OLG Nürnberg, Beschluss vom 01.04.2011 - 1 Ws 118/11
Fundstelle
openJur 2011, 14674
  • Rkr:
Strafrecht
§ 66 StGB; Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB

1. Soweit es bei der Anwendung von Art. 316 e Abs. 3 Satz 1 EGStGB auf die rechtliche Einordnung der Anlass- und Vortaten ankommt, ist nicht auf die rechtliche Würdigung in dem die Sicherungsverwahrung anordnenden Urteil, sondern auf die rechtliche Bewertung abzustellen, die diese Taten nach dem Strafgesetzbuch in der seit dem 1.1.2011 geltenden Fassung erfahren würden.

2. Auf die Frage, ob der Untergebrachte Vortaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen hat und bei ihm ein Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB besteht, kommt es bei der Entscheidung nach § 361e Abs. 3 Satz 1 EGStGB dann nicht mehr an.

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Augsburg gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 10.03.2011 (StVK 17/1998) wird als unbegründet verworfen.

2. Die dem Untergebrachten erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Der wegen gravierender Sexualstraftaten vorbestrafte G. wurde am 9.11.1995 vom Landgericht Augsburg im Verfahren … wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Anwendung von § 55 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und wegen eines weiteren Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. In der Folgezeit verbüßte der Untergebrachte bis zum 07.12.1998 die gegen ihn verhängten Freiheitsstrafen. Seitdem wird gegen ihn die angeordnete Sicherungsverwahrung vollzogen. Aufgrund von Unterbrechungen zur Verbüßung weiterer Strafen waren 10 Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erst am 23.05.2009 abgelaufen.

Mit Beschluss vom 10.03.2011 hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ab dem 17.05.2011 nach Art 316 e Abs. 3 EGStGB für erledigt erklärt und weitere Bestimmungen zur Führungsaufsicht getroffen. Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Augsburg am 17.03.2011 sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass bei der Prüfung einer Erledigterklärung nach Art. 316 e Abs. 3 EGStGB nicht nur auf die Anlasstaten, sondern auch auf die Vortaten abgestellt werden müsse. Eine Sicherungsverwahrung könne daher erst dann für erledigt erklärt werden, wenn auch die für ihre Anordnung maßgeblichen Vortaten nicht mehr § 66 StGB in der seit dem 1.1.2011 geltenden Fassung unterfallen. Dies sei jedoch bei dem wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung vorbestraften Untergebrachten nicht der Fall. Auch müsse gesehen werden, dass es sich bei den abgeurteilten Diebstählen nicht um Einbrüche in Firmengebäude oder das Aufbrechen von Automaten gehandelt habe, sondern das Einsteigen in Erdgeschosswohnungen alleinstehender Frauen. Weitergehende Motive könnten durchaus vermutet werden, zumal Parallelen zu einer im Jahr 1978 abgeurteilten Vergewaltigung erkennbar seien. Fälle wie der vorliegende eigneten sich daher nicht für eine pauschale, von Gesetzes wegen vorgegebene Erledigung der Sicherungsverwahrung. Die Generalstaatsanwaltschaft hält die sofortige Beschwerde für unbegründet.

II.

Die nach Art. 316 e Abs. 3 Satz 4 EGStGB i.V.m. § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Nach Art. 316 e Abs. 3 Satz 1 EGStGB ist eine nach § 66 StGB in der vor dem 1.1.2011 geltenden Fassung rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 StGB in der seit dem 1.1.2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber erreichen, dass der mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung mit Wirkung zum 01.01.2011 verengte Anwendungsbereich des § 66 StGB auch den Untergebrachten zugute kommt, gegen die nach altem Recht die Sicherungsverwahrung bereits rechtskräftig angeordnet worden war. Die grundsätzliche Wertung des Gesetzes, wonach bestimmte Delikte die Anordnung der Sicherungsverwahrung in Zukunft nicht mehr rechtfertigen können, sollte auch zugunsten derjenigen Personen durchgreifen, bei denen die Sicherungsverwahrung bereits vollzogen wird (BT-Drs. 17/3403 Seite 81). Danach ist eine vor dem 1.1.2011 angeordnete Sicherungsverwahrung ohne weitere Voraussetzungen für erledigt zu erklären, wenn ihre Anordnung auf der Grundlage der in der Anlassverurteilung getroffenen Feststellungen nach § 66 StGB in der seit dem 1.1.2011 geltenden Fassung nicht mehr möglich wäre. Soweit es dabei auf die rechtliche Einordnung der Anlass- und Vortaten ankommt, ist nicht auf die rechtliche Würdigung in dem die Sicherungsverwahrung anordnenden Urteil, sondern auf die rechtliche Bewertung abzustellen, die diese Taten nach dem Strafgesetzbuch in der seit dem 1.1.2011 geltenden Fassung erfahren würden (BT-Drs. 17/3403 Seite 81). Danach hat die Strafvollstreckungskammer die Unterbringung zu Recht für erledigt erklärt.

2. Der Untergebrachte wurde vom Landgericht Augsburg am 9.11.1995 wegen Diebstahls in mehreren Fällen verurteilt, weil er in Wohnungen junger Frauen eingebrochen war und daraus Damenwäsche und verschiedene Wertgegenstände entwendet hatte. Nach dem StGB in der derzeit geltenden Fassung wären diese Taten als Wohnungseinbruchsdiebstahl gem. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu bewerten und mit Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu bestrafen. Eine Verurteilung nach den §§ 242, 243 StGB käme daneben nicht mehr in Betracht (vgl. Fischer, StGB 58. Aufl. § 244 Rdnr. 53 mwN.). Auch wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls gem. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB kann jedoch nach § 66 StGB in der seit dem 01.01.2011 geltenden Fassung keine Sicherungsverwahrung mehr angeordnet werden. § 66 Abs. 1 StGB ist nicht anwendbar, weil der Wohnungseinbruchsdiebstahl keine gegen die in § 66 Abs. 1 Nr. 1 a StGB genannten Rechtsgüter gerichtete Straftat ist und auch nicht den in § 66 Abs. 1 Nr. 1 b StGB aufgezählten Abschnitten des Strafgesetzbuches unterfällt. Auf die Frage, ob der Untergebrachte Vortaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen hat und bei ihm ein Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB besteht, kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an. Ein Fall des § 66 Abs. 2 StGB liegt ebenfalls nicht vor, weil die von dem Untergebrachten begangenen Taten – wie dargestellt – nicht Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 unterfallen. Auch könnte die Anordnung einer Sicherungsverwahrung nicht nach § 66 Abs. 3 StGB gerechtfertigt werden, weil der Untergebrachte keine der dort genannten Taten begangen hat. Die Tatsache, dass die Vorverteilungen des Untergebrachten die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB auch in der seit dem 01.01.2011 geltenden Fassung erfüllen, ändert nichts daran, dass eine Anordnung der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht mehr möglich wäre, weil es an den nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB erforderlichen Anlasstaten fehlt. Die von der Staatsanwaltschaft hervorgehobenen besonderen Tatumstände (Diebstahl von Damenwäsche) deuten zwar auf einen sexuellen Hintergrund, doch führt dies nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Auch liegt kein sogenannter Mischfall vor, bei dem die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur zum Teil auf Anlasstaten beruht, die § 66 StGB in der seit dem 01.01.2011 geltenden Fassung unterfallen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.