BGH, Urteil vom 17.06.2015 - IV ZR 426/13
Fundstelle
openJur 2015, 17657
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des Oberlandesgerichts München - 14. Zivilsenat - vom 5. Dezember 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 2.439,78 € festgesetzt.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier fondsgebundener Lebensversicherungen auf den Todes- und Erlebensfall.

Diese wurden jeweils aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Juli 2002 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN die Versicherungsscheine mit Begleitschreiben, die jeweils eine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. enthielten, und die Versicherungsbedingungen. Zum Oktober 2004 kündigte d. VN die Verträge; der Versicherer zahlte den jeweiligen Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 8. Juni 2011 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.

Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf die beiden Verträge geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits gezahlten Rückkaufswerte, insgesamt 2.439,78 €.

Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Der Versicherer hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Gründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat Prämienrückerstattungsansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN zwar nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Die im allgemeinen Fließtext der Begleitschreiben drucktechnisch nicht abgehobenen Belehrungen entsprächen der gesetzlichen Anforderung einer "drucktechnisch deutlichen Form" nicht und seien auch inhaltlich unzureichend. Die Formulierung "rechtzeitige Absendung" suggeriere, dass nur ein schriftlicher Widerspruch möglich sei, obwohl nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung ein Widerspruch in Textform genüge. Der Fristbeginn sei fehlerhaft umschrieben, da dafür die Übersendung der Police allein nicht genüge, sondern auch die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation vorliegen müssten. Die Verträge seien aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

II. Die Revision ist begründet.

1. Die - mit der Revision allein weiterverfolgten - Ansprüche auf Prämienrückzahlung folgen dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.

a) Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträge schaffen jeweils keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlungen. Sie sind infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung waren die Belehrungen im Fließtext der Begleitschreiben drucktechnisch nicht hervorgehoben; allein die - ebenso wie die weiteren Überschriften gestaltete - Überschrift "WIDERSPRUCHSRECHT" genügte hierfür nicht. Anders als die Revisionserwiderung meint, kommt es nicht darauf an, ob die - nicht maßgeblichen - Belehrungen in den Anträgen drucktechnisch hervorgehoben waren. Die Widerspruchsbelehrungen waren entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung auch inhaltlich unzureichend. Sie enthielten keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung erforderliche, aber auch ausreichende Textform des Widerspruchs; dieses Formerfordernis konnte d. VN nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge. Zudem wurde der Beginn der Widerspruchsfrist falsch beschrieben, weil abweichend von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nur an den Erhalt des Versicherungsscheins, nicht auch an die Überlassung der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation angeknüpft wurde.

Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Die Kündigung der Versicherungsverträge steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Die Rückgewähransprüche waren bei Erhebung der Klage im August 2012 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen. Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2011 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte d. VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, WM 2015, 865 Rn. 19 ff.).

3. Der Höhe nach umfassen die Rückgewähransprüche nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski Lehmann Dr. Brockmöller Vorinstanzen:

LG Augsburg, Entscheidung vom 30.04.2013 - 21 O 3119/12 -

OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 05.12.2013 - 14 U 2358/13 -