OLG Bamberg, Beschluss vom 06.11.2015 - 4 W 105/15
Fundstelle
openJur 2015, 18939
  • Rkr:

1. Bei einem Berliner Testament in der typischen Konstellation, dass die Ehegatten als Schlusserben jeweils ihre gemeinsamen Kinder und zu gleichen Teilen berufen haben, ist in der Frage der Wechselbezüglichkeit der Schlusserbenbestimmungen die Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB zugleich Ausdruck des Erfahrungssatzes, wonach jeder Ehegatte die gemeinsamen Kinder für den Fall seines eigenen Vorversterbens ausschließlich deshalb enterbt, weil er darauf vertraut, dass infolge der Schlusserbeneinsetzung des anderen Teils das gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen wird (Anschluss an OLG München NJW-RR 2011, 227 und 1020; Abgrenzung zu BayObLG FamRZ 1986, 392, Rn. 49).2. Die Prüfung der auslegungserheblichen Umstände spitzt sich daher auf die Frage zu, ob sich darin - innerhalb oder außerhalb des Testaments - eine Willensbekundung der Ehegatten objektiviert hat, die trotz dieses zuverlässigen Erfahrungshintergrunds mit der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB nicht in Einklang steht. 3. Bei der Auslegung nachfolgender Willensbekundungen des überlebenden Ehegatten hat - gegebenenfalls - entsprechend § 157 BGB zugleich eine Beurteilung aus der objektiven Sicht (Empfängerhorizont) des anderen Ehegatten stattzufinden (BGH NJW 1993, 256, Rn. 12). Dieser objektive Verständnishorizont des anderen Teiles wird sich bei der vorliegenden Fallgestaltung in der Regel weitgehend mit dem dargelegten Erfahrungssatz decken, auf dem die Vermutung des § 2270 Abs.2 BGB aufbaut.4. Ein (Rechtsfolgen-)Irrtum der testierenden Ehegatten über die mit dem Tod des vorversterbenden Teiles eintretende Bindungswirkung bei wechselbezüglichen Verfügungen stellt grundsätzlich keinen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum und somit auch keinen in der Frage der Wechselbezüglichkeit beurteilungserheblichen Umstand dar (Anschluss an OLG München NJW-RR 2011, 1020, Rn. 29ff.).5. Die Bestimmung, dass der überlebende Ehegatte "die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen haben" soll, genügt nicht den Anforderungen an eine sog. Freistellungsklausel.

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgerichts - Würzburg vom 14.9.2015 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

III. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens entspricht ¾ des um die Nachlassverbindlichkeiten bereinigten Wertes des Aktivnachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls.

Gründe

I.

Die vier Beteiligten sind die gemeinsamen Kinder aus der Ehe des Erblassers und seiner am xx.xx.2014 vorverstorbenen Ehefrau. In einem gemeinschaftlichen Testament vom 16.6.1992 (künftig auch nur: Testament I oder Ausgangstestament) hatten sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und ihre vier Kinder als Schlusserben eingesetzt. Die Urkunde lautet auszugsweise:

„Wir, die Eheleute ... setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein.Das heißt, der überlebende Ehegatte ist Alleinerbe und hat die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen.Für den Fall des Ablebens des 2. Ehegatten fällt das gesamte gemeinsame Vermögen den Kindern aus unserer Ehe zu gleichen Teilen zu.Das elterliche Anwesen ... soll als Gesamtheit erhalten bleiben.“In einer maschinenschriftlichen „Ergänzung zum Testament vom 16.6.92“ aus dem Jahre 2010 (im folgenden nur: Ergänzung I), die vom Erblasser verfasst und erstellt worden war, sind zahlreiche abweichende Anordnungen der Eheleute niedergelegt. Die einleitende Bestimmung lautet:

„Nach unserem Ableben, ev. zuvor, wenn es der gesundheitliche Zustand verlangt, soll H. (Anmerkung d. Senats: gemeint ist der Antragsgegner) das Anwesen und dessen Verwaltung übernehmen. Er hat am meisten dafür getan. Als Wohnung sollen unsere Wohnräume ihm dienen.“

Eine gute Woche vor seinem Tod hatte der Erblasser am xx.xx.2015 ein notarielles Testament (fortan: Testament II) errichten lassen, in dem er unter Widerruf der „Verfügungen des ... Testaments vom 16.6.1992 hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung“ den Antragsgegner (künftig nur: AG) zum Alleinerben einsetzte sowie weitere ergänzende Anordnungen traf.

Bereits im Sommer 2014 hatte der Erblasser auf einer Ablichtung des gemeinschaftlichen Testaments am Ende des Textes handschriftlich vermerkt:

„Für den Fall des Ablebens eines der Kinder fällt sein Erbteil zu 100% seinen Kindern zu.“

Dieser vom Erblasser unterschriebene Nachtrag (nachfolgend nur: Ergänzung II) datiert vom 6.8.2014.

Beide Antragsteller (fortan nur: AS) haben die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der die Beteiligten als - im Ausgangstestament berufene - Miterben zu je ¼ ausweist.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sachverhaltsdarstellung der angefochtenen Entscheidung des Nachlassgerichts Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung des beantragten Erbscheins vorliegen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des AG, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die gemäß § 58 I FamFG statthafte Beschwerde ist auch im übrigen zulässig (§§ 59ff. FamFG). In der Sache aber kann das Rechtsmittel keinen Erfolg haben, weil es offensichtlich unbegründet ist. Das Nachlassgericht ist zu Recht und auch mit im wesentlichen zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erbfolge nach dem gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten richtet, weil die darin angeordnete Schlusserbeneinsetzung als wechselbezüglich im Sinne des § 2270 BGB mit der eigenen Einsetzung des Erblassers als Alleinerbe seiner Ehefrau anzusehen ist. Infolgedessen war der Erblasser wegen der mit dem Ableben der Ehefrau eingetretenen Bindung an die gemeinsame Schlusserbenbestimmung (§ 2271 II BGB) daran gehindert, hiervon - nach dem Maßstab des § 2289 I, 2 BGB (analog) - abweichende Anordnungen zu treffen (vgl. Palandt, 74. Auflage, Rn. 12ff. zu § 2271 BGB).

1. Auslegungsregeln

Das Beschwerdevorbringen steht in mehrfacher Hinsicht nicht in Einklang mit den bei einer Fallgestaltung wie hier maßgebenden Grundsätzen für die Auslegung letztwilliger Verfügungen (vgl. zunächst Palandt-Weidlich, 74. Aufl., Rn. 1, 2 zu § 2084 BGB).

a) Danach sind bei der Auslegung neben dem gesamten Text des Testaments auch Umstände außerhalb der Urkunde heranzuziehen und zu würdigen, wobei solche Umstände vor oder nach der Testamentserrichtung liegen können. Aber auch insoweit hat es ausschließlich auf den Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung anzukommen. Danach eingetretene Umstände wie etwa spätere Willensäußerungen sind daher nur beurteilungserheblich, soweit sich daraus Rückschlüsse auf die Einstellung des Testators zur Zeit der Testamentserrichtung ziehen lassen (BayObLG NJW 1996, 133).

Im Hinblick auf die Formbedürftigkeit letztwilliger Verfügungen muss ein auf Umstände außerhalb der Urkunde gestütztes Auslegungsergebnis im Text der Verfügung einen zumindest unvollkommenen Ausdruck gefunden haben (sog. Andeutungstheorie - vgl. etwa BGH NJW 1966, 201 f.; FamRZ 1972, 201 f.; FamRZ 1972, 561 ff.).

b) Dementsprechend ist auch in der Frage, ob und in welchem Umfang in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Anordnungen wechselbezüglich i.S.d. § 2270 I BGB sind, ausschließlich auf den übereinstimmenden Willen der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung abzustellen (BGHZ 112, 229, 233). Sofern ein solches Testament keine klaren und eindeutigen Aussagen zur Wechselbezüglichkeit enthält, muss diese Frage nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede Anordnung gesondert ermittelt werden (BGH NJW-RR 1987, 1410). Lässt sich der Wille der testierenden Ehegatten im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) nicht zuverlässig feststellen, so kommt bei der vorliegenden Konstellation eines sog. Berliner Testaments, in dem sich die Eheleute gegenseitig zum Alleinerben und ihre gemeinsamen Kinder als gemeinsame Schlusserben zu gleichen Teilen eingesetzt hatten, die Auslegungsregel des § 2270 II BGB zum Zuge, wonach im Zweifel die gegenseitigen Erbeinsetzungen der Ehegatten jeweils auch im Verhältnis zur Schlusserbeneinsetzung des anderen Ehegatten als wechselbezüglich anzusehen sind.

c) Die Vermutung des § 2270 II BGB geht von der gewöhnlichen Lebenserfahrung über die Vorstellungen und Absichten der Ehegatten in solchen Fällen aus (Kipp-Coing, Erbrecht, 14. Aufl., § 35 III, 2 = S. 224). Eine allgemein anerkannte, weil besonders zuverlässige Erfahrungsregel im Sinne der gesetzlichen Vermutung knüpft sich an die hier vorliegende Fallgestaltung eines sog. Berliner Testaments: Eheleute, die ihr gemeinsames Vermögen „letztlich" an ihre eigenen - gemeinsamen - Kinder weitergeben möchten, jedoch mit Rücksicht auf die Altersversorgung des anderen Ehegatten ihre Abkömmlinge für den Fall ihres eigenen Vorversterbens enterben, tun das jeweils in der offenkundigen Erwartung, dass aufgrund der gleichzeitigen Schlusserbeneinsetzung des anderen Teiles das gemeinsame Vermögen mit dem Tode des Ehegatten auf ihre Kinder übergehen wird (so zu Recht OLG München NJW-RR 2011, 227, Rn.11 und 2011, 1020 = FamRZ 2011, 1817, dort Rn. 19). Dieses Vertrauen der testierenden Eheleute wird u.a. dadurch geschützt, dass ein Widerruf nach dem Tod des Erstversterbenden grundsätzlich ausgeschlossen ist (§ 2271 II, 1 BGB).

Es wird deshalb jedenfalls bei einer Konstellation wie hier schon nicht der Lebenserfahrung gerecht und greift somit auch auslegungsmethodisch zu kurz, wenn die Vermutung des § 2270 II BGB mit der Erwägung relativiert wird, es sei regelmäßig anzunehmen, dass jeder Ehegatte die Kinder wegen des Verwandtschaftsverhältnisses bedenkt und nicht, weil der andere dies auch tut (so jedoch BayObLG FamRZ 1986, 392, Rn. 49 in einem seitdem immer wieder zitierten obiter dictum, vgl. etwa Palandt-Weidlich a.a.O., Rn.5 zu § 2270 BGB). Vielmehr hat es bei der Prüfung der auslegungserheblichen Umstände entscheidend darauf anzukommen, ob sich darin - innerhalb oder außerhalb des Testaments - eine Willensbekundung objektiviert hat, die trotz dieses zuverlässigen Erfahrungshintergrunds mit der Auslegungsregel des § 2270 II nicht in Einklang steht (OLG München jeweils a.a.O.; OLG Düsseldorf ErbR 2014, 453, Rn. 29).

d) Bei der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments kommt die weitere Vorgabe hinzu, dass ein nach dem Willen des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis mit der Einstellung des anderen Teiles abzugleichen ist: Lässt sich nämlich - entgegen der Lebenserfahrung - eine Übereinstimmung der beiderseitigen Vorstellungen und Absichten nicht feststellen oder lag eine solche nicht vor, dann muss auf den Willen gerade desjenigen Erblassers abgestellt werden, um dessen testamentarische Verfügung es geht. Hierbei hat entsprechend § 157 BGB eine Beurteilung aus der objektiven Sicht (Empfängerhorizont) des anderen Ehegatten stattzufinden: Dieser muss die Möglichkeit haben, sich bei seinen Verfügungen auf diejenigen des anderen Teiles einzustellen und umgekehrt (BGH NJW 1993, 256, Rn. 12). Dieser objektive Empfängerhorizont des anderen Teils wird sich bei einer Fallgestaltung wie hier in der Regel weitgehend mit dem der Vermutung des § 2270 II BGB zugrundeliegenden Erfahrungssatz decken.

Demzufolge spitzt sich bei einer Konstellation wie hier, in der sich der Auslegungsstoff im Wesentlichen aus nachfolgenden Willensäußerungen des überlebenden Ehegatten (und Erblassers) zusammensetzt, zugleich auf die Frage zu, ob die in diesen nachträglichen Erklärungen erkennbaren Intentionen auch vom (objektiven) Verständnishorizont des vorverstorbenen Teiles umfasst sind.

2. Zum Beschwerdevorbringen

Nach diesen Auslegungskriterien zeigt auch die Beschwerde keine Umstände auf, die dafür sprechen könnten, dass die Eltern der Beteiligten im maßgebenden Zeitpunkt der Errichtung ihres Gemeinschaftstestaments eine gegenseitige Bindung in Bezug auf die Schlusserbeneinsetzung nicht gewollt haben könnten.

2.1 Die „Verfügungsklausel“ im Ausgangstestament

Die Bestimmung im Ausgangstestament, wonach der überlebende Ehegatte „die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen“ haben sollte, hat, wie das Erstgericht zutreffend darlegt, schon nach dem Wortlaut der betreffenden Anordnung lediglich die Bedeutung und Funktion eines klarstellenden Zusatzes, wonach der überlebende Ehegatte tatsächlich Vollerbe werden sollte (vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ 2015, 879, Rn. 65, 66). Dieser Zusatz lässt somit auch nicht ansatzweise inhaltliche Parallelen zu dem Regelungsgehalt einer sog. Freistellungsklausel erkennen (vgl. dazu etwa Kipp-Coing a.a.O. unter III, 5).

2.2 Erklärungen im Testament II

Die Angaben auf S. 4 des Testaments II zur angeblich fehlenden Bindungswirkung lassen eine aus sich heraus nachvollziehbare Erläuterung der Vorstellungen und der Motivlage der Ehegatten im maßgebenden Zeitpunkt der Errichtung des Ausgangstestaments vermissen. Anstelle einer näheren Begründung wird lediglich auf die erwähnte „Verfügungsklausel“ im Testament I und die Ergänzung II verwiesen. Es fehlt also bereits an einer über diese Bezugnahme hinausgehenden - eigenständigen - Begründung der Behauptung, der Erblasser und seine Frau hätten keine Wechselbezüglichkeit gewollt. Dementsprechend fehlt in diesen notariell beurkundeten Erklärungen auch jeder Hinweis darauf, dass sich der Erblasser mit der gebotenen Sorgfalt vergegenwärtigt hat, welche Entwicklung die gemeinsamen Erwartungen und Wünsche der Ehegatten hinsichtlich einer Schlusserbenbestimmung seit der (beim Ableben der Ehefrau) über 22 Jahre zurückliegenden Niederlegung des Testaments I durchlaufen hatten. Erst recht nicht sind die in der Sache substanzlosen Erklärungen geeignet, über die aktuelle Sichtweise des Erblassers hinaus konkrete Umstände aufzuzeigen, die dafür sprechen könnten, dass die Vorstellungen der Ehefrau - soweit dem maßgebenden Verständnishorizont des Erblassers zurechenbar (vgl. BGH NJW 1993, 256, Rn. 12) - entgegen aller Lebenserfahrung nicht von dem Wunsch bestimmt gewesen sein könnten, das gemeinsame Vermögen allen vier Kindern zu (im wesentlichen) gleichen Teilen zukommen zu lassen.

2.3. Ergänzung I

a) Auch der Inhalt dieses Schriftstücks gibt nichts für die Annahme her, dass die Ehegatten die Unabhängigkeit ihrer beiderseitigen Verfügungen jedenfalls in Bezug auf die Schlusserbenbestimmung gewollt haben könnten. Im Gegenteil: Das Erfordernis einer „Ergänzung“ des Ausgangstestaments wird ausdrücklich mit einer zwischenzeitlichen Änderung der Verhältnisse, nämlich damit begründet, dass der AG für „das Anwesen und dessen Verwaltung ... am meisten getan (habe)“.

Diese einleitende Klarstellung kann somit nur dahin verstanden werden, dass der beabsichtigten Zuwendung an den AG, die im klaren Widerspruch zur Schlusserbenanordnung des Testaments I steht, ein Motivationswechsel infolge einer - in den zurückliegenden 18 Jahren eingetretenen - neuen Entwicklung zugrunde gelegen hatte. Damit resultiert das auf den 5.9.2010 datierte Schriftstück offenkundig aus einer grundlegenden Änderung der Vorstellungen und Wünsche des Erblassers, von dem der maschinenschriftliche Text stammt. Ob die zum Teil regelungstechnisch diffusen Anordnungen in Bezug auf die Nutzungsrechte der Beteiligten in sämtlichen Punkten mit der vorverstorbenen Ehefrau abgesprochen und von ihr in voller Tragweite verstanden worden waren (wozu sich auch die Beschwerde ausschweigt) oder ob die Ehefrau das Schriftstück jedenfalls im Nachhinein gebilligt hatte, wie die Beschwerde behauptet, kann auf sich beruhen. Festzuhalten bleibt, dass diese formnichtige Ergänzung als Ausdruck einer geänderten Motivlage zu gelten hat, so dass schon aus diesem Grund keine tragfähigen Rückschlüsse auf die Erwartungshaltung und Wünsche der testierenden Ehegatten zur Zeit der Testamentserrichtung im Frühsommer 1992 gezogen werden können.

b) Diese Bewertung wird bestätigt durch die von der Beschwerde angeführten Gründe, aus denen die Ehegatten von einer formgültigen Neutestierung abgesehen haben sollen. Hieraus erschließt sich nämlich insbesondere, dass der Erblasser selbst entweder noch keine klaren Vorstellungen von der endgültigen Ausgestaltung des beabsichtigten neuen Testaments gehabt oder dass er zwischen verschiedenen Konzepten geschwankt hatte. Das wiederum deckt sich mit dem von der Beschwerde erwähnten Umstand, dass der Erblasser sich in der Folgezeit zunächst mit keinem der vom späteren Urkundsnotar unterbreiteten Entwürfe hatte anfreunden können. Auch unter diesem Blickwinkel lässt sich der Ergänzung I kein Indizwert von Gewicht beilegen.

2.4 Keine „Aufsplitterung“ des Anwesens

Es mag sein, dass das in der Ergänzung II erneut aufgenommene Anliegen, dass das Anwesen „nicht verkauft werden (dürfe)“, sich wie ein roter Faden durch die Überlegungen beider Ehegatten gezogen hat. Aber auch dieser Aspekt ist in der Frage der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen des Testaments I nicht aussagekräftig. Im Ausgangstestament wird dieses Anliegen ausdrücklich thematisiert. Wenn die Ehegatten sich gleichwohl für eine gemeinsame Schlusserbeneinsetzung ihrer Kinder und zu gleichen Teilen entschieden hatten, so kommt darin klar zum Ausdruck, dass sie einer Gleichbehandlung ihrer Kinder den unbedingten Vorrang hatten einräumen wollen.

Damit steht in Einklang, dass in den einleitenden Ausführungen der Ergänzung I, wie erwähnt, die Notwendigkeit einer abweichenden Regelung ausschließlich mit einer in der Person des AG neu eingetretenen Entwicklung begründet wurde. Erst im letzten Absatz wird die Vorgabe einer Erhaltung des Anwesens wieder aufgenommen. Dieser Abschnitt enthält jedoch weder eigenständige rechtstechnische Anordnungen noch konkrete, geschweige denn praktikable Vorschläge dazu, wie der angestrebte Status einer „Unverkäuflichkeit“ des Anwesens erreicht werden sollte. Insgesamt erschöpft sich der Schlussteil in unverbindlichen Empfehlungen, die nicht geeignet sind, eine taugliche Beurteilungsgrundlage hinsichtlich der maßgebenden Vorstellungen der Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Frühsommer 1992 zu liefern.

2.5 Ergänzung II

Auch dieser Nachtrag des Erblassers gibt für die von der Beschwerde bevorzugte Einordnung nichts her. Sein Wortlaut entspricht der gesetzlichen Auslegungsregel des § 2069 BGB. Zudem ist das Beschwerdevorbringen zur Motivationslage perplex: Einerseits soll der Nachtrag im Zusammenhang mit einer schweren Erkrankung der Ehefrau des AG gestanden haben. Andererseits soll diese Situation den Erblasser veranlasst haben, Vorsorge für das vorzeitige Ableben des AG zu treffen. Unabhängig von diesen Ungereimtheiten stand die Ergänzung II auch nach dem Beschwerdevorbringen im Zusammenhang mit einer besonderen Motivationslage des Erblassers, die somit schon aufgrund ihrer situationsbedingten Zuspitzung nicht als Bewertungsgrundlage für Schlussfolgerungen auf die Willensrichtung der Eheleute bei der Niederlegung ihres gemeinsamen Testaments dienen kann.

2.6 Erneuter Sinneswandel des Erblassers nach der Ergänzung I

Wie die Beschwerde außerdem verkennt, weicht das Testament II in entscheidenden Punkten von dem in der Ergänzung I skizzierten Konzept der Vermögensverteilung ab. Während im Nachtrag vom 5.9.2010 für jeden der beiden AS noch jeweils ein (dingliches?) Nutzungsrecht an bestimmten Wohnräumen des Anwesens vorgesehen war, sollten die AS nach dem Testament II lediglich mit Geldvermächtnissen abgefunden werden, die - soweit ersichtlich - noch nicht einmal die Höhe ihrer Pflichtteile erreichen. Bereits diese nochmalige Zurücksetzung der AS ist ein signifikantes Anzeichen dafür, dass sich die Vorstellungen und Intentionen des Erblassers im Laufe der Jahre kontinuierlich und konsequent von der gemeinsamen Sichtweise und Zielsetzung der beiden Eheleute im Zeitpunkt der Errichtung des Ausgangstestaments entfernt hatten.

2.7 (Rechts-)Irrtum des Erblassers?

Das Beschwerdevorbringen zu einem angeblichen Irrtum der Ehegatten über die eintretende Bindungswirkung ihrer wechselbezüglichen Verfügungen zeigt keinen beurteilungserheblichen Umstand auf.

Die Wechselbezüglichkeit ist nicht Erklärungsinhalt und tritt nicht deshalb ein, weil die testierenden Ehegatten gleichgerichtete Willensbekundungen abgeben. Ein rechtsgeschäftlicher Bindungswille der Eheleute wird nicht vorausgesetzt; vielmehr ist die Bindungswirkung allein an die von den Ehegatten übereinstimmend gewollte gegenseitige Abhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen geknüpft (OLG München NJW-RR 2011, 1020, Rn. 31). Infolgedessen stellt sich ein Irrtum, der sich ausschließlich auf die eintretende Bindungswirkung der Verfügung, nicht aber auf deren tatsächliche Abgabe und ihren wechselbezüglichen Charakter bezieht, als unbeachtlicher Rechtsfolgenirrtum dar (OLG München a.a.O.). Es kommt deshalb schon nicht mehr darauf an, dass der Erblasser spätestens vom Urkundsnotar im Vorfeld der Errichtung des Testaments II über die Rechtslage unterrichtet worden war und selbst nach dieser Aufklärung keinen Anlass gesehen hatte, sich im Rahmen seiner erläuternden Angaben zusätzlich auf das Vorliegen eines solchen Irrtums zu berufen.

2.8 Sonstiges Beschwerdevorbringen

Der sonstige, vom Senat ebenfalls Punkt für Punkt geprüfte Beschwerdevortrag ist nicht erörterungsbedürftig.

3. Zusammenfassung

Nach alledem lassen sich dem Beschwerdevorbringen keine Umstände entnehmen, die dafür sprechen oder gar belegen könnten, dass die Einstellungen des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau im Zeitpunkt der Errichtung ihres gemeinschaftlichen Testaments nicht von derjenigen typischen Haltung geprägt gewesen waren, die dem der Vermutung des § 2270 II BGB zugrundeliegenden Erfahrungssatz entspricht.

Die von der Beschwerde herausgestellten nachfolgenden Willensbekundungen des Erblassers bilden allesamt bereits deshalb keine tragfähige Beurteilungsgrundlage, weil sie jeweils auf einer infolge der zwischenzeitlichen Entwicklung eingetretenen Änderung der Motivlage beruhen. Darüber hinaus fehlt jedes zuverlässige Anzeichen dafür, dass die in den späteren Willensäußerungen des Erblassers zutage getretenen Intentionen auch nur ansatzweise vom maßgebenden - objektiven - Empfängerhorizont der vorverstorbenen Ehefrau umfasst sind. Das gilt sowohl hinsichtlich der anhand des dargelegten Erfahrungssatzes objektivierten Sichtweise der Ehegattin zum Zeitpunkt der Errichtung des Ausgangstestaments wie für das Verständnis der Ehefrau bezüglich der deutungsbedürftigen und teilweise diffusen Willensbekundungen des Erblassers in der Ergänzung I. So ist bereits fraglich, ob beide Ehegatten überhaupt übereinstimmende Vorstellungen vom Gegenstand und der Tragweite des Regelungsgehalts der mit der Ergänzung I beabsichtigten Neutestierung hatten. Das Testament II ist schließlich der manifeste Ausdruck einer Intention, die zu einem wesentlichen Teil noch weit über das in der Ergänzung I skizzierte Konzept hinausgeht und insoweit auch keinerlei fassbare Entsprechung mehr zu der von der Beschwerde behaupteten gemeinsamen Motivlage der Ehegatten bis zum Ableben der Ehefrau erkennen lässt.

III.

Nach alledem muss es bei der angefochtenen Entscheidung mit der Kostenfolge des § 84 FamFG bleiben.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf den §§ 40 I, 1 Nr. 3 und II; 61 I GNotKG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 II FamFG liegen nicht vor.

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