KG, Beschluss vom 28.10.2014 - 7 Kap 11/14
Fundstelle
openJur 2016, 1795
  • Rkr:

1. Nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sind auch positive Feststellungsklagen musterverfahrensfähig.

2. Die Beschwerde gegen den Beschluss zur Bekanntmachung des Kapital-Musterverfahrensantrags ist unstatthaft.

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Zivilkammer 11 des Landgerichts Berlin vom 4. September 2014 - 1 OH 19/14 KapMuG - wird verworfen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

A.

Der Antragsteller hat im Hinblick auf seine Feststellungsklage die Durchführung des Kapitalanleger-Musterverfahrens beantragt und Feststellungen zum Emissionsprospekt begehrt.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 4. September 2014 die Bekanntmachung des Antrags hinsichtlich der Feststellungen zum Emissionsprospekt angeordnet.

Gegen die Anordnung der Bekanntmachung richtet sich die rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Löschung der Bekanntmachung des Musterverfahrens im Klageregister und die Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Landgericht begehrt. Sie ist der Ansicht, dass der Anwendungsbereich des KapMuG bei einer Feststellungsklage nicht eröffnet sei und deshalb das Beschwerderecht über die mit der Anordnung nach dem KapMuG verbundenen Aussetzung des Klageverfahrens gegeben sei.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, weil diese unzulässig sei. Ferner hat es darauf hingewiesen, dass sich der Gesetzesbegründung zur Neufassung des KapMuG eine Beschränkung auf die Leistungsklage nicht entnehmen lasse.

B.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nach § 572 Abs. 2 S. 2 ZPO zu verwerfen, weil sie unzulässig ist.

I.

Die sofortige Beschwerde ist unstatthaft, weil der stattgebende Beschluss nach dem Wortlaut des Gesetzes unanfechtbar ist, § 3 Abs. 2 S. 1 KapMuG.

1.

Die sofortige Beschwerde ist auch nicht gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 252 ZPO statthaft, weil das Verfahren gemäß § 5 KapMuG mit der Bekanntmachung des Musterverfahrensantrages im Klageregister unterbrochen wird. Die Unterbrechung tritt kraft Gesetzes ein und nicht durch gerichtliche Entscheidung. Die Unanfechtbarkeit des Bekanntmachungsbeschlusses nach § 3 Abs. 2 KapMuG in einem an sich statthaften KapMuG-Verfahren kann auch nicht durch die Anfechtung des Aussetzungsbeschlusses nach § 8 Abs. 1 KapMuG, der hier noch nicht erlassen ist und daher nicht zur Entscheidung ansteht, umgangen werden. Der Umstand, dass die Unanfechtbarkeit des Aussetzungsbeschlusses in § 7 Abs. 1 S. 4 KapMuG a.F. durch die Neufassung des § 8 KapMuG entfallen ist, gibt keinen Anlass, die Unanfechtbarkeit des Bekanntmachungsbeschlusses in Frage zu stellen; denn der Gesetzgeber hat trotz der Neufassung des § 8 KapMuG im Jahr 2012 zum Ausdruck gebracht, an der Unanfechtbarkeit des Bekanntmachungsbeschlusses nach § 3 Abs. 2 KapMuG festzuhalten. Dass der Gesetzgeber die Unanfechtbarkeit des Bekanntmachungsbeschlusses nicht einschränken wollte, wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass er mit der Neufassung des § 3 Abs. 1 KapMuG die Unanfechtbarkeit des Verwerfungsbeschlusses erst eingeführt und für beide Fälle die Anfechtbarkeit über § 252 ZPO gerade nicht eröffnet hat (so auch KG, 22. Zivilsenat, Beschluss vom 2. Oktober 2014 (22 Kap 2/14). Soweit der betroffenen Partei dadurch eine zeitweise „Blockade“ ihres Zivilprozesses zugemutet wird, ist das nach dem Willen des Gesetzgebers hinzunehmen.

2.

a) Die sofortige Beschwerde könnte daher nur dann Erfolg haben, wenn der Anwendungsbereich des KapMuG nicht eröffnet ist, das Landgericht mithin eine Anordnung getroffen hat, für die es keine verfahrensrechtliche Grundlage im KapMuG gibt und sich deshalb die aus § 5 KapMuG ergebende Unterbrechung des Verfahrens im Ergebnis als rechtswidrig erweist. Wenn der Anwendungsbereich eines Gesetzes überhaupt nicht eröffnet ist, kann eine sofortige Beschwerde nicht deshalb unzulässig sein, weil dies in dem nicht anwendbaren Gesetz bestimmt ist. Ist ein Gesetz nicht anzuwenden, kann auch eine in eben diesem Gesetz enthaltene Vorschrift über die Unanfechtbarkeit nicht zum Tragen kommen. Deshalb kann es nach Ansicht des Senats auch keine Rolle spielen, ob die „nur teilweise Eröffnung einer Anfechtbarkeit des Bekanntmachungsbeschlusses dem Gesetz” widersprechen würde, wenn dieses Gesetz gar nicht anwendbar ist (so aber Beschluss des 11. Zivilsenats des Kammergerichts vom 8. Oktober 2014 zu 11 Kap 1/14).

b) Der Anwendungsbereich des KapMuG ist jedoch im vorliegenden Fall eröffnet. Dem steht nicht entgegen, dass eine positive Feststellungsklage Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG reicht es aus, wenn in einem bürgerlichen Rechtsstreit ein Schadensersatzanspruch „geltend gemacht“ wird. Nach diesem eindeutigen Gesetzeswortlaut fällt darunter auch die Feststellungsklage im Sinne des § 256 ZPO. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass auch durch die Erhebung einer positiven Feststellungsklage ein Anspruch „geltend gemacht“ wird.

3.

Die Beschränkung des KapMuG auf Leistungsklagen könnte daher nur aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten hergeleitet werden, die aber nach Ansicht des erkennenden Senats nicht vorliegen.

a) Der Hinweis der Antragsgegnerin auf die BT-Drucksache 15/5091 greift schon deshalb nicht, weil sich die dortigen Ausführungen zum Leistungsprozess auf die alte Fassung des KapMuG vom 16. August 2005 (BGBl. I S. 2437) beziehen und der Gesetzgeber in der Begründung zu der Neufassung des KapMuG vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182), mit welcher der Gesetzgeber eine moderate Erweiterung des Anwendungsbereiches des Gesetzes bezweckt, keine Hinweise zur Beschränkung auf die Leistungsklage mehr aufgenommen hat (vgl. BT-Drucksache 17/8799). Die Begründung zu § 1 KapMuG verhält sich vielmehr allgemein nur zu „Klagen” und differenziert nicht mehr zwischen verschiedenen Klagearten.

b) Soweit in der Rechtsprechung die Beschränkung des Anwendungsbereichs des KapMuG auf Leistungsklagen aus § 8 Abs. 4 und § 9 Abs. 2 Nr. 3 KapMuG hergeleitet wird, weil in diesen Vorschriften die Höhe des Anspruchs eine Rolle spielt, vermag dies in der Gesamtschau nicht zu überzeugen.

aa) Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber, wenn er an einer Beschränkung des Musterfeststellungsantrags auf einen „Leistungsprozess“ hätte festhalten wollen, diesbezüglich bereits in § 1 Abs. 1 KapMuG Klarheit geschaffen hätte. Das hat er jedoch dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes zufolge nicht getan. Statt dessen hat er bei der Neufassung des Gesetzes eine Beschränkung auf die Leistungsklage nicht einmal mehr in die Begründung aufgenommen und sich allgemein auf „Klagen“ bezogen. Bedenken hinsichtlich etwaiger Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Höhe des Anspruchs im Fall der Erhebung einer Feststellungsklage hat er nicht mehr geäußert.

bb) Das ist auch nachvollziehbar. Denn bei einer Feststellungsklage lässt sich in aller Regel die Anspruchshöhe ebenfalls zumindest abschätzen. Die in § 8 Abs. 4 KapMuG vorgesehene Mitteilung der Anspruchshöhe dient dazu, dem Oberlandesgericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung über die Auswahl des Musterklägers nach § 9 Abs. 2 KapMuG eine Grundlage zu verschaffen, die u.a. an die Anspruchshöhe anknüpft. Das Oberlandesgericht soll möglichst den Kläger bestimmen, der den höchsten Einzelanspruch verfolgt (BT-Drucksache 17/8799 zu § 8 Abs. 2 KapMug-E). Es kommt daher entgegen der vom 24. Zivilsenat des Kammergerichts vertretenen Auffassung (vgl. Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 24 Kap 1/14 -) nicht darauf an, ob die Anspruchshöhe bereits endgültig definiert ist. Der Rahmen der Anspruchshöhe wird durch die Kapitalanlage und die Anspruchsbegründung hinreichend bestimmt. Dazu kann die Höhe des in den Ausgangsverfahren festgesetzten Streitwertes herangezogen werden (ebenso: Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl., § 1 Rn. 9). Es ist auch nicht von entscheidender Bedeutung, dass tatsächlich und unbedingt das Verfahren mit dem höchsten Anspruch ausgewählt wird; die Anspruchshöhe ist nach § 9 Abs. 2 Nr. 3 KapMuG ohnehin nicht der alleinige Maßstab für die nach billigem Ermessen zu treffende Auswahlentscheidung. Hinzu kommen weitere in § 9 Abs. 2 Nr. 1 und 2 KapMuG genannte Kriterien, hinter die die Anspruchshöhe durchaus zurücktreten kann.

Deshalb kann die Beschränkung des Verfahrens nach dem KapMuG auf Leistungsklagen auch nicht aus § 24 Abs. 2 KapMuG hergeleitet werden. Die bei einer Klagerücknahme im Ausgangsverfahren zu treffende Kostenentscheidung richtet sich zwar nach der Gesamthöhe der gegen den Musterbeklagten geltend gemachten Ansprüche. Wird dieser Anspruch von einem Kläger nicht abschließend beziffert, sondern lediglich mit einer Feststellungsklage geltend gemacht, bleibt auch hier als Maßstab der im Ausgangsverfahren festgesetzte Streitwert.

4.

Im Übrigen wird auf die zutreffenden Gründe des von der Zivilkammer 3 des Landgerichts Berlin erlassenen Beschlusses vom 22. August 2014 - 3 OH 32/14 KapMuG -, denen der Senat folgt und der der Antragsgegnerin bekannt ist, verwiesen.

II.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, weil die Kosten des Beschwerdeverfahrens einen Teil der Kosten des Rechtsstreits bilden, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens nach §§ 91 ff. ZPO die in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (vgl. BGH NJW-RR 2014, 758, 760; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011 - XI ZB 2/11, juris Rn. 14).

III.

Dieser Beschluss weicht von dem bereits erwähnten Beschluss des 24. Zivilsenat des Kammergerichts zu 24 Kap 1/14 vom 15. Oktober 2014 ab, durch den bei gleicher Sachlage der stattgebende (Bekanntmachungs-)Beschluss des Landgerichts Berlin abgeändert worden und der der Entscheidung zugrundeliegenden Musterfeststellungsantrag als unzulässig verworfen worden ist. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist deshalb eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich, sodass die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen war.

Zwar ist die Rechtsbeschwerde grundsätzlich unstatthaft, wenn die sofortige Beschwerde nicht statthaft ist, weil ein für den Beschwerdeführer vom Gesetz nicht vorgesehener Rechtsmittelzug auch nicht durch eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts eröffnet werden kann (vgl. BGH NJW-RR 2012, 1156; NJW 2009, 3653, NJW-RR 2011, 143). Im vorliegenden Fall geht es aber um die Frage, ob der Anwendungsbereich des Gesetzes, das die Unstatthaftigkeit der Rechtsbeschwerde zur Folge hätte, überhaupt eröffnet ist. Deshalb muss hier aus Gründen der Rechtssicherheit und dem Gebot, eine einheitliche Rechtsprechung zum Anwendungsbereich des KapMuG herbeizuführen, die Rechtsbeschwerde zur Wahrung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz zugelassen werden. Ob die Rechtsbeschwerde statthaft ist, hat aus der Sicht des Senats das Rechtsmittelgericht zu entscheiden.