OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.11.2015 - OVG 7 B 4.15
Fundstelle
openJur 2016, 2265
  • Rkr:

Beruht eine staatliche Geldzahlung aufgrund eines "Bescheides" auf einem kollusiven Zusammenwirken von behördlichem Sachbearbeiter und Vertreter des Begünstigten, liegt ein rücknehmbarer Verwaltungsakt vor (a.A. BSGE 114, 180).

Tenor

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem 144 Bewilligungsbescheide für Beihilfe aus der Zeit von Oktober 2003 bis August 2008 hinsichtlich des Erstattungsbetrages aus gefälschten Zahnarztrechnungen zurückgenommen wurden.

Der 1968 geborene Kläger ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder. Er stand seit 1999 als Justizwachtmeister im Dienst des Beklagten. Seit dem 5. September 2008 war er dienstunfähig erkrankt und wurde mit Ablauf des Monats Juni 2010 in den Ruhestand versetzt.

Im August 2008 fiel bei der Beihilfestelle des Landesverwaltungsamts Berlin auf, dass ein Beihilfeantrag des Klägers eine gefälschte Zahnarztrechnung enthielt. Daraufhin eingeleitete Ermittlungen ergaben, dass die Ehefrau des Klägers seit Juni 2002 in zahlreichen Fällen mit dem Namenszug des Klägers unterzeichnete Beihilfeanträge unter Beifügung von gefälschten Zahnarztrechnungen eingereicht hatte, die von der Sachbearbeiterin der Beihilfestelle Frau S., einer Tante des Klägers, entweder bewilligt oder in den Geschäftsgang gegeben worden waren. Die auf das Konto der Ehefrau des Klägers ausgezahlten Beihilfeleistungen hatten die Frauen unter sich aufgeteilt. Die Ehefrau des Klägers wurde deshalb durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2010 - (517) 2 Wi Js 182/08 KLs (7/10) - wegen Beihilfe zur Untreue, Urkundenfälschung und Bestechung, Frau S. wegen Untreue, Bestechlichkeit und - wegen eines anderen Geschehens - Vereitelung der Zwangsvollstreckung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Gegenstand des Strafverfahrens waren 145 Beihilfevorgänge aus nichtverjährter Zeit ab Oktober 2003, von welchen 93 Frau S. bearbeitet hatte.

Ein gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Berlin mit Verfügung vom 20. Januar 2010 mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Zur Begründung hieß es, dem Kläger könne nicht nachgewiesen werden, dass er von den durch seine Ehefrau eingereichten Beihilfeanträgen Kenntnis gehabt habe; die Ehefrau des Klägers und Frau S. hätten übereinstimmend angegeben, er sei in die Taten nicht eingeweiht gewesen.

Im September 2008 leitete die Präsidentin des Amtsgerichts Neukölln als Dienstvorgesetzte des Klägers ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Die mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhegehalts im Februar 2013 erhobene Disziplinarklage wies das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 23. Oktober 2013 – VG 80 K 12.13 OL – ab.

Im April 2009 erhob das Land Berlin vor dem Landgericht Berlin gegen den Kläger, seine Ehefrau und Frau S. Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 555.287,95 Euro wegen des Schadens, der dem Land Berlin aufgrund der ab Oktober 2003 eingereichten gefälschten Beihilfeanträge entstanden ist. Auf den gerichtlichen Hinweis, dass in Bezug auf die gegen den (hiesigen) Kläger erhobene Klage der Rechtsweg problematisch sei, nahm das Land Berlin die Klage insoweit zurück. Mit rechtskräftig gewordenem Anerkenntnisurteil vom 1. Oktober 2009 verurteilte das Landgericht Berlin die Ehefrau des Klägers und Frau S. als Gesamtschuldner zur Zahlung von 555.287,95 Euro nebst Zinsen an das Land Berlin.

Dem hier streitgegenständlichen Rücknahmebescheid vom 4. Februar 2011 ging folgendes Verwaltungsverfahren voran:

Das Landesverwaltungsamt Berlin nahm bereits mit Bescheid vom 19. Juni 2009 „alle Beihilfebescheide, die bis zum 17.07.2009 erlassen worden sind, als rechtswidrige Verwaltungsakte in Gänze zurück“, wobei 180 Bescheide anhand von Daten aufgezählt waren. Mit Bescheid vom 25. Mai 2010 forderte das Landesverwaltungsamt Berlin „den zu Unrecht gezahlten Betrag in Höhe von 555.287,95 Euro“ vom Kläger zurück. Mit Bescheiden vom 2. Februar 2011 hob der Beklagte den Rücknahmebescheid sowie den Rückforderungsbescheid einschließlich der jeweils nachfolgend ergangenen Widerspruchsbescheide auf. Zur Begründung hieß es, im Rücknahmebescheid seien aufgrund eines Systemfehlers falsche Bescheiddaten aufgeführt worden, in den nächsten Tagen werde erneut ein Rücknahmebescheid mit den korrekten Daten ergehen.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2011 nahm das Landesverwaltungsamt Berlin unter Bezugnahme auf eine beigefügte Tabelle die darin im Einzelnen aufgeführten Beihilfebescheide aus dem Zeitraum vom 6. Oktober 2003 bis zum 25. August 2008 hinsichtlich des Erstattungsbetrages aus gefälschten Rechnungen als rechtswidrige Verwaltungsakte zurück. Den Widerspruch des Klägers wies das Landesverwaltungsamt Berlin mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2011 zurück. Zur Begründung hieß es: Da die Bescheide auf Grund eines schuldhaften, pflichtwidrigen Verhaltens seitens des Klägers erlassen worden seien (unerlaubte Handlung, wiederholte Verletzung der Sorgfalts- und Anzeigepflicht), seien die Verwaltungsakte rechtswidrig. Die Rücknahme sämtlicher Bescheide sei daher zulässig.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 26. Juni 2012 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe seinen Bescheid jedenfalls teilweise zu Recht auf § 48 VwVfG gestützt. In Bezug auf diejenigen Bewilligungsbescheide, die von anderen Sachbearbeitern der Beihilfestelle als der kollusiv mit der Ehefrau zusammenwirkenden Frau S. bearbeitet und an den Kläger abgesandt worden seien, sei von wirksam bekanntgegebenen begünstigenden Verwaltungsakten auszugehen. Diese Bescheide seien mit einem der Behörde zurechenbaren Bekanntgabewillen an den Kläger abgesandt worden. Ihr Empfang sei dem Kläger im Wege der Empfangsvertretung zuzurechnen. Auf schützenswertes Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, denn es liege ein Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG vor, wonach sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen könne, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Zwar sei eine positive Kenntnis des Klägers von dem betrügerischen Verhalten seiner Ehefrau nicht feststellbar. Jedenfalls aber habe der Kläger die Rechtswidrigkeit der Beihilfebewilligungen infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Ihm sei in Bezug auf seine beihilferechtlichen Angelegenheiten im Rahmen des zwischen ihm und dem Beklagten bestehenden beamtenrechtlichen Treueverhältnisses eine Nachlässigkeit anzulasten, die als grobe Sorgfaltswidrigkeit angesehen werden müsse. Der Kläger habe seiner Ehefrau über Jahre hinweg ohne jegliche Kontrolle eine Stellung eingeräumt, die es ihr ermöglicht habe, in seinem Namen Beihilfeleistungen zu beantragen und zu empfangen. Die Rücknahme der Beihilfebewilligungen sei auch nicht wegen Ablaufs der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ausgeschlossen. Dies gelte auch, wenn man zu Gunsten des Klägers eine Kenntnis des Beklagten von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungen bereits unmittelbar nach seiner Beschuldigtenvernehmung im September 2008 annehme. Die mit dieser Kenntnis in Lauf gesetzte Jahresfrist wäre zwar bei Erlass des Rücknahmebescheides vom 4. Februar 2011 abgelaufen gewesen. Jedoch sei durch Erlass des am 2. Februar 2011 wieder aufgehobenen (ersten) Rücknahmebescheides vom 19. Juni 2009 eine Hemmung der Frist eingetreten. Auch soweit gegenüber dem Kläger keine wirksamen Bewilligungsbescheide vorgelegen haben sollten, weil es an einer wirksamen Bekanntgabe fehlen dürfte, insoweit die Bescheide von Frau S. ohne der Behörde zurechenbaren Bekanntgabewillen erstellt worden seien, sei der angegriffene Bescheid im Ergebnis rechtmäßig. Es würde sich insoweit um Scheinverwaltungsakte handeln, die deklaratorisch zurückgenommen und im Übrigen in einen Bescheid zur Feststellung der Unwirksamkeit umgedeutet werden könnten.

Der Senat hat die Berufung auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 22. Januar 2015 zugelassen. Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung vor: Es fehle bereits an einer Bekanntgabe der mit dem streitgegenständlichen Bescheid zurückgenommenen Bescheide ihm gegenüber. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht eine Empfangsvertretung durch seine Ehefrau im Wege einer „Anscheinsempfangsvollmacht“ angenommen. Da seine Ehefrau die entsprechenden Beihilfeanträge gefälscht und mit seinem Namenszug unterzeichnet habe, sei sie gegenüber dem Beklagten niemals als seine Stellvertreterin aufgetreten. Vielmehr habe sie den Anschein erweckt, die Anträge seien von ihm selbst gestellt worden. Es fehle damit an der grundlegenden Voraussetzung für die Annahme einer Anscheinsvollmacht, nämlich an dem äußeren Anschein eines Vertreterhandelns. Das Verwaltungsgericht konstruiere über die Figur der Anscheinsempfangsvollmacht eine rechtsstaatswidrige Zurechnung deliktischen Verhaltens. Das Verwaltungsgericht habe außerdem zu Unrecht die Voraussetzungen von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Variante 2 VwVfG bejaht, denn es fehle an irgendwelchen Umständen, die den Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens begründen könnten. Dass er keine Kenntnis von den heimlichen Straftaten seiner Ehefrau gehabt habe, beruhe nicht auf grober Fahrlässigkeit. Zudem sei der angegriffene Bescheid entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wegen Ablaufs der Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG rechtswidrig. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei eine Hemmung der Ausschlussfrist nicht möglich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Juni 2012 zu ändern und den Rücknahmebescheid des Landesverwaltungsamts Berlin vom 4. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 7. April 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Personalakten des Klägers, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Strafakten, die Gerichtsakten des Disziplinarklageverfahrens und des Schadensersatzprozesses haben vorgelegen und sind Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Rücknahmebescheid des Landesverwaltungsamts Berlin vom 4. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 48 Abs. 1 VwVfG, der nach § 1 Abs. 1 VwVfG Bln auch für die öffentlich-rechtliche Tätigkeit der Behörden Berlins gilt, kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 1). Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 und 4 zurückgenommen werden (Satz 2).

1. Bei den 144 Beihilfebescheiden, die der Beklagte hinsichtlich des Erstattungsbetrages aus gefälschten Rechnungen (Zahnarzt) mit dem angefochtenen Bescheid zurückgenommen hat, handelt es sich um dem Kläger gegenüber wirksam bekannt gegebene Verwaltungsakte. Nach § 35 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt definiert als jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die ein Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Ihrer Form und ihrem Inhalt nach erfüllen die zwischen dem 6. Oktober 2003 und dem 25. August 2008 ergangenen 144 Beihilfebescheide diese Kriterien. Sie sind auf dem Gebiet des Beamtenrechts ergangen und regeln einen vermeintlichen Beihilfeanspruch des Klägers.

a) Der Umstand, dass sämtliche Bewilligungsbescheide, soweit sie zurückgenommen worden sind, auf Straftaten (Untreue, Bestechlichkeit) einer Sachbearbeiterin des Beklagten, Frau S., beruhen, steht der Annahme eines Verwaltungsakts nicht entgegen. Ein Verwaltungsakt setzt die Maßnahme „einer Behörde“ voraus, die nur vorliegt, wenn die als Verwaltungsakt abgegebene Erklärung einer Behörde rechtlich zugerechnet werden kann (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 35 Rn. 53). Ist eine Zurechnung hingegen nicht möglich, liegt ein so genannter Nichtakt vor, der nach verbreiteter Auffassung nicht zurückgenommen werden kann (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. März 2012 – L 11 EG 416/11 – juris Rn. 27; Suerbaum in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 1. Aufl. 2014, § 48 Rn. 38; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 11 Rn. 16).

22Die bei der Beihilfestelle des Landesverwaltungsamts als Sachbearbeiterin beschäftigte Frau S. war zum Erlass von Beihilfebescheiden grundsätzlich befugt. Nach auch im Verwaltungsrecht anwendbaren zivilrechtlichen Grundsätzen trägt der Vertretene im Sinne von § 164 BGB grundsätzlich das Risiko, dass der Vertreter die ihm eingeräumte Vertretungsmacht nach außen hin missbraucht (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 164 Rn. 13). Wer zum Erlass von Verwaltungsakten befugt ist, vertritt somit die Behörde grundsätzlich auch dann, wenn er damit gegen (Straf-)Gesetze, dienstliche Anordnungen oder behördeninterne Aufgabenzuweisungen verstößt (vgl. Schneider-Danwitz, SGb 2014, S. 271, 273). Eine Zurechenbarkeit entfällt auch nicht in Bezug auf diejenigen Bescheide, die Frau S. in Kenntnis der von der Ehefrau des Klägers eingereichten gefälschten Zahnarztrechnungen selbst erlassen hat. Die in der zivilrechtlichen Rechtsprechung anerkannte Fallgruppe, wonach bei kollusivem Zusammenwirken zwischen dem Vertreter und dem Empfänger der Willenserklärung zum Nachteil des Vertretenen eine Zurechnung ausnahmsweise entfällt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – II ZR 371/12 – juris Rn. 10), ist nach Auffassung des Senats auf die Vertretung von Behörden nicht übertragbar (a.A. in einem obiter dictum: BSG, Urteil vom 4. September 2013 – B 10 EG 7/12 R – juris Rn. 22 unter Hinweis auf Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 35 Rn. 9). Denn der in § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG getroffenen Regelung lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber auch solche Akte von Behörden, die durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden sind, als Verwaltungsakte ansieht, die existent sind und der Rücknahme bedürfen. Die Fallgruppe der Bestechung entspricht aber gerade dem kollusiven Zusammenwirken zwischen dem Vertreter (hier: der Sachbearbeiterin S.) und dem Empfänger der Willenserklärung (hier: der Ehefrau des Klägers als dessen Vertreterin). Für sie ist im Verwaltungsverfahrensrecht eine von zivilrechtlichen Grundsätzen abweichende Regelung getroffen worden.

23b) Die zurückgenommenen 144 Beihilfebescheide sind auch dem Kläger gegenüber durch Bekanntgabe wirksam geworden. Grundsätzlich muss die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts dem Empfänger selbst gegenüber erfolgen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Eine unmittelbare Bekanntgabe gegenüber dem Kläger lässt sich jedoch nicht nachweisen. Nach den Angaben der Ehefrau des Klägers sandte das Landesverwaltungsamt Berlin sämtliche Bescheide – auch soweit im Adressfeld des Bescheids die Dienststelle des Klägers angegeben war – in den von ihr mit den Anträgen eingereichten frankierten Rückumschlägen an sie persönlich; Bescheide, die auf gefälschten Zahnarztrechnungen beruhten, vernichtete sie nach dem Öffnen. Die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts kann jedoch auch einem Bevollmächtigten gegenüber erfolgen (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Dies ist hier der Fall. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger seine Ehefrau umfassend mit der Wahrnehmung seiner Beihilfeangelegenheiten betraut hatte. Der Kläger gab in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 3. September 2008 an, dass er noch nie einen Beihilfeantrag selbst ausgefüllt und unterschrieben habe. Darum habe sich, seitdem er als Justizwachtmeister beihilfeberechtigt gewesen sei, ausschließlich seine Ehefrau gekümmert. Er habe die Beihilfebescheide nie gesehen; das habe ihn auch nicht interessiert, weil sich seine Frau um die Sache gekümmert habe. Auch seien die Beihilfeleistungen auf das Konto seiner Ehefrau überwiesen worden. Diese Angaben hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wiederholt und insoweit ergänzt, dass seine Ehefrau auch seine Arztrechnungen von ihrem Konto gezahlt habe. Die Angaben decken sich mit den Aussagen, die die Ehefrau des Klägers im Strafverfahren und bei ihrer Vernehmung als Zeugin in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2013 im Disziplinarklageverfahren (VG 80 K 12.13 OL) gemacht hat.

Der geschilderte Sachverhalt ist rechtlich dahingehend zu würdigen, dass der Kläger seine Ehefrau zumindest stillschweigend bevollmächtigt hatte, für ihn Beihilfeanträge zu stellen und Beihilfebescheide entgegenzunehmen. Eine konkludent erteilte Vollmacht genügt den Anforderungen, die § 14 Abs. 1 VwVfG für eine Bevollmächtigung im Verwaltungsverfahren stellt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 14 Rn. 17; Knack/Hennecke, VwVfG, 10. Aufl. 2014, § 14 Rn. 21; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 14 Rn. 14). Aus der in § 14 Abs. 1 Satz 3 VwVfG getroffenen Regelung, wonach der Bevollmächtigte auf Verlangen (der Behörde) seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen hat, lässt sich im Umkehrschluss entnehmen, dass es für die Annahme einer Bevollmächtigung nicht stets der Vorlage einer schriftlichen Vollmacht gegenüber der Behörde bedarf. Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung steht der Annahme einer (konkludenten) Bevollmächtigung seiner Ehefrau auch nicht entgegen, dass diese die Beihilfeanträge unter Verwendung seines Namens unterschrieben und damit den Eindruck erweckt hat, er habe die Anträge persönlich gestellt. Denn nach zivilrechtlichen Grundsätzen finden auf das Handeln unter fremden Namen, bei welchem der Anschein erweckt wird, es solle mit dem Namensträger ein Geschäft abgeschlossen werden, und dabei eine falsche Vorstellung über die Identität des Handelnden hervorgerufen wird, die Regeln über die Stellvertretung und die hierzu entwickelten Grundsätze entsprechende Anwendung, obwohl dem Handelnden ein Vertretungswille fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2011 – VIII ZR 289/09 – juris Rn. 12; Palandt, a.a.O., § 164 Rn. 10). Eine rechtsgeschäftliche Erklärung, die unter solchen Voraussetzungen unter dem Namen eines anderen abgegeben worden ist, verpflichtet den Namensgeber nur dann, wenn sie in Ausübung einer bestehenden Vertretungsmacht erfolgt (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB analog) oder vom Namensinhaber nachträglich genehmigt worden ist (§ 177 Abs. 1 BGB analog) oder wenn die Grundsätze über die Anscheins- oder Duldungsvollmacht vorliegen. Diese Grundsätze sind auch im Verwaltungsrecht anwendbar. Da – wie ausgeführt – die von der Ehefrau des Klägers abgegebenen Erklärungen in Ausübung einer bestehenden Vertretungsmacht erfolgten, hindert das Auftreten unter fremdem Namen nicht die Zurechnung ihrer Erklärungen und des Empfangs von Bescheiden gegenüber dem Kläger.

252. Die als Anlage zum Bescheid vom 4. Februar 2011 aufgeführten 144 Bewilligungsbescheide sind insoweit rechtswidrig, als sie auf gefälschten Zahnarztrechnungen beruhen. Die Bewilligungsbescheide können in diesem Umfang teilweise zurückgenommen werden, denn die Bescheide enthalten hinsichtlich der für unterschiedliche Aufwendungen jeweils bewilligten Leistungen teilbare Regelungen (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 31).

3. Der Rücknahme steht kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers entgegen. Eine (Teil-)Rücknahme der rechtswidrigen begünstigenden Beihilfebescheide für die Vergangenheit ist nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG zulässig. Voraussetzung für die Gewährung von Vertrauensschutz nach dieser Vorschrift ist zunächst, dass der Betroffene in den Bestand des Verwaltungsakts tatsächlich vertraut haben muss („soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat“, § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Ob dies hier der Fall ist, kann dahinstehen. Denn der Kläger kann sich jedenfalls nicht auf Vertrauen berufen. Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2), sowie wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Im Rahmen von Nrn. 1 und 2 muss sich der durch den Verwaltungsakt Begünstigte das Verhalten, im Rahmen von Nr. 3 das Wissen eines Vertreters oder Bevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 114, 120, 123; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48 Rn. 151, 155; in Bezug auf den gesetzlichen Vertreter: BVerwG, Urteil vom 9. September 2003 – 1 C 6.03 – juris Rn. 30).

In der Person der Ehefrau des Klägers liegen die Voraussetzungen von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 und 2 VwVfG vor. Sie hat als Vertreterin des Klägers 142 Bewilligungsbescheide, soweit sie auf gefälschten Zahnarztrechnungen beruhen, durch Bestechung erwirkt (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Alt. 3 VwVfG). Mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2010 ist die Ehefrau des Klägers im Zusammenhang mit den unter Ziffern 1. bis 142. der Anlage zum Rücknahmebescheid aufgeführten Beihilfevorgängen, bei welchen sowohl eine Bewilligung als auch Auszahlung von Beihilfeleistungen erfolgt ist, wegen Bestechung rechtskräftig verurteilt worden, weil sie Frau S. als Gegenleistung für ihr Tätigwerden bei der Bearbeitung (Weiterleiten an andere Sachbearbeiter oder Bewilligung) die hälftigen Erstattungsbeträge gewährt hat. In 51 Bewilligungsfällen, in welchen Frau S. die Bearbeitung der Beihilfeanträge durch andere Sachbearbeiter veranlasst hat, indem sie die ihr von der Ehefrau des Klägers übersandten Beihilfeanträge und gefälschten Zahnarztrechnungen in den Geschäftsgang gegeben hat, liegt darüber hinaus auch eine arglistige Täuschung von Sachbearbeitern des Beklagten vor (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG). Hierbei handelt es sich um diejenigen Bewilligungsbescheide, die in Ziffern 5., 10., 15., 16., 18., 21., 29. bis 32., 40., 44. bis 47., 52., 56., 60. bis 63., 65., 70., 73., 74., 77. bis 80., 83., 87. bis 89., 91., 97., 98., 101., 107. bis 109., 115., 116., 121., 123., 124., 127., 130., 135., 136., 143., 144 der Anlage zum Rücknahmebescheid aufgeführt sind (vgl. S. 11 und 12 des Urteils des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2010). In allen 144 Bewilligungsfällen (Ziffern 1 bis 144 der Anlage zum Rücknahmebescheid) hat die Ehefrau, indem sie den Beihilfeanträgen gefälschte Zahnarztrechnungen beifügte, die Bescheide außerdem durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Alt. 1 VwVfG).

Dass der Kläger von den Bestechungs- und Täuschungshandlungen seiner Ehefrau – soweit feststellbar – nichts gewusst hat, ändert an der Zurechenbarkeit dieser Handlungen im Rahmen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 und 2 VwVfG nichts. Maßgeblich für die Zurechnung und damit den Wegfall des Vertrauensschutzes ist der Umstand, dass die Bestechung aus dem Verantwortungsbereich des Begünstigten heraus und nicht durch einen "Dritten" begangen worden ist. Zum Verantwortungsbereich des Begünstigten gehört auch das Handeln seines Vertreters. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Begünstigte, der den Vertreter damit betraut hat, sich um die Erteilung des begehrten Verwaltungsaktes zu bemühen, diesen insoweit mit unbeschränkter Vollmacht ausstattet, ihm die Auswahl der Mittel und Wege überlässt, das Ziel zu erreichen und nachfolgend jegliche Kontrolle des Vertreterhandelns unterlässt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. Juli 2004 – 10 A 4471/01 – juris Rn. 101 f.).

4. Der Bescheid leidet auch nicht an einem Ermessensfehler im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG liegt grundsätzlich im Ermessen der Behörde (vgl. Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 77 f.). Im Falle fehlenden Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG besteht allerdings im Regelfall eine Rücknahmepflicht. Die Regelung des Absatzes 2 Satz 4, wonach der Verwaltungsakt in Fällen des Satzes 3 in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, bezieht sich nämlich nicht nur auf die Frage, ob der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit oder die Zukunft zurückgenommen werden soll, sondern auch auf die logisch vorrangige Frage, ob er überhaupt zurückgenommen werden soll (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127b). Mithin besteht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ein intendiertes Ermessen (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 165 – 173). Es müssen somit besondere Gründe vorliegen, wenn eine Rücknahme nur für die Zukunft angeordnet oder überhaupt von der Rücknahme abgesehen werden soll. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst und es bedarf insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Juni 1997 – 3 C 22.96 – juris Rn. 14 und vom 23. Mai 1996 – 3 C 13.94 – juris Rn. 51).

Im vorliegenden Fall sind derartige besondere Gründe nicht ersichtlich. Es ist nicht erkennbar, dass der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des Absatzes 2 Satz 3 typischerweise verbunden ist, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls ausnahmsweise nicht vorliegt (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c). Dass die Ehefrau des Klägers ihre Vertretungsmacht missbrauchte, indem sie gefälschte Zahnarztrechnungen bei der Beihilfestelle einreichte, genügt angesichts der gleichzeitig vorliegenden eigenen Pflichtenverstöße des Klägers nicht. Das Verwaltungsgericht hat – wenn auch in anderem rechtlichen Kontext – zu Recht darauf abgestellt, dass dem Kläger im Umgang mit seinen Beihilfeangelegenheiten vor dem Hintergrund des zwischen ihm und dem Beklagten bestehenden beamtenrechtlichen Treueverhältnisses eine Nachlässigkeit besonderen Ausmaßes anzulasten ist. Denn der Kläger hat seiner Ehefrau über Jahre hinweg erlaubt, für ihn bei seinem Dienstherrn Beihilfeleistungen zu beantragen und empfangen, ohne deren Angaben und die geleisteten Zahlungen auch nur punktuell nachzuprüfen oder zu hinterfragen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger sich in Anbetracht seiner eigenen, für den Unterhalt einer vierköpfigen Familie recht geringen Besoldung und der beruflichen Situation seiner Ehefrau hätte fragen müssen, woher die hohen Geldbeträge stammten, die seiner Familie über Jahre hinweg zur Verfügung standen.

Es besteht kein Grund, im Rahmen des Rücknahmeermessens etwaige besondere Härten in der Rückabwicklung zu erwägen, weil anstelle der gebundenen Rückforderung gemäß § 49 a Abs. 1 VwVfG hier die Rückforderung nach § 75 Abs. 2 LBG i.V.m. § 12 Abs. 2 BbesG eröffnet ist und eine Billigkeitsentscheidung des Beklagten verlangt (siehe zur Rückforderung das Urteil des Senats vom heutigen Tage – OVG 7 B 5.15).

5. Die teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide ist auch nicht wegen Ablaufs der nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG geltenden Jahresfrist ausgeschlossen. Denn die Frist gilt nach Satz 2 nicht in Fällen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1. Wie bereits ausgeführt, ist hinsichtlich sämtlicher in der Anlage zum Rücknahmebescheid aufgeführter Bewilligungsbescheide, soweit sie auf gefälschten Zahnarztrechnungen beruhen, ein Fall von Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 gegeben. Denn die Ehefrau des Klägers, deren Verhalten dieser sich zurechnen lassen muss, hat die Bescheide insoweit durch Bestechung oder arglistige Täuschung erwirkt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob bei kollusivem Zusammenwirken zwischen dem Vertreter der Behörde und dem Vertreter des Adressaten eines mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakts ein Nichtakt oder ein zurücknehmbarer Verwaltungsakt vorliegt.