nach dem dargestellten Maßstab ist ein wahrscheinlich anderes Wahlergebnis aber insoweit nicht erforderlich, sondern es genügt, dass ein abweichendes Stimmverhalten mit Auswirkungen auf das Wahlergebnis nicht auszuschließen ist. Das ist hier der Fall. Es kann nicht mit der nötigen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass alle Ratsmitglieder auch bei geheimer Wahl mit ihrer Fraktion oder Gruppe gestimmt hätten. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass in der fraktions- oder gruppeninternen Abstimmung unterlegene Ratsmitglieder die geheime Wahl genutzt hätten, ihre abweichende Auffassung zum Ausdruck zu bringen. Ebenso kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Ratsmitglieder von der Kontrolle durch ihre Fraktion oder Gruppe befreit für einen anderen Wahlvorschlag entschieden hätten, weil sie die vorgeschlagenen Personen als besser geeignet für das konkrete Gremium ansahen als die Kandidaten des eigenen Vorschlags.

Dem Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass Auswirkungen des Verfahrensfehlers auf das Ergebnis umso unwahrscheinlicher sind, je geringer die Anzahl der zu wählenden Personen ist, da mit geringerer Anzahl der zu vergebenden Mandate die zur Erlangung eines Mandats erforderliche Stimmenzahl steigt. Auch wenn bei der Wahl nur weniger Mitglieder oder zu entsendender Vertreter die Wahrscheinlichkeit eines anderen Ergebnisses gering sein mag, ist dies aber nicht mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen. Bei Anlegung eines weniger strengen Maßstabs wäre das auch zum Schutz des einzelnen Ratsmitglieds bestehende Recht auf geheime Wahl nicht effektiv gerichtlich durchsetzbar mit der Folge, dass dieses Recht leerlaufen würde.

Da das Gericht über das Begehren der Klägerin nicht hinausgehen darf (§ 88 VwGO), ist der Tenor auf die antragsgemäße Feststellung der Ungültigkeit der verfahrensgegenständlichen Wahlen beschränkt. Mit Blick auf den außergerichtlichen Fortgang weist die Kammer aber darauf hin, dass die in der Sitzung des Beklagten am 25. September 2014 unter Tagesordnungspunkten 17, 19, 22, 23, 25 und 26.2, Ziffern 1.2 und 1.4 durchgeführten Wahlen zu wiederholen sind, auch wenn dies nicht im Tenor dieses Urteils angeordnet wird. Dies gilt - als Folge der Ungültigkeit der Wahlen unter Tagesordnungspunkt 26.2, Ziffern 1.2 und 1.4 - auch für die Wahlen unter Tagesordnungspunkt 26.2, Ziffern 1.3, 1.5, 2. und 3., wenngleich diese nicht (mehr) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Die Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates der Stadtsparkasse aus dem Kreis der Dienstkräfte (Ziffer 1.3) hat nach § 12 Abs. 4 Satz 1 des Sparkassengesetzes Nordrhein-Westfalen (SpkG) zusammen mit der Wahl der sachkundigen Mitglieder des Verwaltungsrates (Ziffer 1.2) in einem Wahlgang zu erfolgen. Nach demselben Verfahren sind die Stellvertreter der sachkundigen Mitglieder (Ziffer 1.4) und der Dienstkräfte (Ziffer 1.5) zu wählen (§ 12 Abs. 4 Satz 2 SpkG). Der erste und zweite Stellvertreter des vorsitzenden Mitglieds des Verwaltungsrates (Ziffern 2. und 3.) werden nach § 11 Abs. 2 SpkG aus den Mitgliedern des Verwaltungsrates gewählt, d.h. die Wahl der Stellvertreter des Vorsitzenden setzt die vorherige Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates voraus.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Ungültigkeit und die Wiederholung der Wahlen die Rechtswirksamkeit der bisherigen Tätigkeit der betroffenen Ausschüsse und Gremien in der bisherigen Besetzung nicht berührt (vgl. die ausdrückliche Regelung für das Kommunalwahlrecht in § 40 Abs. 3 Satz 2 KWahlG NRW).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Die Kammer gewichtet den Anteil der Kosten, der auf den von der Klägerin zurückgenommenen Teil der Klage entfällt, mit 1/5. Die Klägerin hat die Klage bezüglich eines von ursprünglich sieben beanstandeten Tagesordnungspunkten vollständig und bezüglich eines weiteren Tagesordnungspunktes teilweise zurückgenommen. Das entspricht einem Anteil von 2/14 + 1/14 = 3/14 = etwa 1/5.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).