BGH, Beschluss vom 10.12.2015 - I ZR 69/11
Fundstelle
openJur 2016, 237
  • Rkr:
Tenor

Die Anhörungsrüge gegen das Senatsurteil vom 16. April 2015 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Gründe

Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet.

I. Der Senat hat angenommen, es sei weder vom Landgericht festgestellt noch von der Klägerin vorgetragen worden, dass es in konkreten Fällen zu unberechtigten Vervielfältigungen der an den elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachten Werke und insbesondere des im Verlag der Klägerin erschienenen Lehrbuchs "Einführung in die neuere Geschichte" von Winfried Schulze durch Nutzer der Leseplätze gekommen sei; davon könne auch nicht ohne Weiteres ausgegangen werden (BGH, Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 69/11, GRUR 2015, 1101 Rn. 44 = WRP 2015, 1361 - Elektronische Leseplätze II).

Die Klägerin macht geltend, diese Annahme des Senats werde ihrem Vorbringen nicht gerecht. Sie habe vorgetragen, dass derartige Missbräuche zu erwarten seien, wenn die Leseplätze nicht technisch so ausgestattet würden, dass keine Ausdrucke und Abspeicherungen möglich seien. Ferner habe sie ausgeführt, dass etwaige Missbräuche nur durch die von ihr erwirkte einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt verhindert worden seien. Mit diesem Vorbringen hätte sich der Senat auseinandersetzen müssen.

Die Rüge der Klägerin ist unbegründet. Der Senat hat sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob unbefugte Vervielfältigungen des Werkes durch Nutzer der elektronischen Leseplätze zu erwarten sind. Er hat angenommen, davon könne nicht ohne Weiteres ausgegangen werden, weil zahlreiche Fallgestaltungen in Betracht kämen, in denen ein Ausdrucken oder Abspeichern der an elektronischen Leseplätzen im Sinne von § 52b Abs. 1 UrhG "zur Forschung und für private Studien" zugänglich gemachten Werke von der Schrankenregelung des § 53 UrhG gedeckt sei und der Umfang der vervielfältigten Texte die berechtigten Interessen des Urheberrechtsinhabers nicht ungebührlich verletze (BGH, GRUR 2015, 1101 Rn. 44 bis 51 - Elektronische Leseplätze II).

II. Die Klägerin macht weiter geltend, das Urteil stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessvertreter nicht habe rechnen müssen. Nach der Rechtsauffassung der Klägerin und des Landgerichts seien allein die Voraussetzungen des § 52b UrhG streitig gewesen. Folglich sei es in erster Instanz auf das Verhalten der Bibliothek und nicht auf das Verhalten der Nutzer angekommen. Erst die auf Vorlage des Senats ergangene Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. September 2014 habe mittelbar einen Hinweis auf § 53 UrhG enthalten. Der Senat sei daher auf der Grundlage seiner Rechtsansicht gehalten gewesen, das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen und den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Die Klägerin hätte in der wiedereröffneten Tatsacheninstanz unter Beweisantritt vorgetragen, dass es an den Leseplätzen der Beklagten durch Nutzer zu - näher bezeichneten - unberechtigten Vervielfältigungen von Werken und insbesondere des Lehrbuchs "Einführung in die neuere Geschichte" von Winfried Schulze gekommen sei.

Auch diese Rüge der Klägerin hat keinen Erfolg. Entgegen der Ansicht der Klägerin kam es im vorliegenden Rechtsstreit bereits in erster Instanz nicht nur auf das Verhalten der Bibliothek, sondern auch auf das der Nutzer an. Ein gewissenhafter und kundiger Prozessvertreter musste damit rechnen, dass die Frage entscheidungserheblich war, ob Nutzer der Leseplätze die von der Beklagten zugänglich gemachten Werke und insbesondere das Lehrbuch "Einführung in die neuere Geschichte" von Winfried Schulze unberechtigt vervielfältigten.

Mit dem Klageantrag zu 1b wollte die Klägerin der Beklagten verbieten lassen, Nutzern der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt zu ermöglichen, digitale Versionen der in ihrem Verlag veröffentlichten Werke und insbesondere die "Einführung in die neuere Geschichte" von Winfried Schulze an elektronischen Leseplätzen der Bibliothek ganz oder teilweise auszudrucken und/oder auf USB-Sticks oder anderen Trägern für digitalisierte Werke zu vervielfältigen und/oder solche Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek mitzunehmen (vgl. BGH, GRUR 2015, 1101 Rn. 34 - Elektronische Leseplätze II). Dieser Klageantrag wäre zum einen begründet gewesen, wenn die Beklagte durch die beanstandete Handlung das Werk als Täter widerrechtlich zugänglich gemacht hätte; das hätte vorausgesetzt, dass der mit dem Zugänglichmachen des Werkes verbundene Eingriff in das Urheberrecht nicht von der Schrankenregelung des § 52b Satz 1 und 2 UrhG gedeckt gewesen wäre (vgl. BGH, GRUR 2015, 1101 Rn. 35 bis 42 - Elektronische Leseplätze II). Der Klageantrag wäre zum anderen begründet gewesen, wenn die Beklagte als Teilnehmer oder Störer für widerrechtliche Vervielfältigungen des Werkes durch Nutzer der elektronischen Leseplätze auf Unterlassung haften würde; das hätte erfordert, dass der mit dem Vervielfältigen des Werkes verbundene Eingriff in das Urheberrecht nicht von der Schrankenregelung des § 53 UrhG gedeckt ist (vgl. BGH, GRUR 2015, 1101 Rn. 43 bis 53 - Elektronische Leseplätze II).

Die Parteien haben bereits in erster Instanz darüber gestritten, ob es ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zulässig ist, dass ein aufgrund der Schrankenregelung des § 52b UrhG durch eine Bibliothek an einem elektronischen Leseplatz zugänglich gemachtes Werk aufgrund der Schrankenregelung des § 53 UrhG durch einen Benutzer des elektronischen Leseplatzes vervielfältigt wird (vgl. BGH, GRUR 2015, 1101 Rn. 41 - Elektronische Leseplätze II). Die Klägerin musste damit rechnen, dass der Senat diese Frage bejaht und es daher darauf ankommt, inwieweit Nutzer von Leseplätzen zu Vervielfältigungen nach § 53 UrhG berechtigt sind und ob Nutzer der elektronischen Leseplätze der Beklagten das von der Klägerin verlegte Werk "Einführung in die neuere Geschichte" von Winfried Schulze unbefugt vervielfältigen.

Koch Schaffert Kirchhoff Löffler Schwonke Vorinstanzen:

LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 16.03.2011 - 2-6 O 378/10 -