ArbG Bochum, Urteil vom 27.05.2015 - 5 Ca 24/15
Fundstelle
openJur 2015, 20656
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Der Streitwert wird auf 14.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer aus verhaltensbedingten Gründen erklärten außerordentlichen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist sowie um einen Anspruch auf Entfernung von 3 Abmahnungen aus der Personalakte.

Der 1956 geborene Kläger ist seit dem 01.10.1989 bei der Beklagten als Busfahrer mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 3.000 € beschäftigt.

Die Beklagte schloss mit dem bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat unter dem 20.08.2014 (Bl. 6 ff. der GA) eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie ab. Ziel der Einführung des RIBAS-Systems soll es gemäß § 2 der Betriebsvereinbarung sein, durch vorausschauendes Fahren die Fahrer zu entlasten, die persönliche Zufriedenheit und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, CO2-Emissionen, Verkehrslärm, Energiekosten und Materialverschleiß zu verringern und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie wurde bei der Beklagten das RIBAS-System eingeführt, mit dem die Daten während der Fahrt des jeweiligen Buses in mannigfaltiger Hinsicht erfasst und verarbeitet werden. Nach § 3 der Betriebsvereinbarung werden mit dem System hochtourige Fahrweisen, Leerlaufzeitüberschreitungen, scharfes Bremsen, überhöhte Beschleunigung, Geschwindigkeitsüberschreitungen erfasst und ausgewertet.

Bei Abweichungen von dem im System hinterlegten Normwerten wird der Fahrer während der Fahrt durch akustische Signale über die Grenzüberschreitungen informiert. Ferner wird dem Fahrer durch Aufleuchten entsprechender LED-Lampen in Form einer kleinen Ampel kenntlichgemacht, ob seine Fahrweise optimal ist (rotgelb- grün). Zugleich werden diese Daten an einen zentralen Server übermittelt.

Die Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer der Beklagten, deren Arbeitseinsatz auf Fahrzeugen erfolgt, die mit dem System ausgerüstet sind. Der Kläger ist auf einem derartigen Fahrzeug eingesetzt.

Der Kläger entschied sich, die in der Betriebsvereinbarung unter § 6 und § 7 geregelten Prämien nicht in Anspruch zu nehmen. Fahrer, die an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem nicht teilnehmen wollen, erhalten nach der Betriebsvereinbarung einen anonymisierten Schlüssel, mit dem sie sich an das RIBAS-System anzumelden haben.

Die in den Bussen der Beklagten eingebauten Systeme erfassen fortlaufend die Daten, auch wenn ein sog. "RIBAS-Schlüssel" nicht gesteckt wird. Meldet sich ein Fahrer bei Beginn seiner Fahrt nicht mit seinem Schlüssel an, werden die Daten automatisch dem nachfolgenden Fahrer zugeordnet.

Die aufgezeichneten Daten können, wenn man einen zeitlichen Abgleich mit dem Dienstplan vornimmt, auch den eigentlich anonymisierten Fahrern konkret zugeordnet werden.

Unter § 10 der Betriebsvereinbarung ist geregelt, dass für den Fall, dass im anonymisierten Fahrerdatenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs.1 aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte erkennbar ist, der Arbeitgeber in vorheriger Abstimmung mit dem Betriebsrat das Recht hat, die jeweiligen Datensätze zu personalisieren und ggf. Schulungsmaßnahmen zu veranlassen.

Unter dem 18.12.2014 erhielt der Kläger eine Abmahnung (Bl. 4 f. der GA), in der ihm vorgeworfen wird, gegen § 4 der Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS verstoßen zu haben, weil er am 15.12. und 16.12.2014 nicht den RIBAS-Schlüssel gesteckt hat.

In der Zeit vom 03.01. bis 09.01.2015 benutzte der Kläger das System an sechs Arbeitstagen.

Mit Abmahnung vom 05.02.2015 wird dem Kläger vorgeworfen, in der Zeit vom 12.01.-15.01.15, in der Zeit vom 17.01-20.01.2015 und in der Zeit vom 22.01.-24.01.2015 sich während der Dienste nicht am MIX-RIBAS-System angemeldet zu haben (Bl. 20 f. der GA).

In der Abmahnung vom 05.02.2015 heißt es wörtlich:

"Die Anmeldung mit einem anonymen Schlüssel hat hingegen zur Folge, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Die gesamte Vorgehensweise zum Umgang mit dem MIX-RIBAS-System, insbesondere auch die anonymisierte Teilnahme am MIX-RIBAS-System wurde mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW vor Inbetriebnahme des Systems im Unternehmen zum 01.09.2014 abgestimmt."

Mit Abmahnschreiben vom 26.02.2015 wird dem Kläger vorgeworfen, sich am 19., 20. Und 21.02.2015 während der Dienste nicht am MIX-RIBAS-System angemeldet zu haben (Bl. 24 f. der GA).

In der Abmahnung vom 26.02.2015 heißt es wörtlich:

"Die Anmeldung mit einem anonymen Schlüssel hat hingegen zur Folge, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Die gesamte Vorgehensweise zum Umgang mit dem MIX-RIBAS-System, insbesondere auch die anonymisierte Teilnahme am MIX-RIBAS-System wurde mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW vor Inbetriebnahme des Systems im Unternehmen zum 01.09.2014 abgestimmt"

Am 05.03. und 06.03.2015 meldete sich der Kläger bei Fahrtantritt nicht beim RIBAS-System an.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 10.03.2015 zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist an. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung am 11.03.2015 zu.

Mit Schreiben vom 12.03.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich zum 13.03.2015, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist von 6 Monaten.

Mit seiner Klage vom 05.01.2015 begehrt der Kläger die Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014 aus seiner Personalakte, mit Klageerweiterung vom 05.02.2015 die Entfernung der Abmahnung vom 05.02.2015 und mit Klageerweiterung vom 09.03.2015 die Entfernung der Abmahnung vom 26.02.2015 aus seiner Personalakte. Der Kläger wendet sich mit Klageerweiterung vom 12.03.2015, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage, der Beklagten am 13.03.2015 zugestellt, gegen die Rechtmäßigkeit der Kündigung vom 12.03.2015.

Der Kläger ist der Ansicht, die Abmahnungen seien zu Unrecht erfolgt, da er nicht verpflichtet gewesen sei, am RIBAS-System teilzunehmen.

Nach § 4a BDSG bedürfe es für die Erhebung personenbezogener Daten einer Einwilligung des Klägers. Diese habe der Kläger nicht erteilt. Nach § 29 LDSG dürften gespeicherte Daten nicht zu Zwecken der Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden.

Die Betriebsvereinbarung über die Einführung des RIBAS-Systems sei unwirksam, da sie einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung darstelle. Das System erstelle über jeden Fahrer ein Charakterprofil und erhebe damit personenbezogene Daten, deren Erhebung und Speicherung den Kläger in seinen Grundrechten verletze. Es handele sich um eine nicht gerechtfertigte Dauerüberwachung auf Vorrat. Darüber hinaus seien die bei Überschreitung der Normwerte akustischen und optischen Hinweise auch von Fahrgästen wahrnehmbar und würden den Fahrer im Fahrbetrieb nachhaltig stören. Schließlich sei zu befürchten, dass aufgrund der durch die Überwachung ermittelten Daten auch Abmahnungen und Kündigungen ausgesprochen würden. Eine Regelung in der Betriebsvereinbarung, dass Entsprechendes ausgeschlossen sein soll, gebe es nicht.

Nach Ansicht des Klägers hätte es der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit oblegen, nur die Daten zu erheben und zu verwerten, die in dem Zeitraum anfallen, wenn durch die Fahrer, die am Prämiensystem teilnehmen, der Schlüssel gesteckt wird und die Datenerhebung endet, wenn er ihn wieder zieht.

Mangels Vorliegen eines Pflichtverstoßes sei auch die Kündigung vom 12.03.2015 sozial nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus sei der Ausspruch einer Kündigung, bevor über die Frage der Wirksamkeit der Weisung, die im Zusammenhang mit der Abmahnung geklärt wird, nicht entschieden ist, rechtsmissbräuchlich.

Der Kläger ist der Ansicht, die Frist des § 626 BGB sei nicht eingehalten. Die Frist des § 626 BGB habe mit der Äußerung des Klägers nach der ersten Abmahnung zu laufen begonnen, den Schlüssel auch zukünftig nicht nutzen zu werden.

Der Kläger beantragt unter Klagerücknahme im Übrigen,

1. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen.

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Ausspruch der streitgegenständlichen Abmahnungen und der Kündigung sei wegen der Verstöße gegen § 4 der Betriebsvereinbarung gerechtfertigt. Der Kläger sei gemäß § 4 der Betriebsvereinbarung und aufgrund entsprechender Weisungen seines Vorgesetzten verpflichtet gewesen, am RIBAS-System teilzunehmen. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei verhältnismäßig.

Die Betriebsvereinbarung sei wirksam.

Die Beklagte behauptet, der Landesdatenschutzbeauftragte habe keine Einwendungen gegen die Betriebsvereinbarung erhoben. Es sei darauf hinzuweisen, dass den Auswertungen keine minutengenauen Fahrsituationen zugeordnet werden können, sondern nur Durchschnittswerte angegeben werden. Darüber hinaus sei der Datenschutz gewahrt. Neben den Projektverantwortlichen gebe es Zugriffsrechte für 5 Mitarbeiter der Fahrschule, allerdings mit Zugriff nur auf ihre eigenen Fahrschuldaten. Darüber hinaus könnten - auf Aufforderung durch einen der Zugriffsberechtigten der Beklagten- die Support-Mitarbeiter des Systemanbieters im Rahmen von Auftragsdatenverarbeitung Zugriff nehmen. Sämtliche Zugriffsberechtigte seien auf die Einhaltung des Bundesdatenschutzgesetzes verpflichtet.

§ 29 LSDG NRW finde nur auf Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts Anwendung. § 4 BDSG erlaube die Erhebung und Nutzung von Daten, wenn eine Betriebsvereinbarung entsprechendes regele.

Schon der Eingriff in Persönlichkeitsrechte des Klägers sei minimal, da keine Daten über die persönlichen Verhältnisse des Klägers erfasst würden. Die in § 2 der Betriebsvereinbarung dargestellten Ziele würden einen legitimen Zweck verfolgen. Das System sei auch in seiner konkreten Anwendung angemessen. Die Verwendung eines anonymisierten Schlüssels sei erforderlich, damit die nachfolgenden Fahrer eine korrekte Auswertung erhielten. Eine Zuordnung der anonymen Daten zu einem Fahrer sei nur der Ausnahmefall und diene der Anordnung von Nachschulungen, zu der die Beklagte qua Direktionsrecht sowieso jederzeit berechtigt wäre. Eine vorbeugende Fahrschulung ohne konkrete Anhaltspunkte sei nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich.

Die hartnäckige Weigerung des Klägers, am RIBAS-System teilzunehmen, stelle einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Der Arbeitnehmer dürfe sich nicht über eine unbillige Ausübung des Direktionsrechtes hinwegsetzen mit der Maßgabe, zunächst eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Die Nichtverwendung des Schlüssels stelle einen schweren Pflichtverstoß dar. Aufgrund der Nichtverwendung des Schlüssels seien die Ergebnisse des nachfolgenden Fahrers falsch, weil sie nicht nur seine Fahrleistung enthalten. Eine ordnungsgemäße und faire Teilnahme würde den Kollegen des Klägers damit unmöglich gemacht. Die Weiterbeschäftigung des Klägers sei daher unzumutbar.

Die Frist des § 626 BGB sei gewahrt. Eine eindeutige und unmissverständliche Erklärung des Klägers, der Weisung nicht zu folgen, habe der Kläger im Gespräch am 30.01.2015 nicht abgegeben.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den entsprechenden Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die dem Kläger mit Schreiben vom 18.12.2014 erteilte Abmahnung ist aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da der Kläger keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Die Abmahnung beruht insoweit auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers.

1.

Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (st. Rspr., vgl. zB BAG , Urteil vom 19.07.2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN, juris).

2.

Die Abmahnung vom 18.12.2014 beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers. Der Kläger hat keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt.

Insbesondere war der Kläger nicht verpflichtet, gemäß § 4 der Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS sich bei Fahrtbeginn an das System anzumelden.

a) Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung war seitens der erkennenden Kammer zu prüfen, ob die Betriebsparteien mit den in der Betriebsvereinbarung geregelten Aufzeichnungen die ihnen nach § 75 Abs.2 Satz 1 BetrVG obliegende Pflicht verletzt haben, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.

Außerhalb des absoluten Kernbereiches privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BAG, Beschluss vom 15.04.2014 - 1 ABR 2/13, juris).

Regelungen der Betriebsparteien über eine Überwachung der Arbeitsleistung müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Die Betriebsparteien haben nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben daher insbesondere das in Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten.

a) Das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf dabei unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, juris). Die mit der elektronischen Datenverarbeitung grundsätzlich verbundenen technischen Möglichkeiten, Einzelangaben über eine Person unbegrenzt zu speichern sowie jederzeit abzurufen, sind geeignet, bei den betroffenen Personen einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen, durch den sie in ihrer Freiheit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt werden (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, juris) .

b) Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Diese besteht aus der Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind. In das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann daher insbesondere durch verfassungsgemäße Gesetze eingegriffen werden. Zu den Normen, die das Persönlichkeitsrecht einschränken können, gehören auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, BAGE 111, 173, zu B I 2 c der Gründe mwN).

c) Eingriffe der Betriebsparteien in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer müssen durch schutzwürdige Belange anderer Grundrechtsträger gerechtfertigt sein. Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser Grundsatz konkretisiert die den Betriebsparteien nach § 75 Abs.2 BetrVG auferlegte Verpflichtung (BAG, Beschluss vom 15.04.2014 - 1 ABR 2/13 (B), juris; BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d der Gründe mwN). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist entgegen einer im Schrifttum an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes geäußerten Kritik (vgl. Ehmann Anm. BAG 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 41) dogmatisch geboten. Er stellt einen tauglichen Maßstab zur Überprüfung von Betriebsvereinbarungen dar. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihrer nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbaren und zwingenden Wirkung Akte innerbetrieblicher privater Normsetzung (BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 - 1 AZR 96/06 - Rn. 16, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 94 = EzA BetrVG 2001 § 88 Nr. 1). Beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen werden die Betriebsparteien und die - die Zustimmung einer Betriebspartei ersetzende - Einigungsstelle als Normgeber tätig. Indem § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen, "implantiert” die Bestimmung die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Bindungen der staatlichen Gewalt in das Betriebsverfassungsrecht (Bender Anm. BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 2). Der Gesetzgeber genügt seiner Pflicht, die einzelnen Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren, indem er den Betriebsparteien eine Schutzpflicht hinsichtlich der freien Entfaltung der Persönlichkeit auferlegt (BAG, Urteil vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO, zu B I 2 a der Gründe). Daher ist es gerechtfertigt und geboten, Regelungen in Betriebsvereinbarungen, welche Rechte der betroffenen Arbeitnehmer, insbesondere deren Handlungsfreiheit beschränken oder ihnen Pflichten auferlegen, an dem auch für den Gesetzgeber geltenden Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen. Dieser ist dementsprechend auch maßgeblich, wenn durch eine dauerhafte Leistungsüberwachung durch Aufzeichnung von Daten in das Recht der Arbeitnehmer auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird. Eine ausschließlich schuldrechtliche Betrachtung wird dem normativen Charakter von Betriebsvereinbarungen nicht gerecht.

d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die von den Betriebsparteien bzw. der Einigungsstelle getroffene Regelung geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d der Gründe; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 1254/07 - Rn. 163, NJW 2008, 1505).

aa) Geeignet ist die Regelung, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Zweck gefördert werden kann. Dabei steht den Betriebsparteien und der Einigungsstelle - ebenso wie in einer vergleichbaren Situation dem Gesetzgeber - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d aa der Gründe).

bb) Erforderlich ist die Regelung, wenn kein anderes, gleich wirksames und das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung steht. Auch insoweit haben Betriebsparteien und Einigungsstelle einen gewissen Beurteilungsspielraum (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d bb der Gründe).

cc) Angemessen ist eine Regelung, wenn sie als im engeren Sinn verhältnismäßig erscheint. Um das festzustellen, bedarf es einer Gesamtabwägung der Intensität des Eingriffs und des Gewichts der ihn rechtfertigenden Gründe (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d cc der Gründe mwN; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 1254/07 - Rn. 168, NJW 2008, 1505). Diese Abwägung kann nicht abstrakt vorgenommen werden. So gehen weder das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum oder das durch Art. 10 Abs. 1 GG gewährleistete Briefgeheimnis stets dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vor noch genießt dieses umgekehrt jederzeit Vorrang. Maßgeblich sind vielmehr die Gesamtumstände (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO). Für die Schwere des Eingriffs ist insbesondere von Bedeutung, wie viele Personen wie intensiv den Beeinträchtigungen ausgesetzt sind. Das Gewicht der Beeinträchtigung hängt ua. davon ab, ob die Betroffenen als Personen anonym bleiben, welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden und welche Nachteile den Grundrechtsträgern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO; BVerfG 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 - und - 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279, 353, zu C II 3 b ee (4) (a) der Gründe; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 1254/07 - Rn. 80, NJW 2008, 1505) . Die Intensität der Beeinträchtigung hängt ferner maßgeblich von der Dauer und Art der Überwachungsmaßnahme ab (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO). Von erheblicher Bedeutung ist, ob der Betroffene einen ihm zurechenbaren Anlass für die Datenerhebung geschaffen hat - etwa durch eine Rechtsverletzung - oder ob diese anlasslos erfolgt. Auch die "Persönlichkeitsrelevanz” der erfassten Informationen ist zu berücksichtigen. Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden Ermittlungsmaßnahme erhöht das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung. Den Betroffenen kann hierdurch vorheriger Rechtsschutz faktisch verwehrt und nachträglicher Rechtsschutz erschwert werden (vgl. BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 1254/07 - aaO, Rn. 77 - 79)."

e) Hieran gemessen hält die Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS einer Rechtmäßigkeitsprüfung nicht stand.

aa) Die Regelung in der Betriebsvereinbarung, auch diejenigen Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnehmen, fortlaufend zu überwachen, ist nicht erforderlich.

Die Beklagte kann die unter § 2 genannten Ziele auch erreichen, wenn sie die Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnehmen möchten, nicht überwacht. Insoweit hätte es der Beklagten oblegen, als milderes Mittel dafür Sorge zu tragen, dass Aufzeichnungen über die Fahrdaten nur in den Zeiträumen erfolgen, wenn ein am Prämiensystem teilnehmender Fahrer seinen Schlüssel steckt. Dies bedeutet, dass es der Beklagten oblegen hätte, ein System einzusetzen, dass Daten nicht unabhängig von der Nutzung eines Schlüssels unabhängig fortlaufend erfasst, sondern ein System, dass seine Aufnahmetätigkeit erst bei Stecken eines Schlüssels aufnimmt und bei Entfernen des Schlüssels entsprechend wieder beendet.

Soweit die Beklagte ergänzend darauf verwiesen hat, "auffällige Fahrer" durch die Überwachung einer entsprechenden Schulung zuführen zu können, hätte es ein milderes Mittel dargestellt, regelmäßig ohne entsprechende Leistungskontrolle vorbeugende Schulungen bei sämtliche den Mitarbeiter durchzuführen. Hierzu bedarf es einer Dauerüberwachung der Mitarbeiter nicht.

Darüber hinaus ist der Umstand, dass Daten über die Leistung der Mitarbeiter erfasst werden und nach der Betriebsvereinbarung ohne zeitliche Begrenzung gespeichert werden, ebenfalls nicht erforderlich. Denn zur Überwachung des Fahrverhaltens der nicht am Prämiensystem teilnehmenden Fahrer würde es genügen, die Daten für einen äußerst kurzen Zeitraum aufzuzeichnen und auszuwerten.

Der Beklagten hätten nach dem Vorstehenden gleichwirksame Steuerungselemente zur Verfügung gestanden, welche nicht bzw. weniger die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer verletzen.

f) Aufgrund des nicht verhältnismäßigen Eingriffs in das Grundrecht des Klägers war dieser nicht verpflichtet, sich bei Beginn seiner Fahrt in das RIBAS-System anzumelden. Mangels Pflichtverletzung ist die Abmahnung daher aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

II.

Die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 sind aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten und auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Klägers beruhen.

Aus den unter den zu Ziffer I. dargestellten Gründen war der Kläger nicht verpflichtet, am RIBAS-System teilzunehmen, da der mit der Teilnahme am System verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unverhältnismäßig ist. Demgemäß kann dem Kläger keine Pflichtverletzung zur Last gelegt werden.

Darüber hinaus enthalten die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 unrichtige Tatsachenbehauptungen.

So heißt es in den Abmahnungen, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Dass dies unzutreffend ist, ergibt sich bereits aus § 10 der Betriebsvereinbarung. Bei Überschreitung der Grenzwerte ist es dem Arbeitgeber nach § 10 der Betriebsvereinbarung möglich, die jeweiligen anonymen Datensätze zu personalisieren. Ungeachtet dessen ist es dem Arbeitgeber durch Abgleich der erfassten anonymen Daten mit dem Dienstplan des jeweiligen Fahrers aufgrund eines Vergleiches der Anfangs- und Endzeit möglich, die "anonym" erfassten Daten einem bestimmten Fahrer zuzuordnen. Die Darstellung in der Abmahnung, die Daten würden durch Speicherung in einem anonymen Account damit nicht zuordbar gemacht, ist vor diesem Hintergrund unzutreffend.

Weiter heißt es in den Abmahnungen, die Vorgehensweise zum Umgang mit dem RIBAS-System sei mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW abgestimmt. Der Kläger hat dies bestritten. Die beweisbelastete Beklagte hat nicht unter Beweis gestellt, dass diese Behauptung in den Abmahnungen zutreffend ist. Insofern ist zu Lasten der Beklagten zu unterstellen, dass eine entsprechende Abstimmung nicht stattgefunden hat.

Die Abmahnungen können auch aus diesem Grund keinen Bestand haben.

III.

Die aus verhaltensbedingten Gründen erklärte Kündigung vom 12.03.2015 ist sozial nicht gerechtfertigt.

1.

Der Kläger hat rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Frist nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht erhoben, §§ 4,7,13 Abs.1 KSchG.

2.

Das Kündigungsschutzgesetz ist nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs.1 KSchG anwendbar, da der Kläger seit dem 01.10.1989 bei der Beklagten beschäftigt ist und in dem Betrieb der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer beschäftigt waren.

3.

Die Beklagte hat einen Kündigungsgrund im Sinne von § 1 KSchG nicht dargelegt.

Soweit sich die Beklagte als Kündigungsgrund darauf berufen hat, der Kläger habe am 05.03.2015 und 06.03.2015 gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen, indem er am RIBAS-System nicht teilgenommen hat, rechtfertigt dieser Vorwurf eine Kündigung nicht. Denn aus den unter Ziffer I. dargestellten Gründen war der Kläger nicht verpflichtet, am RIBAS-System teilzunehmen.

Darüber hinaus wäre die Kündigung auch unverhältnismäßig. Die Abmahnungen vom 05.02. und 26.02.2015 haben bereits aus formellen Gründen wegen unrichtiger Tatsachendarstellung keinen Bestand. Selbst wenn man unterstellt, der Kläger wäre verpflichtet gewesen, am RIBAS-System teilzunehmen, würde der Ausspruch einer Kündigung eines seit dem Jahre 1989 beschäftigten Arbeitnehmers nach nur einer vorausgegangen Abmahnung eine unverhältnismäßige Maßnahme darstellen.

IV.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte als im Rechtsstreit unterliegende Partei, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.

Der im Urteil nach § 61 Abs.1 ArbGG festzusetzende Streitwert entspricht einem Vierteljahreseinkommen bezüglich des Kündigungsschutzantrages nach § 42 Abs.3 Satz 1 GKG und einem Bruttomonatsentgelt für die erste Abmahnung und jeweils 1/3 einer Bruttomonatsvergütung für die zweite und dritte Abmahnung.